Elke Wild Jens Möller Hrsg. Pädagogische Psychologie 2. Auflage - PDF Kostenfreier Download (2023)

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1 Elke Wild Jens Möller Hrsg. Pädagogische Psychologie 2. Auflage

2 SpringerLehrbuch

3 Elke Wild Jens Möller (Hrsg.) Pädagogische Psychologie 2., vollständig überarbeitete und aktualisierte Auflage Mit 80 Abbildungen und 22 Tabellen

4 Herausgeber Elke Wild Fakultät für Psychologie und Sportwissenschaft Universität Bielefeld Bielefeld, Deutschland Jens Möller Institut für Psychologie ChristianAlbrechtsUniversität zu Kiel Kiel, Deutschland ISBN DOI / ISBN (ebook) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. SpringerVerlag Berlin Heidelberg 2009, 2015 Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Produkthaftung: Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewähr übernommen werden. Derartige Angaben müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen und Markenschutzgesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürfen. Planung: Joachim Coch, Heidelberg Projektmanagement: Judith Danziger, Heidelberg Lektorat: Sonja Hinte, Bremen Projektkoordination: Michael Barton, Heidelberg Umschlaggestaltung: deblik Berlin Fotonachweis Umschlag: Ableimages/Getty Images Fotonachweis der Kapitelfotos: Veit Mette, (außer Kap. 4, 6 und 16) Herstellung: letex publishing services GmbH, Leipzig Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier. SpringerVerlag ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media

5 V Vorwort Auf dem Büchermarkt mangelt es nicht an Enzyklopädien, Handwörterbüchern und Einführungsbänden, in denen sachkundig über Forschungsgebiete der Pädagogischen Psychologie informiert wird. Weil diese aber meist an ein spezielles Publikum Experten, Nebenfachstudierende, Bachelor oder MasterStudierende gerichtet sind, gab und gibt es aus unserer Sicht einen Bedarf für ein Lehrbuch, auf das Studierende nutzbringend zurückgreifen können, wenn sie sich an welchem Punkt ihres Studiums auch immer näher mit der Pädagogischen Psychologie befassen wollen. Und damit das Lehrbuch nutzbringend bei der Vor und Nachbereitung universitärer Lehre im Fach ist, muss es nicht zuletzt Lehrende in fachlicher und didaktischer Hinsicht überzeugen, denn nur dann wird es als Grundlage für Lehrveranstaltungen und daran anschließende Prüfungen gewählt. Die von uns gewonnenen Autorinnen und Autoren sind daher nicht nur ausgewiesene Experten auf ihrem Gebiet, sondern haben mit ihren Beiträgen auch tatkräftig daran mitgewirkt, dass das Lehrbuch drei übergeordneten Ansprüchen gerecht wird: 1. Um die Pädagogische Psychologie in ihrer ganzen Breite dazustellen, werden über die klassischen Kernthemen des Lernens und Lehrens hinaus Themenfelder behandelt, die in den immer breiter werdenden Gegenstandsbereich pädagogischpsychologischer Forschung fallen und zum Wissenskanon von Absolventen zählen sollten, die eine Tätigkeit in pädagogischen Praxisfeldern anstreben. Entsprechend bündelt der Band wissenschaftliche Erkenntnisse, die für Studierende der Psychologie, für Lehramtsstudierende und Studierende verwandter Fächer wie der Erziehungswissenschaft oder der klinischen Linguistik berufsrelevant sind. 2. Der Band führt ein in den Gegenstandsbereich pädagogischpsychologischer Forschung und liefert einen gut verständlichen Überblick über zentrale Konstrukte, Theorien und Befunde des Fachs. In seinem Anspruch hebt er sich also bewusst ab von bereits vorliegenden, exzellent geschriebenen Nachschlagewerken, in denen pädagogischpsychologische Erkenntnisse entweder auszugsweise (z. B. mit Blick auf ihre Relevanz für spezifische Berufsfelder) oder in enzyklopädischer (und damit hoch verdichteter und partikularer) Weise zusammengetragen werden. 3. Den spezifischen Anforderungen eines Lehrbuchs wird durch eine Vielzahl von didaktischen Elementen Rechnung getragen, um das Lesen und das Lernen mit diesem Buch zu erleichtern. Beispielsweise werden durchgängig zentrale Fachbegriffe und Definitionen herausgestellt, finden sich zahlreiche Abbildungen und Tabellen zur Illustration relevanter Sachverhalte, werden Fragen zur Selbstreflexion formuliert und Literaturhinweise zum weiterführenden Selbststudium unterbreitet. Zudem bietet die Website, die über das interaktive Lernportal ( de) zu erreichen ist, Studierenden wie Dozenten eine Fülle an Materialien, die der Vor und Nachbereitung pädagogischpsychologischer Lehrveranstaltungen einschließlich der damit verbundenen Leistungsüberprüfungen dienen sollen. Ganz wesentlich für die Einlösung dieser Ziele ist die Auswahl und Bandbreite der behandelten Themenschwerpunkte. Bereits bei der ersten Auflage haben wir diese bewusst an den Tätigkeiten orientiert, die in der pädagogischen Praxis dominieren: Wo immer Entwicklungsprozesse in Gang gesetzt oder optimiert werden sollen, wird gelernt, gelehrt, motiviert, interagiert, diagnostiziert und interveniert. Diese thematische Ausrichtung und die damit einhergehende Strukturierung des Lehrbuchs haben sich offenkundig bewährt. Neu konzipiert wurde im Zuge der Überarbeitungen zur zweiten Auflage der Bereich Intervenieren, um ausführlicher und differenziert nach Altersstufen und Zielsetzungen pädagogischpsychologische Trainingsmaßnahmen darstellen zu können. Die zuvor gesondert behandelten Fragen zu beruflichen Einsatzfeldern und Tätigkeitsanforderungen werden nun in den Kapiteln in ihrem jeweiligen Sachzusammenhang behandelt. Ferner wurde die Binnenstruktur im zweiten Hauptteil ( Lehren ) verändert, um die Klassenführung noch stärker als zentralen Teilaspekt der Unterrichtsqualität herauszustellen. Ungeachtet dieser Änderungen bleibt die klare Struktur erhalten das Lehrbuch ist nach wie vor

6 VI Vorwort in sechs Sektionen gegliedert, die jeweils drei Kapitel enthalten. In der ersten Sektion des Buchs Lernen ist das Hauptaugenmerk auf die Lernenden gerichtet. In modernen Wissensgesellschaften gilt mehr denn je, dass immer und überall gelernt wird. Aber wie vollzieht sich Lernen und warum sind manche Lerner erfolgreicher als andere? Erste Antworten auf diese Fragen werden in den ersten drei Beiträgen gegeben, in denen erläutert wird, welche Besonderheiten die menschliche Informationsverarbeitung kennzeichnen und wie diese bei der Optimierung von Lernprozessen zu berücksichtigen sind ( Kap. 1), warum für den Erwerb kumulativen Wissens nicht nur die Intelligenz, sondern vor allem auch das Vorwissen eines Lernenden entscheidend ist ( Kap. 2) und mit welchen Herausforderungen Lernende konfrontiert sind, wenn sie in Eigenregie lernen ( Kap. 3). Ein zentrales Element pädagogischer Tätigkeiten ist das Lehren. Auch wenn Lernprozesse längst nicht mehr nur in formalen Settings wie dem Schulunterricht stattfinden, bleibt die systematische Vermittlung von relevanten Wissensbeständen und Fertigkeiten doch eine zentrale Aufgabe aller Bildungseinrichtungen. Die ersten beiden Beitrage der zweiten Sektion zeigen daher auf, was einen guten Unterricht auszeichnet ( Kap. 4), und inwiefern eine effektive Klassenführung dazu beiträgt, die verfügbare Lernzeit optimal zu nutzen ( Kap. 5). Die medienpsychologischen Ausführungen in Kap. 6 schließen hieran an, indem Gütekriterien für Lehrtexte und andere Lehrmaterialien (Filme, Animationen etc.) sowie Chancen und Herausforderungen der Gestaltung von Lehr LernProzessen mithilfe sogenannter Neuer Medien herausgearbeitet werden. Gleichzeitig lenken sie mit der Betrachtung des Medienkonsums von Kindern und Jugendlichen die Aufmerksamkeit auf informelle und implizite Lernprozesse. Gemeinsam ist allen drei Kapiteln, dass sie aktuelle Diskussionen beispielsweise zum Für und Wider des herkömmlichen Unterrichts oder zur Wirkung gewalthaltiger Fernsehsendungen aufgreifen und mit weit verbreiteten Mythen aufräumen. Aus heutiger Sicht erschöpft sich Bildung nicht in der Vermittlung von Fachkenntnissen und traditionellen Kulturtechniken wie dem Lesen, Schreiben und Rechnen. Sie schließt vielmehr auch die Förderung lernrelevanter Einstellungen ein, und daher stellt sich die Frage, wie Lernende zu motivieren bzw. zu einer eigenverantwortlichen Lernmotivation hinzuführen sind. Die Beiträge der dritten Sektion Motivieren geben einen Überblick über Erkenntnisse, die in diesem Zusammenhang relevant sind. Die Ausführungen in Kap. 7 machen zunächst deutlich, dass Lernende nicht nur mehr oder weniger stark motiviert sind, sondern sich auch aus unterschiedlichen Motivlagen und Zielsetzungen heraus mit Lerninhalten befassen. Darauf aufbauend wird erläutert, wie eine zielführende Motivförderung aussieht. An diese Darstellungen schließt unmittelbar Kap. 8 zum Selbstkonzept an. Unter anderem wird dabei der spannenden Frage nachgegangen, welche Faktoren unsere eigenen Einschätzungen persönlicher Stärken und Schwächen beeinflussen. Kap. 9 Emotionen schließlich fasst Erkenntnisse zu den Bedingungen und Folgen des emotionalen Erleben von Lernenden zusammen und zeigt u. a. auf, wie vielfaltig die in Lernsituationen anzutreffenden Gefühle sind und warum emotionale Kompetenz ein wichtiges Bildungsziel darstellt. Die vierte Sektion Interagieren widmet sich den Personengruppen, die einen Einfluss auf die Bildungslaufbahn und die Persönlichkeitsentwicklung Heranwachsender haben. Dies sind die Eltern, die Lehrkräfte und die Gleichaltrigen In Kap. 10 wird zunächst die Familie als ein zentraler Entwicklungsund Lernkontext in den Blick genommen. Die Ausführungen beleuchten die Herausforderungen, die sich Eltern in verschiedenen Etappen der Familienentwicklung stellen und greifen dabei zahlreiche, in der Öffentlichkeit intensiv diskutierte Themen auf, darunter: Was zeichnet eine gute Erziehung aus? Warum hängt der Bildungserfolg von Kindern so stark von ihrer sozialen und ethnischen Herkunft ab? Leidet die psychosoziale Entwicklung automatisch, wenn sie mit der Trennung ihrer Eltern oder anderen kritischen Lebensereignissen konfrontiert werden? In Kap. 11 werden nicht minder brisante und gesellschaftlich relevante Themen behandelt, die um die Bedeutung und Funktion von Lehrkräften ranken. Beispielsweise wird der Frage nachgegangen, über welche Kompetenzen gute Lehrkräfte möglichst bereits am Ende ihrer Ausbildung verfügen sollten, und was sie davor schützt, im Berufsalltag auszubrennen. Im Zentrum von Kap. 12. stehen dann die Gleichaltrigen, die entgegen weitläufiger Meinung nicht erst in der Adoleszenz bedeutsam werden, sondern bereits lange zuvor ein spezifisches Lernumfeld bereitstellen.

7 Vorwort VII Für eine effektive Gestaltung von Lern und Entwicklungsprozessen sei es auf der Ebene von Reformvorhaben im Bildungssystem, im Rahmen der Schulentwicklung, einer einzelnen Bildungseinrichtung oder auch mit Blick auf die Begründung einer Fördermaßnahme im individuellen Fall ist es notwendig, zunächst die jeweiligen Lernstände zu diagnostizieren und die Wirkung pädagogischer Maßnahmen über den Abgleich von Eingangsund Ausgangskompetenzen zu evaluieren. Beide Tätigkeiten markieren von jeher zentrale Anforderungen des Berufsalltags von Pädagogischen Psychologen (etwa in der schulpsychologischen Beratung und Erziehungsberatung) und anderen pädagogischen Fachkräften. Infolge internationaler Vergleichsstudien sind sie jedoch ins Zentrum der öffentlichen und fachwissenschaftlichen Aufmerksamkeit gerückt. Die Beiträge in der fünften Sektion des Buchs informieren den Leser deshalb über neuere Entwicklungen in der pädagogischpsychologischen Diagnostik ( Kap. 13) sowie der Evaluationsforschung ( Kap. 14) und vermitteln einen Eindruck vom Mehrwert nationaler und internationaler Schulleistungsstudien ( Kap. 15), ohne deren Grenzen auszublenden. In der Praxis müssen mit Erziehungs und Bildungsfragen betraute Fachkräfte fortlaufend entscheiden, wie absehbaren Problemen vorgebeugt werden oder bereits manifesten Problemen entgegengewirkt werden kann. Ihnen obliegt es somit, gezielt zu intervenieren und dabei aus fachlichen wie ressourcenschonenden Gründen auf bewährte Maßnahmen zur primären, sekundären oder tertiären Prävention zurückzugreifen. Diese werden im Überblick in der sechsten Sektion zusammengefasst. Bereits im Vorschulbereich einsetzbare Trainings zur Förderung sogenannter Vorläuferfertigkeiten werden in ( Kap. 16) vorgestellt, während Trainings, die vornehmlich Schülerinnen und Schüler mit mehr oder weniger manifesten Lern und Leistungsproblemen adressieren, in Kap. 17 behandelt werden. Bewährte Formen des (präventiven und interventiven) Umgangs mit psychosozialen Herausforderungen und Risikolagen schließlich werden in Kap. 18 umrissen. Zu erwähnen ist, dass im Lehrbuch soweit wie möglich geschlechtsneutrale Formulierungen gewählt wurden, aus Gründen der besseren Lesbarkeit aber bei Personenbezeichnungen auch nur die männliche Form verwendet wurde (z. B. Schüler, Lehrer, Erzieher). Selbstverständlich sind mit dem generischen Maskulinum aber männliche wie weibliche Personen gemeint! Unter didaktischen Gesichtspunkten war uns als Herausgebern ein wichtiges Anliegen, dass jedes Kapitel einen in sich geschlossenen Überblick über das jeweilige Themengebiet bietet und die Lektüre auch dann gewinnbringend ist, wenn nicht alle Beiträge (womöglich in der vorgesehenen Reihenfolge) gelesen werden. Gleichwohl haben sich alle Autoren und Autorinnen bemüht, Querbezüge zwischen den in den einzelnen Kapiteln behandelten Ausführungen aufzuzeigen und Redundanzen zu vermeiden. Insofern sind wir überzeugt, dass die Lektüre am Stück nicht nur zu einem umfassenderen, sondern auch zu einem tieferen Verständnis der behandelten Inhalte und damit einer besseren Vorbereitung auf einschlägige Anforderungen im späteren Beruf beiträgt. Damit die Lektüre des Lehrbuchs für Leser und Leserinnen mit unterschiedlichem Hintergrundwissen gewinnbringend ist, beginnen alle Beiträge mit einer Übersicht über den Aufbau des Kapitels (Trailer) und enden mit einem Fazit, in dem die zentralen Aussagen rekapituliert werden. Wichtige Definitionen werden durchgängig hervorgehoben und am Ende eines jeden Kapitels finden sich weiterführende Literaturtipps für eine eingehendere Beschäftigung. Ein weiteres didaktisches Element sind die vom Text abgehobenen Kästen. Hier werden entweder theoretisch bzw. forschungsmethodisch weiterführende Aspekte behandelt (Exkurse) oder ausgewählte Studien näher dargestellt, um unterschiedliche empirische Zugangsweisen zu illustrieren (Beispielkästen). Eine Fülle weiterer Lehr und Lernmaterialien bietet schließlich die bereits erwähnte Webseite zum Buch: Hier werden englische Fachbegriffe übersetzt und erläutert, Lernkarten mit Fragen und Antworten zur eigenständigen Verständnisprüfung offeriert und Links zu interessanten InternetSeiten geliefert. Für Dozenten besonders attraktiv dürften Foliensatze zu den einzelnen Kapiteln sein, die Abbildungen, Fotos, Merksätze und vieles mehr enthalten. Ein gutes Lehrbuch entsteht, wenn viele versierte Hände produktiv zusammenarbeiten. Wir als Herausgeber möchten uns daher bei allen Autorinnen und Autoren bedanken, dass sie nicht nur ihr Knowhow eingebracht, sondern die Überarbeitungen für die zweite Auflage genauso engagiert in Angriff genommen haben wie die Abfassung der

8 VIII Vorwort Kapitel für die Erstauflage. Nicht minder zum Dank verpflichtet sind wir dem Verlag, insbesondere Joachim Coch, Judith Danziger, Sonja Hinte und Michael Barton, für ihre unermüdliche Unterstützung in allen Phasen der Entstehung dieses Buchs und für ihre Bereitschaft, unsere Wünsche und Vorstellungen umzusetzen. Danken möchten wir schließlich auch Veit Mette, dessen Fotos zu Beginn eines jeden Beitrags weiter zum Betrachten, Verweilen und Nachdenken anregen und hoffentlich zum Lesevergnügen beitragen. Elke Wild und Jens Möller Bielefeld und Kiel im Juli 2014

9 IX Autorinnen und Autoren Holger Domsch DiplomPsychologe, Schulpsychologische Beratungsstelle der Stadt Münster Promotion: 2012, Universität Bielefeld Forschungsschwerpunkte Kognitive Entwicklung, ADHS, Stress bei Kinder und Jugendlichen Barbara Drechsel Professorin für Psychologie in Schule und Unterricht, OttoFriedrichUniversität Bamberg Promotion: 2000, ChristianAlbrechtsUniversität Kiel Forschungsschwerpunkte Schule, Unterricht, Vergleichsstudien Marco Ennemoser Professor für Pädagogische Psychologie, Universität Gießen Promotion: 2002, Universität Würzburg Forschungsschwerpunkte Pädagogischpsychologische Interventionsforschung, Diagnostik und Intervention, Prävention von Lernstörungen Anne C. Frenzel Professorin für Psychology in the Learning Sciences, LudwigMaximiliansUniversität München Promotion: 2004, LudwigMaximiliansUniversität München Forschungsschwerpunkte Psychologie in den Learning Sciences, Emotionen und Motivation bei Schülern und Lehrkräften Stefan Fries Professor für Psychologie, Universität Bielefeld Promotion: 2000, Universität Potsdam Forschungsschwerpunkte Motivation und Lernen, Selbstregulation und multiple Ziele

10 X Autorinnen und Autoren Thomas Götz Professur für Empirische Bildungsforschung, Universität Konstanz und Pädagogische Hochschule Thurgau, Schweiz Promotion: 2002, LudwigMaximiliansUniversität München Forschungsschwerpunkte Empirische Bildungsforschung, Emotionen, Selbstreguliertes Lernen Hans Gruber Professor für Pädagogik, Universität Regensburg Promotion: 1991, LudwigMaximiliansUniversität München Forschungsschwerpunkte Expertise, Professional Learning, Lernen am Arbeitsplatz, Hochschuldidaktik Bettina Hannover Professorin für Schul und Unterrichtsforschung, Freie Universität Berlin Promotion: 1987, Technische Universität Berlin Forschungsschwerpunkte Kognitive Mechanismen der Verarbeitung selbstbezogener Information, Soziale und kulturelle Einflussfaktoren auf das Selbst Holger Horz Professor für Pädagogische Psychologie, GoetheUniversität Frankfurt Promotion: 2004, Universität Mannheim Forschungsschwerpunkte Instructional Design, Blended & Multimedia Learning, Bild & Textverstehen, Hochschuldidaktik Ursula Kessels Professorin für Bildungsforschung, Freie Universität Berlin Promotion: 2001, Freie Universität Berlin Forschungsschwerpunkte Heterogenität und Bildung, Geschlecht, Selbstkonzept und Identität, Interesse und Motivation, Schul und Unterrichtsforschung Olaf Köller Professor am LeibnitzInstitut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik, ChristianAlbrechtsUniversität zu Kiel Promotion: 1997 zum Dr. phil. an der ChristianAlbrechtsUniversität zu Kiel Forschungsschwerpunkte Schulleistungsdiagnostik

11 Autorinnen und Autoren XI Kristin Krajewski Professorin für Pädagogische Psychologie, Universität Gießen Promotion: 2002, Universität Würzburg Forschungsschwerpunkte Entwicklungsorientierte Diagnostik und Lernförderung, Ressourcenorientierte Gestaltung von Lernumgebungen, Mathematische Kompetenzentwicklung, Arbeitsgedächtnis, Lern und Leistungsstörungen Olga KuninaHabenicht Wissenschaftliche Mitarbeiterin, GoetheUniversität Frankfurt Promotion: 2010, HumboldtUniversität Berlin Forschungsschwerpunkte Lehrerforschung, Mess und Skalierungsmodelle in der Bildungsforschung, Konstruktion und Evaluation von Leistungstests Mareike Kunter Professorin für Pädagogische Psychologie, GoetheUniversität Frankfurt Promotion: 2004, Freie Universität Berlin Forschungsschwerpunkte Lehrerforschung, Unterrichtsforschung, Motivation im Klassenzimmer Meike Landmann Landesschulamt und Lehrkräfteakademie Abteilung III (Institut für Qualitätsentwicklung), Wiesbaden seit März 2008 Promotion: 2004, TU Darmstadt Forschungsschwerpunkte Die Abteilung III des Landesschulamts unterstützt landesweit und auf allen Ebenen die Qualitätsentwicklung im hessischen Bildungswesen. Schwerpunkt: Evaluationsstudien und Wirkungsanalysen zur Wirksamkeit bildungspolitischer Maßnahmen. Frank Lipowsky Professor für Erziehungswissenschaften, Universität Kassel Promotion: 2003, Pädagogische Hochschule Heidelberg Forschungsschwerpunkte Empirische Unterrichtsforschung, Lehrerforschung Arnold Lohaus Professor für Entwicklungspsychopathologie, Universität Bielefeld Promotion: 1982, Westfälische WilhelmsUniversität Münster Forschungsschwerpunkte Stress und Stressbewältigung im Kindes und Jugendalter, Kognitive Entwicklung im Säuglingsalter

12 XII Autorinnen und Autoren Jens Möller Professor für Pädagogische Psychologie, ChristianAlbrechtsUniversität Kiel Promotion: 1991, ChristianAlbrechtsUniversität Kiel Forschungsschwerpunkte Selbstkonzept, Lehrkräfte, Fremdspracherwerb Barbara Otto Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Arbeitsbereich Pädagogische Psychologie, Goethe Universität Frankfurt Promotion: 2007, Technische Universität Darmstadt Forschungsschwerpunkte Selbstreguliertes Lernen, Lernmotivation, Determinanten akademischer Leistung, Nachhilfe Reinhard Pekrun Professor für Pädagogische Psychologie, Diagnostik und Evaluation, LudwigMaximilians Universität München Promotion: 1982, LudwigMaximiliansUniversität München Forschungsschwerpunkte Emotionen, Pädagogische Psychologie Franziska Perels Professorin für Erziehungswissenschaften, Universität des Saarlandes Promotion: 2002, Technische Universität Darmstadt Forschungsschwerpunkte Schulinspektion, Empirische Fundierung der Schulentwicklung und Qualitätssicherung der Evaluation Britta Pohlmann Institut für Bildungsmonitoring und Qualitätsentwicklung, Hamburg Promotion: 2003, Universität Bielefeld Forschungsschwerpunkte Evaluation von Schulversuchen, Entwicklung von Instrumenten zur Kompetenzfeststellung Manfred Prenzel Professor für Empirische Bildungsforschung, Technische Universität München Promotion: 1980, LudwigMaximiliansUniversität München Forschungsschwerpunkte Schulleistungsstudien

13 Autorinnen und Autoren XIII Alexander Renkl Professor für Pädagogische Psychologie und Entwicklungspsychologie, AlbertLudwigs Universität Freiburg Promotion: 1991, RuprechtKarlsUniversität Heidelberg Forschungsschwerpunkte Kognitive Lernprozesse und Lernstrategien, Beispielbasiertes Lernen und Lehren, Verhältnis von instruktionalen Erklärungen und Selbsterklärungen, Lernen durch reflexives Schreiben, Lernen mit multiplen Repräsentationen Ellen Schaffner Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Universität Potsdam Promotion: 2009, Freie Universität Berlin Forschungsschwerpunkte Pädagogische Psychologie, Lesemotivation, Lesekompetenz Ulrich Schiefele Professor für Pädagogische Psychologie, Universität Potsdam Promotion: 1984, Universität Wien Forschungsschwerpunkte Pädagogische Psychologie, Auswirkungen von Motivation und Interesse auf Leseverstehen Bernhard Schmitz Professor für Pädagogische Psychologie, Technische Universität Darmstadt Promotion: 1984, Freie Universität Berlin Forschungsschwerpunkte Förderung von Selbstregulation und Problemlösen, Konzeption und Effektivität von Trainings, Argumentation und Verhandlung, Beratungskompetenz von Lehrern, Standardisierte Tagebücher Kathleen SchnickVollmer Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Psychologie, Technische Universität Darmstadt Forschungsschwerpunkte Kompetenzmodellierung und messung, Selbstregulatorisches Lernen Tina Seidel Professorin für Unterrichts und Hochschulforschung, Technische Universität München Promotion: 2002, ChristianAlbrechtsUniversität Kiel Forschungsschwerpunkte Unterrichtsforschung, Lehrerforschung, Hochschulforschung

14 XIV Autorinnen und Autoren Elmar Souvignier Professor für Diagnostik und Evaluation im schulischen Kontext, Westfälische Wilhelms Universität Münster Promotion: 2000, GoetheUniversität Frankfurt Forschungsschwerpunkte Diagnose und Förderung des Leseverständnisses, Kooperatives Lernen Elena Stamouli Akademische Rätin, Universität Regensburg Promotion: 2003, Universität Regensburg Forschungsschwerpunkte Emotionale Kompetenzen, Berufszufriedenheit, Professional Learning Ulrich Trautwein Professor für Empirische Bildungsforschung, Eberhard Karls Universität Tübingen Promotion: 2002, Freie Universität Berlin Forschungsschwerpunkte Selbstkonzept, Empirische Bildungsforschung, LehrLernForschung Sabine Walper Professorin für Allgemeine Pädagogik und Bildungsforschung, LudwigMaximilians Universität München; Forschungsdirektorin am Deutschen Jugendinstitut e. V. Promotion: 1986, Technische Universität Berlin Forschungsschwerpunkte Scheidungs und Stieffamilien, Familien in Armut, Entwicklung im Jugendalter, Förderung elterlicher Erziehungskompetenzen Elke Wild Professorin für Pädagogische Psychologie, Universität Bielefeld Promotion: 1993, Universität Mannheim Forschungsschwerpunkte Familienpsychologie, Motivationspsychologie, Beratung, Jugendforschung Oliver Wilhelm Professor für Differenzielle Psychologie und Psychologische Diagnostik, Universität Ulm Promotion: 2000, Universität Mannheim Forschungsschwerpunkte Konstruktion und Evaluation von Leistungs und Fähigkeitstests, Multivariate Untersuchung von Fähigkeitskonstrukten, Innovative Messverfahren zur Erfassung von Schülerleistungen

15 Wild, Möller: Pädagogische Psychologie Der Wegweiser zu diesem Lehrbuch Der Wegweiser zu diesem Lehrbuch Trailer: Mit dieser Einleitung startet das Kapitel Stimmungsvoller Einstieg ins Kapitel: Foto vom Bielefelder Fotografen Veit Mette Lernerfolg wird wesentlich durch die kognitiven, motivationalen und selbstregulativen Fähigkeiten des Lernenden bestimmt. Es verwundert daher nicht, dass in der Pädagogischen Psychologie spezielle Verfahren entwickelt wurden, die sich den Aufbau und die Verbesserung solcher Fähigkeiten zum Ziel setzen. Von solchen Trainingsverfahren handelt dieses Kapitel (. Abb. 17.1) Was ist ein Training? Begriffsbestimmung und Klassifikation Glossar der wichtigsten Trainingsverfahren stellen eine der wichtigsten Interventionsmethoden in der Pädagogischen Psychologie dar. In diesem Kapitel wird anhand ausgewählter Trainingsverfahren beschrieben, wie unterschiedliche pädagogisch relevante Kompetenzen durch Trainingsmaßnahmen gefördert werden können. Dazu soll zunächst erläutert werden, was ein können. Definition knapp erläutert Ein Training ist eine strukturierte und zeitlich begrenzte Intervention, in der mittels wiederholter Ausübung von Tätigkeiten die Absicht verfolgt wird, Fertigkeiten und Fähigkeiten aufzubauen oder zu verbessern.. Abb Beispiel (Klauer, 1991) Wissen anwenden mit den zahlreichen Beispielen Übersichten: erleichtern das Lernen heit, Verschiedenheit, Gleichheit und Verschiedenheit; Fa aufgabentypen des induktiven Denkens: 1. Generalisierung (Gleichheit von Merkmalen) 2. Diskrimination (Verschiedenheit von Merkmalen) 3. von Merkmalen) 4. Beziehungserfassung (Gleichheit von Relationen) 5. Beziehungsunterscheidung (Verschiedenheit von Relationen) 6. Systembildung (Gleichheit und Verschiedenheit von Relationen). Vorteile Neuer Medien Selbstbestimmtes Lernen bezüglich des Lerntempos Selbstbestimmtes Lernen bezüglich des Lernwegs Zeitunabhängiges Lehren und Lernen Ortsunabhängiges Lehren und Lernen Klaus hat verschiedene Lieblingszahlen: Welche dieser Zahlen gehört noch dazu? Begründe Aufgabe B Im Geometrieunterricht hat euer Lehrer eine Folge von Figuren an die Tafel gezeichnet (. Abb. 17.2). Leider hat er einen Fehler gemacht. Findest Du ihn? (Lösung Aufgabe A: 767; Lösung Aufgabe B: Parallelogramm und Rechteck müssen getauscht werden.) Da nicht vorausgesetzt werden kann, dass jeder Leser sich schon einmal mit einem konkreten pädagogischpsycho rung ein exemplarisches Trainingsprogramm im Exkurs Ein Training zur Förderung des induktiven Denkens kurz skizziert und ausführlicher im Abschn erklärt.. Tab präsentiert exemplarisch die Kompetenzstufenbeschreibungen für die Lesekompetenz aus

16 Navigation: Mit Seitenzahl und Kapitelnummer Exkurs Ein Training zur Förderung des induktiven Denkens Eine wichtige kognitive Kompetenz stellt das induktive Denken dar. Induktives Denken liegt immer dann vor, wenn wir aus konkreten Beobachtungen auf Regelhaftigkeiten z. B. von Formen schließen. Der Aachener Erziehungswissenschaftler und Psychologe Karl Josef Klauer hat für Kinder und Jugendliche Trainings zur Förderung dieser Denkkompetenz vorgelegt (Klauer, 1989, 1991, 1993). Die Trainings Wenn Sie es genau wissen wollen: Exkurse vertiefen das Wissen. Abb Das Verfahren zur Aufgabenentwicklung im Überblick. Tab (1998) destruktiv nen (z. B. tätliche nicht destruktiv oppositionelles Verhalten verdeckt (heimliche) Zerstörung des Eigentums anderer Normverletzungen (z. B. heimliche Regelverstöße) nen, dass die Trainingsaufgaben (möglichst gleichmäßig) anderen, dass die Trainingsteilnehmer beliebige Aufgaben des induktiven Denkens den Kernaufgabentypen zuord 1991) dargestellt. Wie wird der Zusammenhang zwischen der beschrieben? Es gibt zwei Maße, die diesen Zusammen Fazit Zusammenfassend lässt sich zur Implementation von Trainingsprogrammen feststellen, dass die Wirksamkeit von Fördermaßnahmen maßgeblich von der Qualität der Umsetzung bestimmt wird und dass eine systematische Erforschung von Implementationsprozessen zu den Desideraten der Trainings und Unterrichtsforschung gehört (Beelmann, 2006; Gräsel & Parchmann, 2004; Souvignier & TrenkHinterberger, 2010). Aufgabeninhalte und formate kommen dabei zum Einsatz. So müssen Reihen fortgesetzt, unpassende Elemente entdeckt oder Objekte in ein System eingeordnet werden (für Aufgabenbeispiele Aufgaben aus in Abschn ). Im Verlauf der Trainingssitzungen erlernen die Trainingsteilnehmer, verschiedene Typen von Aufgaben des induktiven Denkens zu unterscheiden und bei der Lösung der Aufgaben nach einer speziellen Strategie vorzugehen. Hierdurch sollen die Trainierten, auch über die konkreten Trainingsaufgaben hinaus, all jene schulischen und außerschulischen Anforderungen besser bewältigen, in denen Kompetenzen des induktiven Denkens von Relevanz sind. Verständnisfragen 1. Durch welche zentralen Merkmale zeichnet sich Training aus? 2. Das Denktraining nach Klauer gilt als eines der am besten evaluierten Trainings. Inwiefern wurden in den Evaluationen des Denktrainings zentrale Aspekte der Wirksamkeitsüberprüfung von Trainingsverfahren realisiert? 3. Warum sollten vor dem Hintergrund des Selbstbewertungsmodells der Leistungsmotivation nur solche Traiführen, in denen alle drei Prozesskomponenten des Leistungsmotivs trainiert werden? 4. zur Förderung des Leseverstehens auf der einen und des Schreibens auf der anderen Seite? 5. Welche zentralen Problemstellungen lassen sich im Hinblick auf die Implementation von Trainingsprogrammen nennen? Vertiefende Literatur Hartig, J., Klieme, E. & Leutner, D. (Hrsg.). (2008). Assessment of competencies in educational contexts. Toronto: Hogrefe & Huber Publishers. Pellegrino, J. W., Chudowsky, N. & Glaser, R. (Hrsg.). (2001). Knowing what students know. Washington, D.C.: National Academies Press. Prenzel, M., Sälzer, Ch., Klieme, E. & Köller, O. (Hrsg.). (2013). schritte und Herausforderungen in Deutschland. Münster: Waxmann. The Role of International LargeScale Assessments: Perspectives from Technology, Economy, and Educational Research. New York: Springer. Anschaulich: 80 Abbildungen Anschaulich: Mehr als 20 Tabellen Was gelernt? Prüfen Sie Ihr Wissen anhand der Verständnisfragen Fazit: Das Wichtigste in Kürze Noch nicht genug? Tipps für die weiterführende Lektüre Ê Website zum Buch auf

17 Lernmaterialien zum Lehrbuch Pädagogische Psychologie im Internet Alles für die Lehre fertig zum Download: Foliensätze, Abbildungen und Tabellen für Dozentinnen und Dozenten zum Download Schnelles Nachschlagen: Glossar mit über 140 Fachbegriffen Zusammenfassungen der 18 Buchkapitel: Das steckt drin im Lehrbuch Memocards: Prüfen Sie Ihr Wissen Verständnisfragen und Antworten Weitere Websites unter Deutschenglisches Glossar mit zahlreichen Fachbegriffen Memocards: Fachbegriffe pauken Kommentierte Linksammlung Kleine Phraseologie des BusinessNeusprech Dozentenmaterialien: Abbildungen und Tabellen Kapitelzusammenfassungen Verständnisfragen und antworten Glossar der wichtigsten Fachbegriffe Memocards Kommentierte Linksammlung

18 Lernmaterialien zum Lehrbuch Pädagogische Psycho logie im Internet XIX Glossar mit zahlreichen Fachbegriffen Memocards: Überprüfen Sie Ihr Wissen & Antworten: Üben Sie für die Prüfung Dozentenmaterialien: Abbildungen und Tabellen Kapitelzusammenfassungen Prüfungsfragen Kapitelzusammenfassungen Verständnisfragen und antworten Glossar mit über 150 Fachbegriffen Memocards Kommentierte Linksammlung Kapitelzusammenfassungen Memocards: Fachbegriffe pauken Kommentierte Linksammlung Verständnisfragen und antworten Dozentenmaterialien: Vorlesungsfolien, Abbildungen und Tabellen Lernziele Verständnisfragen Kapitelglossare Memocards und antworten Glossar mit über 400 Fachbegriffen Einfach lesen, hören, lernen im Web ganz ohne Registrierung! Fragen?

19 Inhaltsverzeichnis I Lernen 1 Wissenserwerb....3 Alexander Renkl 1.1 Wissenserwerb Was wird da erworben? Was sind bedeutende theoretische Perspektiven? Wie kann Wissen erworben werden? Wichtige Lernformen Literatur Intelligenz und Vorwissen...25 Hans Gruber, Eleni Stamouli 2.1 Eine geheimnisvolle, aber wichtige Sache: epistemologische Überzeugungen Grundlegendes: Intelligenztheorien, Wissenstheorien Zusammenspiel von Intelligenz und Wissen als Gegenstand der Pädagogischen Psychologie Messung von Intelligenz und Wissen Intelligenter Wissenserwerb im Studium Auch eine Frage der epistemologischen Überzeugungen von Dozierenden? Literatur Selbstregulation und selbstreguliertes Lernen Meike Landmann, Franziska Perels, Barbara Otto, Kathleen SchnickVollmer, Bernhard Schmitz 3.1 Begriffsbestimmung Selbstreguliertes Lernen Modelle der Selbstregulation Diagnostik von Selbstregulation Förderung von Selbstregulation Ausblick Literatur II Lehren 4 Unterricht...69 Frank Lipowsky 4.1 Begriffliche und theoretische Grundlagen Merkmale und Merkmalskonfigurationen erfolgreichen Unterrichts Literatur Klassenführung Tina Seidel 5.1 Klassenführung als zentrales Thema der Unterrichtsforschung Begriffsklärung Der Klassiker: Kounins Techniken der Klassenführung Klassenführung als Umgang mit Störungen Klassenführung als Management von Lernzeit Klassenführung als Begleitung von Lernprozessen bei Schülern Klassenführung als trainierbare Fähigkeit von Lehrenden Literatur

20 Inhaltsverzeichnis XXI 6 Medien Holger Horz 6.1 Entwicklung der Medien und Medienforschung Lernmedien Medien in Bildungskontexten Medien in außerinstitutionellen Kontexten Literatur III Motivieren 7 Motivation Ulrich Schiefele, Ellen Schaffner 7.1 Unterschiedliche Motivationsformen und merkmale Bedeutung der Motivation für Lernen und Leistung Entwicklung und Förderung motivationaler Merkmale Literatur Selbstkonzept Jens Möller, Ulrich Trautwein 8.1 Schulisches Selbstkonzept Theoretische Wurzeln der pädagogischpsychologischen Selbstkonzeptforschung Struktur, Stabilität und Erfassung des Selbstkonzepts Determinanten des Selbstkonzepts : Welche Faktoren beeinflussen die Höhe der fachbezogenen Selbstkonzepte? Wirkungen des Selbstkonzepts Schulische und außerschulische Interventionsmaßnahmen Literatur Emotionen Anne C. Frenzel, Thomas Götz, Reinhard Pekrun 9.1 Begriffsbestimmung Erfassung von Emotionen Leistungsemotionen Literatur IV Interagieren 10 Familie Elke Wild, Sabine Walper 10.1 Einleitung Die Rolle des Elternhauses im Verlauf der Familienentwicklung Familien in der Krise Literatur Lehrer Mareike Kunter, Britta Pohlmann 11.1 Merkmale des Lehrerberufs Kognitive Merkmale: Wissen und Überzeugungen Motivationale Merkmale

21 XXII Inhaltsverzeichnis 11.4 Emotionale Merkmale: Beanspruchungserleben Veränderung von Lehrermerkmalen in Ausbildung und Beruf Literatur Gleichaltrige Ursula Kessels, Bettina Hannover 12.1 Bedeutung und Funktion der Gleichaltrigengruppe Beliebtheit und Freundschaft Merkmale von Kindern und Jugendlichen mit unterschiedlichem PeerStatus Beziehungen zwischen Gruppen von Gleichaltrigen Miteinander und voneinander lernen Problematische Interaktionen unter Gleichaltrigen: Aggression und Bullying Literatur V Diagnostizieren und Evaluieren 13 Pädagogischpsychologische Diagnostik Oliver Wilhelm, Olga KuninaHabenicht 13.1 Definition und Zielstellungen von Diagnostik Beurteilung psychologischer Messverfahren Diagnostische Verfahren und diagnostische Daten Abschließende Kommentare Literatur Evaluation pädagogischpsychologischer Maßnahmen Olaf Köller 14.1 Begriffsbestimmung Die acht Schritte einer wissenschaftlichen Evaluation Überprüfung der Wirksamkeit von Interventionen Methodische Probleme bei Evaluationen Standards für Evaluationen Beispiel für eine wissenschaftliche Evaluation Literatur Nationale und internationale Schulleistungsstudien Barbara Drechsel, Manfred Prenzel, Tina Seidel 15.1 Was können Schüler? Das Interesse an Schülerleistungen Klassifikation von Vergleichsstudien Drei beispielhafte Vergleichsstudien Vergleichsstudien Von der Idee zur Testdurchführung Auswertungsverfahren und Ergebnisse (mit Beispielen) Erweiterungen von Vergleichsstudien Ausblick: Aktuelle Trends bei Vergleichsstudien Literatur

22 Inhaltsverzeichnis XXIII VI Intervenieren 16 Pädagogischpsychologische Lernförderung im Kindergarten und Einschulungsalter. 371 Marco Ennemoser, Kristin Krajewski 16.1 Notwendigkeit vorschulischer Fördermaßnahmen Sprachförderung in Kindergarten und Vorschule Förderung des induktiven Denkens Förderung von Vorläuferfertigkeiten des Schriftspracherwerbs Förderung mathematischer Kompetenzen im Kindergarten und im Schuleingangsbereich Literatur Training Stefan Fries, Elmar Souvignier 17.1 Was ist ein Training? Begriffsbestimmung und Klassifikation Training kognitiver Grundfunktionen Motivationstraining Training kultureller Grundkompetenzen am Beispiel des Lesens und Schreibens Implementation von Trainingsprogrammen Literatur Die Förderung psychosozialer Kompetenzen im Schulalter Arnold Lohaus, Holger Domsch 18.1 Primärpräventive Förderkonzepte für Kinder und Jugendliche als Zielgruppe Primärpräventive Förderkonzepte für Eltern als Zielgruppe Organisationsbezogene primärpräventive Förderkonzepte Evaluation der Effekte von Programmen zur Förderung psychosozialer Kompetenzen Maßnahmen zur Optimierung von Programmeffekten Literatur Serviceteil Glossar Stichwortverzeichnis

23 Mitarbeiterverzeichnis Holger Domsch, Dr. Stadt Münster Schulpsychologische Beratungsstelle Klosterstraße 33, Münster Barbara Drechsel, Prof. Dr. OttoFriedrichUniversität Bamberg Institut für Psychologie Professur für Psychologische Grundlagen in Schule und Unterricht Kapuzinerstraße 16, Bamberg Marco Ennemoser, Prof. Dr. JustusLiebigUniversität Gießen Fachbereich 06, Psychologie und Sportwissenschaft Abteilung Pädagogische Psychologie Schulische Prävention und Evaluation OttoBehaghelStraße 10 F, Gießen Anne C. Frenzel, Prof. Dr. LudwigMaximiliansUniversität München MCLS Munich Center of the Learning Sciences Leopoldstraße 13, München Stefan Fries, Prof. Dr. Universität Bielefeld Abteilung Psychologie AE Psychologie der Bildung und Erziehung Postfach , Bielefeld Thomas Götz, Prof. Dr. Universität Konstanz Empirische Bildungsforschung Universitätsstraße 10/Fach 45, Konstanz Hans Gruber, Prof. Dr. Universität Regensburg Institut für Pädagogik Universitätsstraße 31, Regensburg Bettina Hannover, Univ.Prof. Dr. Freie Universität Berlin Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie Arbeitsbereich Schul und Unterrichtsforschung Habelschwerdter Allee 45, Berlin Holger Horz, Prof. Dr. GoetheUniversität Frankfurt Institut für Psychologie Arbeitsbereich Pädagogische Psychologie AE Psychologie des Lehrens und Lernens im Erwachsenenalter & IKH Interdisziplinäres Kolleg Hochschuldidaktik PEGGebäude (HP 71) Grüneburgplatz 1, Frankfurt am Main Ursula Kessels, Univ.Prof. Dr. Freie Universität Berlin Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie Arbeitsbereich Bildungsforschung/Heterogenität und Bildung Habelschwerdter Allee 45, Berlin Olaf Köller, Prof. Dr. Geschäftsführender Direktor des IPN Leibniz Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik an der Universität Kiel Olshausenstraße 62, Kiel Kristin Krajewski, Prof. Dr. JustusLiebigUniversität Gießen Fachbereich 06, Psychologie und Sportwissenschaften Abteilung Pädagogische Psychologie Entwicklungsorientierte Lernförderung OttoBehaghelStraße 10 F, Gießen Olga KuninaHabenicht, Dr. GoetheUniversität Frankfurt Institut für Psychologie Arbeitsbereich Pädagogische Psychologie AE Lehren und Lernen im schulischen Kontext Grüneburgplatz 1, Frankfurt am Main

24 Mitarbeiterverzeichnis XXV Mareike Kunter, Prof. Dr. GoetheUniversität Frankfurt Institut für Psychologie Abteilung für Pädagogische Psychologie AE Lehren und Lernen im schulischen Kontext Grüneburgplatz 1, Frankfurt am Main Meike Landmann, Dr. Landesschulamt und Lehrkräfteakademie Dezernat III.3/Wirksamkeitsanalysen WalterHallsteinStraße 5 7, Wiesbaden Meike.Landmann@lsa.hessen.de Frank Lipowsky, Prof. Dr. Universität Kassel Fachgebiet Empirische Schul und Unterrichtsforschung NoraPlatielStraße 1, Kassel lipowsky@unikassel.de Arnold Lohaus, Univ.Prof. Dr. Universität Bielefeld Fakultät für Psychologie und Sportwissenschaft AE Entwicklungspsychologie Postfach , Bielefeld arnold.lohaus@unibielefeld.de Jens Möller, Prof. Dr. ChristianAlbrechtsUniversität Kiel Institut für Psychologie Psychologie für Pädagogen Olshausenstraße 75, Kiel jmoeller@psychologie.unikiel.de Barbara Otto, Dr. GoetheUniversität Frankfurt Institut für Psychologie Arbeitsbereich Pädagogische Psychologie PEGGebäude, Raum 5.G128, HP 68 Grüneburgplatz 1, Frankfurt am Main b.otto@paed.psych.unifrankfurt.de Reinhard Pekrun, Prof. Dr. LudwigMaximiliansUniversität München Fakultät für Psychologie und Pädagogik Lehrstuhl für Pädagogische Psychologie, Evaluation & Diagnostik Leopoldstraße 13, München pekrun@lmu.de Franziska Perels, Prof. Dr. Universität des Saarlandes Fachrichtung 5.1 Bildungswissenschaften Empirische Schul und Unterrichtsforschung Postfach , Saarbrücken f.perels@mx.unisaarland.de Britta Pohlmann, Dr. Institut für Bildungsmonitoring und Qualitätsentwicklung Beltgens Garten 25, Hamburg Britta.Pohlmann@ifbq.hamburg.de Manfred Prenzel, Prof. Dr. Technische Universität München TUM School of Education Susanne KlattenStiftungslehrstuhl für Empirische Bildungsforschung Arcisstraße 21, München manfred.prenzel@tum.de Alexander Renkl, Prof. Dr. Universität Freiburg Institut für Psychologie Abteilung Pädagogische Psychologie und Entwicklungspsychologie Engelbergerstraße 41, Freiburg renkl@psychologie.unifreiburg.de Ellen Schaffner, Dr. Universität Potsdam Department Psychologie Pädagogische Psychologie KarlLiebknechtStraße 24/25, Potsdam OT Golm schaffn@unipotsdam.de Ulrich Schiefele, Prof. Dr. Universität Potsdam Department Psychologie Abteilung für Pädagogische Psychologie KarlLiebknechtStraße 24/25, Potsdam OT Golm ulrich.schiefele@unipotsdam.de Kathleen SchnickVollmer, Dipl.Psych. Technische Universität Darmstadt Institut für Psychologie Arbeitsgruppe für Pädagogische Psychologie Alexanderstraße 10, Darmstadt schnick@psychologie.tudarmstadt.de

25 XXVI Mitarbeiterverzeichnis Bernhard Schmitz, Prof. Dr. Technische Universität Darmstadt Institut für Psychologie Arbeitsgruppe für Pädagogische Psychologie Alexanderstraße 10, Darmstadt Tina Seidel, Prof. Dr. Technische Universität München TUM School of Education Friedl SchöllerStiftungslehrstuhl für Unterrichtsund Hochschulforschung Arcisstraße 21, München Oliver Wilhelm, Prof. Dr. Universität Ulm Institut für Psychologie und Pädagogik Abteilung Differentielle Psychologie und Psychologische Diagnostik AlbertEinsteinAllee Ulm Elmar Souvignier, Prof. Dr. Westfälische WilhelmsUniversität Münster Institut für Psychologie in Bildung und Erziehung Fliednerstraße 21, Münster Eleni Stamouli, PD Dr. Universität Regensburg Institut für Pädagogik Universitätsstraße 31, Regensburg uniregensburg.de Ulrich Trautwein, Prof. Dr. Eberhard Karls Universität Tübingen Institut für Erziehungswissenschaft Europastraße 6, Tübingen Sabine Walper, Prof. Dr. DJI München, Deutsches Jugendinstitut e. V. Nockherstraße München walper@dji.de Elke Wild, Prof. Dr. Universität Bielefeld Fakultät für Psychologie AE Pädagogische Psychologie Postfach , Bielefeld elke.wild@unibielefeld.de

26 1 I Lernen Kapitel 1 Wissenserwerb 3 Alexander Renkl Kapitel 2 Intelligenz und Vorwissen 25 Hans Gruber, Eleni Stamouli Kapitel 3 Selbstregulation und selbstreguliertes Lernen 45 Meike Landmann, Franziska Perels, Barbara Otto, Kathleen SchnickVollmer, Bernhard Schmitz

27 3 1 Wissenserwerb Alexander Renkl 1.1 Wissenserwerb Was wird da erworben? Was sind bedeutende theoretische Perspektiven? Perspektive des aktiven Tuns Perspektive der aktiven Informationsverarbeitung Perspektive der fokussierten Informationsverarbeitung Wahl der Perspektive: Implikationen zur Gestaltung von LehrLernArrangements Wie kann Wissen erworben werden? Wichtige Lernformen Lernen aus Texten Lernen aus Beispielen und Modellen Lernen durch Aufgabenbearbeiten Lernen durch Erkunden Lernen durch Gruppenarbeit 20 Literatur 22 E. Wild, J. Möller (Hrsg.), Pädagogische Psychologie, SpringerLehrbuch, DOI / _1, SpringerVerlag Berlin Heidelberg 2015

28 4 Kapitel 1 Wissenserwerb Der Erwerb von Wissen ( knowledge acquisition ) ist wohl die wichtigste Zieldimension der meisten Bildungsprozesse. Wird im Kontext von Schule, Hochschule und Weiterbildung der Begriff Lernen gebraucht, so bezieht er sich typischerweise auf Wissenserwerb. Insofern wird im Folgenden Lernen synonym mit Wissenserwerb gebraucht. Zu gelungenem Wissenserwerb trägt eine Vielzahl von Faktoren bei. Dieser Beitrag konzentriert sich auf das Was und Wie des Wissenserwerbs aus kognitiver Perspektive. Man kann sagen, nur die proximal am Wissenserwerb beteiligten Faktoren und Prozesse werden betrachtet. Für andere wichtige Faktoren, die hier nur am Rande oder gar nicht behandelt werden können, etwa Vorwissen und Intelligenz ( Kap. 2), Selbststeuerung der Lernenden ( Kap. 3), Motivation ( Kap. 7 und Kap. 8) oder Unterricht ( Kap. 4, Kap. 5 und Kap. 6), wird auf die entsprechenden Kapitel dieses Lehrbuchs verwiesen. Im Folgenden wird zunächst die Frage geklärt, welche Wissensarten in diesem Zusammenhang von besonderer Bedeutung sind ( Abschn. 1.1). In Abschn. 1.2 werden drei grundlegende theoretische Perspektiven rekonstruiert und deren Implikationen für die Analyse und Förderung des Wissenserwerbs diskutiert. Wichtige Lernarten werden in Abschn. 1.3 besprochen. Abschließend wird noch kurz das Verhältnis zwischen Lernprozessen und Instruktion (Unterricht, instruktionales Design von Lernmaterial und Lernumgebungen) erörtert (. Abb. 1.1). 1.1 Wissenserwerb Was wird da erworben? In diesem Abschnitt soll näher auf den Begriff des Wissens eingegangen werden. Es werden die wichtigsten Wissensarten vorgestellt (zu umfassenden Systematiken siehe de Jong & FergusonHessler, 1996; Alexander, Schallert & Hare, 1991). In einer ersten groben Einteilung können zwei Arten von Wissen unterschieden werden. Definition Deklaratives Wissen bezieht sich auf Wissen, dass. Dies kann sowohl einzelne Fakten umfassen (z. B. ein Geschichtsdatum, eine Grammatikregel) als auch komplexes Zusammenhangswissen (z. B. Verständnis der Wechselwirkung von volkswirtschaftlichen Faktoren). Vielfach wird auch der Begriff des konzeptuellen Wissens verwendet, wenn deklaratives Wissen gemeint ist, das tieferes Verständnis konstituiert. Prozedurales Wissen bezeichnet Wissen, wie, also etwas, das man in der deutschen Alltagssprache meist als Können bezeichnet. Beispiele für proze.. Abb. 1.1 durales Wissen, das in der Schule erworben werden soll, sind das Ausrechnen von Aufgaben aus der Mathematik, der Physik oder der Chemie oder auch das Schreiben einer Erörterung in Deutsch. Es gibt zwar weitestgehenden Konsens über die Unterscheidung zwischen deklarativem und prozeduralem Wissen, gleichwohl wird die Grenze zwischen beiden Wissensarten unterschiedlich gezogen. In der prominenten ACTTheorie von Anderson (aktuell: ACTR; z. B. Anderson & Lebiere, 1998), auf die vielfach bei der Differenzierung dieser Wissensarten referenziert wird, wird prozedurales Wissen in der Form von WennDannProduktionsregeln konzeptualisiert ( Kap. 2). Der WennTeil definiert eine Bedingung, deren Zutreffen eine im Dann Teil beschriebene offene oder mentale Aktion aktiviert. Ein menschliches Können (prozedurales Wissen) nachbildendes System von solchen BedingungsAktionsPaaren wird Produktionssystem genannt. Während deklaratives Wissen verbalisiert werden kann, wird in der ACTTheorie angenommen, dass prozedurales Wissen nicht (direkt) verbalisierbar ist. Danach wäre beispielsweise eine verbale Be

29 1.1 Wissenserwerb Was wird da erworben? 5 1 schreibung eines Lösungswegs in der Mathematik deklaratives Wissen, die Fertigkeit, es tatsächlich zu machen, wäre der prozedurale Aspekt. Andere Autoren (z. B. de Jong & FergusonHessler, 1996) bezeichnen auch das verbalisierbare Wissen über einen Lösungsweg als prozedurales Wissen. Ob dieser Unterschied in der genauen Grenzziehung zwischen den Wissensarten immer von substanzieller Relevanz ist (z. B. bei Überlegungen zur Förderung prozeduralen Wissens), mag dahingestellt sein. Bei der Diagnose der Wissensarten spielt es aber natürlich eine große Rolle, ob verbalisiertes Vorgehenswissen indikativ für prozedurales Wissen ist oder eben nicht. Deklaratives und prozedurales Wissen kann sich auf fachliches (domänenspezifisches) Wissen beziehen (z. B. Wissen über den Satz des Pythagoras oder Berechnenkönnen von Dreieckswinkeln) oder auf Inhalte oder Vorgehensweisen (Strategien), die von fachübergreifender Relevanz sind. Beispielsweise sollten Schüler im Unterricht idealiter Lernstrategien erwerben (z. B. hilfreiche Visualisierungen erstellen können) oder lernen, angemessen zu argumentieren (z. B. nicht nur die eigene Position darzustellen, sondern auch auf Gegenargumente einzugehen). Solche Vorgehensweisen sind für mehrere Domänen bzw. Schulfächer wenn auch nicht für alle in gleichem Ausmaß relevant. Als weitere wichtige Art von Wissen, die es zu erwerben gilt, sei metakognitives Wissen genannt (Hasselhorn, 2010; Veenman, van HoutWolters & Afflerbach, 2006). Definition Beim metakognitiven Wissen geht es um Wissen über Wissen bzw. um eng mit Wissen verbundene Phänomene (z. B. Wissen über Wissenserwerb, Wissen um den Sinn einer Lernstrategie oder das Planen des eigenen Vorgehens). Dabei können deklarative und prozedurale Aspekte unterschieden werden. Eine bekannte Einteilung deklarativen Metawissens stammt von Flavell (1979): Wissen über Personenmerkmale (z. B. Bei Textaufgaben neige ich dazu, die Aufgabenstellung nur oberflächlich zu lesen ), Aufgaben ( Wahrscheinlichkeitsaufgaben schauen oft leicht aus, aber sie haben es dann doch oft in sich ) und Strategien ( Sich vor dem Lesen einen Überblick zu verschaffen, erleichtert es oft das Kommende einzuordnen ). Prozedurales metakognitives Wissen umfasst vor allem das Planen des eigenen Vorgehens, das Überwachen des eigenen Verständnisses bzw. der eigenen Problemlösungen und das remediale Regulieren (wenn z. B. etwas noch nicht verstanden wurde oder eine Lösung selbst als ungenügend erkannt wurde). In den letzten Jahren wird insbesondere eine Art von metakognitivem Wissen untersucht, das sich auf die subjektive Auffassung darüber, was Wissen eigentlich ist, bezieht. Man spricht in diesem Zusammenhang von epistemologischen Überzeugungen (z. B. Khine, 2008; Kap. 2). Nach Kuhn (2005) sehen Lernende nur dann einen Sinn, sich mit komplexen Sachverhalten auseinanderzusetzen, zu denen es verschiedene Positionen gibt (z. B. Stammzellenforschung, Klimaerwärmung), wenn sie nicht mehr an einfaches absolutes Wissen bzw. Wahrheiten glauben (Absolutismus) und auch nicht mehr alle Positionen als willkürliche Meinungen ansehen (Multiplismus; oft im Jugendalter anzutreffen). Sie sollten vielmehr die Überzeugung gewonnen haben, dass es zwar verschiedene (im Prinzip legitime) Positionen geben kann, diese aber unterschiedlich gut begründet sein können (Evaluatismus). In diesem Zusammenhang muss erwähnt werden, dass es beim Wissenserwerb nicht nur darauf ankommt, möglichst viel Wissen zu erwerben. Die Qualität des Wissens ist ebenfalls bedeutsam, wobei insbesondere der Grad der Vernetzung relevant ist. Dies soll an zwei Extrembeispielen verdeutlicht werden: Beispiel Ein Schüler A hat in der Wahrscheinlichkeitsrechnung die wichtigen Formeln auswendig gelernt (z. B. Multiplikationssatz) und kann ihm bekannte Aufgabentypen mithilfe dieser Formeln lösen. Wenn eine Aufgabe einen modifizierten Lösungsweg erfordert (z. B. Aufgabe ohne Zurücklegen, die zuvor noch nicht behandelt wurde), scheitert der Schüler. Ein Schüler B kann nicht nur den Multiplikationssatz wiedergeben, sondern hat auch verstanden, warum man multipliziert, wie sich die Lösungswege für bestimmte Typen von Aufgaben mit den zugrunde liegenden mathematischen Sätzen (z. B. Multiplikationssatz) begründen lassen, und welchen Zweck einzelne Lösungsschritte jeweils erreichen (d. h. prozedurales und konzeptuelles Wissen sind eng miteinander verknüpft). Bei modifizierten Aufgabenstellungen ist Schüler B nicht wie Schüler A darauf angewiesen, einen fertigen Lösungsweg bereits zu kennen. Er kann aufgrund seines Verständnisses ihm bekannte Lösungswege so modifizieren, dass selbst veränderte Aufgabenstellungen bewältigt werden können. Ziel des Wissenserwerbs ist also nicht nur der Erwerb einzelner Wissenselemente, sondern vor allem auch eine vernetzte Wissensstruktur. Ein wichtiges Konzept vernetzter Wissensstrukturen ist der Begriff Schema.

30 6 Kapitel 1 Wissenserwerb Tab. 1.1 Wichtige Lernziele, die bestimmten Wissensarten entsprechen, am Beispiel des Bereichs Schreiben im Deutschunterricht Lernziel Kenntnis der Kommaregeln Sätze korrekt niederschreiben Wissen über argumentative Strukturen Argumentieren Wissen über den Nutzen von Planungsstrategien beim Schreiben Überwachung der Rechtschreibung und der Grammatik in einem Aufsatz Verallgemeinerte Vorstellung über Erörterungen und wie man diese verfasst, die die oben aufgelisteten Wissensarten umfassen kann Schreiben als Mittel der Alltagsbewältigung erkennen und einsetzen können Definition Schemata beinhalten die Erfahrungen in bestimmten, wiederholt vorkommenden (Problem)Situationen in abstrahierter Weise (z. B. Dreisatzaufgaben). Sie stellen skelettartige Wissensstrukturen dar, die mit den Spezifika einer aktuellen Problemstellung angereichert werden, wenn die Person einem passenden Problemtyp begegnet (z. B. die abstrakten Variablen des Dreisatzes werden mit den konkreten Zahlen und Gegenständen ausgefüllt). Wissensart Domänenspezifisches deklaratives Wissen Domänenspezifisches prozedurales Wissen Domänenübergreifendes deklaratives Wissen Domänenübergreifendes prozedurales Wissen Deklaratives metakognitives Wissen Prozedurales metakognitives Wissen Schema Kompetenz Die Einordnung eines Sachverhalts in ein Schema erlaubt, eine entsprechende Qualität des Schemas vorausgesetzt, Verständnis und Reproduktion (Erinnern) desselben. Darüber hinaus können Vorhersagen und Problemlösungen geleistet werden. In Schemata können deklaratives Wissen und prozedurales Wissen integriert sein. Die Expertiseforschung verdeutlicht dabei (Ericsson, Charness, Hoffman & Feltovich, 2006), dass für effektives Problemlösen eine hierarchische, durch Schemata geordnete Wissensstruktur von Bedeutung ist. Diese ermöglicht nicht nur eine handhabbare Organisation des Wissens, sondern erlaubt es auch, die Verbindungen zwischen episodischen, konkreten Sachverhalten einschließlich problemlöserelevanter Informationen (z. B. Wissen über geeignete Operatoren bei bestimmten Problemen) und abstrakteren Domänenprinzipien zu repräsentieren. Dies ist eine Voraussetzung für kompetentes, prinzipiengesteuertes Problemlösen (Alexander, 1997). Um die Anwendungsqualität von Wissen geht es auch beim Begriff der Kompetenz, der in neuerer Zeit insbesondere durch die von PISA (z. B. Deutsches PISA Konsortium, 2001; PISAKonsortium Deutschland, 2007) angestoßene Diskussion zur Bildungsqualität in deutschen Schulen zunehmend Beachtung erfährt ( Kap. 15; auch Klieme & Leutner, 2006). Dieser stellt eine eher holistische, d. h. mehrere Wissensarten umfassende und auf die Funktionalität von Wissen bezogene Konzeption dar. Beispielsweise wird mathematische Kompetenz im Sinne einer mathematischen Grundfertigkeit verstanden, die sich auf die Fähigkeit bezieht, die Funktion von Mathematik in der Lebenswelt zu verstehen, fundierte mathematikbasierte Urteile abgeben zu können und Mathematik als Werkzeug im Alltags oder Berufsleben nutzen zu können. Obwohl mit dem Kompetenzbegriff und dessen Betonung der Funktionalität von Wissen ein wichtiger und interessanter Ansatz in die wissenschaftliche Diskussion eingeführt wurde, mangelt es derzeit noch an einer umfassenden theoretischen Konzeptualisierung und entsprechend fundierten Messinstrumenten. In. Tab. 1.1 findet sich eine Zusammenstellung der wichtigsten Wissensarten. Diese werden am Beispiel des Schreibens exemplifiziert. 1.2 Was sind bedeutende theoretische Perspektiven? Es gibt derzeit unterschiedliche Auffassungen darüber, wie Wissenserwerb abläuft und welche Prozesse besonders lernförderlich sind. Diese lassen sich drei prototypischen Positionen zuordnen: Die Perspektive des aktiven Tuns misst vor allem aktivem Problemlösen und aktivem Diskurs eine besondere Bedeutung beim Erwerb von Wissen zu. Bei der Perspektive der aktiven Informationsverarbeitung wird argumentiert, dass nicht unbedingt sichtbares aktives Tun ausschlaggebend ist, sondern die aktive mentale Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand. Diese beiden Perspektiven wurden von Mayer und Kollegen als grundlegende Orientierungen identifiziert (z. B. Robbins & Mayer, 1993).

31 1.2 Was sind bedeutende theoretische Perspektiven? Die Perspektive der fokussierten Informationsverarbeitung (Renkl & Atkinson, 2007; Renkl, 2011a) differenziert die Perspektive der aktiven Informationsverarbeitung insofern aus, als sie betont, dass nicht mentale Aktivität an sich zu gelungenem Wissenserwerb führt, sondern mentale Aktivität, die die zentralen Konzepte (z. B. Begriffe) und Prinzipien (z. B. Gesetze, mathematische Sätze) in einem Lernbereich fokussiert. Diese Perspektiven werden im Folgenden diskutiert. Dabei wird die Perspektive der aktiven Informationsverarbeitung am ausführlichsten dargestellt, da sie die derzeit dominante Orientierung ist Perspektive des aktiven Tuns 7 1 Die Perspektive des aktiven Tuns betrachtet sichtbare, offene Lernaktivitäten als notwendige Bedingung gelungenen Wissenserwerbs. Ein klassisches Beispiel für diese Position ist das Modell des operanten Konditionierens von Skinner (1954). Dabei wird betont, dass Schüler Gelegenheit bekommen müssen, Verhalten zu zeigen, das, wenn erwünscht, sogleich bekräftigt wird. Dies kann sehr gut über Lernmaschinen in der Art moderner computerbasierter DrillandPraticeLernprogramme erfolgen, in denen der Lernstoff in kleine Einheiten unterteilt und in Aufgaben gegossen wird. Die Aufgaben sollten von den Lernenden zumeist richtig gelöst werden können, sodass korrektes Verhalten bekräftigt werden kann. Die Lernmaschinen erlauben zudem eine individuelle Anpassung des Lerntempos. Diese Perspektive mag veraltet anmuten, da in modernen instruktionalen ( unterrichtlichen ) Ansätzen weniger die Einübung einzelner Antworten im Vordergrund steht, als vielmehr vernetzte, Verständnis konstituierende und Transfer erlaubende Wissensstrukturen. Es gibt allerdings auch moderne Versionen dieser Perspektive. Unter Schlagwörtern wie Konstruktivismus (im Sinne Piagets) oder Sozialkonstruktivismus (unter Bezug auf Vygotsky) gibt es eine Vielzahl von Ansätzen, die als Voraussetzung gelungenen Wissenserwerbs offenes Verhalten betonen, wie etwa Manipulieren von Lerngegenständen, gemeinsames Problemlösen oder aktive Teilnahme an fachlichem Diskurs (z. B. Stahl, Koshmann & Suthers, 2006). Nach Barab et al. (2008) z. B. sind Konzepte keine für sich stehenden Entitäten im Kopf von Lernenden, sondern Werkzeuge, die immer mit Aktivitäten verbunden sind. Da Kognition damit an Aktivitäten in konkreten Situationen gebunden ist, spricht man hier auch von der Perspektive der situierten Kognition (Greeno, 2006). Die Ablehnung der Annahme, dass Wissen ( knowledge ) als etwas zu betrachten ist, das unabhängig von situativen Kontexten in den Köpfen abgespeichert ist, wird von Vertretern des Situiertheitsansatzes nicht zuletzt mit dem vielfach anzutreffenden Phänomen des trägen Wissens begründet (Renkl, 1996b). Dieser Begriff kennzeichnet Wissen, das Lernende z. B. in Prüfungen wiedergeben können, das sie aber nicht verwenden, wenn es gilt, komplexe Probleme des Berufs oder Alltagslebens zu lösen; es findet kein Transfer statt. Insofern wurde argumentiert, dass Wissen nicht eine Entität im Kopf ist, die in einem Kontext (z. B. Unterricht) erworben und dann in einem anderen Kontext (z. B. Arbeitsstelle) genutzt werden kann. Es wird vielmehr insofern als kontextgebunden angesehen, als es sich immer aus der Relation oder Interaktion zwischen einer Person und einer Situation konstituiert. Beispielsweise konstituiert sich Wissen beim Kooperieren mit anderen Lernenden, wobei die Art der Interaktion bestimmt, welches Wissen dabei entsteht. Aus dieser Wissensauffassung folgt, dass auch Kognition und Lernen als kontextgebunden bzw. situiert zu konzipieren ist. Wissen ist gleichsam in Aktivitätsmuster eingebaut, die zu bestimmten Situationen bzw. Kontexten passen. Um Wissen zu erwerben, müssen Lernende also aktiv an Diskursen und Problemlöseprozessen teilnehmen, um so die entsprechenden Aktivitätsmuster zu erwerben. Eine umfassende Diskussion der Vorzüge und Beschränkungen der situierten Perspektive kann hier aus Platzgründen nicht erfolgen (z. B. Renkl, 2001). Es soll hier primär die Annahme, dass das aktive, offene Tun für erfolgreiches Lernen ausschlaggebend ist, kritisch beleuchtet werden. Lernen ist letztendlich ein Prozess, der sich im Kopf (Gehirn) vollzieht. Vor diesem Hintergrund ist es problematisch, Kriterien darüber, ob effektives Lernen stattfindet, primär an offenen Aktivitäten festzumachen. Tut man dies dennoch, so entspricht dies vielfach der naiven Annahme einer 1 : 1Korrepondenz zwischen äußerlich sichtbaren Lernaktivitäten und dem, was internal, also im Kopf der Lernenden passiert. Dass dem nicht so ist, zeigen beispielsweise die Befunde von Fischer und Mandl (2005) sowie Renkl (1997b): In kooperativen Lernarrangements, in denen ja auf der sozialen/offenen Ebene auf den ersten Blick für alle Vergleichbares passiert, können die Kooperationspartner dennoch sehr verschiedenartige Erfahrungen machen und unterschiedliches Wissen erwerben (dazu auch Weinberger, Stegmann & Fischer, 2007). Es seien drei weitere Beispiele für empirische Befunde genannt, die eine eher kritische Sicht auf die Position des aktiven Tuns implizieren. Pauli und Lipowsky (2007) untersuchten die verbale Beteiligung der Schüler am Unterricht, welche man als prototypisches aktives Lernverhalten ansehen kann. Sie fanden nicht, dass aktive Schüler mehr lernen. Ein zweites Beispiel stammt von Renkl (1997b). Er fand, dass Lernen durch Lehren vielfach ein Paradebeispiel für aktives Lernen die Lernenden in Stress

32 8 Kapitel 1 Wissenserwerb 1 Exkurs Was ist das Arbeitsgedächtnis? Wie das Arbeitsgedächtnis zu konzipieren ist, ist seit langer Zeit Gegenstand einer in der Gedächtnisforschung kontrovers geführten Debatte. Die klassische Auffassung, die meist in der Pädagogischen Psychologie zugrunde gelegt wird, nimmt einen separaten Speicher an. Diese Auffassung ist eng mit dem Namen Baddeley verbunden, der dabei mehrere Subkomponenten annimmt, die jeweils der Speicherung von visueller, akustischer und episodischer Information sowie der exekutiven Kontrolle dienen (Baddeley, 2001). Diese Auffassung wird immer wieder heftiger Kritik unterworfen und es werden als Alternative prozessorientierte Modelle vorschlagen. Beispielsweise nimmt Cowan (2000) keine temporäre Speicherung an, sondern er konzipiert das Arbeitsgedächtnis etwas vereinfacht gesprochen als den aktivierten Teil des Langzeitgedächtnisses, auf dem der Aufmerksamkeitsfokus liegt; dieser Fokus ist wiederum auf wenige Informationseinheiten beschränkt. Für die meisten Problemstellungen, mit denen sich die Pädagogische Psychologie beschäftigt, dürfte die Frage sekundär sein, wie genau die Kapazitätsgrenzen des Arbeitsgedächtnisses zustande kommen (zu prinzipiellen Schwierigkeiten der theoretischen Erklärung von Arbeitsgedächtnisphänomenen s. Cowan, 2000). Für spezielle Problemstellungen kann es jedoch wichtig sein, dass die Pädagogische Psychologie den aktuellen Stand der Gedächtnisforschung berücksichtigt. Dies zeigen z. B. Rummer, Schweppe, Scheiter und Gerjets (2008) im Zusammenhang mit der Erklärung des sog. Modalitätseffekts (Bild und gesprochener Text führen zu besserem Wissenserwerb als Bild und geschriebener Text) auf ( Kap. 5) versetzen und sie überfordern kann, wenn sie sich in einem Lernbereich noch in anfänglichen Lernstadien befinden. Diejenigen, die nach einer ersten Selbstlernphase den Stoff anderen erklärten, die dieselbe Selbstlernphase gerade hinter sich gebracht hatten, lernten sogar weniger als die Zuhörenden. Die vermeintlich passiven Zuhörenden erwarben also mehr Wissen. Das dritte Beispiel bezieht sich auf Befunde zu Lösungsbeispielen beim anfänglichen Erwerb kognitiver Fertigkeiten (z. B. Renkl, 2011b; Abschn ). Es ist lernförderlicher, mehrere Lösungsbeispiele zu bearbeiten, statt bald (z. B. nach einem Beispiel) zum Bearbeiten von Aufgaben überzugehen. Dies gilt sogar dann, wenn das Lernen durch Aufgabenbearbeiten in ausgefeilter Weise unterstützt wird (z. B. Schwonke, Renkl, Krieg, Wittwer, Aleven & Salden, 2009). Das scheinbar passive Studium von Lösungsbeispielen ist also die bessere Alternative. Zugleich zeigen Untersuchungen, dass die mentalen Lernaktivitäten beim Beispielstudium von ganz entscheidender Bedeutung für den Lernerfolg sind (Renkl, 2011b; Abschn ). Diese Art der Aktivität wird in der Perspektive der aktiven Informationsverarbeitung betont Perspektive der aktiven Informationsverarbeitung Die Perspektive der aktiven Verarbeitung ist mit den im vorstehenden Abschnitt genannten Befunden (z. B. Zuhören kann besser als Erklären sein) vereinbar. Es kommt nicht auf die offen sichtbare Aktivität an, sondern auf die mentale stoffbezogene Aktivität. Diese Position wird von den meisten kognitiv orientierten LehrLernForschern eingenommen (Robbins & Mayer, 1993; vgl. auch den Begriff der kognitiven Aktivierung; Kap. 2). Auch hierbei liegt meist eine konstruktivistische Grundauffassung vor: Es wird nicht angenommen, dass den Lernenden das Wissen direkt vermittelt werden kann, vielmehr müssen sie aktiv Information interpretieren und daraus Wissen aufbauen. Es ist wichtig anzumerken, dass die Perspektiven der aktiven Informationsverarbeitung und des aktiven Tuns nicht immer zu unterschiedlichen Vorhersagen über effektiven Wissenserwerb kommen. Auch wenn man die aktive Informationsverarbeitung als für effektiven Wissenserwerb ausschlaggebend sieht, kann die Annahme gemacht werden, dass eine offene Aktivität (z. B. Experimentieren mit der Simulation eines ökologischen Systems) sinnvoll ist. Eine Begründung dafür bestünde aber immer in der Annahme, dass man dadurch mentale Verarbeitungsprozesse, etwa des Hypothesenbildens und testens, aktiviert. Zugleich wird aber die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass offene Aktivität der mentalen lernstoffbezogenen Aktivität abträglich sein kann wie dies mit den Befunden zu Lösungsbeispielen und zum Lernen durch Zuhörer exemplarisch aufgezeigt wurde. Gedächtnisstrukturen und Wissenserwerb In der Perspektive der aktiven Informationsverarbeitung wird angenommen, dass die lernrelevante Informationsverarbeitung im Arbeitsgedächtnis (auch Arbeitsspeicher genannt) vollzogen wird. Dieser Speicher enthält das, was uns gerade bewusst ist, an was wir gerade denken ( Exkurs Was ist das Arbeitsgedächtnis? ). Dass dabei der Umfang an Informationen, die wir gleichzeitig beachten können, begrenzt ist, ist uns allen aus der Alltagserfahrung bekannt (wir können an einem Tisch z. B. nicht zwei komplexen Konversationen zugleich folgen). Die potenziell von außen ins Arbeitsgedächtnis kommenden Daten werden zunächst in einem Ultrakurzzeitgedächtnis im Millisekundenbereich festgehalten (neuronale Muster, die durch akustische oder optische Signale ausgelöst werden). Aus der Vielzahl der

33 1.2 Was sind bedeutende theoretische Perspektiven? 9 1 einströmenden Reize werden nur sehr wenige bewusst beachtet, indem sie in das Arbeitsgedächtnis aufgenommen und verarbeitet werden. Insofern eine konstruktivistische Grundauffassung eingenommen wird was inzwischen der typische Fall ist, ist dabei vor allem zu beachten, dass die ins Arbeitsgedächtnis aufgenommenen Daten erst dadurch zur Information werden, dass sie auf der Basis des Vorwissens des Einzelnen (aus dem Langzeitspeicher) interpretiert werden, ihnen also Bedeutung verliehen wird (Aamodt & Nygård, 1995). Sehen sich beispielsweise ein Patient und ein Arzt eine Röntgenaufnahme vom Brustkorb an, so ist die Information, die im Arbeitsgedächtnis entsteht, jeweils deutlich verschieden. Der Patient bestaunt seine Rippen das trifft zumindest bei mir zu, während der Arzt nach Anzeichen von Lungenerkrankungen sucht, die dem Laien völlig unbekannt sind (Lesgold et al., 1998). Die Interpretation des Wahrgenommenen bzw. die Information, die entsteht, ist also fundamental vom Vorwissen abhängig. Dies entspricht einer konstruktivistischen Kernannahme, nämlich dem Postulat, dass wir die Dinge nicht so wie sie sind (was das auch immer sein mag) wahrnehmen, sondern dass wir sie immer interpretieren und damit erst mit Bedeutung belegen. Beispiel Die Ihnen möglicherweise ungewöhnlich erscheinende Annahme, dass Information nicht direkt in unser Bewusstsein dringen kann, sondern die Information von den Wahrnehmenden jeweils erst in Abhängigkeit vom Vorwissen erzeugt wird, soll an einem plakativen Beispiel weiter erläutert werden. Denken Sie an Ihre letzte Vorlesungssitzung zurück. Sicherlich würden Sie zustimmen, dass Sie Informationen aus der Vorlesung ziehen konnten. Bedenken Sie aber, dass für die allermeisten Personen dieser Welt das in der Vorlesung mündlich Präsentierte keinerlei Informationswert gehabt hätte, da sie nicht Deutsch sprechen. Die meisten Personen hätten akustische Signale in einer ihnen fremden Sprache wahrgenommen, die für sie keinerlei Bedeutung gehabt hätten. Sie selbst konnten aus der Vorlesung nur deshalb Informationen ziehen, da Sie des Deutschen mächtig sind und zudem weiteres sprachliches und fachbezogenes Vorwissen haben (auch ein deutscher Zweitklässler hätte von der Vorlesung wohl kaum etwas verstanden). Im Übrigen hätten aus den genannten Gründen auch die Schriftzeichen dieses Buchs für die allermeisten Personen keinerlei Bedeutung. Im Arbeitsspeicher sind also Informationen, die aus der aktiven Interpretation von einkommenden Daten entstehen. Daneben können wir Informationen aus unserem Langzeitgedächtnis in den Arbeitsspeicher holen: Wir erinnern uns an etwas. Diese beiden Prozesse Interpretation und Gedächtnisabruf sind vielfach eng verwoben. Wenn uns im Italienischkurs eine Vergangenheitsregel an eine analoge Regel im Französischen erinnert, dann rufen wir zum einen Gedächtnisinhalte ab, zum anderen hilft dies uns die italienische Regel zu verstehen (sinnvoll zu interpretieren; Exkurs CognitiveLoadTheorie ). Die Interpretation von einkommenden Daten hilft aber nicht nur dargebotenen Texten, mündlichen Erklärungen oder Schaubildern Sinn zu verleihen, sie hilft auch, trotz der engen Kapazitätsgrenzen des Arbeitsgedächtnisses mit komplexem Stoff und dessen Verarbeitung zurechtzukommen. Wenn wir unser Vorwissen nutzen, können wir etwas vereinfacht gesprochen aus vielen Informationseinheiten eine einzige machen ( Chunking ). Schüler müssen z. B. beim Lesen unbekannter Wörter, diese aus Einzelbuchstaben oder silben zusammensetzten. Mit der Zeit werden sie als eine Einheit erkannt. Ein weiteres Beispiel ist, dass NichtSchachspieler in einer Schachstellung nur eine Ansammlung einzelner Figuren sehen; sie können sich die Stellung auch nur so merken. Schachexperten fassen Figurengruppen zu einzelnen sinnvollen Einheiten zusammen; sie können quasi in größeren Einheiten denken (Chi, 1978; Gruber, Renkl & Schneider, 1994). Das sinnvolle Zusammenfassen von Einzelheiten zu einer umfassenden Informationseinheit ( Chunk ), für das im Übrigen insbesondere komplexe Schemata hilfreich sein können ( Abschn. 1.1), ist deshalb so bedeutsam, da im Arbeitsgedächtnis nur wenige Informationseinheiten gehalten und verarbeitet werden können. Wenn komplexe Informationsverarbeitung gefordert ist, mögen nur zwei, drei oder vier Informationseinheiten zugleich gehalten werden können. Je umfassender nun einzelne Informationseinheiten sind wie dies etwa bei den Schachexperten und den Schachstellungen der Fall ist, desto mehr Gesamtinformation kann im Arbeitsgedächtnis gehalten und verarbeitet werden. Aus der Perspektive der aktiven Informationsverarbeitung wird Wissen im Langzeitgedächtnis abgelegt. Eine Annahme ist dabei, dass Wissen im Langzeitspeicher eine überdauernde, wenngleich unter Umständen schwache Spur hinterlässt. Das Vergessen von Information, die schon mal gewusst wurde, ist damit primär ein Problem des NichtmehrAuffindens (ähnlich wie bei einem in einer Bibliothek verstellten Buch). Damit auf bestimmtes Wissen wieder zugegriffen werden kann, sollte es möglichst mit zahlreichen anderen Wissenselementen in Verbindung stehen. Damit ergeben sich viele Zugangswege zu diesem Wissen. Lernen bedeutet letztendlich, Informationen mit bereits vorhandenen Wissenselementen zu vernetzen (Elaboration), und seien sie ebenfalls erst kürzlich konstruiert worden. Man könnte auch sagen, Lernen ist Andocken

34 10 Kapitel 1 Wissenserwerb 1 Exkurs CognitiveLoadTheorie Die CognitiveLoadTheorie von Sweller und Kollegen ist die zurzeit wohl bekannteste Theorie zum Wissenserwerb, die die Struktur des Arbeitsgedächtnisses ins Zentrum stellt (Paas, Sweller & Renkl, 2003; Sweller, van Merriënboer & Paas, 1998). Die grundlegende Annahme ist dabei, dass der Wissenserwerb in vielen Lernsituationen dadurch beeinträchtigt wird, dass das Arbeitsgedächtnis unnötig belastet wird (z. B. Lernende haben Probleme, eine Abbildung und deren Details dem entsprechenden Text zuzuordnen; SplitAttention Effekt). Die unnötige Belastung wird als extrinsisch ( extraneous ) bezeichnet. Daneben ist die Belastung des Arbeitsgedächtnisses durch die Stoffkomplexität (z. B. komplexe ökologische Zusammenhänge) zu beachten. Wenn Lernende mehrere Aspekte gleichzeitig beachten müssen, wird von hoher intrinsischer Belastung gesprochen ( intrinsic load ). Diese Belastung ist natürlich immer auch vom Vorwissen der Lernenden abhängig: Was für einen Laien komplex ist, mag für Experten, die mithilfe ihrer gut entwickelten Schemata Einzelinformationen zu größeren Einheiten zusammenfassen können, eine geringe Komplexität aufweisen. Insbesondere die Kombination aus hoher intrinsischer und extrinsischer Belastung kann zu einer kognitiven Überforderung ( overload ) führen, die den Wissenserwerb beeinträchtigt oder gar unmöglich macht. Die Relevanz der mentalen Aktivitäten der Lernenden kommt insbesondere im Konstrukt der lernbezogenen Belastung ( germane load ) zum Ausdruck. Diese Belastungsart beschreibt die Arbeitsgedächtnisbelastung, die aus Wissenskonstruktionsprozessen resultiert neuer Information an das Vorwissen. Lernen ist insofern ein konstruktiver Prozess, als die Verbindungen zwischen dem Neuen und dem Alten hergestellt (konstruiert) werden müssen. Prozesse des Wissenserwerbs Im Verlauf eines Lernprozesses wird Information im Langzeitspeicher abgelegt, sie wird zu Wissen (Aamodt & Nygård, 1995). Der eigentliche Lernprozess findet aber im Arbeitsgedächtnis statt. Im Folgenden wird eine Taxonomie lernbezogener Funktionen der Informationsverarbeitung im Arbeitsgedächtnis vorgestellt (Renkl, 2008b; auch Weinstein & Mayer; 1986). Für effektiven Wissenserwerb sollen die Informationsverarbeitungsprozesse im Arbeitsgedächtnis insbesondere die folgenden Funktionen erfüllen: Interpretieren Selegieren Organisieren Elaborieren Stärken Planen, Überwachen und Regulieren. Generieren metakognitives Interpretieren. Wie bereits erwähnt, nehmen wir aus konstruktivistischer Sicht Dinge nicht einfach wahr, sondern wir interpretieren einkommende Daten. Erst so entsteht Information. Die Art der Interpretation ist vom Vorwissen und dessen Aktivierung abhängig. Um auf ein bereits genanntes Beispiel zurückzukommen: Ob man auf einem Röntgenbild überhaupt Zeichen einer bestimmten Erkrankung sehen kann, hängt vom medizinischen Fachwissen ab. Die Qualität der Interpretation einer Problemstellung (Problemrepräsentation) ist in vielen Fällen für weitere Lern und Problemlöseprozesse entscheidend. So können Schüler Textaufgaben als zu verstehende und durch plausible Schlussfolgerungen zu ergänzende kurze Geschichte auffassen oder als Übung, bei der es einfach nur gilt, die Zahlen herauszusuchen und eine naheliegende Rechenoperation mit ihnen durchzuführen (Verschaffel, Greer & de Corte, 2000). Zu beachten ist dabei, dass relevantes Vorwissen, das helfen würde, einkommende Daten mit Bedeutung zu versehen, nicht immer automatisch aktiviert wird. Dies muss vielmehr oft absichtsvoll und insofern strategisch erfolgen oder von außen, etwa von einem Lehrer, angestoßen werden (Krause & Stark, 2006). Selegieren. Lernende sollten aus den zahlreichen auf unsere Sinnesorgane einströmenden Reizen die wichtigsten selegieren, um sie im Arbeitsgedächtnis weiter zu verarbeiten. Beispielsweise beinhaltet effektiver Wissenserwerb, dass aus einer ProundContraDiskussion die zentralen Argumente beachtet werden und nicht etwa die komische Ausdrucksweise eines Diskussionsteilnehmers. Organisieren. Lernende sollten sich die Zusammenhänge zwischen einzelnen Informationen bewusst machen und bestimmen, was über und untergeordnete Punkte oder Hauptpunkte sind (z. B. Identifizieren der zentralen Aussage eines Textabschnittes). Unterstreichen von Hauptaussagen oder das Anfertigen von Schaubildern sind Aktivitäten, die der Funktion der Organisation dienen. Elaborieren. Diese Funktion bezieht sich darauf, dass neue Information mit vorhandenem Vorwissen in Verbindung gebracht, in dieses integriert wird. Dabei kann die neue Information sowohl mit bereits vorhandenem fachlichem Wissen als auch mit abgespeicherten Erfahrungen aus der Alltagswelt erfolgen (z. B. ein Schüler bezieht Wissen aus der Wahrscheinlichkeitsrechnung auf seine Erfahrungen mit Würfelspielen). Folgende typische Lernaktivitäten erfüllen diese Funktion: sich ein eigenes Beispiel überlegen, Analo

35 1.2 Was sind bedeutende theoretische Perspektiven? 11 1 gien ziehen, etwas in eigene Worte fassen oder etwas kritisch vor dem Hintergrund des eigenen Vorwissens bewerten. Stärken. Wiederholungen gleich, ob im Kontext eines einfachen Wiederholens (z. B. nochmaliges Lesen) oder im Kontext anspruchsvollerer Lernaktivitäten, in denen bestimmte Inhalte immer wieder vorkommen können Gedächtnisinhalte und deren Assoziationen zu anderen Gedächtnisinhalten stärken. Man kann dadurch die Verfügbarkeit bestimmten deklarativen Wissens erhöhen. Ebenso kann die wiederholte Ausführung prozeduralen Wissens bedeutsame Lerneffekte nach sich ziehen. Zum einen kann eine wiederholte Ausführung deren Durchführung überflüssig machen, da das Endergebnis als deklaratives Wissen aus dem Gedächtnis abgerufen werden kann. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn Erstklässler immer wieder über verschiedene Strategien des Fingerzählens bestimmen. Sie werden mit der Zeit direkt 7 als Lösung aus dem Gedächtnis abrufen können (Siegler & Jenkins, 1989). Zum anderen können durch die Ausführung von Fertigkeiten spezialisierte Produktionsregeln generiert werden und es können sich damit automatisierte Routinen bilden. Die Ausführung einer Fertigkeit nimmt damit weniger Aufmerksamkeitsressourcen in Anspruch und erfolgt schneller. Generieren. Lernende schaffen neue Information bzw. Wissen. Beim entdeckenden oder erforschenden ( inquiry ) Lernen (z. B. Loyens & Rikers, 2011) steht diese Funktion im Vordergrund. Die Lernenden sollen beim Erkunden und Erforschen eines Gegenstandsbereichs Schlussfolgerungen (Inferenzen) ziehen und damit Wissen generieren. Aber auch bei rezeptiven Lernformen, etwa beim Lesen, erfordert ein wirkliches Textverstehen und Lernen immer auch Inferenzen (Schlüsse) auf der Basis von Textvorlagen und Vorwissen (z. B. Kintsch & Kintsch, 1996). Ein für den Wissenserwerb sehr wichtiger generativer Aspekt ist die Konstruktion abstrahierter Wissensstrukturen, z. B. wenn aus mehreren Beispielen zu einem bestimmten Problemtyp ein Schema für eben diesen Typ konstruiert wird. Metakognitives Planen, Überwachen und Regulieren. Die vorgenannten kognitiven Funktionen beziehen sich mehr oder weniger direkt auf den Erwerb oder die Stärkung deklarativen oder prozeduralen Wissens. Metakognitionen betreffen hingegen, wie bereits erwähnt, die Steuerung und Überwachung der kognitiven Prozesse. Während die Ausführungen in Abschn. 1.1 darauf fokussiert waren, dass Lernende metakognitives Wissen erwerben sollen (als Lernziel), geht es hier um dessen Einsatz in einer aktuellen Lernsituation. Idealiter planen Lernende ihr Vorgehen beim Lernen oder beim Bearbeiten von Lernaufgaben; sie fragen sich selbst, ob sie den Stoff korrekt verstanden haben (überwachen) und ergreifen ggf. Maßnahmen, um Verständnislücken oder Schwierigkeiten bei einer Problembearbeitung zu überwinden (remediales Regulieren). An der vorstehenden Nennung wichtiger Prozesse des Wissenserwerbs ist zu beachten, dass hier bewusst nicht, wie sonst in diesem Zusammenhang üblich, von Lernstrategien oder Lernaktivitäten (Mandl & Friedrich, 2006), sondern eben von Funktionen gesprochen wurde. Dies ist insofern bedeutsam, als bei der üblichen Einteilung von Lernstrategien das Problem der eindeutigen Zuordnung entsteht: Wenn ein Lernender sich ein eigenes Beispiel für etwas überlegt, um zu sehen, ob er einen Sachverhalt auch richtig verstanden hat, dann ist nicht klar, ob man dieses Vorgehen als Elaborations oder als Metakognitionsstrategie bezeichnen soll. Wenn jemand versucht, den Hauptpunkt einer Darstellung in eigenen Worten zu formulieren, handelt es sich dann um eine Elaborations oder Organisationsstrategie? Dieses Problem ergibt sich nicht, wenn man von Funktionen spricht. Eine Lernstrategie kann eben verschiedene Funktionen erfüllen. Zusammenfassend betont die Perspektive der aktiven Informationsverarbeitung, dass für effektives Lernen Wissenskonstruktionsprozesse im Arbeitsgedächtnis stattfinden müssen. Eingehende Daten sollten aktiv mithilfe des Vorwissens interpretiert, selegiert, organisiert und elaboriert werden. Wichtige weitere Lernprozesse beziehen sich auf die Stärkung des Wissens, das Generieren neuer Information und die metakognitive Steuerung des Lernens. Derartige Prozesse können müssen aber nicht durch offene Lernaktivitäten, wie sie die Perspektive des aktiven Tuns betont, angeregt werden. Eine kritische Frage, die hier gestellt werden kann, ist, ob ein Mehr an lernstoff bzw. lernmaterialbezogenen Aktivitäten immer besser ist. Dies wird im nächsten Abschnitt diskutiert Perspektive der fokussierten Informationsverarbeitung Die Perspektive der fokussierten Informationsverarbeitung widerspricht der Perspektive der aktiven Informationsverarbeitung nicht grundsätzlich, sondern baut auf ihr auf und differenziert sie. Der basale Unterschied besteht darin, dass die in diesem Abschnitt vorgestellte Auffassung postuliert, dass Lernende nicht nur den Lernstoff und die Lernmaterialen aktiv verarbeiten, sondern vor allem auf die zentralen Konzepte und Prinzipien fokussieren sollen (Renkl & Atkinson, 2007; Renkl, 2011a). Warum dies ein relevanter Unterschied ist, soll im Folgenden anhand von vier Beispielen aufgezeigt werden. Bei computerbasierten Lernumgebungen wird Interaktivität die Möglichkeit, dass Lernende aktiv Eingaben machen oder eine Auswahl treffen können und die Lern

36 12 Kapitel 1 Wissenserwerb umgebung darauf reagiert vielfach als ein wichtiges Kriterium gesehen, das Lernen fördert (z. B. Renkl & Atkinson, 2007). Neben Begründungen, die aus einer Perspektive des aktiven Tuns heraus erfolgen, wird Interaktivität meist als ein Mittel gesehen, die kognitive Aktivität der Lernenden anzuregen (Perspektive der aktiven Informationsverarbeitung). So schreiben Moreno und Mayer (2007, S. 312) we are interested in whether interactivity is a feature that can be used to promote deep cognitive processing in the learner Deep learning depends on cognitive activity. Es zeigt sich empirisch jedoch, dass Interaktivität, auch wenn sie auf aktive Informationsverarbeitung abzielt, vielfach nicht den Lernerfolg fördert. Einen in dieser Hinsicht interessanten Befund fanden Berthold und Renkl (2009). Sie setzten eine computerbasierte Lernumgebung ein, die u. a. Lösungsbeispiele mit zwei Lösungswegen (Wahrscheinlichkeitsrechnung) darbot. Als interaktives Element wurden einem Teil der Lernenden anspruchsvolle Leitfragen gestellt (sog. SelbsterklärungsPrompts ). Diese führen nicht nur zu mehr Aussagen über wahrscheinlichkeitstheoretische Prinzipien, die konzeptuell damit auch besser verstanden wurden, sondern teils auch zu falschen Aussagen, die zu vermindertem prozeduralen Wissenserwerb führten. Die Leitfragen führten also zu vermehrter aktiver Stoffverarbeitung, hatten aber im Endeffekt negative Folgen für das Wissen, wie. Als zweites Beispiel sollen fehlpriorisierte Konzepte dienen. Mandl, Gruber und Renkl (1993) fanden, dass Auszubildende einer kaufmännischen Berufsschule fehlpriorisierte Konzepte erwerben können, d. h., sie weisen bestimmten Aspekten des Lernstoffes eine viel höhere Bedeutung als angemessen zu. Im vorliegenden Fall arbeiteten die Lernenden mit einer computerbasierten Simulation einer JeansFabrik, um sich zunächst ökonomische Zusammenhänge zu verdeutlichen und dann das erworbene Wissen anzuwenden, um den Gewinn der Fabrik zu maximieren. Viele Lernende richteten ihr Augenmerk in dieser Lernumgebung vor allem darauf, ja nicht zu viele Bestände anzuhäufen und ihr Lager möglichst leer zu halten; andere Aspekte, etwa was die Konkurrenz am Markt macht oder ob man weitere Werbemaßnahmen treffen sollte, wurden kaum mehr beachtet. An Ende waren diese Lernenden auch nicht gut darin, den Gewinn zu maximieren. Das suboptimale Lernen lag nicht an der fehlenden aktiven Verarbeitung, sondern an einer suboptimalen Verteilung des Fokus. Ein drittes Beispiel sind verführerische Details, die in Texte oftmals integriert werden, damit die Leser interessiert werden und den Text aktiv verarbeiten (Garner, Gillingham & White, 1989). Sie werden aber deshalb als verführerisch bezeichnet, da die Leser sie zwar als hoch interessant einstufen, sie aber unwichtig sind und nicht in direktem Bezug zu den Hauptideen des Textes stehen. Tatsächlich haben solche verführerischen Details meist negative Effekte auf den Lernerfolg, etwa im Sinne der Identifizierung der Hauptideen eines Textes (z. B. Lehman, Shraw, McCrudden & Hartley, 2007). Auch dies ist ein Fall, in dem Lernstoff einschließlich randständiger Aspekte, aber nicht die zentralen Konzepte und Prinzipien tief verarbeitet werden. Dies ist letztendlich dem Lernen abträglich. Das vierte Beispiel ist ein Positivbeispiel, bei dem eine vorausgehende Fokussierung der Aufmerksamkeit der Lernenden produktive Auswirkungen hat. Schmidt, de Grave, de Volder, Moust und Patel (1989) gaben Kleingruppen von Schülern das Problem zur Diskussion, dass eine Blutzelle in reines Wasser eingetaucht anschwillt und dann zerplatzt, während eine Blutzelle in Salzwasser schrumpft. Zunächst sollten die Schüler versuchen, dies zu erklären. Diese Diskussion erhöhte den Lernerfolg aus einem nachfolgenden Lehrtext über Osmose in bedeutsamer Weise. Interessanterweise profitierten gerade auch Lernende mit weniger Vorwissen, die zum Teil vor dem Textlesen falsche Erklärungen gaben, von der Fokussierung durch die vorausgehende Diskussion. Dieses Beispiel zeigt, dass eine zunächst unfokussierte Aktivierung durchaus sinnvoll sein kann, aber nur wenn sie einen sinnvollen Fokus für die Hauptphase des Lernens (hier: Textlesen) induziert. Zusammengefasst besagt die Perspektive der fokussierten Verarbeitung, dass man Lernprozesse in ihrer Aktivität nicht allein danach beurteilen kann, ob eine mehr oder weniger aktive Verarbeitung des Lernstoffes und der Lernmaterialien erfolgt. Ausschlaggebend ist vielmehr, dass die zentralen Konzepte und Prinzipien fokussiert und in korrekter Weise erworben werden Wahl der Perspektive: Implikationen zur Gestaltung von LehrLern Arrangements Welche der drei diskutierten Perspektiven zum Wissenserwerb am angemessensten ist, mag zunächst als akademische Frage anmuten. Die vorstehend berichteten Befunde dürften aber aufgezeigt haben, dass die grundlegende Auffassung Konsequenzen dafür hat, wie man LehrLernUmgebungen gestaltet: Setzt man auf Problemlösen oder auf Beispiele bei anfänglichem Fertigkeitserwerb (aktives Tun oder aktive Verarbeitung)? Versucht man die Lernenden z. B. durch computerbasierte Simulationen zum Nachdenken über wirtschaftliche Zusammenhänge anzuregen oder muss man ihre Aufmerksamkeit auf die wichtigen Aspekte lenken (aktive Informationsverarbeitung versus fokussierte Verarbeitung)? Vor dem Hintergrund, dass hier die Perspektive der fokussierten Verarbeitung als am erklärungsmächtigsten angesehen wird, ist es problematisch, dass nicht nur in der wissenschaftlichen Diskussion, sondern auch in der breiten Bildungsöffentlichkeit (z. B. Lehrer, Dozenten, Bil

37 1.3 Wie kann Wissen erworben werden? Wichtige Lernformen 13 1 dungspolitiker) insbesondere Begriffe wie aktives Lernen betont werden und aktiv in Zusammenhang mit Lernen als besonders wichtig erachtet wird (zu dem entsprechenden Dogma s. Renkl, 2008b). Aus dieser Einstellung heraus kann man jedoch, wie im vorstehenden Abschnitt aufgezeigt, suboptimale Entscheidungen bei der Gestaltung von LehrLernArrangements treffen. Als Fazit kann festgehalten werden, dass die grundlegende theoretische Perspektive wichtige Implikationen hat, wie Unterricht bzw. LehrLernArrangements gestaltet werden. Es wird dafür plädiert, künftig explizit die Perspektive der fokussierten Verarbeitung einzunehmen. 1.3 Wie kann Wissen erworben werden? Wichtige Lernformen Lernen aus Texten Sei es im traditionellen Schulunterricht (z. B. Schüler lesen im Biologiebuch), sei es in einem projektorientierten Seminar im Studium (z. B. Studierende lesen etwas in einem Buch aus der Bibliothek nach) oder sei es beim autodidaktischen Lernen (z. B. jemand liest einen Artikel aus dem Internet) man könnte hier sicherlich noch viele weitere LehrLernArrangements aufführen, das Lernen aus Texten spielt immer eine bedeutsame Rolle. Zudem kann man eine Vorlesung als Text ansehen, sodass Grundlegendes zum Lernen aus schriftlichen Texten auch für mündlich Präsentiertes gilt. Insofern kommt dieser Lernart sicherlich eine besondere Bedeutung zu. Die Inhalte eines Textes können von den Lernenden auf unterschiedlichen Ebenen repräsentiert werden. Die drei wichtigsten Ebenen sind (van Dijk & Kintsch, 1983) die der Textoberfläche, der Textbasis und des Situationsmodells. Definition Die Textoberfläche bezieht sich auf die sprachlichen Details, d. h. auf das wörtliche Abbild. Wenn Lernende einen Text (z. B. volkswirtschaftliche Zusammenhänge) lesen, um einen Gegenstandbereich zu verstehen, wird in der Regel allerdings keine wörtliche Repräsentation angestrebt. Die Textbasis beinhaltet die gegebenen Textaussagen unabhängig davon, ob etwas z. B. in einem Passiv oder Aktivsatz gesagt wurde, eins von zwei möglichen Synonymen verwendet wurde etc. Das eigentliche (tiefere) Verstehen des Textes, das z. B. Implikationen des Gesagten umfassen kann, wird im Situationsmodell repräsentiert. Im Folgenden werden die drei Ebenen näher beschrieben. Textoberfläche Die Textoberfläche ist meist nicht das Lernziel, wenn es um Verstehen geht. Es ist dann von untergeordneter Bedeutung, mit welchen spezifischen Formulierungen ein Sachverhalt ausgedrückt wird. Auch im Alltag merken wir uns nicht die Textoberfläche, wenn wir z. B. einen Zeitungsartikel lesen, sondern lediglich die (Kern)Aussagen und ggf. weiterführende Gedanken, die uns dabei in den Sinn kommen (Ausnahme: Ein Lernender versteht den Prüfungstext nicht und hofft mit wörtlicher Wiedergabe einzelner Passagen in der Prüfung durchzukommen). Dennoch gibt es Situationen, in denen ein Erlernen der Textoberfläche das primäre Lernziel ist, etwa wenn man ein klassisches Gedicht, ein griffiges Zitat oder den Text einer Schauspielrolle auswendig lernen will. Gleichwohl ist die Textoberfläche in den meisten LehrLernSituationen von untergeordneter Bedeutung. Textbasis Die Textbasis beinhaltet die Aussagen, die die Leser in einem ersten Schritt aus einem Text entnehmen sollen. Diese von der konkreten Formulierung unabhängig zu denkenden Aussagen werden Propositionen genannt. Beispielsweise enthalten die beiden Sätze Deutschland griff Polen an und Polen wurde vom Deutschen Reich angegriffen dieselbe Proposition. Verschiedene Propositionen können nun in einem Netzwerk organisiert werden, wenn sie sich überlappen, so etwa bei den Sätzen Hitler verfolgte eine sog. Endlösung der Judenfrage. Er wollte alle Juden vernichten. Er und Hitler überlagern sich beispielsweise in den vorstehenden Sätzen. Dabei wird klar, dass Lesen eine aktivkonstruktive Tätigkeit ist, da die Lernenden den Zusammenhang zwischen Er und Hitler herstellen müssen (auch wenn dies in diesem Beispiel recht einfach ist). Diese Art der lokalen Kohärenzbildung gelingt den Lernenden zumeist weitgehend automatisch. Die globale Kohärenzbildung, also eine sinnvolle Organisation der einzelnen Textaussagen, die es etwa erlaubt den roten Faden einer komplexen Argumentation nachzuvollziehen, gelingt Lernenden hingegen nicht immer. Dies kann am wenig leserfreundlichen Text liegen, an der geringen Motivation der Lernenden oder an ihrem unzureichenden Vorwissen (Schnotz, 2010). Die globale Kohärenzbildung beinhaltet typischerweise die Konstruktion von sog. Makropropositionen, die umgangssprachlich den Kern von Textabschnitten repräsentieren. Sie werden aus den Einzelpropositionen verdichtet durch a) Auslassung unwichtiger Propositionen, b) Verallgemeinerung von Einzelpropositionen auf einem höheren Abstraktionsgrad (beispielsweise wird statt ei

38 14 Kapitel 1 Wissenserwerb ner detaillierten Beschreibung von Gegenständen eines Vertrages zur Beendigung eines Krieges repräsentiert, dass zwei Staaten einen Friedensvertrag abgeschlossen haben) oder c) Konstruktion einer neuen Proposition für eine Kette von Propositionen (das Ausdehnen und Zusammenziehen des Herzmuskels wird als Pumpen repräsentiert). Bei der vorstehenden Darstellung der Prozesse des Verstehens von Texten wird bereits klar, dass ein gutes Textverständnis über die direkt im Text explizierten Propositionen hinausgeht und erfordert, dass Leser ihr Vorwissen nutzen, um aktiv weitergehende Informationselemente zu konstruieren. Dies ist notwendig, da Texte nie vollständig das explizieren, was man, wenn man den Text gut verstanden hat, intern repräsentiert. Warum tun sie das nicht? Texte würden ansonsten so lang, dass sie kaum mehr lesbar wären und für die meisten Leser viele Trivialitäten beinhalten würden, die das Lesen des Textes nicht nur langweilig, sondern auch ineffizient machen würden (vgl. den lernabträglichen Redundanzeffekt der CognitiveLoadTheorie; Sweller et al., 1998). Situationsmodell Van Dijk und Kintsch (1983) bezeichnen eine substanziell mit Vorwissen angereicherte, reichhaltige Repräsentation eines Textes als Situationsmodell. Kintsch und Kintsch (1996) sprechen sogar erst dann von bedeutungshaltigem Lernen ( deep learning ), wenn ein Situationsmodell aufgebaut wird. Dieses entspricht einer ganzheitlichen Repräsentation des Textes, die über den propositionalen Gehalt hinausgeht und z. B. auch Vorstellungsbilder (also Analoges ) beinhaltet. Beispiel Um den Unterschied zwischen einer nur propositionalen Repräsentation und einem Situationsmodel in einer Lernsituation zu verdeutlichen, sei die folgende Textaufgabe angeführt: Die beste 100MeterZeit von Hans beträgt 13,0 Sekunden. Wie lange braucht er für Meter? Viele Schüler lösen diese Aufgabe schnell und subjektiv problemlos : 130 Sekunden (Verschaffel et al., 2000). Diese Antwort dürfte vielfach darauf zurückgehen, dass nur der propositionale Gehalt repräsentiert wurde und dann eine passende Rechenoperation gesucht wurde. Würden Schüler jedoch auf ihr Vorwissen zurückgreifen und ein Situationsmodell aufbauen, würde ihnen schnell klar, dass man nicht immer Bestzeit läuft und vor allem, dass Hans sein 100MeterTempo nicht 10mal hintereinander durchhalten kann. Sie würden dann die Aufgabe nicht so sinnentleert lösen. Ein anderes Beispiel wäre die folgende Schlagzeile: Usain Bolt mit 9,69 Sekunden Olympiasieger. Stellen Sie sich eine Person vor, die sich nicht für Sport interessiert; diese mag der Schlagzeile nur die direkt gegebene propositionale Bedeutung entnehmen können, sie hat aber nicht viel verstanden (u. a. bleiben die Disziplin und die Einordnung der Zeit unklar). Eine sportinteressierte Person kann eine situationale Repräsentation des (kurzen) Textes aufbauen, die vergleichsweise reichhaltig sein kann, nämlich wer von den ihr bekannten Sprintern den 100MeterLauf gewonnen hat, ob dies der Favorit war, dass Jamaika damit eine Goldmedaille errungen hat, dass die Zeit sehr gut war, ja sogar den Weltrekord brach etc. Die situationale Repräsentation beinhaltet aber nicht nur ein Mehr an Information und Verständnis, sondern erlaubt es die Textinformation zu nutzen, um Schlussfolgerungen für neue Kontexte zu ziehen und Probleme zu lösen (etwa in einem problemorientierten LehrLernArrangement). Vielfach wird das Ausmaß einer situationalen Repräsentation sogar darüber gemessen, ob die Lernenden gültige von ungültigen Schlussfolgerungen unterscheiden können (z. B. Schaffner & Schiefele, 2007). Weiterhin ist zu beachten, dass eine situationale Repräsentation der geringsten Vergessenrate unterliegt, während die Textoberfläche am schnellsten vergessen wird (Schnotz, 2010). Was beeinflusst die Qualität des Textlernens? Welche Art der Repräsentation aufgebaut wird, hängt von verschiedenen Faktoren ab, vor allem von der Qualität des Textes, dem Vorwissen der Lernenden und den mentalen Aktivitäten der Lernenden (hier speziell: Lesestrategien; Kintsch & Kintsch, 1996). Relevante Textmerkmale sind z. B. Einführungen zur Aktivierung relevanten Vorwissens (vgl. die Studie zum OsmoseText; Abschn ), Länge und Einfachheit der Sätze, Hervorhebung zentraler Begriffe oder Aussagen. Zudem ist die semantische Kohärenz bedeutsam, also beispielsweise, ob es eine explizite Argumentüberlappung gibt ( Hitler verfolgte eine sog. Endlösung der Judenfragen. Hitler wollte alle Juden vernichten statt der vorstehenden Formulierung). Dabei zeigt sich allerdings, dass Lernende mit niedrigem Vorwissen vor allem von kohärenten Texten profitieren, während Lernende mit höherem Vorwissen mehr aus suboptimalen Texten lernen, da sie angeregt werden, aktiv ihr Vorwissen einzubringen, um temporäre Verstehensprobleme zu überwinden. Neuere Befunde wei

39 1.3 Wie kann Wissen erworben werden? Wichtige Lernformen 15 1 sen darauf hin, dass dies aber nur für Leser mit hohem Vorwissen gilt, die nicht von sich aus schon gute Lernstrategien einsetzen (O Reilly & McNamara, 2007). Sieht man sich aktuelle Schulbücher, Lehrbücher für den universitären Kontext oder Weiterbildungsliteratur an, so fällt auf, dass sehr oft Text mit Bildinformation kombiniert wird. Ob und unter welchen Umständen Bilder in Texten lernförderlich sind und welche Verarbeitungsprozesse hier zu beachten sind, kann an dieser Stelle nicht ausgeführt werden ( Kap. 5; Schnotz, 2005). Inhaltliches Vorwissen interagiert nicht nur mit der Textkohärenz, sondern hat auch an sich einen positiven Einfluss auf das Textlernen wie dies bei jeder anderen Lernart der Fall ist ( Kap. 2). Je mehr Vorwissen vorhanden ist, umso mehr wird aus Texten gelernt bis zu dem Punkt, an dem die Leser kaum mehr neue Informationen aus einem Text ziehen können. Das Vorwissen ist auch deshalb von so großer Relevanz, da es hochwertigen Lernstrategieeinsatz ermöglicht, wie etwa ein NetzwerkDiagramm ( concept map ) zeichnen (Organisation), sich selbst den Kern eines Abschnittes erklären oder Fragen zum Text formulieren. Vorwissen ermöglicht stimmige (und nicht fehlerbehaftete) Concept Maps anzufertigen, sich Textteile korrekt und weitgehend vollständig (statt lückenhaft und teilweise falsch) zu erklären und Fragen zu formulieren, die auf den Kern (und nicht auf irrelevante, verführerische Details) zielen. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass ein wirkliches Verstehen von Texten erfordert, dass die Lernenden aktiv den Text verarbeiten. Dies ermöglicht eine Repräsentation der Textinhalte auf der Ebene des situationalen Modells. Erst dies erlaubt es, mit dem aus dem Text Gelernten etwas anzufangen (z. B. Schlussfolgerungen ziehen, Probleme lösen). Zudem kann das Erlernte dann längerfristig behalten werden Lernen aus Beispielen und Modellen Das Lernen aus Lösungsbeispielen beim anfänglichen Erwerb von kognitiven Fertigkeiten ist, wie bereits erwähnt, eine sehr effektive und effiziente Lernart. Dies wird als Lösungsbeispieleffekt ( WorkedExample Effekt) bezeichnet. Typisch sind Lösungsbeispiele für Bereiche, in denen gelernt werden soll, algorithmische Lösungen zu verstehen und anzuwenden (z. B. Mathematik, Physik). Sie bestehen dann aus einer Problemstellung, Lösungsschritten und der endgültigen Lösung selbst. Inzwischen gibt es aber auch zahlreiche Untersuchungen, die zeigen, dass das Lernen aus Beispielen aus nicht algorithmischen Lernbereichen ebenfalls sehr effektiv ist. Rourke und Sweller (2009) zeigten beispielsweise, dass Wissen über die Stile renommierter Designer (z. B. Stühle, Lampen etc.) gut über Beispiele erworben werden kann. Solch ein Beispiel für einen DesignerStil enthält natürlich keine Lösungsschritte, wie dies bei mathematischen Beispielen der Fall ist. Manche Beispiele können sehr komplex werden, etwa wenn sie aufzeigen, wie man gut interdisziplinär kooperiert (z. B. Rummel & Spada, 2005). Diese komplexen Beispiele werden zum Teil auch als Modelle bezeichnet (Bandura, 1986; Collins, Brown & Newman, 1989). Im Folgenden wird für das Lernen aus Beispielen und das Lernen von Modellen auch der Begriff des beispielbasierten Lernens gebraucht. Ein Missverständnis, das sich bisweilen ergibt, ist, dass mit Lernen aus Beispielen das übliche Vorgehen gemeint ist, bei dem nach der Einführung eines Prinzips (z. B. Satz des Pythagoras) ein Beispiel gezeigt wird und dann die Lernenden Aufgaben bearbeiten. Definition Beispielbasiertes Lernen meint jedoch, dass mehrere Beispiele bearbeitet werden, um so Verstehen herzustellen, bevor die Lernenden dann verstehensorientiert selbstständig Aufgaben bearbeiten. Dies ist in aller Regel effektiver und effizienter als das eben beschriebene übliche Vorgehen (typische Kontrollbedingung in entsprechenden Studien zum beispielbasierten Lernen). Die Erklärung für die Effektivität des beispielbasierten Lernens ergibt sich daraus, dass Lernende erst dann Aufgaben bearbeiten sollten, wenn sie ein grundlegendes Verständnis der zugrunde liegenden Prinzipien (z. B. physikalisches Gesetz) und deren Anwendung erworben haben. Wenn sie mit Aufgaben konfrontiert werden und dabei z. B. die zugrunde liegende Physik noch nicht verstanden haben, nehmen sie keinen Bezug auf Physik, sondern versuchen, die Aufgaben irgendwie zu lösen (z. B. Ausprobieren möglicher relevanter Formeln). Sie wurschteln sich mit oberflächlichen Strategien zur numerischen Lösung durch. Dieses Durchwurschteln stellt aus der Sicht der CognitiveLoadTheorie, über die der Lösungsbeispieleffekt meist erklärt wird, extrinsische Belastung dar. Erst wenn die Lernenden sich über Beispiele ein grundlegendes Verständnis erarbeitet haben, sollen sie verstehensorientiert Aufgaben bearbeiten. Lernen aus Beispielen kann wie jede LehrLernForm, wenn sie schlecht implementiert wird ineffektiv sein. Dies ist z. B. der Fall, wenn Lösungsbeispiele grafische und textuelle Informationen enthalten, die Lernende nur schwer zuordnen können (z. B. Tarmizi & Sweller, 1988: Split Attention Effekt). Der Abgleich, der notwendig ist, um die beiden Informationsquellen zu integrieren, nimmt so viel kognitive Kapazität ein, dass der beschriebene Vorteil von Beispielen (wenig extrinsische Belastung) verschwindet. Es ist dann sinnvoll, die beiden Arten der Information

40 16 Kapitel 1 Wissenserwerb 1 Exkurs Selbsterklärungen Der Begriff der Selbsterklärungen wurde von Chi et al. (1989) im Kontext des Lernens aus Lösungsbeispielen (Newton sche Gesetze) eingeführt. Es zeigt sich, dass insbesondere diejenigen Lernenden viel aus Lösungsbeispielen, welche ja nie alle möglichen Begründungen enthalten, lernten, die die Begründungslücken über Schlussfolgerungen füllten. Beispielsweise begründeten erfolgreich Lernende Lösungsschritte unter Bezug auf Newton sche Gesetze. Renkl (1997a) nannte diese Begründungen prinzipienbasierte Erklärungen. Sie sind deshalb von Bedeutung, weil Lernende damit ein tieferes Verständnis von Lösungsprozeduren erwerben, d. h., sie wissen, wie die Lösungsschritte mit den grundlegenden Prinzipien eines Inhaltsgebiets in Zusammenhang stehen (prinzipienbasiertes Verständnis). Auch bei Beispielen aus nichtalgorithmischen Inhaltsgebieten ist diese Art der Selbsterklärung besonders wichtig. Studierende erlernen insbesondere dann Argumentationsstrukturen aus dialogischen Videobeispielen in eigene Argumentationen zu übernehmen, wenn sie angehalten werden, prinzipienbasierte Erklärungen zu geben (Schworm & Renkl, 2007). Das heißt in diesem Fall, dass sie aus einer Beispielargumentation über Stammzellenforschung nicht nur die offen ersichtlichen medizinischen oder ethischen Inhalte fokussieren, sondern sich erklären, welche argumentativen Strukturen jeweils zum Einsatz kommen. Inzwischen wurde das Konzept der Selbsterklärung auf andere Lernarten, etwa dem Lernen aus Texten, angewandt. Damit wurden diesem Konstrukt zusätzliche Aspekte zugeordnet, etwa das Revidieren des eigenen mentalen Modells (entspricht in etwa dem Situationsmodells, Abschn ; Chi, 2000). Aleven und Koedinger (2002) zeigten, dass es auch sinnvoll ist, beim Problemlösen Selbsterklärungen vorzunehmen. Ainsworth und Loizou (2003) fanden, dass Diagramme viele Selbsterklärungen auslösen können, und Roy und Chi (2005) sehen Selbsterklärungen als probates Mittel an, um unterschiedliche Darstellungsformen (z. B. Text und Diagramme) zu integrieren. Diese Ausweitungen unterstreichen einerseits die Nützlichkeit des Konzepts der Selbsterklärung, andererseits verliert es aber seine spezifische Bedeutung. Die Grenzen zwischen Selbsterklärung und anderen in der Literatur beschriebenen Lernstrategien sind inzwischen verschwommen über unterschiedliche Modi (z. B. Grafik visuell und Text akustisch; Modalitätseffekt) darzubieten (Mousavi, Low & Sweller, 1995), sodass sowohl der visuelle als auch der akustische Verarbeitungskanal genutzt und damit eine Überlastung vermieden werden kann. Eine weitere Möglichkeit zur Abhilfe ist die Wahl eines integrierten Formats, bei dem die Beschriftung in die Grafik integriert wird (nebenbei sei erwähnt, dass auch beim Lernen aus Texten mit Abbildungen der SplitAttention Effekt auftreten kann, wenn Lernenden die Zuordnung schwerfällt). Neben den genannten Aspekten der Beispielgestaltung gibt es eine Anzahl weiterer wichtiger Faktoren (dazu Renkl, 2011b, Renkl, 2014). Zu beachten ist, dass nicht alle Lernenden die Arbeitsgedächtniskapazität, die beim beispielbasierten Lernen durch die Reduktion der extrinsischen Belastung frei wird, produktiv für lernbezogene Belastung nutzen. Viele Lernende lesen Beispiele nur oberflächlich durch, ohne sich die Logik der Lösung klar zu machen. Um ein Verstehen der Beispiele weitgehend sicherzustellen, ist es sinnvoll, die Lernenden mit sog. Prompts (Leitfragen, Aufforderungen) aufzufordern, sich die Logik der Beispiellösung bewusst zu machen (Atkinson, Renkl & Merrill, 2003). Man bezeichnet es üblicherweise als Selbsterklärung, wenn Lernende sich die Logik von Beispielen bewusst machen (Chi, Bassok, Lewis, Reinmann & Glaser, 1989: SelfExplanation Effekt; Exkurs Selbsterklärungen ). Alternativ kann man Lernende darin trainieren, Beispiele sich selbst gut zu erklären (Renkl, Stark, Gruber & Mandl, 1998): Die Effektivität beispielbasierten Lernens beschränkt sich auf den anfänglichen Erwerb kognitiver Fertigkeiten. Man kann aber z. B. kein versierter Programmierer werden, wenn man nur Programmierbeispiele studiert. Insbesondere, wenn es um die (teilweise) Automatisierung von Fertigkeiten und deren Feinabstimmung geht, sollten Lernende selbst Aufgaben bearbeiten. Um einen fließenden Übergang zum Aufgabenbearbeiten zu bewerkstelligen, haben Renkl und Atkinson (2003) folgendes Rational entwickelt, das sich inzwischen vielfach bewährt hat: Zunächst werden vollständige Beispiele präsentiert, in die dann allmählich immer mehr Lücken und damit Anforderungen der Aufgabenbearbeitung integriert werden bis am Ende die Lernenden die Aufgaben komplett selbstständig lösen. Diese Ausblendprozedur ist besonders effektiv, wenn sie an den individuellen Lernfortschritt der einzelnen Lernenden angepasst wird (Kalyuga & Sweller, 2004; Salden, Aleven, Renkl & Schwonke, 2009). Zusammenfassend kann man festhalten, dass beim anfänglichen Erwerb kognitiver Fertigkeiten das Lernen aus Lösungsbeispielen besonders effektiv ist, insbesondere wenn die Lernenden sich die Logik der Beispiele selbst erklären. Die Beispiele können dann allmählich ausgeblendet werden, um so den Übergang zum selbstständigen Aufgabenbearbeiten zu ebnen Lernen durch Aufgabenbearbeiten Wie bereits im letzten Absatz erwähnt, gehen Lehrer im Unterricht suboptimaler Weise sehr oft so vor, dass sie zunächst ein Prinzip einführen, ggf. ein Beispiel prä

41 1.3 Wie kann Wissen erworben werden? Wichtige Lernformen 17 1 sentieren und dann Aufgaben bearbeiten lassen ( Lernen durch Tun). Dieses Vorgehen kann effektiv sein, sofern die Lernenden beim Problemlösen soweit unterstützt werden, dass sie sich nicht mit oberflächlichen und nicht fachbezogenen Strategien zur Lösung durchwurschteln müssen. Werden beispielsweise Lernende beim Bearbeiten von Aufgaben durch SelbsterklärungsPrompts dazu aufgefordert, die zugrunde liegenden Prinzipien zu beachten, führt dies zu besserem Verständnis (Aleven & Koedinger, 2002). Umso bedauerlicher ist, dass Lehrer ein solches Vorgehen typischerweise nicht realisieren (Renkl, Schworm & Hilbert, 2004). Im folgenden Abschnitt wird auf ein Positivbeispiel einer sinnvollen Implementierung des Lernens durch unterstütztes Aufgabenbearbeiten eingegangen. Sodann wird das Aufgabenbearbeiten in späteren Stadien des Fertigkeitserwerbs besprochen, in denen weitreichende Unterstützung nicht mehr notwendig ist und es in erster Linie um Stärkung, Automatisierung und ggf. noch um Feinabstimmung geht. Lernen durch unterstütztes Aufgabenbearbeiten Eine technisch zwar aufwändige, aber durchaus bewährte Möglichkeit, Lernen durch Aufgabenbearbeiten zu unterstützen, besteht darin, computerbasierte intelligente tutorielle Systeme einzusetzen (z. B. Aroyo, Graesser & Johnson, 2007). Das Beispiel der Cognitive Tutors (z. B. Koedinger & Corbett, 2006) soll hier näher beleuchtet werden. Diese Konzeption von intelligentem Tutoring ist nicht nur sehr effektiv, sondern inzwischen auch in der Praxis weit verbreitet. Zurzeit arbeiten damit ca Schulen und annähernd eine halbe Million Schüler in unterschiedlichen Regionen der USA (s. auch com). Cognitive Tutors wurden auf der Grundlage der bereits genannten ACTTheorie von Anderson (z. B. Anderson & Lebiere, 1998) konstruiert. Diese Theorie konzipiert wie bereits erwähnt kognitive Fertigkeiten (prozedurales Wissen) als eine Menge von Produktionsregeln (sog. Produktionssystem), die einen WennTeil (Bedingung für eine Aktion) und einen DannTeil (Aktion) beinhalten. Diese bilden sozusagen, die Wissenseinheiten, die im Cognitive Tutor betrachtet werden. Auf dieser theoretischen Grundlage wurden Cognitive Tutoren, insbesondere für verschiedene Bereiche der Mathematik, daneben aber z. B. auch für Chemie, erstellt. Die Intelligenz dieses Systems besteht vor allem aus zwei Mechanismen: model tracing und knowledge tracing. Für das Model Tracing wurde auf der Basis der ACT Theorie ein System von Produktionsregeln erstellt, das korrektes Aufgabenbearbeiten, aber auch typische Fehler beinhaltet. Vor dem Hintergrund dieser Folie können die Aktionen der Lernenden bewertet werden, d. h., das System macht sich ein Bild, welche Produktionsregeln ein Schüler verwendet. Bei falschen, aber typischen Eingaben kann nicht nur ein Fehler angezeigt werden, sondern es können sogleich maßgeschneiderte Hilfen gegeben werden. Knowledge Tracing sorgt dafür, dass Wahrscheinlichkeitsschätzungen vorgenommen werden, ob ein Lernender eine Produktionsregel bereits erlernt hat. Diese Wahrscheinlichkeit wird bei jedem Aufgabenschritt, bei dem eine Regel relevant wäre, aktualisiert. Damit kann den Lernenden ihr aktueller Wissensstand und Lernfortschrift mit sog. skill bars rückgemeldet werden. Noch bedeutsamer ist, dass das System den Lernenden (zusätzliche) Aufgaben vorgeben kann, die den Erwerb von noch nicht beherrschten Regeln fördern bis das Lernziel erreicht ist ( Mastery Prinzip).. Abb. 1.2 zeigt einen Ausschnitt aus einer Cognitive TutorLektion, die ins Deutsche übersetzt wurde. Darin sind weitere Elemente zu sehen, mit denen Schüler unterstützt werden. Im Feld Übersicht über Lösungsweg wird bereits eine Subzielstruktur, also ein Wegweiser für die einzelnen zu erreichenden Schritte vorgegeben. Im Feld Grund wird nach dem zugrunde liegenden Prinzip eines Lösungsschrittes gefragt; dies stellt somit einen prinzipienbasierten SelbsterklärungsPrompt dar. Das in. Abb. 1.2 zu sehende Glossar wird nur auf Anfrage der Lernenden geöffnet. Sie können dort, z. B. wenn sie bestimmte Prinzipien nicht mehr genau erinnern, nachschlagen und ggf. mit Doppelklick ein Prinzip auswählen, das in das Feld Grund eingetragen wird. Zu beachten ist, dass Cogntive Tutors keine Standalone Anwendungen sind. Die Arbeit mit dem Cognitive Tutor muss im Unterricht angemessen vorbereitet werden. Ein derartiger Einsatz fördert sowohl Verstehen (konzeptuelles Wissen) als auch prozedurales Wissen effektiver als traditioneller Unterricht. Üben Mit Üben sind hier Lernaktivitäten gemeint, die einsetzen, wenn der anfängliche Erwerb von Fertigkeiten schon erfolgt ist und es um Stärkung, Automatisierung und ggf. noch um die Feinabstimmung geht. Durch die (teilweise) Automatisierung können Aufgaben ohne größere mentale Anstrengung (Arbeitsgedächtnisbelastung) und schnell erledigt werden. Sie befreien das Arbeitsgedächtnis von Routineaufgaben, sodass mehr mentale Kapazitäten für das Erreichen anspruchvollerer Lernziele zur Verfügung stehen. Man kann z. B. einfacher Wahrscheinlichkeitsrechnung erlernen, wenn man nicht immer wieder mit den Regeln des Bruchrechnens kämpft. Letzteres wäre in Bezug auf das eigentliche Lernziel extrinsische Belastung.

42 18 Kapitel 1 Wissenserwerb Abb. 1.2 Screenshot aus einer deutschen Version einer CognitiveTutorLektion zur Kreisgeometrie (Bildrechte: Carnegie Learning, Inc.) Fertigkeitsniveau Übungseinheiten.. Abb. 1.3 Schematische Darstellung des Potenzgesetzes der Übung Eine grundlegende Gesetzmäßigkeit besagt zu Übungseffekten (z. B. Zuwachs der Geschwindigkeit korrekter Ausführung), dass sie zu Beginn sehr stark sind und mit der Zeit immer schwächer werden; die Fertigkeit strebt dabei einer Leistungsobergrenze zu. Dies wird im Potenzgesetz der Übung ( power law of practice ) wiedergegeben (Newell & Rosenbloom, 1981), das in. Abb. 1.3 schematisch dargestellt wird. Individuelle Lernzuwächse lassen sich meist gut mit dem Potenzgesetz beschreiben, wenngleich sich im konkreten Falle nicht immer eine so glatte Kurve ergibt. Es können sich z. B. vorübergehende Leistungsplateaus bilden, die erst überwunden werden, wenn eine aktuelle Strategie zugunsten eines optimierten Vorgehens aufgegeben wird. Effektive Übung zeichnet sich mindestens durch die folgenden vier Prinzipien aus: Überlernen, verteilte Übung, Übung im Kontext des Ganzen, reflektierte Übung. Überlernen. Das Üben sollte nicht eingestellt werden, wenn die Lernenden das erwünschte Niveau erreicht haben. Wird nicht mehr geübt, fällt das Fertigkeitsniveau natürlich wieder ab. Soll ein bestimmtes Niveau mittelfristig sichergestellt werden, muss über das Ziel hinaus geübt, also überlernt werden. Nur in diesem Fall kann erwartet werden, dass die Leistung auch nach einiger Zeit nicht unter das gewünschte Niveau fällt (z. B. Driskell, Willis & Cooper, 1992). Allerdings gibt es auch Befunde, die den Nutzen von Überlernen nicht belegen können (Rohrer & Taylor, 2006; Kap. 4). Zu beachten ist dabei, dass auch aus dem Po

43 1.3 Wie kann Wissen erworben werden? Wichtige Lernformen 19 1 tenzgesetz der Übung vorhergesagt werden kann, dass ein zu langes Einüben keine substanziellen Effekte mehr hat. Verteilte Übung. Diese Alternative bezieht sich auf die Frage, ob man eher in größeren Zeitblöcken (massierte Übung, z. B. 2 Stunden Klavier einmal in der Woche) oder kleineren Einheiten (verteilte Übung, z. B. 4mal eine halbe Stunde Klavier in der Woche) üben soll. Vergleicht man bei konstanter Gesamtübungszeit den Lernerfolg bei wenigen größeren Blöcken mit demjenigen bei mehreren kleineren Einheiten, erweist sich verteilte Übung als effektiver (Rohrer & Taylor, 2006). Auch hier gilt natürlich, dass ein zu kleinteiliges Üben wiederum abträglich werden kann. Übung im Kontext des Ganzen. Es ist eingeschränkt sinnvoll, einzelne Teilfertigkeiten einzuüben, die für die Lernenden keinen Sinn ergeben. Dies kann nicht nur massive motivationale Probleme, sondern auch Verständnisschwierigkeiten bewirken. Insofern ist es wichtig, dass Lernende ein Bild der Gesamtaufgabe bzw. des Gesamtvorgehens haben. Ist dies vorhanden, ist es sinnvoll, einzelne Teilabläufe, wenn diese z. B. besondere Schwierigkeiten bereiten, separat und damit gezielt zu üben (z. B. van Merriënboer & Kester, 2005). Reflektierte Übung. Pures Einüben, das ein Bewältigen von Routineaufgaben sicherstellt, kann den Nachteil haben, dass die konzeptuellen Grundlagen vergessen werden. Selbst wenn z. B. ein Schüler nach einer Erklärung im Unterricht die Logik der schriftlichen Subtraktion verstanden hat, vergisst er sie wahrscheinlich wieder, wenn es später nur noch um das Einüben geht. Idealiter sollten Schüler zwar Algorithmen korrekt und schnell, d. h. ohne großes Nachdenken, ausführen, sich aber zugleich bei besonderen Fällen, bei denen das Vorgehen modifiziert werden muss, wieder die dahinter liegende Logik bewusst machen können. Insofern ist es sinnvoll, beim Einüben von Vorgehensweisen immer wieder auf die zugrunde liegenden Prinzipien einzugehen. Neben Phasen des reinen Einübens sollten also Elemente reflektierter Übung ( deliberate practice ) eingesetzt werden (Ericsson, Krampe & Tesch Römer, 1993). Diese Art der Übung ist auch dann von besonderer Bedeutung, wenn die Lernenden bewusst auf Verbesserung, auf Feinabstimmung abzielen. Suboptimalitäten im Violinspiel werden meist nicht dadurch, dass man die holprigen Stellen einfach immer wieder spielt ( übt ) ausgemerzt, sondern dadurch, dass man gezielt und reflektiert an den Schwachstellen arbeitet. Zusammenfassend kann man festhalten, dass Lernen durch unterstütztes Aufgabenbearbeiten eine effektive Methode sein kann, Verstehen und prozedurales Wissen zu fördern. Lernen durch Aufgabenbearbeiten ist sogar unabdingbar, wenn es um die Ziele der Stärkung und Automatisierung geht. Für die Feinabstimmung sollte die Übung in reflektierter Weise erfolgen Lernen durch Erkunden Dieser Abschnitt befasst sich mit Lernformen, in denen das Erkunden von Gegenstandsbereichen in den Mittelpunkt gestellt wird (z. B. entdeckendes Lernen, erforschendes Lernen). Die Lernenden haben dabei die Aufgabe, sich die zentralen Konzepte und Prinzipien selbst zu generieren ( Abschn ). Damit soll erreicht werden, dass das neue Wissen gut in der Wissensbasis der Lernenden verankert ist. Zudem können z. B. beim erkundenden Experimentieren den Schülern eigene Fehlvorstellungen und deren Defizite bewusst werden. Darüber hinaus werden vielfach noch weitere Ziele verfolgt, etwa die Erhöhung der Lernmotivation, Förderung von Wissenserwerbsstrategien (Lernen lernen) und Metakognition sowie der Erwerb fachspezifischer wissenschaftlicher Vorgehensweisen, wie etwa sinnvolles Experimentieren in der Physik (Tamir, 1996; van Joolingen, de Jong & Dimitrakopoulou, 2007). Auch epistemologische Überzeugungen ( Abschn. 1.1) können durch den Nachvollzug des Erkenntnisprozesses in einem Fachgebiet ausdifferenziert werden (Kuhn, 2005). Lernen durch Erkunden wird oftmals rezeptivem Lernen gegenübergestellt, bei dem die wichtigsten Informationen den Lernenden präsentiert werden (bemerke: hier wird Information insofern anders verstanden als in Abschn , als Daten und Information nicht differenziert werden). Die klassische Bezeichnung für diese Lernart ist entdeckendes Lernen (Bruner, 1961). Allerdings wurde dieses Label inzwischen für vergleichsweise unterschiedliche LehrLernArrangements verwendet (vom Hofe, 2001). Zugleich gibt es eine Reihe von LehrLern Konzeptionen, die schwierig vom entdeckenden Lernen abzugrenzen sind, so etwa projektorientiertes Lernen, problembasiertes Lernen oder erforschendes Lernen ( inquiry learning ; Loyens & Rikers, 2011). Weitgehender Konsens herrscht zwischen den Vertretern dieser Ansätze jedoch bezüglich der Überzeugung, dass ein direktes Vermitteln ( rezeptives Lernen ) bei den Lernenden in sehr vielen Fällen nur zu oberflächlichem Wissen führt und es deshalb besser ist, die Lernenden die zentralen Konzepte und Prinzipien selbst generieren zu lassen ( Exkurs Erkundendes Lernen und rezeptives Lernen ). In diesem Kapitel wurde für die genannte Gruppe verwandter Lernarten der Begriff Lernen durch Erkunden gewählt. Es gilt inzwischen als unstrittig, dass unangeleitetes Erkunden kein effektives Lernen bewirkt (Mayer, 2004; Alfieri, Brooks, Aldrich & Tenenbaum, 2011). Auch Vertreter von LehrLernKonzeptionen, die dem Erkunden große

44 20 Kapitel 1 Wissenserwerb Exkurs Erkundendes Lernen und rezeptives Lernen Vielfach werden erkundendes Lernen und rezeptives Lernen dichotom gegenübergestellt. Dabei dürfte es sich hierbei eher um ein Kontinuum handeln, bei dem eine Reinform die absolute Ausnahme ist. Beispielsweise kann es beim erforschenden Lernen vorkommen, dass die Lernenden im Internet oder in Hilfesystemen von computerbasierten Simulationen etwas nachlesen und damit rezeptive Phasen des Lernens quasi eingebaut sind. Andererseits sollte die Diskussion des Lernens aus Texten einer prototypisch rezeptiven Lernart gezeigt haben ( Abschn ), dass die alleinige Verarbeitung der direkt vorgegebenen Propositionen nur ganz oberflächlichem Lernen entspricht. Wenn Lernende substanziell etwas aus Texten gelernt haben, so haben sie sich eine situationale Repräsentation erarbeitet und vielfach Wissenselemente generiert. Nach Koedinger und Aleven (2007) ist es für effektives Lernen zentral, auf der Dimension Informationsvorgabe versus Informationszurückhaltung (Generierungsanforderung) die richtige Mixtur zu finden ( assistance dilemma ) ( Kap. 2, letzter Abschnitt). Die Vertreter erkundenden Lernens setzen dabei das Optimum eher auf der Seite der Informationszurückhaltung an Bedeutung beimessen, sprechen der Strukturierung des Lernens, also der Unterstützung der Lernenden, maßgebliche Bedeutung zu (z. B. HmeloSilver, Duncan & Chinn, 2007). Welche Probleme beim entdeckenden Lernen auftreten können, wenn dieses nicht unterstützt wird, analysierten de Jong und van Joolingen (1998) für den Fall des Erkundens computerbasierter Simulationen. Bei freier Exploration formulieren Lernende oft keine Hypothesen oder sie können diese, wenn sie welche aufstellen, nicht adäquat überprüfen; zudem bereitet es ihnen Probleme, Evidenzen stringent auf Hypothesen zu beziehen und Experimentserien so aufzustellen, dass systematisch Wissen über den relevanten Inhaltsbereich gewonnen werden kann. Um effektiv zu lernen, muss Unterstützung gegeben werden, sodass sinnvolle Hypothesen aufgestellt werden, diese angemessen überprüft werden etc. Vor dem Hintergrund der Bedeutung der Unterstützung beim entdeckenden bzw. erkundenden Lernen wird inzwischen meist eine Konzeption des Lernens durch gelenktes Erkunden vertreten (vgl. de Jong, 2005: guided discovery principle ) Lernen durch Gruppenarbeit Lernen durch Gruppenarbeit auch kooperatives Lernen oder kollaboratives Lernen genannt bezeichnet die Zusammenarbeit von Lernenden in Kleingruppen, um Lernaufgaben zu bewältigen. Es steht dabei nicht (alleine) die Qualität eines Produktes oder einer Problemlösung im Vordergrund, wie etwa bei einer Gruppenarbeit im Arbeitskontext, sondern das Lernen eines jeden einzelnen Gruppenmitglieds. Gruppenarbeit erfolgt in diesem Kontext also im Dienste des Lernens. Der Einsatz von Gruppenarbeit wird vor allem damit begründet, dass man eine aktivere Verarbeitung des Lernstoffes induzieren will, als dies typischerweise bei rezeptiven Lernformen der Fall ist. Es wird Raum gegeben, dass die Lernenden neue Inhalte mit ihrem Vorwissen und ihrer subjektiven Erfahrungswelt in Verbindung bringen können. Im Schulkontext werden mit Gruppenarbeiten zudem vielfach Ziele verfolgt, die jenseits des Wissenserwerbs liegen, wie etwa die Stärkung des Selbstkonzepts, der Erwerb sozialer Fertigkeiten oder die Integration von Minderheiten (z. B. Aronson, Blaney, Sikes, Stephan & Snapp, 1978). Dieser Abschnitt konzentriert sich auf den Wissenserwerb. Gruppenarbeit per se etwa in dem Sinne Schüler halt mal Aufgaben nicht alleine, sondern in der Kleingruppe bearbeiten lassen ist nicht unbedingt effektiv. Es kommt vor allem auf eine lernzielangemessene Aufgabe an, bei der die Gruppe einen echten Mehrwert hat (z. B. Einbringen unterschiedlicher Perspektiven). Wenn Gruppenarbeit angemessen implementiert wird, kann sie aber sehr effektiv sein (Renkl, 2008a). Es wurden inzwischen zahlreiche empirisch bewährte Ablaufskripte zur Gruppenarbeit entwickelt, die bei einer angemessenen Implementation helfen (zu einer Skriptsammlung s. Renkl & Beisiegel, 2003; zu Skripts für computerunterstütztes Lernen s. Fischer, Mandl, Haake & Kollar, 2007) Aus kognitiver Perspektive können für erfolgreiches Lernen in Gruppen folgende wichtige Faktoren verantwortlich gemacht werden, die jeweils einer theoretischen Perspektive entsprechen: Soziokognitive Konflikte (NeoPiaget sche Perspektive) können durch sich widersprechende Sichtweisen, die während einer Kooperation auftreten können, entstehen (z. B. Doise, 1990). Diese können eine Umstrukturierung von Wissensstrukturen initiieren, wenn der kognitive Konflikt produktiv aufgelöst werden kann. Aus NeoVygotsky scher Perspektive (Vygotsky, 1978) ist Gruppenarbeit dann erfolgreich, wenn durch die Zusammenarbeit ein Agieren (z. B. Problemlösen oder Argumentieren) auf höherem Niveau gelingt, als dies den Lernenden alleine möglich wäre. Die Lernenden bewegen sich dann in der Zone der nächsthöheren Entwicklung, die dann allmählich zur Zone der aktuellen Entwicklung

45 1.3 Wie kann Wissen erworben werden? Wichtige Lernformen 21 1 wird (d. h. die Lernenden können dann auch alleine auf diesem Niveau agieren). Die Perspektive der kognitiven Elaboration und Metakognition (vgl. Perspektive der aktiven Informationsverarbeitung) sieht kooperative Lernformen dann als effektiv an, wenn kognitive und metakognitive Lernaktivitäten ausgelöst werden. Die soziale Situation kann eine aktive Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand anregen, da sie es gewissermaßen erzwingt, die eigene Sichtweise zu explizieren und zu rechtfertigen (Brown & Palincsar, 1989). In etlichen kooperativen Arrangements geben sich die Lernenden gegenseitig Erklärungen (Renkl, 1997b). Dazu müssen sie ihr Wissen organisieren oder sogar reorganisieren, und es kann notwendig werden, bislang nicht verbundene Wissensteile zu integrieren. Zudem können beim Erklären Verständnislücken sowie Inkonsistenzen im eigenen Wissen auffallen (metakognitive Funktion). Nach der Perspektive des argumentativen Diskurses (Fischer, 2002) kann Gruppenarbeit zum Erwerb differenzierten Wissens führen, wenn die Lernpartner nach Evidenz und Gegenevidenz für die im Raum stehenden Behauptungen suchen, Letztgenannte hinsichtlich der positiven und negativen Evidenz gewichten und die eigenen Sichtweisen entsprechend ausdifferenzieren (Derry, 1999). Zudem wird in einigen Ansätzen die Vermittlung von Argumentationsfertigkeiten angestrebt. Die unterschiedlichen Sichtweisen zum kooperativen Lernen widersprechen sich im Übrigen nicht. Alle genannten Prozesse können bei der Gruppenarbeit produktive Lernprozesse auslösen. Fazit In diesem Beitrag wurde Wissenserwerb insbesondere in Hinblick darauf diskutiert, welche Prozesse zum Aufbau von Wissensstrukturen führen. Es dürfte deutlich geworden sein, dass diese Prozesse nicht immer und von allen Lernenden in optimaler Weise gezeigt werden. Dazu müssten diese als wichtigste Voraussetzung ausreichendes Vorwissen haben ( Kap. 2), über geeignete Lernstrategien verfügen, Selbststeuerungskompetenzen aufweisen, um den Lernstrategieeinsatz zu koordinieren ( Kap. 3), und sie müssten schließlich ausreichend motiviert sein, um die kognitive Anstrengung der aktiven Auseinandersetzung mit dem Lernstoff auf sich zu nehmen ( Kap. 7). Immer wenn diese (und ggf. weitere) Voraussetzungen nicht in hinreichendem Maße erfüllt sind was eher die Regel als die Ausnahme ist, kommt dem Unterricht bzw. dem instruktionalen Design von Lernumgebungen besondere Bedeutung zu ( Kap. 4). Wenn, um ein bereits genanntes Beispiel nochmals aufzugreifen, Lernende spontan keine Selbsterklärungen zeigen, so sollte das Instruktionsdesign Prompts im Lernmaterial vorsehen, die sie dazu auffordern; oder der Lehrer sollte im Unterricht Selbsterklärungen trainieren. Unterricht und Instruktionsdesign haben also die Aufgabe, die lernrelevanten Prozesse zu trainieren und auszulösen, die von den Lernenden spontan nicht gezeigt werden (können). Das Wissen, das Sie aus diesem Kapitel (hoffentlich) konstruieren konnten, bietet Ihnen eine gute Grundlage, LehrLernArrangements und Unterrichtsstile in einem ersten Schritt auf theoretischer Ebene zu beurteilen: Beinhalten sie Elemente, die wichtige kognitive Lernprozesse fördern und die Aufmerksamkeit der Lernenden auf die zentralen Konzepte und Prinzipien lenken? Verständnisfragen 1. In der öffentlichen Diskussion zum Lernen kann man im Internet zahlreiche Diskussionsbeiträge finden. Ein typischer Beitrag lautet in etwa wie folgt: Konstruktivismus bedeutet aktives Lernen. Dies kann z. B. über das Anfertigen von Zeichnungen oder aktives Diskutieren erfolgen. Wenn man etwas durch selbständiges Erarbeiten lernt, ist es viel tiefer im Gedächtnis verankert als etwas, was einem eine Lehrkraft erklärt hat. Welcher grundlegenden Perspektive des Wissenserwerbs entspricht so ein Statement? 2. Stellen Sie sich vor, ein Schüler der 5. Klasse bearbeitet die folgende Textaufgabe: Michael hat eine Sammlung von Seilen mit einem Meter Länge. Er hätte gerne ein zwölf Meter langes Seil. Wie viele Seile mit einem Meter Länge muss er aneinanderknoten, um ein 12 Meter langes Seil zu bekommen? Die Antwort kommt schnell: Ist ja einfach: 12. Wie könnte man diese Antwort aus der Sicht der Textverstehensforschung interpretieren? 3. Stellen Sie sich zwei fortgeschrittene Gitarrenschüler vor. Schüler A hat bereits eine Gesamtübungszeit von 6 Stunden in ein schwieriges JazzStück investiert, Schüler B erst 3 Stunden. Wenn beide 2 zusätzliche Übungsstunden investieren, wer macht dann aller Wahrscheinlichkeit nach die größeren Fortschritte (z. B. in dem Sinne, wie viele Takte nun durchgespielt werden können, bevor wieder ein Stolperer passiert)? Warum? 4. Was spricht dafür, Schüler nach der Einführung eines Prinzips, z. B. eines Satzes in der Mathematik, mehrere Beispiele zur Anwendung dieses Prinzips studieren zu lassen, statt ihnen Aufgaben zum Bearbeiten vorzugeben? 5. Warum ist es nicht sinnvoll, traditionelle Unterrichtsformen, wie etwa eine Vorlesung an der Universität, mit passivrezeptivem Lernen gleichzusetzen?

46 22 Kapitel 1 Wissenserwerb Vertiefende Literatur Bransford, J., Brown, A., & Cocking, R. (2000). How people learn: Brain, mind, experience, and school. Washington, DC: National Academy Press. Mayer, R. E. & Alexander, P. A. (Eds.) (2011). Handbook of research on learning and instruction. New York, NY: Routledge. Literatur Aamodt, A., & Nygård, M. (1995). Different roles and mutual dependencies of data, information, and knowledge An AI perspective on their integration. Data & Knowledge Engineering, 16, Ainsworth, S. E., & Loizou, A. T. (2003). The effects of self explaining when learning with text or diagrams. Cognitive Science, 27, Aleven, V., & Koedinger, K. R. (2002). An effective meta cognitive strategy: Learning by doing and explaining with a computer based Cognitive Tutor. Cognitive Science, 26, Alexander, P. A. (1997). Mapping the multidimensional nature of domain learning: the interplay of cognitive, motivational, and strategic forces. 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48 24 Kapitel 1 Wissenserwerb Schmidt, H. G., de Grave, W. S., De Volder, M. L., Moust, J. H. C., & Patel, V. L. (1989). Explanatory models in the processing of science text: The role of prior knowledge activation through small group discussion. Journal of Educational Psychology, 81, Schnotz, W. (2005). An integrated model of text and picture comprehension. In R. Mayer (Hrsg.), Cambridge handbook of multimedia learning (S ). Cambridge, UK: Cambridge University Press. Schnotz, W. (2010). Textverstehen. In D. H. Rost (Hrsg.), Handwörterbuch Pädagogische Psychologie (4. Aufl. S ). Weinheim: Beltz. Schwonke, R., Renkl, A., Krieg, K., Wittwer, J., Aleven, V., & Salden, R. (2009). The worked example effect: Not an artefact of lousy control conditions. Computers in Human Behavior, 25, Schworm, S., & Renkl, A. (2007). Learning argumentation skills through the use of prompts for self explaining examples. Journal of Educational Psychology, 99, Siegler, R. S., & Jenkins, E. (1989). How children discover strategies. Hillsdale, NY: Erlbaum. Skinner, B. F. (1954). The science of learning and the art of teaching. Harvard Educational Review, 24, Stahl, G., Koshmann, T., & Suthers, D. D. (2006). Computer supported collaborative learning. In R. K. Sawyer (Hrsg.), Cambridge handbook of the learning sciences (S ). New York, NY: Cambridge University Press. Sweller, J., van Merriënboer, J. J. G., & Paas, F. G. (1998). Cognitive architecture and instructional design. Educational Psychology Review, 10, Tamir, P. (1996). Discovery learning and teaching. In E.de Corte, & F. E. Weinert (Hrsg.), International encyclopedia of developmental and instructional psychology (S ). Exeter, UK: Pergamon. Tarmizi, R. A., & Sweller, J. (1988). Guidance during mathematical problem solving. Journal of Educational Psychology, 80, van Dijk, T. A., & Kintsch, W. (1983). Strategies of discourse comprehension. New York, NY: Academic Press. van Joolingen, W. R., de Jong, T., & Dimitrakopoulou, A. (2007). Issues in computer supported inquiry learning in science. Journal of Computer Assisted Learning, 23, van Merriënboer, J. J. G., & Kester, L. (2005). The four component instructional design model: Multimedia principles in environments for complex learning. In R. E. Mayer (Hrsg.), The Cambridge handbook of multimedia learning (S ). Cambridge, UK: Cambridge University Press. Veenman, M. V. J., Van HoutWolters, B. H. A. M., & Afflerbach, P. (2006). Metacognition and learning: Conceptual and methodological considerations. Metacognition and Learning, 1, Verschaffel, L., Greer, B., & de Corte, E. (2000). Making sense of word problems. Lisse, NL: Swets & Zeitlinger. vom Hofe, R. (2001). Mathematik entdecken neue Argumente für entdeckendes Lernen. mathematik lehren, 105, 4 8. Vygotsky, L. S. (1978). Mind in society. The development of higher psychological processes. Cambridge, MA: Harvard University Press. Weinberger, A., Stegmann, K., & Fischer, F. (2007). Knowledge convergence in collaborative learning: concepts and assessment. Learning and Instruction, 17, Weinstein, C. F., & Mayer, R. (1986). The teaching of learning strategies. In M. C. Wittrock (Hrsg.), Handbook of research on teaching (3. Aufl. S ). New York: Macmillan

49 25 2 Intelligenz und Vorwissen Hans Gruber, Eleni Stamouli 2.1 Eine geheimnisvolle, aber wichtige Sache: epistemologische Überzeugungen Über die Relevanz epistemologischer Überzeugungen im schulischen Kontext Grundlegendes: Intelligenztheorien, Wissenstheorien Grundlegendes zur Intelligenzforschung Grundlegendes zur Wissenspsychologie Zusammenspiel von Intelligenz und Wissen als Gegenstand der Pädagogischen Psychologie Intelligentes Wissen Franz Weinerts Sicht auf das Zusammenspiel von Intelligenz und Wissen Ability Determinants of Skilled Performance Philip Ackermans Sicht auf das Zusammenspiel von Intelligenz und Wissen Triarchische Theorie der Intelligenz und praktische Intelligenz Robert Sternbergs Sicht auf das Zusammenspiel von Intelligenz und Wissen Messung von Intelligenz und Wissen Messung von Intelligenz mit psychometrischer Tradition Messung von praktischer Intelligenz Messung von Wissen Intelligenter Wissenserwerb im Studium Auch eine Frage der epistemologischen Überzeugungen von Dozierenden? 41 Literatur 42 E. Wild, J. Möller (Hrsg.), Pädagogische Psychologie, SpringerLehrbuch, DOI / _2, SpringerVerlag Berlin Heidelberg 2015

50 26 Kapitel 2 Intelligenz und Vorwissen Thema dieses Kapitels ist das Zusammenspiel von Intelligenz und Wissen. Beide Begriffe spielen in der Pädagogischen Psychologie eine wichtige Rolle aber unglücklicherweise werden sie in der Forschung oft voneinander getrennt betrachtet. Dies hat mit den unterschiedlichen wissenschaftstheoretischen Perspektiven und mit der wissenschaftsgeschichtlichen Entwicklung zu tun. Die wichtigsten Forschungsrichtungen werden wir in Abschn. 2.2 besprechen, um die Grundlagen für das Verständnis der Ideen einiger moderner Forscher zu legen, die sich um die Erklärung des Zusammenspiels von Intelligenz und Wissen bemüht haben ( Abschn. 2.3). Verfahren zur Messung von Intelligenz und Wissen ( Abschn. 2.4) nehmen im Studium der Pädagogischen Psychologie einen wichtigen Platz ein. Anschließend wird dargestellt, wie intelligenter Wissenserwerb im Studium aussehen kann ( Abschn. 2.5) (. Abb. 2.1). 2.1 Eine geheimnisvolle, aber wichtige Sache: epistemologische Überzeugungen Befragen Sie sich einmal selbst! Wie sehr können Sie den folgenden Aussagen zustimmen? Geben Sie Ihre Antwort auf einer Skala von 0 (trifft überhaupt nicht zu) bis 5 (trifft voll und ganz zu). Einige Personen können von Natur aus gut lernen, andere haben damit Schwierigkeiten. Genialität hat mehr mit harter Arbeit als mit Intelligenz zu tun. Wenn Wissen einmal erworben ist, bleibt es unverändert. Es gibt unumstößliche Wahrheiten. Menschen lernen auf der ganzen Welt gleich. sein Wissen nicht zeigt, weiß auch nichts. Wer Können Sie sich vorstellen, dass andere Menschen diese Fragen ganz anders beantworten als Sie? Weshalb ist dies so? Weil diese Menschen ein anderes Fach studieren? Weil sie mehr wissen? Weil sie älter sind? Weil sie von einem anderen Teil der Erde kommen? Weil sie andere Erfahrungen gemacht haben? Weil sie weniger intelligent sind? Wenn Sie sich mit diesen Fragen gründlich auseinandergesetzt haben, sind Sie schon weiter als die meisten Ihrer Mitmenschen Sie haben schon eine Ahnung, dass die Vorstellungen von Menschen über die Natur von Wissen (man nennt solche Vorstellungen epistemologische Überzeugungen; Schommer, 1990) sehr unterschiedlich sein können und dass sie eng damit zusammenhängen, wie man neuem Wissen begegnet, aber auch damit, wie man sich den Zusammenhang von Intelligenz und Wissen vorstellt. Diese subjektiven Vorstellungen über die Objektivität, die Richtigkeit oder die Aussagekraft von Wissen.. Abb. 2.1 beeinflussen Informationsverarbeitung, Lernverhalten, Lernmotivation und Lernleistung. Sie spielen sowohl im Alltagsleben als auch in Studium und Beruf eine wichtige Rolle. Menschen mit ausgefeilteren epistemologischen Überzeugungen gehen überlegter an den Erwerb und die Nutzung ihres Wissens heran, sie schöpfen das Potenzial besser aus, das Lerngelegenheiten bieten, sie beteiligen sich aktiver am eigenen Lernprozess ( Kap. 1). Kurzum: Sie gehen intelligenter mit ihrem Wissen um. Definition Unter epistemologischen Überzeugungen ( epistemological beliefs ) werden die Annahmen einer Person über die Natur des Wissens verstanden. Epistemologische Überzeugungen bezeichnen also subjektive Vorstellungen über die Objektivität, die Richtigkeit, die Aussagekraft oder die Herkunft von Wissen. Um die Sache vollends kompliziert zu machen, aber auch, um Sie zur vertieften Auseinandersetzung mit den Inhalten des Kapitels anzuregen, bringen wir zum Schluss noch den Gedanken ins Spiel, dass natürlich auch Lehrende epistemologische Überzeugungen besitzen. Diese können großen Einfluss darauf nehmen, wie sie das Lernen ihrer Studierenden in Gang setzen wollen überlegen Sie selbst, ob die epistemologischen Überzeugungen von Studierenden und ihren Dozierenden immer (oder auch nur manchmal) Hand in Hand gehen! Über die Relevanz epistemologischer Überzeugungen im schulischen Kontext Die ersten Forschungsergebnisse zu epistemologischen Überzeugungen entstanden Mitte der 1950erJahre. Seitdem gewannen epistemologische Überzeugungen im Kon

51 2.1 Eine geheimnisvolle, aber wichtige Sache: epistemologische Überzeugungen 27 2 text von Wissenserwerb und vermittlung in der psychologischen und pädagogischen Forschung an Bedeutung, vor allem im Bereich der Unterrichtsforschung und Lehrerprofessionalisierung. Köller, Baumert und Neubrand definieren epistemologische Überzeugungen als Vorstellungen, die Personen über das Wissen und den Wissenserwerb generell oder in spezifischen Domänen entwickeln (Hofer & Pintrich, zitiert nach Köller, Baumert & Neubrand, 2000, S. 230). Diese Definition verdeutlicht, dass epistemologische Überzeugungen zunächst unabhängig von den Inhalten sind und allgemein in einzelnen Wissenschaftsdisziplinen gebildet werden können. Hinter dem Konzept der epistemologischen Überzeugung steht die Vorstellung, dass jede Person Annahmen über das Verhalten anderer entwickelt was diese wahrnehmen, denken, fühlen und warum und mit welchen Konsequenzen sie es tun (Dann, 1994). Im Gegensatz zu subjektiven Theorien, die eher allgemeine Überzeugungssysteme erfassen, betreffen epistemologische Überzeugungen die Vorstellung des Menschen über die Struktur des Wissens und Lernens, beispielsweise über die Veränderbarkeit von Intelligenz. Es ist also nicht nur das Wissen, das epistemologische Überzeugungen ausmacht, sondern auch der Umgang damit (Kuhn, Cheney & Weinstock, 2000; Abschn. 1.1). Die subjektiven Lernkonzepte lassen sich von den epistemologischen Überzeugungen insofern abgrenzen, als sie eine Spezifizierung auf das Lernen vornehmen und sich nicht allgemein auf das Wissen beziehen. Zwar können epistemologische Überzeugungen Konzepte über das eigene Lernen mit einbeziehen, beschränken sich aber nicht darauf, sondern berücksichtigen einen umfangreichen Rahmen von Einflussfaktoren. Eine Vielzahl von Faktoren kann im schulischen Kontext exemplarisch genannt werden: der Einfluss individueller Überzeugungen von Lehrenden auf das Verständnis von LehrLernProzessen, die Wahrnehmung von und der Umgang mit Differenzen von Kindern und Jugendlichen oder wie ihre individuellen Überzeugungen die Bewertung von Leistungen beeinflussen. Zahlreiche empirische Studien lassen auf einen Zusammenhang zwischen den epistemologischen Überzeugungen der Lehrenden und ihrem pädagogischen Handeln schließen (Hofer, 2001). Das Lehrerhandeln beeinflusst wiederum die epistemologischen Überzeugungen zu Wissen bei den Lernenden (Buelens, Clement & Clarebout, 2002; Hofer, 2004) und wirkt somit auf die Wahl der Lernstrategien (Köller, Baumert & Neubrand, 2000), den Lernerfolg (Urhahne & Hopf, 2004) und die Motivation (Urhahne, 2006). Als Rüstzeug für diese Überlegungen präsentieren wir nun einen Überblick über die wichtigsten Arbeiten zum Konzept der epistemologischen Überzeugungen (für ausführliche und sehr lesenswerte Darstellungen s. Hofer & Pintrich, 1997, 2002). Zu dieser Forschung stand Piaget Pate, der sich bereits seit Anfang der 1920erJahre mit der Entwicklung von Erkenntnisstrukturen beschäftigt hatte (Piaget, 1936). Sein genetisches Modell der intellektuellen Entwicklung sieht eine ständige kognitive Höherentwicklung im Kindesalter vor. Piaget ging von einer Aufeinanderfolge von Entwicklungsstufen aus, die jeweils durch eine spezifische Denkstruktur gekennzeichnet sind. Auf dieser Grundlage formulierte Piagets Schüler Perry (1970) den ersten großen Forschungsansatz über epistemologische Überzeugungen. Die in der Folgezeit entstandenen Konzeptionen über epistemologische Überzeugungen wurden durch Perrys Arbeit inspiriert, sei es, dass sie seine Auffassung weiter entwickelten, sei es, dass sie sich kritisch von ihm absetzten. Der von Perry erhobene allgemeine Gültigkeitsanspruch wurde in Frage gestellt; dies führte zu einer konstruktiven Fortentwicklung der theoretischen Grundlagen zu epistemologischen Überzeugungen. Im Folgenden wird zunächst der Ansatz von Perry umrissen, der anschließend mit einem neueren Zugang von Schommer (1990) kontrastiert wird. Perrys Modell der intellektuellen und ethischen Entwicklung Der amerikanische Psychologe Perry war ursprünglich an Fragen von Autoritätshörigkeit und Persönlichkeit interessiert. Dies umschloss auch das Phänomen, dass das, was Autoritäten sagen, als richtig anerkannt wird, als gültiges Wissen. Perry (1970) meinte, die Entwicklung von epistemologischen Überzeugungen hänge weniger von allgemeinen Persönlichkeitsmerkmalen ab als vielmehr von der Ausprägung intraindividueller kognitiver Prozesse. Zur Überprüfung seiner Überlegungen entwickelte er die Checklist of Educational Values (CLEV), die in Untersuchungen bei amerikanischen CollegeStudierenden eingesetzt wurde. Spätere Instrumente zur Erhebung epistemologischer Überzeugungen bauen zum Teil auf der CLEV auf. Mit ausgewählten Versuchspersonen führte Perry (1970) nach der Bearbeitung der CLEV ausführliche Interviews durch. Basierend auf diesen Daten nahm er in seinem Stufenmodell an, der Mensch entwickle stetig neue qualitative Vorstellungen von der Organisation des Wissens. Er formulierte ein Entwicklungsschema, in dem neun Elemente in vier Kategorien zusammengefasst sind. Epistemologische Kategorien nach Perry Dualism: Es wird von einer absoluten Wahrheit ausgegangen, Dinge gelten als entweder richtig oder falsch, gut oder schlecht (SchwarzWeißPosition). Multiplicity: Es wird von drei möglichen Kategorien ausgegangen: richtig, falsch oder noch nicht bekannt. Unsicherheiten werden akzeptiert, aber es

52 28 Kapitel 2 Intelligenz und Vorwissen Die meisten anspruchsvollen Aufgaben erfordern sowohl den Rückgriff auf Wissen als auch den Einsatz intelligenwird angenommen, dass sich diese Unsicherheiten im Prinzip in Zukunft auflösen lassen. Contextual Relativism: Wissen wird als relativ und kontextbezogen angesehen. Es wird anerkannt, dass nur Weniges eindeutig richtig oder falsch ist, und dass die Aneignung von Wissen ein aktivkonstruktiver Prozess ist. Commitment within Relativism: Es wird Verantwortung für die eigene Konstruktion von Wissensaneignungs und Lernprozessen übernommen, die individuelle Annahme der Richtigkeit oder Wichtigkeit von Wissen wird moralischethisch begründet. Perry (1970) nahm an, dass ein Übergang zu einer höheren Kategorie durch ein kognitives Ungleichgewicht als Reaktion auf Umwelteinflüsse ausgelöst werde. Er postulierte eine fortlaufende Höherentwicklung hin zu reiferen epistemologischen Überzeugungen. Ausgehend von der Annahme absoluter Wahrheiten gelange der Mensch über die Akzeptanz vielfältiger Vorstellungen hin zu der Konzeption einer kontextabhängigen Wahrheit, die in relativen Wissensbegriffen und schließlich in der Verantwortungsübernahme für diese relative Position mündet. Schommers Modell unabhängiger Dimensionen Schommer (1990) entwickelte einen völlig neuartigen Ansatz zur Analyse epistemologischer Überzeugungen, der sich von der Vorstellung einer klaren Abgrenzung in verschiedene Entwicklungsphasen löste. Sie entwarf ein System von fünf relativ unabhängigen Dimensionen, die sie mithilfe eines Fragebogens ( Epistemological Questionnaire ) untersuchte. Die Dimensionen dieses Fragebogens sind mit Beispielitems im folgenden Kasten aufgeführt. Epistemologische Dimensionen nach Schommer Quick Learning: Lernen erfolgt schnell oder schrittweise. Beispielitem: Ein schwieriges Kapitel immer und immer wieder zu lesen, hilft wenig, es zu verstehen. Fixed Ability: Lernfähigkeit ist angeboren oder veränderbar. Beispielitem: Unterschiede in der Lernfähigkeit sind angeboren. Simple Knowledge: Wissen besteht aus isolierten, einfachen Fakten oder aus einem komplexen, vernetzten System. Beispielitem: Die meisten Wörter haben eine klare Bedeutung. Certain Knowledge: Wissen ist sicher oder unsicher. Beispielitem: Wahrheit ändert sich nicht. Source of Knowledge: Wissen wird von Autoritäten vermittelt oder selbst aktiv konstruiert. Beispielitem: Bei schwierigen Entscheidungen würde ich es am liebsten haben, wenn jemand mir sagen könnte, was richtig ist. Aktuelle Entwicklungen in der Forschung zu epistemologischen Überzeugungen basieren fast ausschließlich auf Schommers Annahme, dass es sich hierbei um ein Konstrukt handelt, das aus einer Reihe verschiedener Facetten zusammengesetzt ist. Aus pädagogischpsychologischer Sicht ist dies einleuchtend, denn im Gegensatz zu Reifungs und Entwicklungsprozessen, wie sie bei Perry angenommen werden, kann die Veränderung dieser Facetten gelernt, geübt und verbessert werden. Die hier angesprochene generelle Frage nach den Spielräumen für Veränderung durch Erziehung (Gruber, Prenzel & Schiefele, in Druck) ist vielschichtig. Die AnlageUmweltDebatte findet, soweit es um die Förderung komplexer intellektueller Fähigkeiten geht, vor allem zwischen der (Hoch)Begabungsforschung und der Expertiseforschung statt als zwei unterschiedlichen, aber doch eng aufeinander bezogenen Forschungstraditionen in der Pädagogischen Psychologie. Beide verbindet das Interesse an der Beschreibung, Erklärung und Förderung hervorragender menschlicher Leistung in komplexen, anspruchsvollen Bereichen (Gruber, 2007). Die Begabungsforschung ist vor allem an grundlegenden, oft angeborenen Fähigkeiten etwa der Intelligenz interessiert, die schon im Kindes und Jugendalter beobachtbar sind. Dagegen beschäftigt sich die Expertiseforschung vorrangig mit fortgeschrittenen Leistungen Erwachsener in beruflichen oder künstlerischen Domänen. Entsprechend wird Lern und Übungsprozessen sowie dem Aufbau einer umfangreichen, gut organisierten Wissensbasis die größte Aufmerksamkeit geschenkt. Zwar wird in diesem Kapitel die AnlageUmweltDiskussion nicht explizit aufgegriffen, aber das Zusammenspiel beider Aspekte in der Beschreibung und Förderung von Lernprozessen, das mit dem Begriff des Dreiecks von Begabung, Wissen und Lernen (Waldmann, Renkl & Gruber, 2003) gekennzeichnet werden kann, spielt in Abschn. 2.3 eine große Rolle. 2.2 Grundlegendes: Intelligenztheorien, Wissenstheorien

53 2.2 Grundlegendes: Intelligenztheorien, Wissenstheorien 29 2 Exkurs Smart is fast! Überall auf der Welt? Sternberg, Conway, Ketron und Bernstein (1981) untersuchten, welche Auffassungen Menschen vom Wesen und von der Natur von Intelligenz haben. Sie fanden, dass in den USA die Auffassung Smart is fast! sehr verbreitet war hohe Werte in den Attributen Lernt schnell, Handelt rasch oder Trifft rasch Entscheidungen wurden oft als Kennzeichen intelligenter Personen genannt. Aber: In vielen südamerikanischen Ländern wurden intelligente Leute fast nie mit solchen Attributen in Verbindung gebracht. Sternberg, Kaufman und Grigorenko (2008) wiesen eindringlich darauf hin, dass viele Intelligenztheorien die Auffassung der befragten USBürger teilen. Es gibt eine Reihe von Intelligenztheorien, in denen Geschwindigkeit eine große Rolle spielt sei es als grundlegende Reaktionsgeschwindigkeit, sei es als Geschwindigkeit der Mustererkennung und differenzierung, sei es in der Form schneller Entscheidungen. Dies spiegelt sich in der Operationalisierung von Intelligenz wider, wenn etwa im Choice ReactionTimeParadigma eine möglichst große Anzahl einfacher Entscheidungen möglichst rasch getroffen werden soll. Das Problem ist nicht so sehr, dass es keine guten Gründe (und empirischen Belege) für Smart is fast! gibt, sondern vielmehr, dass die Abhängigkeit dieser Annahme vom Kontext, in dem eine intelligente Leistung zu erbringen ist, nicht thematisiert wird. Die Grenzen der Tauglichkeit einer theoretischen Auffassung von Intelligenz zeigen sich dann manchmal dramatisch, wenn hoch intelligente Personen in einen ungewohnten Kontext kommen. Die Bewältigung selbst elementarer, überlebenswichtiger Anforderungen fällt einem intelligenten Westeuropäer oder Nordamerikaner oft schwer, wenn er sich unversehens im südostasiatischen Dschungel wieder findet. ter Problemlöseverfahren. Intelligenz und Wissen sind methodisch voneinander zu trennen, aber inhaltlich aufs Engste verbunden. Da in der Psychologie die beiden Begriffe Gegenstand zweier unterschiedlicher Forschungstraditionen sind, wurden sie dennoch separat voneinander analysiert; die empirischen Designs sahen es sogar oft vor, dass man den Einfluss des jeweils anderen Konstrukts als Störung auffasste und auszuschalten oder zumindest zu kontrollieren versuchte. So wird in wissenspsychologischen Arbeiten oft auf die Verwendung innovativer oder schlecht definierter Aufgaben verzichtet, in der Intelligenzforschung werden oft möglichst inhaltsfreie bzw. gar kulturfaire Aufgaben verwendet (Gruber, Mack & Ziegler, 1999). Der Wissenspsychologie geht es beispielsweise darum, wie Sachverhalte im Gedächtnis organisiert und repräsentiert sind (man spricht dann von deklarativem Wissen) oder wie Handlungswissen (prozedurales Wissen) entsteht und angewandt wird (Mandl & Spada, 1988). In der Intelligenzforschung wird oft thematisiert, wie sich Personen rasch mit neuartigen Denkaufgaben zurechtfinden, welche Fähigkeiten sie also bezüglich intellektueller Operationen wie Analysieren, Synthetisieren, Generalisieren, Induzieren, Deduzieren, Abduzieren oder Abstrahieren besitzen. Bevor wir uns damit beschäftigen, wie beide Herangehensweisen miteinander verschränkt werden können, wollen wir die Grundzüge und die wichtigsten Begriffe der Intelligenzforschung und der Wissensforschung behandeln Grundlegendes zur Intelligenzforschung Im Verlauf einer über 100jährigen Forschung wurden verschiedene Antworten auf die Frage Was ist Intelli genz? gegeben. Und das ist gut so, denn eine so komplexe menschliche Angelegenheit wie Intelligenz hat so viele Facetten, wird von so vielen Faktoren beeinflusst und zieht so viele Auswirkungen nach sich, dass unterschiedliche theoretische Ansätze natürlich unterschiedliche Schwerpunkte setzen. Wer aus der Unterschiedlichkeit der Definitionen folgert, eine müsse richtig sein, die anderen hingegen falsch, belegt, dass er kein ausgereiftes Verständnis von Wissen und Wissenschaft hat, also keine weit entwickelten epistemologischen Überzeugungen ( Exkurs Smart is fast Überall auf der Welt? ). Bevor eine solche Schlussfolgerung gezogen wird, in der scheinbar unterschiedliche Antworten auf dieselbe Forschungsfrage bewertet werden, sollte man genau überprüfen, ob es nicht vielmehr so ist, dass die Forscher unterschiedliche Fragen gestellt haben! Definition Intelligenz ist die Fähigkeit eines Menschen zur Anpassung an neuartige Bedingungen und zur Lösung neuer Probleme auf der Grundlage vorangehender Erfahrungen im gesellschaftlichen Kontext. Die weitaus meisten Forschungsarbeiten zur Intelligenz beschäftigten sich damit, die Struktur dieser Fähigkeit genauer aufzuschlüsseln; solche Arbeiten werden der psychometrischen Forschung zugeordnet. Die Suche nach der Struktur der Intelligenz erfolgt zumeist mithilfe faktorenanalytischer Methoden, mit denen Gemeinsamkeiten der Anforderungen unterschiedlicher Indikatoren für intelligentes Handeln herausgeschält werden. Oft handelt es sich bei diesen Indikatoren um Denk oder Problemlöseaufgaben; solche Aufgaben wurden in der kognitiven Psychologie dazu verwendet, um die Informationsverarbeitungsprozesse von Menschen bei ihrer Bearbeitung

54 30 Kapitel 2 Intelligenz und Vorwissen Diese Fähigkeiten sind mittlerweile als Primärfaktoren bekannt. Ihre Unabhängigkeit konnte jedoch nicht empirisch abgesichert werden; die Korrelationen zwischen ihnen waren stets von bedeutsamer Größe. Wurden die Primärzu analysieren. Es ist erstaunlich, wie wenig Berührungspunkte die psychometrische und die kognitionspsychologische Forschung haben. In Abschn. 2.3 werden wir uns mit einigen Versuchen auseinandersetzen, die beide Richtungen verknüpfen. Da aber die psychometrische Forschung die Auffassung von der Natur der Intelligenz am stärksten beeinflusste und noch immer beeinflusst, richten wir unser Augenmerk in den nächsten Abschnitten zunächst hierauf. Eine der grundlegenden Fragestellungen der psychometrischen Intelligenzforschung ist, ob und in welchem Maße sich Intelligenz als einheitliche Fähigkeit darstellt oder ob sie aus mehreren Faktoren besteht. In der Forschung findet man eine Klassifikation in globale Intelligenzmodelle, Strukturmodelle und hierarchische Intelligenzmodelle. Globale Intelligenzmodelle Binet und Simon (1905) gelten als die Urväter der psychometrischen Intelligenzforschung. Sie sahen Intelligenz als eine ganzheitliche und homogene Fähigkeit an. Ihr Stufenmodell geht davon aus, dass normal intelligente Kinder ihrer Altersstufe entsprechende Aufgaben mit hoher Wahrscheinlichkeit lösen können. Sie setzen also das Intelligenzalter (IA) der Kinder mit ihrem Lebensalter (LA) in Bezug. Übertreffen Kinder die altersgemäßen Anforderungen, ist ihr IA größer als ihr LA; werden altersgemäße Aufgaben nicht gelöst, ist das IA kleiner als das LA. Dieses Verfahren hat einen Nachteil: Es zeigte sich, dass Unterschiede zwischen LA und IA umso stärker ins Gewicht fallen, je jünger das Kind ist. Um diesem Problem entgegenzuwirken, entwickelte William Stern (1911, 1912) den Klassiker der Intelligenzforschung, den Intelligenzquotienten (IQ). Er bezeichnet den Quotient aus IA und LA einer Person. Definition Intelligenzquotient (IQ) einer Testperson: Quotient aus dem Intelligenzalter (IA) und dem Lebensalter (LA) der Testperson. Intelligenzalter (IA) einer Testperson: Lebensalter derjenigen Altersgruppe, die im Durchschnitt die gleiche Zahl und Art von Aufgaben löst wie die Testperson. Abkömmlinge des klassischen IQ werden auch heute noch verwendet. Aus theoretischen Gründen wird der Wert jedoch in der Regel standardisiert, also auf Standardnormen bezogen. Der Intelligenzquotient bezeichnet dann einen an Mittelwert und Standardabweichung einer repräsentativen Bezugsgruppe standardisierten Wert. Am häufigsten werden ein Mittelwert von 100 Punkten und eine Standardabweichung von 15 Punkten gewählt. s 7 Strukturmodelle der Intelligenz Strukturmodelle der Intelligenz stellen Intelligenz als eine Fähigkeit dar, die sich aus mehreren Komponenten zusammensetzt (Süß, 2003). Das bereits 1904 von Spearman entwickelte ZweiFaktorenModell lehnt sich an die Idee eines globalen Intelligenzmodells an, da es auf der Vorstellung eines Generalfaktors (gfaktors) als Ausdruck der allgemeinen Intelligenz beruht. Zudem gibt es aber, wie in. Abb. 2.2 symbolisch angedeutet wird, Spezialfaktoren (sfaktoren) wie z. B. sprachliches Können oder mathematische Begabung neben dem gfaktor, die faktorenanalytisch identifiziert wurden. An jeder intelligenten Aufgabenlösung sind nach dem ZweiFaktorenModell der gfaktor und mindestens ein sfaktor beteiligt. Die Existenz eines Generalfaktors wurde wenngleich etwas widerwillig von Thurstone (1938; Thurstone & Thurstone, 1941) in seinem Primärfaktorenmodell übernommen. Er vermutete, dass mehrere voneinander unabhängige Fähigkeiten identifizierbar seien: Sprachverständnis Wortflüssigkeit Rechenfertigkeit Gedächtnis Raumvorstellung mechanisches Wahrnehmungsgeschwindigkeit Induktion, Schlussfolgern s 1 s 2 s 6 s 3 s 5 Anmerkung zu den Abkürzungen: g = gfaktor (Generalfaktor); S 1 S 7 = Spezialfaktoren.. Abb. 2.2 Das ZweiFaktorenModell von Spearman. (Modifiziert nach Asendorpf & Neyer, 2012, S. 149) g s 4

55 2.2 Grundlegendes: Intelligenztheorien, Wissenstheorien 31 2 faktoren selbst einer Faktorenanalyse unterzogen, schälte sich ein übergeordneter gemeinsamer Faktor heraus eben jener von Spearman postulierte gfaktor. Ein eigenständiges Strukturmodell ist das StructureofIntellect Modell von Guilford (1967), in dem versucht wird, eine systematische Ordnung zwischen einer Vielzahl von Einzelfaktoren herzustellen. Dabei wird zwischen fünf Operationen (Kognition, Gedächtnis, divergierendes Denken, konvergierendes Denken, Evaluation), sechs Produkten (Einheiten, Klassen, Relationen, Systeme, Transformationen, Implikationen) und vier Inhalten unterschieden (figürlich, symbolisch, semantisch, behavioral). Da diese Komponenten beliebig kombinierbar sind, ergeben sich = 120 verschiedene mentale Fähigkeiten. Die empirische Separierbarkeit der theoretisch postulierten 120 Intelligenzkomponenten stellt natürlich ein fast unlösbares Problem dar. Hierarchische Modelle Aufbauend auf dem in den Strukturmodellen deutlich gewordenen Verhältnis zwischen Generalfaktor und Einzelfaktoren wurde eine Reihe von Intelligenzmodellen entwickelt, denen eine hierarchische Ordnung von Intelligenzkomponenten zugrunde liegt. Auf der obersten Ebene steht der Generalfaktor, der die allgemeine Intelligenz erfasst. Dieser wird in Teilkomponenten aufgespalten. Beispielsweise unterscheidet Cattell (1963, 1971) zwischen der fluiden und kristallinen Intelligenz. Die fluide Intelligenz bezieht sich auf die Basisprozesse des Denkens sowie anderer mentaler Aktivitäten und ist überwiegend genetisch determiniert. Die kristalline (bzw. kristallisierte) Intelligenz dagegen bringt die Bedeutung der bisherigen Lernerfahrungen für das intellektuelle Handeln eines Menschen zum Ausdruck und ist überwiegend kulturabhängig. Recht bekannt ist auch die von Wechsler (1958) vorgeschlagene Differenzierung zwischen sprachlicher Intelligenz (verbale Intelligenz) und Handlungsintelligenz ( praktische Intelligenz). Sie liegt den wohl in Deutschland populärsten Intelligenztests zugrunde ( Abschn. 2.4), nämlich dem HamburgWechslerIntelligenztest für Kinder (HAWIK) sowie für Erwachsene (HAWIE). Beides sind Adaptationen der von Wechsler in den USA entwickelten WISC bzw. WAISTests. Exemplarisch für ein neueres hierarchisches Modell sei das Berliner Intelligenzstrukturmodell (BISModell) vorgestellt, dem drei Kernannahmen zugrunde liegen: An jeder Intelligenzleistung sind, neben anderen Bedingungen, alle intellektuellen Fähigkeiten beteiligt, allerdings deutlich unterschiedlich gewichtet. Die Varianz jeder Leistung lässt sich in entsprechende Komponenten zerlegen. Intelligenz und Fähigkeitskonstrukte lassen sich unter verschiedenen Aspekten (Modalitäten) klassifizieren... Abb. 2.3 Berliner IntelligenzstrukturModell. (Jäger et al., 1997, S. 5, mit freundlicher Genehmigung von Hogrefe, Göttingen) Fähigkeitskonstrukte sind hierarchisch strukturiert, d. h., sie lassen sich unterschiedlichen Generalitätsebenen zuordnen. Wie. Abb. 2.3 zeigt, geht das BISModell von zwei Modalitäten aus (Jäger, Süß & Beauducel, 1997), der Modalität des Aufgabenmaterials und der Modalität der kognitiven Prozesse (Operationen). Eine Erweiterung der herkömmlichen psychometrischen Intelligenzmodelle: Emotionale Intelligenz Der Fokus der herkömmlichen psychometrischen Intelligenzforschung auf kognitive Leistungen provozierte eine Reihe von Forschern, auch andere Komponenten in Intelligenzmodelle zu integrieren. Salovey und Mayer (1990) stellten ein Konzept der emotionalen Intelligenz vor, in dem postuliert wird, dass der intelligente Umgang mit den eigenen Emotionen und mit den Emotionen anderer Menschen in vielen Lebensbereichen sowohl privater als auch beruflicher Art, etwa in der ArztPatientKommunikation von hoher Bedeutung ist. Sie initiierten damit eine Forschungsrichtung, die sich einer beträchtlichen Dynamik erfreut, zahlreiche Polemiken auslöst (Asendorpf, 2002; Schuler, 2002), theoretische und methodische Fragen aufwirft und Wissenschaftler wie Laien zur Suche nach neuen konzeptionellen Lösungen und Anwendungsmöglichkeiten inspiriert (BarOn, 2000; Petrides, Frederickson & Furnham, 2004; Kap. 9).

56 32 Kapitel 2 Intelligenz und Vorwissen Multiple Intelligenzen: Gardners Intelligenzkonzeption Die Theorie emotionaler Intelligenz nimmt eine inhaltlich eng umrissene Neukonzeption des Intelligenzbegriffs vor. Unter anderen Versuchen, den Begriff der Intelligenz auszuweiten, erlangte vor allem die Theorie der multiplen Intelligenzen (Gardner, 1983) große Bekanntheit. Gardner postulierte acht Typen von Intelligenz, die jeweils voneinander unabhängig sein sollen und sich zu einem modularen Gesamtkonzept von Intelligenz verknüpfen: linguistische Intelligenz logischmathematische Intelligenz visuellräumliche Intelligenz musikalische Intelligenz körperlichkinästhetische Intelligenz interpersonale Intelligenz intrapersonale Intelligenz Intelligenz naturalistische In manchen Publikationen wurden auch existenzielle und spirituelle Intelligenz genannt (Gardner, 2006). Gardners Konzeption beruht weitgehend auf theoretischen Überlegungen; überzeugende Versuche einer empirischen Bestätigung liegen nicht vor, weder in Bezug auf die Entwicklung hinreichender diagnostischer Verfahren noch auf den Nachweis der postulierten Unabhängigkeit der Typen (Rost, 2008). Seine berufsbezogenen Typisierungen (etwa: Dichter benötigen vor allem linguistische Intelligenz, Bildhauer benötigen vor allem visuellräumliche Intelligenz) ähneln eher Populäraussagen als wissenschaftlichen Annahmen. Das größte Problem an Gardners Konzeption multipler Intelligenzen ist die Verwendung des Begriffs Intelligenz an Stellen, an denen viel besser von Fähigkeit oder gar Fertigkeit die Rede wäre. Dies verweist auf ein ganz anderes Problem der Intelligenzforschung, das oben bereits angesprochen wurde, nämlich dass der psychometrische Ansatz und der kognitive Informationsverarbeitungsansatz bislang nur wenig verknüpft wurden. Bevor Verbindungen zwischen beiden Bereichen in Abschn. 2.3 thematisiert werden, sollen die Grundlagen des Informationsverarbeitungsansatzes illustriert werden. Hierzu wird das Konzept des Vorwissens einer genaueren Analyse unterzogen Grundlegendes zur Wissenspsychologie Ist Intelligenz von Wissen abhängig oder hängt Wissen von Intelligenz ab? Sind Wissen und Intelligenz divergierende oder korrespondierende Begriffe? Die Antwort ist ambivalent. Es gibt zwei Möglichkeiten, mit den täglichen Anforderungen des Lebens erfolgreich umzugehen. Die einfachere von beiden ist, dass man weiß, was zu tun ist. Die schwierigere Methode ist, in der Situation neue Wege zu finden, den Ansprüchen zu begegnen (Gruber, 1999b, S. 94). Die meisten anspruchsvollen Aufgaben erfordern sowohl den Rückgriff auf Wissen als auch den Einsatz intelligenter Problemlöseverfahren. Intelligenz und Wissen sind methodisch voneinander zu trennen, dagegen inhaltlich aufs Engste verbunden. Da aber in der Psychologie die beiden Begriffe Gegenstand zweier unterschiedlicher Forschungstraditionen sind, wurden sie separat voneinander analysiert. Definition Wissen stellt einen relativ dauerhaften Inhalt des Gedächtnisses dar, dessen Bedeutung durch soziale Übereinkunft festgelegt ist. Vom Wissen eines bestimmten Menschen ist in der Regel nur die Rede, wenn er Überzeugung von der Gültigkeit dieses Wissens hat. Wissen wird als eine Menge mentaler Repräsentationen aufgefasst, die Menschen in Zusammenhang mit geeigneten Denkprozessen zur Bewältigung von Aufgaben befähigt. Allgemeiner gesagt, ist Wissen gewissermaßen der Inhalt und Denken gewissermaßen die Form eines kognitiven Prozesses (Gruber et al., 1999, S. 2). In der Wissenspsychologie (Mandl & Spada, 1988) werden vier zentrale Themenbereiche untersucht: Erwerb von Wissen Repräsentation und Organisation von Wissen im Gedächtnis Prozesse des Abrufs von Wissen Anwendung des Wissens beim Denken und Handeln Die enge Verknüpfung des Wissens mit dem Denken und dem Handeln macht es für die Pädagogische Psychologie relevant. Zugleich legt diese Verbindung nahe, dass Wissen und Intelligenz eng miteinander in Bezug stehen. Wie oben bereits angedeutet, wurde dieser Bezug in der Forschung aber lange Zeit nicht hergestellt, da sich Intelligenzforschung und Wissenspsychologie auf der Grundlage unterschiedlicher Paradigmen entwickelten. Erst neuerdings werden Arbeiten zur Intelligenz enger an die Analyse von Informationsverarbeitungsprozessen angelehnt, in denen Wissen eine wichtige Rolle spielt (Mack, 1996). Der Informationsverarbeitungsansatz wurde in den 1950er Jahren seit der kognitiven Wende entwickelt und erlebte in den 1970er Jahren einen großen Aufschwung. In ihm werden jene kognitiven Prozesse, die für Lernen, Wissenserwerb und Leistungsverbesserung wesentlich sind, als Prozesse der Verarbeitung von Information beschrieben:

57 2.2 Grundlegendes: Intelligenztheorien, Wissenstheorien 33 2 Exkurs Zur Bedeutung von Vorwissen Chi (1978) führte eine Studie durch, die große Wellen schlug. Ihre Idee war es, in einer entwicklungspsychologischen Gedächtnisuntersuchung die Bedeutung des Vorwissens plakativ zu demonstrieren. Bis dahin war es unbestrittener State of the Art, dass sich das Gedächtnis bis zum Erreichen des Erwachsenenalters stets verbessert. Diese Überlegenheit Erwachsener schien eher etwas mit Reifungs und Entwicklungsprozessen zu tun zu haben als damit, dass Erwachsene womöglich bessere Erinnernsstrategien besitzen denn auch Kinder, denen die Strategien von Erwachsenen vermittelt wurden, waren Erwachsenen noch unterlegen. Umgekehrt waren selbst solche Erwachsene, bei denen die Anwendung von Gedächtnisstrategien experimentell verhindert wurde, noch immer besser als Kinder. Angeregt durch die in Pittsburgh entstandene Arbeit von Chase und Simon (1973) griff Chi (1978) die Idee auf, dass Expertise beim Schachspielen eng mit dem bereichsspezifischen Vorwissen zusammenhängt. Sie überprüfte, ob dieser Vorwissenseffekt stark genug war, um die entwicklungsgemäße Überlegenheit Erwachsener in der Gedächtnisleistung zu übertrumpfen. Beim Schachspiel ist es möglich, Kinder zu finden, die mehr Vorwissen besitzen als gewöhnliche Erwachsene daher verglich Chi (1978) KinderSchachexperten und erwachsene Schachnovizen sowohl beim freien Erinnern von Zahlenreihen als auch bei der Rekonstruktion kurzzeitig präsentierter Schachstellungen. Die Ergebnisse zeigten, dass Wissen einen gewichtigen Einfluss auf die Gedächtnisleistung hatte und die Alterseffekte ins Gegenteil verkehrte: KinderExperten erinnerten die Schachstellungen viel besser als erwachsene Anfänger! Beim Erinnern der Zahlenreihen schnitten die Erwachsenen hingegen wie üblich besser ab. Der Mensch ist permanent über seine Sinnesorgane neu eintreffender Information ausgesetzt, er nimmt sie wahr und selegiert sie, er behält Teile davon kurz im Gedächtnis, andere Teile längerfristig, er wendet sie bei späteren Gelegenheiten wieder an usw. Gegenstand der Informationsverarbeitungstheorie sind also die Arten von Information, die sich im Gedächtnis befinden, sowie die Prozesse, die sich auf das Aufnehmen, Behalten und Verwenden solcher Information beziehen (Gruber, 1999a). Zunächst wurden Informationsverarbeitungsprozesse vor allem in der Kognitiven Psychologie thematisiert (z. B. Newell & Simon, 1972), seit einiger Zeit nehmen sie aber auch in der Pädagogischen Psychologie breiten Raum ein, was sich beispielsweise in Lehrbüchern zeigt (z. B. Slavin, 1988). Vorwissen Eine Vielzahl von Studien zeigte, dass die Bewältigung komplexer, authentischer Probleme ohne umfangreiches Vorwissen nicht möglich ist ( Exkurs Zur Bedeutung von Vorwissen ). Lernen wurde daher zunehmend als Prozess gesehen, der mit dem Erwerb großer Wissensmengen einhergeht und sich über einen langen Zeitraum erstreckt. Zwischen der Art der Wissensstruktur und den beim Lernen und Problemlösen ablaufenden kognitiven Prozessen wurden enge Verbindungen identifiziert, denn Lernen ist ein ständiges Wechselspiel des Rückgriffs auf Bekanntes und der Bewältigung neuer Situationen. Daraus wurde gefolgert, dass es wichtig sei, bereits früh im Lernprozess den Aufbau von Wissensstrukturen zu fokussieren und dann kontinuierlich an ihrer Entwicklung zu arbeiten, indem beispielsweise das Vorwissen infrage gestellt, mit Beispielen belegt oder falsifiziert wird. Dies hilft, im Verlauf des Lernens eine erfahrungsbasierte Wissensorganisation zu erstellen (Gruber, 1999b). Die Bedeutung des Vorwissens wurde zunächst in gut strukturierten Domänen wie Physik und Schach untersucht; z. B. wurden im Bereich der Physik Probleme mit eindeutiger Lösung vorgelegt, bei deren Bearbeitung die Versuchspersonen laut denken sollten (zur Methode des lauten Denkens s. Ericsson & Simon, 1993). Dadurch konnte der Zusammenhang zwischen Problemlösestrategien und Vorwissen analysiert werden und es zeigte sich, dass sich die Art und Weise, wie das Wissen von Experten in Strategien zum Lösen von Problemen umgesetzt wurde, von der von Anfängern erheblich unterschied. Experten verwendeten häufiger eine Vorwärtssuchstrategie, Anfänger hingegen häufiger eine Rückwärtssuchstrategie. Offenbar antizipieren Experten aufgrund ihres Vorwissens die Richtung der korrekten Lösung und können daher Probleme oft von der Aufgabenstellung ausgehend ( vorwärts ) lösen. Anfänger hingegen müssen permanent Vergleiche zwischen Aufgabenstellung und Lösungsvorschlag durchführen und von einer Lösungsidee rückwärts arbeiten, um zu erkennen, ob damit überhaupt das Ausgangsproblem bearbeitet werden kann. Ein weiterer Befund, der die Bedeutung des Vorwissens unterstreicht, steht in Zusammenhang mit der immer wieder gefundenen Fähigkeit von Experten, Information aus ihrer Domäne sehr gut und schnell zu erinnern: Ein Schachmeister kann eine Schachposition, die er nur für wenige Sekunden gesehen hat, meist perfekt aus dem Gedächtnis rekonstruieren, wohingegen sich ein Anfänger nur an wenige Figuren erinnern kann. Experten können in der präsentierten Information rasch bedeutsame Muster erkennen, die in Bezug zu schon vorhandenem Wissen stehen, sodass es bereits bei der Wahrnehmung von Information zu einem Zusammenspiel von Gedächtnis, Wissen und Erfahrung kommt (Gruber, 1999a). Dabei spielen

58 Kapitel 2 Intelligenz und Vorwissen ChunkingProzesse zur semantischen Verknüpfung von Informationseinheiten eine große Rolle. Definition Chunking ist der Prozess des Bildens bedeutungstragender Informationseinheiten im Arbeits oder Kurzzeitgedächtnis, mit dessen Hilfe erklärt werden kann, weshalb Menschen trotz vergleichbarer Gedächtniskapazität unterschiedlich viel erinnern können. Durch Chunking wird Information verdichtet, indem ursprünglich separate Informationseinheiten durch allgemeine Ordnungsprinzipien oder durch das Einbeziehen von Vorwissen rekodiert und zu größeren Informationseinheiten (die dann Chunks genannt werden) zusammengefasst werden. Chunking Chase und Simon (1973) thematisierten die Unterschiede von ChunkingProzessen von Experten und Novizen beim Schachspielen. In ihrer PatternRecognition Theorie postulierten sie, dass ein Schachmeister viele Chunks aufgrund seiner Erfahrung mit gespielten Partien verfügbar habe in einer Computersimulation gelangten Simon und Gilmartin (1973) zur Schätzung von etwa Chunks, die gut strukturiert im Gedächtnis abgelegt und mit Handlungsvorschlägen eng assoziiert seien. Prozedualisierung von Wissen Damit Wissen anwendbar wird, ist die Umwandlung von Faktenwissen (deklaratives Wissen) in prozedurales Wissen notwendig. Der Prozess der Prozeduralisierung von Wissen ist das Kernstück der ACT*Theorie (gesprochen: ACTStarTheorie, Adaptive Control of Thought Theory ), in der die weitgehende Automatisierung von Fertigkeiten modelliert wird (Anderson, 1982). Mit der Umwandlung deklarativen Wissens in prozedurales wird die kapazitäts und zeitaufwendige Bearbeitung von Faktenwissen (Aufnahme, Speicherung, Abruf und Nutzung) durch automatisierte Prozeduren ersetzt. Diese Prozeduren entstehen aufgrund erfolgreich bewältigter Lernsituationen und laufen ohne weitere bewusste Planung ab; sie stellen somit sehr schnelle und wenig aufwendige Reaktionen dar. Prozedurales Wissen ist in der ACT*Theorie in Form von WenndannRegeln (Produktionsregeln) modelliert, die zu unmittelbarer Handlungsinitiierung führen. Fertigkeitserwerb und Lernen finden im ACT*Modell in drei Stufen statt: Deklarative Stufe: Deklaratives Wissen wird (aufwendig) erworben. Stufe der Kompilation: Deklaratives Wissen wird in leistungsstarkes prozedurales Wissen umgewandelt. Stufe des Tuning: Prozedurales Wissen wird in der Praxis fein abgestimmt, indem erfolgreiche Regeln gestärkt und erfolglose Regeln getilgt werden. Mit der Unterscheidung von deklarativem und prozeduralem Wissen wird nicht angestrebt, die eine oder andere Form als besser oder besonders wertvoll zu bezeichnen. Sie ist aber wichtig, um eine differenzierte Analyse von Stärken und Defiziten im Handeln von Individuen vornehmen zu können und damit eine Voraussetzung dafür, ein genaueres Verständnis angestrebter LehrLernProzesse zu erwerben, denn unterschiedliche Wege des Lehrens und Lernens sind vonnöten, um den Erwerb verschiedener Wissensarten zu fördern. Der differenzierten Unterscheidung verschiedener Wissensformen kommt daher gerade in der Pädagogischen Psychologie große Bedeutung zu. Wissensformen De Jong und FergusonHessler (1996) klassifizierten 20 Wissensformen in einer 4 5Matrix mit den beiden Dimensionen Wissensart und Wissensmerkmal ( Übersicht). Darstellung von Wissensformen nach De Jong und FergusonHessler (1996) Wissensarten 1. Situationales Wissen ist Wissen über Situationen, die in bestimmten Domänen typischerweise auftauchen, sowie über darin üblicherweise zu beachtende Information. 2. Konzeptuelles Wissen ist statisches Wissen über Fakten, Begriffe und Prinzipien. 3. Prozedurales Wissen ist Wissen über Handlungen, die zum gewünschten Erfolg führen. 4. Strategisches Wissen ist metakognitives Wissen über die Gestaltung des eigenen Problemlöseverhaltens und über Handlungspläne. Wissensmerkmale 1. Der hierarchische Status von Wissen hat die Extremwerte oberflächlich vs. tief verarbeitet. 2. Die innere Struktur von Wissen hat die Extremwerte isolierte Wissenseinheiten vs. vernetztes Wissen. 3. Der Automatisierungsgrad ist der Anteil intentionaler, angestrengter Informationsverarbeitung mit den Extremwerten deklarativ (explizites Faktenwissen) und kompiliert (routiniertes, automatisiertes Prozedurenwissen). 4. Die Modalität von Wissen deutet an, ob Wissen vorteilhafter als bildlich oder als propositionalanalytisch dargestellt wird. 5. Der Allgemeinheitsgrad beschreibt, ob Wissen eher generell oder eher domänenspezifisch ist.

59 2.2 Grundlegendes: Intelligenztheorien, Wissenstheorien 35 2 Darstellung von Wissensformen nach De Jong und FergusonHessler (1996, S. 111) als Matrix, in der Wissensmerkmale und Wissensarten aufeinander bezogen sind (modifiziert mit freundlicher Genehmigung von Taylor & Francis Ltd., Wissensarten Situationales Wissen Wissensmerkmale Konzeptuelles Wissen Prozedurales Wissen Strategisches Wissen Hierarchischer Status Innere Struktur Automatisierungsgrad Modalität Allgemeinheitsgrad Als Beispiel für die Verwendbarkeit des Klassifikationsmodells nach De Jong und FergusonHessler (1996) soll der Umgang mit Texten dienen. Es gibt Belege dafür, dass das Textverständnis besonders hoch ist, wenn reichhaltiges konzeptuelles Wissen (Wissen über Fakten, Begriffe und Prinzipien) vorliegt, dessen hierarchischer Status als tief verarbeitet bezeichnet werden kann und dessen innere Struktur sich mit vernetztes Wissen beschreiben lässt. Auch wenn dieses Klassifikationsmodell das bislang umfassendste Ordnungssystem von Wissensformen darstellt, kann es doch nicht den Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Gerade im beruflichen Bereich, in dem soziale, organisationale und ökonomische Kontextvariablen bedeutsam sind, lassen sich viele weitere Wissensformen unterscheiden, die teils geheimnisvoll anmuten (Gruber & Sand, 2007), weil sie vom einfachen Konzept des Faktenwissens weit abrücken. Leider ist oft festzustellen, dass alltägliche epistemologische Überzeugungen der Vielfalt des Wissensbegriffs nicht gerecht werden ( Exkurs Welche epistemologischen Überzeugungen herrschen vor? ). Problemlösen Bei Experten ist die Verknüpfung zwischen kognitiven Strukturen (Gedächtnis und Wissen) und kognitiven Prozessen (Problemlösen und Entscheiden) selbstverständlich: Expertenwissen umfasst Auskunft über seine Anwendungsbedingungen, da es sich in der permanenten professionellen Tätigkeit entwickelte. Dabei ist es interessant, dass professionelles Handeln in vielerlei Hinsicht wegen der komplexen Aufgabenstellungen schlecht definiert ist. Die Anforderungen sind oft nicht eindeutig, es gibt keine beste Lösung, der Einfluss von Kontextvariablen ist selten überschaubar. Professionelles Handeln kann daher durchaus als ständiges Problemlösen beschrieben werden. Definition Problemlösen: Dörner (1979) spricht vom Vorliegen eines Problems, wenn ein Individuum ein Ziel verfolgt, aber eine Barriere den Weg dorthin blockiert. Eine wichtige Unterscheidung ist die zwischen wohl definierten Problemen und schlecht definierten Problemen. Wohl definierte Probleme: Es existieren klare Aufgabenanforderungen, so dass Ziele und Barrieren eindeutig definiert werden können. Solche Probleme finden sich häufig in Gegenstandsbereichen, in denen es klare Regeln, Ziele und Richtlinien gibt. Schlecht definierte Probleme: Die Aufgabenanforderungen sind nicht eindeutig, Ziele und Barrieren können nicht eindeutig definiert werden. Ob ein Problem wohl definiert oder schlecht definiert ist, hängt auch vom Vorwissensstand und von anderen individuellen Voraussetzungen des Problemlösers ab; daher spielt die subjektive Beurteilung dessen, wie Aufgaben, Barrieren und Ziele beschaffen sind, eine große Rolle. Dies verweist auf die Rolle epistemologischer Überzeugungen. Der Umgang mit schlecht definierten Problemen ist in der Ökonomie oder der Politik der Normalfall (Voss, 1990). Der Einsatz computersimulierter Szenarien zur Analyse solcher Prozesse ist seit den bekannt gewordenen Arbeiten der Gruppe um Dörner prominent; in Lohhausen (Dörner, Kreuzig, Reither & Stäudel, 1983) agieren Problemlöser als Bürgermeister einer fiktiven Stadt und versuchen, deren wirtschaftliche Entwicklung zu verbessern. Das Problemlösen in solchen komplexen Realitätsbereichen zeichnet sich durch eine Reihe von Merkmalen aus: Vernetztheit von Variablen Eigendynamik des Systems (oft verbunden mit Zeitdruck) Intransparenz bezüglich der Variablen und ihrer Vernetzung

60 36 Kapitel 2 Intelligenz und Vorwissen Exkurs Welche epistemologischen Überzeugungen herrschen vor? Wissen wird im Alltag meist mit deklarativem Wissen (Faktenwissen, Wissen, dass ) gleichgesetzt während das ebenso bekannte Knowhow (prozedurales Wissen, Wissen, wie ) eher unter die Rubrik Fertigkeiten fällt. Das Irreversibilität von Entscheidungen Informationsflut auch irrelevante Information betreffend Nebenwirkungen von Entscheidungen. Experten sind flexibler bei komplexen Problemlöseprozessen als Novizen, was sich in dreierlei Fähigkeiten nieder schlägt: Fähigkeit, mentale Repräsentationen von Problemen zu variieren und somit zu verschiedenen Hypothesen zu gelangen Fähigkeit, die Analyseebenen situativ zu verändern, also etwa oberflächlich versus prinzipienorientiert zu argumentieren Fähigkeit, Verarbeitungsstrategien zu wechseln und damit Aufgaben schneller und erfolgreicher zu lösen. Forschungsansätze, die Intelligenz und Wissen in ihrem Zusammenhang betrachten, werden im folgenden Abschnitt präsentiert. 2.3 Zusammenspiel von Intelligenz und Wissen als Gegenstand der Pädagogischen Psychologie Möglichkeiten des Zusammenspiels von Intelligenz und Wissen werden exemplarisch anhand der Arbeiten dreier Forscher dargestellt und diskutiert, die sich darin einig sind, dass Wissen allein einem Menschen nicht viel nützt, wenn er nicht die Intelligenz besitzt, es weise einzusetzen, und dass ihm Intelligenz ebenso wenig nützt, wenn er nicht über das Wissen verfügt, wie er Nutzen daraus ziehen kann. Franz Weinert prägte den Begriff des intelligenten Wissens ; Philip Ackerman beschrieb in seinem Ansatz der ability determinants of skilled performance, wie sich im Verlauf des Kompetenzerwerbs die Bedeutung von Intelligenz und Vorwissen wandelt; Robert Sternberg weitete das Konzept der Intelligenz zu seiner triarchischen Theorie der Intelligenz aus und brachte die Idee einer praktischen Intelligenz ins Spiel. Zusammenspiel dieser beiden Wissensformen und ihre Umwandlung im Verlauf von Lernprozessen geschweige denn das Zusammenspiel noch weiterer, komplexerer Wissensformen spielt in der alltäglichen und leider auch in der wissenschaftlichen Auffassung von Wissen sowie in der pädagogischpsychologischen Praxis nur selten eine Rolle. Allzu oft scheinen primitive epistemologische Überzeugungen das Bild zu bestimmen (Gruber, 2008) Intelligentes Wissen Franz Weinerts Sicht auf das Zusammenspiel von Intelligenz und Wissen Weinert (1996) resümierte die Befunde über die Rolle des Denkens beim Wissenserwerb und die Bedeutung des Wissens für Intelligenz und Denkleistung in einer modellhaften Darstellung (. Abb. 2.4), die die enge Verknüpfung der Themen illustriert. Nach Weinert (1996, S. 96) zeigt dies,» dass das Niveau der Intelligenz auch das kognitive Lernen beeinflusst, so dass sich mehr oder minder intelligente Lernprozesse ergeben. Deren Ertrag besteht im Erwerb eines intelligenteren oder weniger intelligenten Wissens. Dieses ist neben der allgemeinen Intelligenz wiederum die Grundlage des Denkens, dessen kumulativer Niederschlag schließlich auf das nachfolgende Lernen zurückwirkt. Beachtung fand Weinerts Position vor allem, weil sie auf einer reichhaltigen Forschungstätigkeit in unterschiedlichen pädagogischpsychologischen Feldern beruhte. Bei der Herleitung seines theoretischen Modells berief er sich explizit auf die Expertiseforschung (Schneider, Körkel & Weinert, 1989), aber auch auf längsschnittliche Analysen der schulischen Leistungsentwicklung und ihrer Determinanten (Weinert & Schneider, 1999). In verschiedenen Kontexten fand er Bestätigung für die Annahme, dass erworbenes Wissen die bedeutsamste Voraussetzung des Erwerbs neuen Wissens ist je mehr Anknüpfungspunkte sich im vorhandenen Wissen finden, umso leichter kann neuer Lernstoff in bedeutungsvoller Weise in die vorhandenen Strukturen integriert werden. In Studien, in denen Intelligenz und Wissen simultan als Prädiktoren für schulische und berufliche Leistungen verwendet wurden, erwies sich bereichsspezifisches Vorwissen als der bessere Prädiktor, um Leistungen in der gleichen Domäne vorherzusagen (Ceci & Liker, 1986; Schneider & Bjorklund, 1992). In Arbeiten im schulischen Kontext zeigte sich, dass den größten Einfluss auf den Lernfortschritt das zu Beginn eines Schuljahres verfügbare

61 2.3 Zusammenspiel von Intelligenz und Wissen als Gegenstand der Pädagogischen Psychologie 37 2 Wissen besitzt. Stern (1997) zeigte, dass die Mathematikleistung in der 11. Klasse eng mit der Mathematikleistung in der Grundschule zusammenhängt, enger als mit der Intelligenz der Schüler. Offenbar muss man sich über einen längeren Zeitraum mit mathematischen Problemen auseinandersetzen, wenn man gut in Mathematik werden möchte. Dass aber in frühen Lernphasen die Intelligenz eine große Rolle für den Lernfortschritt spielt, ist damit nicht in Abrede gestellt. Die Beziehungen zwischen Intelligenz und/oder Begabung, Wissen und Lernen spielen in vielen Arbeiten Weinerts eine zentrale Rolle (z. B. Weinert, 1984). Als Pädagogischer Psychologe postulierte er, dass man mehr über das Wissen wissen müsse, um das Denken fördern zu können. An der epistemologischen Überzeugung, dass diese drei Komponenten zusammengehören, hielt Weinert auch zu Zeiten fest, in denen in der Forschung versucht wurde, die Komponenten zu separieren und die Bedeutung der jeweils anderen Teile zu leugnen (Waldmann et al., 2003). Früher als die meisten anderen LehrLernForscher erkannte Weinert, dass hohe Intelligenz nur von Vorteil ist, wenn sie in bereichsspezifisches Wissen umgesetzt wird. Alles, was Menschen wissen und können, muss zuerst gelernt werden. Das Lernen kann aber durch genetische Ausstattung und durch frühe Lernerfahrungen erschwert oder erleichtert werden. Eine spezifischere Modellierung der unterschiedlichen Rolle von Intelligenz und Wissen während verschiedener Phasen des Kompetenzerwerbs liefert die Theorie der Ability Determinants of Skilled Performance von Ackerman Ability Determinants of Skilled Performance Philip Ackermans Sicht auf das Zusammenspiel von Intelligenz und Wissen In seiner PPIKTheorie (PPIK = process, personality, interests, and knowledge ) geht Ackerman (1996) den Gründen für interindividuelle Differenzen in der Kompetenz in einzelnen Inhaltsbereichen nach. Dabei verknüpft er eine Vielzahl an theoretischen Ansätzen zur Erklärung der intellektuellen Entwicklung. In unserem Zusammenhang ist vor allem interessant, dass er drei Komponenten von Intelligenz unterscheidet: Intelligenz als Prozesskonstrukt Intelligenz als Interessenskonstrukt Intelligenz als Persönlichkeitskonstrukt. Die beiden ersten beziehen sich in informationsverarbeitungstheoretischer Fassung auf das Intelligenzmodell von Cattell (1971). Intelligenz als Prozesskonstrukt wird als Informationsverarbeitung verstanden, die aus den vier Intelligenz Intelligentes Lernen Intelligentes Wissen Denken durch intelligentes Wissen Lernen.. Abb. 2.4 Zusammenhang von Intelligenz und Wissen beim Lernen. (Modifiziert nach Weinert, 1996, S. 96, mit freundlicher Genehmigung der Bayerischen Akademie der Wissenschaften) Komponenten Verarbeitungskapazität, Wahrnehmungsgeschwindigkeit, Gedächtnisspanne und räumliche Rotation besteht und mit dem Aufbau von Wissen zu tun hat. Wissen wird ähnlich wie die kristalline Intelligenz bei Cattell (1971) verstanden und in berufsspezifisches und unspezifisches (Allgemein)Wissen unterschieden. Die Entwicklung des Wissens orientiert sich an der Investmenttheorie von Cattell (1971); das individuelle Kompetenzprofil hängt davon ab, wie ein Individuum seine Ressourcen über verschiedene Bereiche verteilt oder, anders ausgedrückt, wie groß der Anteil der verfügbaren Ressourcen ist, der in das jeweilige Gebiet investiert wird. Ackerman nimmt an, dass die wichtigste Ressource für den Aufbau gegenstandsbezogener Kenntnisse die individuelle Informationsverarbeitungskapazität bzw. die generelle kognitive Fähigkeit ist. In Anlehnung an Cattell (1963) bezeichnet Ackerman diese intellektuellen Fähigkeiten als Intelligenz als Prozess. Fähigkeiten und Wissen entwickeln sich gemeinsam. Die Entwicklung spezifischer Kompetenzen, die von Ackerman unter dem Begriff Intelligenz als Wissen subsumiert werden, kann demnach nur mithilfe der unter Intelligenz als Prozess zusammengefassten Fähigkeit zur Informationsverarbeitung geschehen. In seiner Theorie der Ability Determinants of Skilled Performance hatte Ackerman (1987, 1992) bereits vorher ein dreiphasiges Modell des Kompetenzerwerbs vorgestellt, in dem individuelle Differenzen in der Intelligenz und im Vorwissen kombiniert und zudem mit typischen Anforderungen im Verlauf der Entwicklung verbunden werden. Kognitive Phase. Die kognitive Phase zeichnet sich durch hohe kognitive Belastung aus: Das Individuum muss die Aufgabeninstruktion verstehen, mit den Zielen vertraut

62 38 Kapitel 2 Intelligenz und Vorwissen Exkurs OTon Sternberg (1986, S. 223) The triarchic theory comprises three subtheories. The first subtheory relates intelligence to the internal world of the individual, specifying the mental mechanisms that lead to more and less intelligent behaviour. This subtheory specifies three kinds of informationprocessing components that are instrumental in (a) werden und Strategien formulieren. Weitere Entwicklung in den beiden nächsten Phasen ist nur möglich, wenn konsistente Aufgabenanforderungen vorliegen. Während der kognitiven Phase spielt Intelligenz eine große Rolle; mit dem Entstehen konsistenten prozeduralen Wissens verringert sich allerdings der Einfluss allgemeiner Fähigkeiten zunehmend, ihre Korrelationen mit Leistungsmaßen sinken. Assoziative Phase. In der assoziativen Phase werden Strategien eingeübt, die Leistung wird schneller und fehlerfreier. Die Wahrnehmungsgeschwindigkeit wird trainiert und verbessert; in der assoziativen Phase geht es daher vor allem um die Kompilation von Wissen und die Schnelligkeit seiner Anwendung. Autonome Phase. In der autonomen Phase werden die Fertigkeiten automatisiert, die Tätigkeiten benötigen nur noch wenig Aufmerksamkeit oder überhaupt keine mehr, sie werden extrem schnell und präzise. In Ackermans Theorie der Ability Determinants of Skilled Performance wird also beschrieben, dass die Rolle der Intelligenz zu Beginn des Kompetenzerwerbs eminent ist, dann aber zugunsten der Bedeutung des Wissens insbesondere des prozeduralen Wissens zurücktritt. Die Bewährungsprobe für ein Gelingen des Zusammenspiels von Intelligenz und Wissen erfolgt nach Ackerman in komplexen, praktischen Situationen eine Annahme, die sich analog auch in Sternbergs triarchischer Theorie der Intelligenz mit der Betonung des Konzepts der praktischen Intelligenz findet Triarchische Theorie der Intelligenz und praktische Intelligenz Robert Sternbergs Sicht auf das Zusammenspiel von Intelligenz und Wissen Mit dem expliziten Anliegen, den Informationsverarbeitungsansatz kognitiver Intelligenztheorien mit dem psycho learning how to do things, (b) planning what things to do and how to do them, and (c) actually doing the things. The second subtheory specifies those points along the continuum of one s experience with tasks or situations that most critically involve the use of intelligence. In particular, the account emphasizes the roles of novelty and of automatization in exceptional intelligence. The third subtheory relates intelligence to the external world of the individual, specifying three classes of acts environmental adaptation, selection, and shaping that characterize intelligent behaviour in the everyday world. metrischen Intelligenzkonzept zu verknüpfen, formulierte Sternberg in den vergangenen Jahrzehnten verschiedene Facetten einer neuen Intelligenztheorie. Er postuliert, dass erst die Verbindung unterschiedlicher wissenschaftlicher Perspektiven der Komplexität des Konstrukts Intelligenz gerecht werde, insbesondere die Verknüpfung der strukturellen Modelle der psychometrischen Intelligenzforschung mit den Prozessmodellen der kognitionspsychologischen Ansätze. Die Besonderheit seiner Theorie ist, dass er in ihr auch über die genannten Perspektiven hinausgeht und das Zusammenspiel von Fähigkeiten, Kompetenzen und Expertise (Sternberg & Grigorenko, 2003) thematisiert. Sternberg beschäftigt sich daher mit der praktischen Relevanz von Intelligenz und weist anhand verschiedener Beispiele darauf hin, dass kognitive Intelligenz allein nicht ausreicht, um Erfolg im Leben zu haben und alltägliche Herausforderungen des Lebens effektiv zu meistern (Sternberg, 1985, 1998). Seine Vorstellung von einer Erfolgsintelligenz umfasst drei Aspekte, die in einem ausgeglichenen Verhältnis zueinander stehen sollten: analytische Intelligenz kreative Intelligenz praktische Intelligenz ( Exkurs OTon Sternberg (1986, S. 223) ). Mit dieser triarchischen Theorie versteht er Intelligenz als dynamisches Konstrukt und berücksichtigt Kontexteinflüsse. Praktische Intelligenz wird als die Fähigkeit verstanden, mit realen Problemen erfolgreich umzugehen. Sternberg (1988) unterscheidet dabei akademisches und praktisches Wissen. Praktisches Wissen (von Sternberg als tacit knowledge deklariert) ist erfahrungsabhängiges, an einen bestimmten Kontext gebundenes prozedurales Wissen, das oftmals nicht verbalisiert werden kann, das zumeist ohne explizite instruktionale Unterstützung aus dem sozialen Umfeld angeeignet wird, und das einen Menschen befähigt, situationsabhängig richtig zu handeln. Nach Sternberg (1998, S. 157) sind» Menschen mit der höchsten Erfolgsintelligenz nicht notwendigerweise jene mit der höchsten Intelligenz

63 2.4 Messung von Intelligenz und Wissen 39 2 in allen drei Formen. Vielmehr sind sie in Schule und Beruf in der Lage, ihre Stärken optimal zu nutzen, ihre Schwächen zu kompensieren und aus ihren Fähigkeiten das Beste zu machen. Das heißt, dass man dann hohe Erfolgsintelligenz besitzt, wenn man weiß, wann und wie verfügbare Ressourcen effektiv einzusetzen sind. Praktische Intelligenz wird dementsprechend nicht über Testverfahren mit Aufgaben erfasst, die wohl definiert, linear und nicht in spezifische Kontexte eingebettet sind, sondern über Verfahren, die die Fähigkeit testen sollen, Wissen in relevanten Situationen anzuwenden. Dabei sind zumeist Probleme zu bearbeiten, die schlecht definiert, nicht linear und in spezifische situationale Kontexte eingebettet sind. Natürlich gab es gute Gründe, weshalb solche Aufgaben in der Intelligenzforschung vermieden wurden. Kessels und Korthagen (1996) führten die Debatte auf die epistemologische Überzeugung in großen Teilen der Wissenschaft zurück, abstraktes Wissen als höherwertig anzusehen als konkrete Fertigkeiten oder tacit knowledge of good performance. Dies verweist auf interessante Folgerungen für die Messung von Intelligenz und Wissen. 2.4 Messung von Intelligenz und Wissen In diesem Abschnitt wollen wir grundlegende Möglichkeiten und Unterschiede in der Messung von Intelligenz und Wissen ansprechen, die das in den vorausgehenden Abschnitten aufgezeigte Spannungsfeld zwischen beiden Themen widerspiegeln. Es geht also eher um Überblickswissen über Standardverfahren und innovative Ansätze in der Intelligenzmessung sowie um einen Überblick über Methoden der Wissensdiagnostik als um eine umfangreiche Abhandlung der pädagogischpsychologischen Diagnostik ( Kap. 13). Das Bonmot, Intelligenz sei das, was der Intelligenztest messe, verweist auf ein ernstes wissenschaftliches Phänomen, dass nämlich die Messung theoretischer Konstrukte eng mit ihrer theoretischen Konzeption zusammenhängt. Führen wir uns die geschilderte Dominanz psychometrischer Intelligenztheorien vor Augen, ist es nicht erstaunlich, dass die Mehrzahl der Messverfahren für Intelligenz auf psychometrischen Annahmen beruht Messung von Intelligenz mit psychometrischer Tradition Bei Intelligenzverfahren, die auf einer psychometrischen Theorie gründen, handelt es sich in der Regel um Tests, bei denen meist unter Zeitbeschränkung relativ kurze Aufgaben zu bearbeiten sind. Die häufigsten Aufgabentypen sind: Sätze ergänzen Analogien bilden Gemeinsamkeiten finden Zahlenreihen fortsetzen Figuren auswählen, die zu einer Reihe vorgegebener Figuren passen mentale Rotation Rechenaufgaben ohne verbalen Anteil Vorzeichenaufgaben Vokabularkenntnis Schlussfolgerung. Sprachverständnis logische In der Praxis lassen sich Intelligenztests in Tests für Kinder und Jugendliche sowie für Erwachsene unterteilen. Es gibt Tests, die vorwiegend auf sprachabhängige Leistungen abzielen, und Tests, die relativ sprachfern sind, Tests, die nur einen Intelligenzaspekt abdecken, und Tests, die verschiedene Aspekte messen, Tests, die in Gruppen durchgeführt werden können, und Tests, die einzeln angewandt werden. Die Vielzahl der vorhandenen Tests macht eine vollständige Aufzählung unmöglich. Trotzdem werden in. Tab. 2.1 exemplarisch einige häufig eingesetzte Intelligenztests genannt und kurz erläutert. Eine vollständige, stets aktualisierte Darstellung ist unter abrufbar Messung von praktischer Intelligenz Die am weitesten reichenden Vorstellungen über die empirische Erfassung von praktischer Intelligenz fokussieren Wege zur Messung von Tacit Knowledge womit diese Verfahren bereits im Grenzbereich zur Messung von Wissen liegen. Die Verfahren fokussieren folgende Aspekte: Konstruktion konzeptueller Modelle über Interviews und Protokolle lauten Denkens Durchführung qualitativer Interviews mit erfolgreichen Berufstätigen Einschätzung arbeitsverbundener Situationen und ihrer Relevanz durch erfolgreiche Berufstätige Beschreibung der Gestaltung einer idealen statt der eigenen tatsächlichen Arbeitsumgebung. Eteläpelto (1993) plädiert insbesondere für die Methode der Konstruktion konzeptueller Modelle, da mit ihnen die subjektive Natur praktischer Intelligenz erfasst werden kann. Beim Einsatz von Strukturlegetechniken und MappingTechniken sind dann nicht alle Begriffe vom Versuchsleiter vorzugeben, sondern die Versuchspersonen erhalten Freiraum zur eigenen Gestaltung von Begriffen.

64 40 Kapitel 2 Intelligenz und Vorwissen Tab. 2.1 Überblick über häufig eingesetzte psychometrische Intelligenztests im deutschsprachigen Raum Test Abkürzung Kurzbeschreibung RavenMatrizenTest: Advanced Progressive Matrices APM Zur Erfassung von Tacit Knowledge setzten Wagner und Sternberg (1986) qualitative Interviews erfolgreicher Berufstätiger sowie ein Verfahren ein, bei dem kompetente Versuchspersonen eine Einschätzung arbeitsrelevanter Situationen vornehmen mussten. Zu einer Reihe von Situationen gab es jeweils zwischen 6 und 20 vorgegebene Antwortmöglichkeiten unterschiedlicher Qualität. Jede Antwortmöglichkeit musste auf einer Skala eingeschätzt werden, die von vollkommen unwichtig bis extrem wichtig reichte. Analog sollte in derselben Studie in einem weiteren Verfahren eine Einschätzung für eine ideale statt der eigenen Arbeitsumgebung abgegeben werden Messung von Wissen Die klassische Form der Wissensdiagnostik besteht in der Ermittlung des Faktenwissens durch oft über Multiple ChoiceFragen gestaltete Wissenstests. Die Darstellung der Verfahren zur Messung von praktischer Intelligenz deutete bereits an, dass mit der Differenzierung des Wissensbegriffs eine nahezu unbegrenzte Vielfalt von Messverfahren entwickelt werden kann. Die folgende Darstellung kann nur eine Ahnung dieser Vielfalt vermitteln. Zweifaktorenmodell von Spearman, sprachfreie Erfassung des Intelligenzpotenzials Berliner IntelligenzstrukturTest BIS Vielfalt und Breite von Intelligenzleistungen (45 Aufgabentypen) HannoverWechslerIntelligenztest für das Vorschulalter HamburgWechslerIntelligenztest für Kinder HamburgWechslerIntelligenztest für Erwachsene HAWIVA HAWIK HAWIE Intelligenzmodell von Wechsler. Erfassung allgemeiner und spezifischer Fähigkeiten bei Kindern im Vorschulalter Nach Intelligenzmodell und WISCTest von Wechsler: Je fünf Untertests zum Handlungsteil (Bilderergänzen, ZahlenSymbolTest, Bilderordnen, Mosaiktest, Figurenlegen) und zum Verbalteil (allgemeines Wissen, Gemeinsamkeiten finden, rechnerisches Denken, Wortschatztest, allgemeines Verständnis). Ferner Untertests Zahlennachsprechen, Symboltest, Labyrinthtest Intelligenzmodell von Wechsler, Messung der allgemeinen, der sprachlichen und Handlungsintelligenz; Profilanalyse IntelligenzStrukturTest 70 IST70 Intelligenzstruktur als Gefüge aus sprachlichen und rechnerischen Fähigkeiten, räumlichem Vorstellungsvermögen und Merkfähigkeit; Profilanalyse vor allem für Eignungsdiagnostik Kognitiver FähigkeitsTest KFT Kognitive Fähigkeiten (vor allem für schulisches Lernen) in den Bereichen sprachliches Denken, quantitative (numerische) Fähigkeiten und anschauungsgebundenes (figurales) Denken; Fokus auf Verarbeitungskapazität im Sinne des Berliner Intelligenzstrukturmodells Leistungsprüfsystem LPS Intelligenzmodell von Thurstone, Analyse der Intelligenzarten, Ermittlung der Begabungsstruktur Raven Matrizen Test: Standard Progressive Matrices SPM Zweifaktorenmodell von Spearman, Erfassung des gfaktors Interviews. Als eine auch bei Kindern im Grundschulalter verwendbare Methode, um konzeptuelles Wissen zu erheben, beschreibt Vosniadou (1994) mündliche Interviews. Sie plädiert für möglichst offene Transferfragen und schlägt vor, dass die Interviews nicht auf verbale Daten beschränkt bleiben, sondern dass beispielsweise auch Zeichnungen oder Diagramme erfasst werden sollten. Interviews wurden und werden jedoch in der Forschung nur selten verwendet. Dies liegt u. a. daran, dass die Durchführung, die qualitative Auswertung und die quantitative Kodierung der Antworten aufwendig sind. Außerdem ist die Objektivität durch die direkte Interaktion zwischen Interviewer und Interviewtem sowie die notwendige Kodierung der Antworten in der Regel niedriger als bei Fragebogen. Concept Maps. Concept Maps greifen die oben genannte Idee der grafischen Erfassung von Wissen auf. Sie werden häufig in Form von Netzwerkdarstellungen eingesetzt. Die einfachste Möglichkeit besteht darin, Probanden selbstständig ein konzeptuelles Netzwerk zeichnen oder ein teilweise vorgegebenes vervollständigen zu lassen. Komplexere Formen basieren auf computerunterstützten Verfahren und haben sich in der Erfassung und Diagnose komplexer Wissensstrukturen bewährt (Eckert, 2000). MappingVerfahren werden zunehmend auch zur Simula

65 2.5 Intelligenter Wissenserwerb im Studium 41 2 tion und Vorhersage hypothetisch angenommen Wissens eingesetzt, etwa im Verfahren des knowledge tracking (Janetzko & Strube, 2000). Netzwerkanalysen. Der Einsatz von Netzwerktechniken liegt insbesondere dann nahe, wenn die Verbreitung von Wissen in sozialen Strukturen (beispielsweise in Teams, in Unternehmen oder in Staaten) analysiert werden soll. Mithilfe sozialer Netzwerkanalysen werden Relationen zwischen allen Akteuren der untersuchten Strukturen erfasst, sodass die Position eines Individuums in der Struktur analysiert werden kann. Da in der Expertiseforschung das Entstehen von hohem Expertisegrad zunehmend als Kombination individueller Exzellenz und sozialer Anerkennung gesehen wird, gewinnen Netzwerkanalysen als diagnostische Verfahren rasch an Bedeutung (Rehrl & Gruber, 2007). Komplexe Simulationen. Der Einsatz komplexer Simulationen zur Erfassung prozeduralen Wissens ist im Fall der Pilotenausbildung allgemein bekannt; Flugsimulatoren sollen die Authentizität realer Situationen herstellen, sodass ohne objektives Risiko die Fähigkeiten und Fertigkeiten der angehenden Piloten getestet werden können. Simulationen finden in der Messung von Wissen in solchen Bereichen besonderen Zuspruch, die ein erhebliches Risiko mit sich bringen (z. B. in der medizinischen Ausbildung) oder die motorische Komponenten beinhalten (z. B. Fußball; Ward, Williams & Hancock, 2006). Sie werden jedoch zunehmend auch zur Erfassung konzeptuellen Wissens eingesetzt, etwa im betriebswirtschaftlichen Bereich bei der Leitung von Unternehmen. Lautes Denken. Eine der bevorzugten wissensdiagnostischen Analysemethoden im Informationsverarbeitungsansatz besteht in der Erhebung und Analyse von Protokollen lauten Denkens. Dass diese zunächst als introspektiv bezeichnete Methode unter bestimmten Bedingungen zuverlässige Ergebnisse liefert, wiesen Ericsson und Simon (1993) nach. Sie zeigten, dass simultane, untergeordnete und unspezifische Verbalisierung den besten Schutz vor introspektiver Verzerrung bietet. Verbale Berichte erteilen dann genügend zuverlässige Auskunft über kognitive Prozesse und Strukturen. In einer Übersicht über die Entwicklung wissensdiagnostischer Methoden plädieren Hoffman und Lintern (2006) dafür, Mut zum Einsatz neuer, bislang ungewohnter Verfahren zu besitzen. KarriereTiefeninterviews versprechen ihrer Ansicht nach wichtige Auskunft über die Breite und Tiefe der Erfahrung einer Person, die Untersuchung von professional standards gewährt eine Einsicht darüber, was zum Erreichen einer beruflichen (Spitzen) Position notwendig ist, die Analyse beruflicher sozialer Interaktionen zeigt, ob als wichtig angenommene Verhaltensweisen sich tatsächlich in der professionellen Tätigkeit bewähren. 2.5 Intelligenter Wissenserwerb im Studium Auch eine Frage der epistemologischen Überzeugungen von Dozierenden? In diesem Kapitel wurden einerseits grundlegende Unterschiede in der Forschung zu Intelligenz und zu Vorwissen skizziert, andererseits wurde nachgezeichnet, wie in einigen Theorien versucht wird, einen Zusammenhang zwischen beiden Forschungsbereichen herzustellen. Ein solches Zusammenspiel ist zwangsläufig, soll es die Potenziale beider Gebiete nutzen, komplex und anspruchsvoll. Die Anforderungen, die an den Erwerb intelligenten Wissens gestellt werden, sind hoch, und leider ist die pädagogischpsychologische Praxis voll von misslungenen Versuchen. Dies gilt selbst für jene LehrLernOrte, an denen besonders intelligente und wissensreiche Diskussionen geführt werden sollten, für Universitäten. Die Arbeitsgruppe um Mandl (Mandl, Gruber & Renkl, 1994) lieferte empirische Belege dafür, dass auch Studierende das Wissen, das sie in bestimmten Kontexten in der Universität erwarben, oft nicht in anderen Situationen oder bei anderen Problemstellungen anwenden können, weil ihr erworbenes Wissen träge bleibt, also an die Lernsituation gebunden und nicht flexibel einsetzbar ist. Eine denkbare Abhilfe verheißen konstruktivistisch orientierte LehrLernKonzepte, in denen auf Authentizität, auf Aktivierung der Lernenden, auf das Erwecken von Interesse und auf Lernprozesse in anwendungsnahen Situationen Wert gelegt wird ( Kap. 1). Abschließend wollen wir ein mögliches Hindernis intelligenten Wissenserwerbs erwähnen. Wie wir zeigten, gewann die Forschung über epistemologische Überzeugungen in den letzten Jahren enorm an Bedeutung, weil die individuelle Epistemologie als eine wichtige Grundlage der Initiierung und Aufrechterhaltung von Lernprozessen erkannt wurde. Die Relevanz epistemologischer Überzeugungen zeigt sich aber nicht nur bei den Lernenden, sondern auch bei denen, die das Lernen in Gang setzen sollen, bei den Lehrenden. Lehrende, die anerkennen, dass Lernende über bestimmte epistemologische Überzeugungen verfügen und diese zur Grundlage von Lernentscheidungen machen, sehen die Lernenden mit anderen Augen (Hasanbegovic, Gruber, Rehrl & Bauer, 2006). Es gelingt ihnen einfacher, Stärken und Schwächen und damit den Förderungsbedarf der Lernenden zu erkennen und die Lernsituation angemessen zu gestalten. Die epistemologischen Überzeugungen von Lehrenden beeinflussen zudem die Ausgestaltung ihrer Lehrangebote (Gruber, Harteis,

66 42 Kapitel 2 Intelligenz und Vorwissen Hasanbegovic & Lehner, 2007; Tenenbaum, Naidu, Jegede & Austin, 2001). Die Einführung von ELearning und virtuellen Lernplattformen in der Hochschullehre verändert im Prinzip radikal die damit implizierte Art des Lernens Studierender, etwa in Richtung einer größeren Bedeutung von Selbststeuerungsaktivitäten. Inwiefern sich aber die epistemologischen Überzeugungen von Lehrenden bereits entsprechend geändert haben, wurde bislang noch kaum untersucht; sollte dies nicht der Fall sein, wird das Potenzial von ELearning wahrscheinlich nicht überzeugend genutzt. Bislang jedenfalls wird die Diskussion über den Einsatz von ELearning zur Lösung von Problemen der Hochschullehre vornehmlich aus technologischer Perspektive geführt, Analysen über die pädagogische und didaktische Integration sowie über die veränderte Rolle Lehrender sind rar. Gerade in der Praxis der virtuellen Hochschullehre ist oft zu beobachten, dass traditionelle LehrLern Modelle weitgehend unverändert auf ELearning übertragen werden (Astleitner, 2000). Intelligenter Wissenserwerb ein anspruchsvolles Vorhaben nicht nur für Lernende, sondern auch für ihre Lehrenden! Fazit Mit den Ausführungen in diesem Kapitel wurde aufgezeigt, dass die Unterstützung intelligenten Wissenserwerbs es voraussetzt, dass zum einen Lernprozesse neu konzipiert werden und zum anderen auch die Ziele des Lernens zu verändern sind. Der Erwerb von Faktenwissen kann nicht mehr vorrangiges Ziel sein, wenn die Wissensvielfalt angestrebt wird, die zur Beschreibung von Expertenhandeln identifiziert wurde. Allerdings müssen pädagogischpsychologische Instruktionsansätze auch anerkennen, dass der Erwerb (umfangreichen) deklarativen Faktenwissens eine notwendige Voraussetzung für erfolgreiche Prozeduralisierungsprozesse darstellt aber eben nicht das Ende der Wissenserwerbsfahnenstange! Verständnisfragen 1. Warum ist umfangreiches Vorwissen bei der Bewältigung komplexer, authentischer Probleme von Bedeutung? 2. Welcher ist der Gegenstand der Informationsverarbeitungstheorie? 3. Was wird in Ackermans Theorie der ability determinants of skilled performance beschrieben? 4. Wie wird praktische Intelligenz nach Sternberg definiert? 5. Warum spielen epistemologische Überzeugungen von Lernenden eine wichtige Rolle bei der Ausübung der Tätigkeit von Lehrenden? Vertiefende Literatur Anderson, J. R. (1996). Kognitive Psychologie (2. Aufl.). Heidelberg: Spektrum. Gruber, H., Mack, W. & Ziegler, A. (Hrsg.). (1999). Wissen und Denken. Beiträge aus Problemlösepsychologie und Wissenspsychologie. Wiesbaden: Deutscher UniversitätsVerlag. Sternberg, R. J., Kaufman, J. C. & Grigorenko, E. L. (2008). Applied intelligence. Cambridge: Cambridge University Press. Literatur Ackerman, P. L. (1987). 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68 44 Kapitel 2 Intelligenz und Vorwissen Spearman, C. (1904). General intelligence, objectively determined and measured. American Journal of Psychology, 9, Stern, E. (1997). Erwerb mathematischer Kompetenzen: Ergebnisse aus dem SCHOLASTIK Projekt. In F. E. Weinert, & A. Helmke (Hrsg.), Entwicklung im Grundschulalter (S ). Weinheim: Psychologie Verlags Union. Stern, W. (1911). Intelligenzproblem und Schule. Leipzig: Teubner. Stern, W. (1912). Die psychologischen Methoden der Intelligenzprüfung und deren Anwendung an Schulkindern. Leipzig: Barth. Sternberg, R. J. (1985). Beyond IQ: A triarchic theory of human intelligence. Cambridge: Cambridge University Press. Sternberg, R. J. (1986). A triarchic theory of intellectual giftedness. In R. J. Sternberg, & J. E. Davidson (Hrsg.), Conceptions of giftedness (S ). Cambridge: Cambridge University Press. Sternberg, R. J. (1988). The triarchic mind: A new theory of human intelligence. New York: Viking. Sternberg, R. J. (1998). Erfolgsintelligenz. Warum wir mehr brauchen als EQ und IQ. München: Lichtenberg. Sternberg, R. J., Conway, B. E., Ketron, J. L., & Bernstein, M. (1981). People s conceptions of intelligence. Journal of Personality and Social Psychology, 41, Sternberg, R. J., & Grigorenko, E. L. (Hrsg.). (2003). The psychology of abilities, competencies, and expertise. Cambridge: Cambridge University Press. Sternberg, R. J., Kaufman, J. C., & Grigorenko, E. L. (2008). Applied intelligence. Cambridge: Cambridge University Press. Süß, H. M. (2003). Intelligenztheorien. In K. D. Kubinger, & R. S. Jäger (Hrsg.), Schlüsselbegriffe der Psychologischen Diagnostik (S ). Weinheim: Psychologie Verlags Union. Tenenbaum, G., Naidu, S., Jegede, O., & Austin, J. (2001). Constructivist pedagogy in conventional on campus and distance learning practice: An exploratory investigation. Learning & Instruction, 12, Thurstone, L. L. (1938). Primary mental abilities. Chicago: University of Chicago Press. Thurstone, L. L., & Thurstone, T. G. (1941). Factorial studies of intelligence. Chicago: University of Chicago Press. Urhahne, D. (2006). Die Bedeutung domänenspezifischer epistemologischer Überzeugungen für Motivation, Selbstkonzept und Lernstrategien von Studierenden. Zeitschrift für Pädagogische Psychologie, 20, Urhahne, D., & Hopf, M. (2004). Epistemologische Überzeugungen in den Naturwissenschaften und ihre Zusammenhänge mit Motivation, Selbstkonzept und Lernstrategien. Zeitschrift für Didaktik der Naturwissenschaften, 10, Vosniadou, S. (1994). Capturing and modelling the process of conceptual change. Learning & Instruction, 4, Voss, J. F. (1990). Das Lösen schlecht strukturierter Probleme ein Überblick. Unterrichtswissenschaft, 18, Wagner, R. K., & Sternberg, R. J. (1986). Tacit knowledge and intelligence in the everyday world. In R. J. Sternberg, & R. K. Wagner (Hrsg.), Practical intelligence. Nature and origins of competence in the everyday world (S ). Cambridge: Cambridge University Press. Waldmann, M. R., Renkl, A., & Gruber, H. (2003). Das Dreieck von Begabung, Wissen und Lernen. In W. Schneider, & M. Knopf (Hrsg.), Entwicklung, Lehren und Lernen. Zum Gedenken an Franz Emanuel Weinert (S ). Göttingen: Hogrefe. Ward, P., Williams, A. M., & Hancock, P. A. (2006). Simulation for performance and training. In K. A. Ericsson, N. Charness, P. J. Feltovich, & R. R. Hoffman (Hrsg.), Handbook on expertise and expert performance (S ). Cambridge: Cambridge University Press. Wechsler, D. (1958). The measurement and appraisal of adult intelligence. Baltimore: Williams & Wilkins. Weinert, F. E. (1984). Vom statischen zum dynamischen zum statischen Begabungsbegriff? Die Deutsche Schule, 5, Weinert, F. E. (1996). Wissen und Denken. Über die unterschätzte Bedeutung des Gedächtnisses für das menschliche Denken. In Jahrbuch der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 1996 (S ). München: Bayerische Akademie der Wissenschaften. Weinert, F. E., & Schneider, W. (Hrsg.). (1999). Individual development from 3 to 12: Findings from the Munich longitudinal study. Cambridge: Cambridge University Press.

69 45 3 Selbstregulation und selbstreguliertes Lernen Meike Landmann, Franziska Perels, Barbara Otto, Kathleen SchnickVollmer, Bernhard Schmitz 3.1 Begriffsbestimmung Selbstreguliertes Lernen Modelle der Selbstregulation Prozessorientierte Modelle der Selbstregulation Schichtenmodelle der Selbstregulation Diagnostik von Selbstregulation Fragebogen Lerntagebücher Interviews Beobachtungsverfahren Denkprotokolle Förderung von Selbstregulation Gestaltung und Optimierung von Trainingsmaßnahmen zur Förderung von Selbstregulation Exemplarische Beschreibung von Trainingsmaßnahmen Ausblick 63 Literatur 64 E. Wild, J. Möller (Hrsg.), Pädagogische Psychologie, SpringerLehrbuch, DOI / _3, SpringerVerlag Berlin Heidelberg 2015

70 46 Kapitel 3 Selbstregulation und selbstreguliertes Lernen Selbstregulation beschreibt die Fähigkeit, die eigenen Gedanken, Emotionen und Handlungen zielgerichtet zu steuern (vgl. Zimmerman, 2000). Sie ist Grundvoraussetzung, um sich Ziele setzen und erreichen zu können. Dies gilt für alle Lebensbereiche; für den Sport gleichermaßen wie für das Berufsleben, für die Freizeit ebenso wie für Schule und Studium. Unerlässlich sind selbstregulative Kompetenzen auch im schulischen Alltag. In diesem Zusammenhang sprechen wir von selbstreguliertem Lernen. Die Entwicklung der Fähigkeit zum eigenverantwortlichen, selbstregulierten Lernen wird neben der Vermittlung von Fachwissen als eine der Hauptaufgaben der Bildung und Erziehung junger Menschen gesehen. Aufgrund schnell veraltenden Wissens (z. B. Informationstechnik) und einer durch die Globalisierung bedingten Wissensexplosion ist es wichtig, dass Schüler lernen, wie sie sich neues Wissen selbstständig aneignen können. Vor allem Lernsituationen jenseits formaler Unterrichtssequenzen (wie z. B. das Lernen für eine Klassenarbeit) erfordern von Schülern Lernkompetenzen, die es möglich machen, den Lernprozess selbstständig zu strukturieren und zu reflektieren. Zahlreiche empirische Studien (z. B. Zimmerman, 1994; Schmitz, 2001c; Otto, 2007a; Souvignier, Streblow, Holodynski & Schiefele, 2007; Perels, 2007), die darauf abzielen, selbstreguliertes Lernen zu fördern, zeigen, dass der Selbstregulation als Schlüsselkompetenz eine bedeutende Rolle in allen Lernsituationen zukommt. Die theoretische Modellierung des Konstrukts Selbstregulation ist Grundvoraussetzung für die Diagnostik der Selbstregulation und entsprechende Interventionen. Infolgedessen stellt das vorliegende Kapitel zunächst ausgewählte Modelle der Selbstregulation und des selbstregulierten Lernens vor. Es folgt eine Darstellung von Verfahren zur Diagnostik von Selbstregulation und daran anschließend von Ansätzen zur Förderung selbstregulierten Lernens. Das Kapitel endet mit einem Ausblick auf zukünftige Forschungsfelder und praktische Herausforderungen (. Abb. 3.1). 3.1 Begriffsbestimmung Selbstreguliertes Lernen Der Begriff des selbstregulierten Lernens ( selfregulated learning ) wird in der Literatur bereits seit einigen Jahrzehnten diskutiert. Er wird häufig synonym mit Begriffen wie selbstgesteuertes Lernen ( selfdirected learning ), selbstbestimmtes Lernen ( selfdetermined learning ), selbstorganisiertes Lernen oder autonomes Lernen verwendet. Diese Begrifflichkeiten bezeichnen letztendlich alle das vom Lernenden aktiv initiierte Vorgehen, das eigene Lernverhalten unter Einsatz von verschiedenen Strategien zu steuern und zu regulieren. Den zahlreichen Definitionen (z. B. Friedrich & Mandl, 1997; Schiefele & Pekrun, 1996; Zimmerman, 2000) ist gemeinsam, dass drei Komponenten selbstregulierten Lernens unterschieden werden:.. Abb kognitive Komponenten: betreffen die Informationsverarbeitung, das konzeptionelle und strategische Wissen sowie die Fähigkeit, entsprechende Strategien (z. B. kognitive Lernstrategien; vgl. Abschn. 3.2, Exkurs Lernstrategien ) anzuwenden; 2. motivationale Komponenten: Aktivitäten, die der Initiierung (z. B. Selbstmotivierung) und dem Aufrechterhalten (volitionale Steuerung) des Lernens dienen, sowie handlungsfördernde Attributionen von Erfolgen und Misserfolgen und Selbstwirksamkeitsüberzeugung; 3. metakognitive Komponenten: Planung, Selbstbeobachtung, Reflexion und adaptive Anpassung des Lernverhaltens in Bezug auf das angestrebte Lernziel. 3.2 Modelle der Selbstregulation In den letzten Jahrzehnten wurden zahlreiche Modelle zur Selbstregulation entwickelt. Diese Modelle werden benötigt, um in einem weiteren Schritt den theoretischen Hintergrund sowohl für die Diagnostik als auch die Förderung selbstregulatorischer Kompetenzen ( Abschn. 3.3 und Abschn. 3.4) zu bilden (vgl. Wirth & Leutner, 2008). Sie lassen sich grob in zwei Gruppen einteilen: Zum einen die sogenannten Prozessmodelle (z. B. Pintrich, 2000; Schmitz,

71 3.2 Modelle der Selbstregulation 47 3 Exkurs Lernstrategien Der Einsatz verschiedener Lernstrategien ist der Kern des selbstregulierten Lernens. Im Wesentlichen werden drei Arten von Lernstrategien unterschieden: kognitive, metakognitive und ressourcenorientierte Lernstrategien. Die ersten beiden werden auch als Primär, letztere als Sekundärstrategien bezeichnet (vgl. Wild, 2000). Die kognitiven Strategien beschreiben den Umgang mit einem einzelnen Lerninhalt. Sie lassen sich in sogenannte Oberflächen (Wiederholungsstrategien) und Tiefenstrategien (organisieren, elaborieren und kritisches Prüfen) unterscheiden. Während der Einsatz der Oberflächenstrategien lediglich dem Faktenlernen dient, führt der Einsatz von Tiefenstrategien zu einem gut verankerten Wissen. Hier wird versucht Lerninhalte zu verstehen, indem sie beispielsweise strukturiert oder an bereits bestehendes Vorwissen angeknüpft werden. Metakognitive Strategien lassen sich als sogenannte Kontrollstrategien bezeichnen. Sie zielen in erster Linie darauf ab, die Richtigkeit und den Einsatz der kognitiven Strategien zu überprüfen und den gesamten Lernprozess zu überwachen. Hierunter werden z. B. die Selbstreflexion und Selbstbewertung gefasst. Ressourcenorientierte Lernstrategien bilden wie der Name schließen lässt die Ressourcen ab, auf die der Lernende zugreifen kann. Hier werden internale Strategien wie Anstrengung, Aufmerksamkeit und Konzentration und externale Ressourcen wie eine geeignete Lernumgebung, soziale Unterstützung oder beispielsweise das Vorhandensein von Literatur differenziert (s. auch Abschn ). 2001; Zimmerman, 2000) und zum anderen die Schichtenmodelle (z. B. Boekaerts, 1999; Landmann & Schmitz, 2007a; Boekaerts & Niemivirta, 2000). Erstere fokussieren den phasen oder prozessbezogenen Charakter der Selbstregulation. Letztere betonen die verschiedenen (Selbst) Regulationsebenen. Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen diesen Zugangsweisen werden im Folgenden anhand ausgewählter Modelle illustriert. Um die Modelle verständlicher und greifbarer zu machen, unterstützt an dieser Stelle der Exkurs über die Bedeutung verschiedener Lernstrategien Prozessorientierte Modelle der Selbstregulation Das allgemeine Prozessmodell Prozess oder phasenbezogene Modelle betrachten die Selbstregulation als einen iterativen, also schrittweisen, regelkreisähnlichen Prozess. Dieser Prozess lässt sich in verschiedene Etappen gliedern. Er folgt letztlich einem Grundmuster, das bereits Mitte des letzten Jahrhunderts im allgemeinen kybernetischen Modell von Wiener (1948) beschrieben wurde. In dessen einfachem Regelkreismodell wird ein aktueller IstZustand mit einem angestrebten SollWert verglichen. Eine Feedbackschleife meldet das Ergebnis an das System zurück. Im Falle einer Übereinstimmung der beiden Werte erfolgt keine regulierende Aktion. Im Falle einer Diskrepanz zwischen den beiden Werten werden regulative Handlungen ergriffen, mit dem Ziel, den IstZustand an den SollWert anzugleichen. Erst bei der Übereinstimmung des IstZustands mit dem SollWert werden die Regulationsmaßnahmen eingestellt. Ein häufig zitiertes Beispiel für diesen Mechanismus ist der Heizungsthermostat. Dieser wird auf eine gewünschte Temperatur eingestellt (SollWert) und misst fortwährend (Zustandsmonitoring) die aktuelle Raumtemperatur (Ist Zustand). Im Falle einer negativen Diskrepanz (d. h. zu kühler Raumtemperatur) wird geheizt. Bei Erreichen der gewünschten Temperatur wird die Wärmezufuhr eingestellt, da keine Differenz zwischen IstZustand und Soll Wert mehr vorliegt. Der hier beschriebene Zyklus lässt sich leicht auf menschliches Verhalten so auch auf die Selbstregulation übertragen. Die in den letzten beiden Jahrzehnten hervorgebrachten Prozessmodelle der Selbstregulation bauten aufeinander auf und wurden durch die Berücksichtigung weiterer Annahmen und Konstrukte zunehmend differenzierter. Beispielsweise griff Zimmerman (2000) in seinem Modell grundlegende Überlegungen von Bandura (1991) auf, betonte jedoch stärker als dieser den kreisförmigen und adaptiven Charakter von Selbstregulation. Beispiel Da selbstreguliertes Verhalten zahlreiche Aspekte menschlichen Handelns betrifft (z. B. die Aneignung gesundheitsförderlichen Verhaltens, die Einübung motorischer Handlungsabläufe, die Optimierung des Arbeits und Lernverhaltens usw.), gibt es Modelle, die Selbstregulation im Zusammenhang mit einem speziellen Kontext beschreiben. Das selbstregulierte Lernen nimmt hierbei eine besondere Wichtigkeit ein: Lernen bezieht sich bei Weitem nicht nur auf Schule und Studium; der Mensch lernt von der ersten Minute an sein ganzes Leben lang. Zudem ist menschliches Lernen so lebensbereichsübergreifend wie kaum ein anderes Verhalten.

72 48 Kapitel 3 Selbstregulation und selbstreguliertes Lernen Abb. 3.2 Komponenten der Selbstregulation in der präaktionalen, der aktionalen und der postaktionalen Phase. (Nach Schmitz, B. & Schmidt, M. (2007). Einführung in die Selbstregulation. In M. Landmann & B. Schmitz (Hrsg.) Selbstregulation erfolgreich fördern. Praxisnahe Trainingsprogramme für effektives Lernen (S. 9 18). Stuttgart: Kohlhammer. Mit freundlicher Genehmigung des KohlhammerVerlags) Prozessmodelle der Selbstregulation im Kontext des Lernens Eine geeignete Darstellung, um Selbstregulation in den Kontext des Lernens zu stellen, bietet das Prozessmodell der Selbstregulation von Schmitz (Schmitz, Landmann & Perels, 2007;. Abb. 3.2). In diesem Modell werden drei Phasen differenziert, die Schmitz in Anlehnung an Heckhausen (1989) und Gollwitzer (1990) als präaktional, aktional und postaktional bezeichnet. Diese Phasen sind letztlich als Bestandteil eines iterativen Prozesses zu sehen: Adaptives Handeln findet immer dann statt, wenn präaktional Ziele gesetzt werden, deren Erreichung durch entsprechende Strategien in der aktionalen Phase angestrebt wird, und deren Bewertungsprozesse in der postaktionalen Phase zu eventuellen Modifikationen führen ( Beispiel Selbstreguliertes Lernen ). Das Modell basiert auf den Überlegungen von Zimmerman (2000), führt diese jedoch in verschiedener Hinsicht weiter und trägt insbesondere der Beobachtung Rechnung, dass nicht bei jeder Aufgabenstellung (z. B. bei sehr einfachen Aufgaben) explizite Selbstregulation notwendig ist und die Vollständigkeit der Bearbeitung von Aufgaben variiert. In dem Modell wird postuliert, dass Filter in der präaktionalen Phase zu diesen Unterschieden führen. Diese bilden implizite und explizite Entscheidungen ab, die vom Lerner im Hinblick auf die Aufgabenbearbeitung getroffen werden. Relevant für die Entscheidung sind Merkmale der Aufgabe (interessant, aufwändig), der Situation (Antizipation möglicher Störungen) und personelle Faktoren (z. B. verfügbare Zeit, Befindlichkeit, Anstrengungsbereitschaft). Nachfolgend werden die drei Phasen im Zusammenhang mit dem selbstregulierten Lernen erläutert: 1. Die präaktionale Phase ( forethought phase ) dient der Handlungsplanung bzw. der Lernvorbereitung. Ausgehend von der gegebenen Aufgabe, den Bedingungen der Situation, den individuellen Überzeugungen des Lerners und seinen emotionalen und motivationalen Voraussetzungen werden in dieser Phase Ziele definiert, Strategien zur Umsetzung der Ziele ausgewählt und entsprechende Handlungen geplant. Grundlegende Aspekte dieser Phase sind also die Aufgabenanalyse, die Zielsetzung und formulierung und das Herausbilden selbstmotivierender Überzeugungen für die bevorstehende Lernhandlung (etwa im Sinne von Selbstwirksamkeit). Der resultierende SollWert wird als Referenzgröße für zukünftiges Regulationsverhalten herangezogen. 2. Die sich anschließende aktionale Phase ( performance or volitional control phase ) entspricht der eigentlichen Lernhandlung. Hier werden die ausgewählten Strategien umgesetzt und das Handeln überwacht und kontrolliert. Kernaspekte dieser Phase sind volitionale (also willentliche) Prozesse, die der Aufrechterhaltung und Optimierung der Handlungsausführung dienen (z. B. Anstrengungs oder Konzentrationskontrolle). Weiterhin

73 3.2 Modelle der Selbstregulation 49 3 kommt der Selbstbeobachtung ein besonderer Stellenwert zu. Diese ermöglicht es, wesentliche Einflussgrößen und Wirkungen des eigenen Handelns zu beobachten und als Information für weitere Regulationsprozesse bereitzustellen. Erfolgreiches Lernen kann in dieser Phase an einer ausreichenden und effektiv genutzten Lernzeit sowie an einem situationsangemessenen Einsatz von allgemeinen (z. B. volitionalen) und aufgabenspezifischen (z. B. mathematischen) Strategien festgemacht werden. 3. Die abschließende postaktionale Phase ( selfreflection phase ) dient zum einen der Einschätzung der Handlungsergebnisse und zum anderen dem Bilden von Schlussfolgerungen für zukünftiges Handeln. Hauptkomponenten dieser Phase sind also die Bewertung der erbrachten Leistung und der Abgleich mit dem in der Planungsphase gesetzten Ziel (IstSoll Vergleich), die Reflexion über Ergebnisursachen und den gesamten Handlungsverlauf (z. B. Umgang mit Hindernissen, erfolgreiche Strategien) sowie das Bilden von Schlussfolgerungen und Vorsätzen (im Sinne der Strategie oder Zielmodifikation) im Hinblick auf die nächste Handlungsphase bzw. Lernsequenz. Reflektionen in der postaktionalen Phase beeinflussen also unmittelbar den Planungsprozess in der präaktionalen Phase des folgenden Lernzyklus. Eine anschauliche Beschreibung der drei Phasen bietet folgendes Beispiel: Beispiel Selbstreguliertes Lernen Mias Hausaufgabe besteht darin, innerhalb von drei Tagen ein Gedicht auswendig zu lernen. Präaktionale Phase: Sie schlägt das Buch auf, analysiert die Aufgabe (Lernen eines Gedichts mit drei Strophen) und formuliert ihr Ziel (im Idealfall SMART: spezifisch, messbar, angemessen, realistisch, terminiert; vgl. auch Kap. 17): Ich möchte jeden Tag neben den übrigen Hausaufgaben eine Strophe des Gedichts lernen. Danach plant Mia, welche Vorgehensweise zum Erfolg führen könnte (Planung der kognitiven Lernstrategien): Dazu werde ich die Strophe mehrmals betont lesen und dann versuchen, während des Aufsagens immer weniger in das Buch zu schauen. Mia ruft sich in Erinnerung, dass sie, wenn sie ihre Aufgaben erledigt hat, ihre Freundin besuchen kann (Motivation, vgl. auch Kap. 7). Aus vorherigen Erfahrungen weiß sie, dass sie gut auswendig lernen kann (hohe Selbstwirksamkeitserwartung, vgl. auch Kap. 8). Während der aktionalen Phase verhält sich Mia entsprechend ihres Plans. Vorab prüft sie, ob ihr Schreibtisch aufgeräumt und das Handy ausgeschaltet ist (externale Ressource: geeignete Lernumgebung). Dann beginnt sie mit dem Lernen und setzt die geplanten kognitiven Strategien ein. Sie liest die Strophe mehrfach laut. Dann überprüft sie, ob sie an ihrem ursprünglichen Plan festhält (SelfMonitoring): Sie erinnert sich, dass sie nach mehrfachem Ablesen das Buch seltener zur Hilfe nehmen wollte. So sieht Mia immer seltener in das Buch. Postaktionale Phase: Nach einiger Zeit stellt sie fest, dass sie noch nicht sehr viel auswendig gelernt hat. Sie ist traurig (emotionale Reaktion, vgl. auch Kap. 9), ist aber auch angespornt, ihre Aufgabe zu beenden. An dieser Stelle hat sie die Möglichkeit, ihr Ziel oder ihre Strategie zu modifizieren. Zweite präaktionale Phase: Mia merkt, dass das Gedicht einige Fremdwörter enthält, die es vorher zu klären gilt (Strategiemodifikation: erneute Planung kognitiver Lernstrategien). Zweite aktionale Phase: Mia informiert sich über die Bedeutung der Wörter, die ihr nicht klar sind. Da sie den Zusammenhang des Gedichts nun besser versteht, kann sie die Strophe bald auswendig aufsagen. Mia klappt das Buch zu und trägt die Strophe noch zweimal vor. Zweite postaktionale Phase: Sie stellt fest, dass sie ihr Ziel erreicht hat. Sie attribuiert ihren Erfolg auf ihre Anstrengung und ist von daher sehr stolz. Das Erreichen dieses Ziels wiederum beeinflusst ihre Selbstwirksamkeitserwartung bzgl. des nächsten Lernprozesses. Das Modell ist konform mit den Ergebnissen von Sitzmann und Ely (2011), die im Rahmen ihrer Metaanalyse die Erfolgsfaktoren selbstgesteuerten Lernens herauskristallisieren konnten: Zielsetzung, Selbstwirksamkeit, Ausdauer und Anstrengung. Ein weiteres Modell, das geeignet ist, um Selbstregulation im Kontext von Lernen darzustellen, stammt von Pintrich (2000). Es unterscheidet sich von den bisher dargestellten Modellen insofern, dass zum einen vier statt drei Phasen differenziert werden, da der Selbstüberwachung bzw. Selbstbeobachtung eine separate Phase gewidmet ist: die Überwachungs oder Monitoringphase. Somit besteht das Modell aus folgenden Phasen: 1. Planungs und Aktivationsphase 2. Überwachungs oder Monitoringphase 3. Kontrollphase 4. Reaktions und Reflexionsphase. Zum anderen werden, bezogen auf jede der vier Phasen, vier Regulationsaspekte bzw. bereiche unterschieden: 1. Kognition 2. Motivation/Affekt 3. Verhalten 4. Kontext.

74 50 Kapitel 3 Selbstregulation und selbstreguliertes Lernen Tab. 3.1 Phasen und Bereiche der Selbstregulation. (Modifiziert nach Pintrich, 2000, with permission from Elsevier) Phasen der Regulation 1 Voraussicht, Planung, Aktivierung A B C D Bereiche der Regulation Kognition Motivation/Affekt Verhalten Kontext Ziele setzen Wissensaktivierung Aktivierung metakognitiven Wissens 2 Monitoring Metakognitive Bewusstheit Monitoring der Kognitionen 3 Kontrolle Selektion und Anpassung kognitiver Strategien für Lernen und Denken 4 Reaktion, Reflexion Kognitive Beurteilung Attributionen Zielorientierung Selbstwirksamkeitseinschätzung Wahrnehmung der Aufgabenschwierigkeit Aktivierung von Aufgabenwert und Interesse Bewusstheit für und Monitoring von Motivation und Affekt Selektion und Anpassung von Strategien für Motivations und Affektregulation Affektive Reaktionen Attributionen Aus diesen vier Phasen/Regulationsbereichen ergibt sich ein 16zelliges Kategorisierungsschema, das zur Einordnung spezifischer Regulationsstrategien dient (. Tab. 3.1). Anhand dieser Matrix können spezifische Regulationsstrategien eingeordnet werden. Betrachten wir beispielsweise den kognitiven Regulationsbereich (A), also den Bereich des Denkens, Wissens und der Informationsverarbeitung. In der Planungsphase (A1) findet die Aktivierung von Wissen statt, die Faktenanalyse, die Analyse dessen, was der Lerner (noch nicht) weiß, welche Informationen vorhanden sind, welche benötigt werden etc. Im Rahmen des Monitorings (A2), das während der Aufgabenbearbeitung benötigt wird, geht es hingegen bereits um die Überwachung, hier speziell der kognitiven Vorgänge (z. B. werden in B2 Motivation und Emotion überwacht). Bezüglich der 3. Phase, also der Kontrollphase (A3) des Lernprozesses (Inwiefern wurde das Ziel erreicht?) muss der Lernende, insofern der Lernprozess nicht zielführend war, ggf. andere kognitive Strategien auswählen und einsetzen (wenn der Lernprozess erfolgreich war, müssen die Lernstrategien dementsprechend nicht geändert werden). In der Phase der Reaktion und Reflexion (A4) erfolgt die kognitive Beurteilung ( Das habe ich gut gemacht, weil ich die richtigen Strategien eingesetzt habe ) und Attribution ( Ich habe die Aufgabe gelöst, weil ich mich angestrengt habe oder auch Ich habe die Aufgabe gelöst, weil sie sehr leicht war ). Somit Planung von Zeit und Anstrengung Planung von Selbstbeobachtung des Verhaltens Bewusstheit für und Monitoring von Anstrengung, Zeitbedarf, Hilfebedarf Selbstbeobachtung des Verhaltens Anstrengung erhöhen/ reduzieren Durchhalten, Aufgeben Hilfe suchendes Verhalten lassen sich für jede Zelle bestimmte Vorgehensweisen schematisieren Schichtenmodelle der Selbstregulation Wahrnehmung der Aufgabe Wahrnehmung des Kontextes Monitoring von sich ändernden Aufgaben und Kontextbedingungen Aufgaben ändern/ beibehalten Kontext ändern/ verlassen Wahlverhalten Evaluation der Ziele und des Kontextes Den bisher vorgestellten Prozess und Phasenmodellen der Selbstregulation lassen sich Schichtenmodelle gegenüberstellen. Diese fokussieren nicht den zeitlichen Verlauf der Regulation, sondern betrachten die verschiedenen Ebenen. Unter den vorliegenden Schichtenmodellen hat das DreiSchichtenModell von Boekaerts (1999) besondere Aufmerksamkeit erfahren. Boekaerts definiert selbstreguliertes Lernen als eine komplexe Interaktion zwischen kognitiven und motivationalen Regulationsprozessen, die sich jeweils auf drei unterschiedliche Regulationsgegenstände beziehen können. Diese werden in ihrem Modell als drei konzentrische Ellipsen bzw. Schichten dargestellt (. Abb. 3.3). Der Regulationsgegenstand der inneren kognitiven Ellipse ist der Informationsverarbeitungsprozess. Hier gilt es zu regulieren, wie mit Informationen, in diesem Fall Lerninhalten, umgegangen wird. Im Rahmen dessen wählt der Lerner kognitive Primärstrategien (vgl. Wild, 2000) für die Bearbeitung einer Aufgabe aus. Der Lerner stellt sich also Fragen über einen einzelnen Lerngegenstand (z. B. über

75 3.2 Modelle der Selbstregulation Abb. 3.3 Die drei Schichten des selbstregulierten Lernens. (Modifiziert nach Boekaerts, 1999, with permission from Elsevier) eine Mathematikaufgabe) und die geeignete Herangehensweise. In der mittleren metakognitiven Schicht werden die Wahl und der Einsatz dieser kognitiven Strategien überwacht. Diese Überwachung erfolgt, indem metakognitives Wissen und metakognitive Strategien eingesetzt werden. Der Lerner beobachtet also, ob er die Aufgabe auch tatsächlich so bearbeitet, wie in der inneren Schicht geplant. In der äußeren, dritten Ellipse findet nun die den bisherigen Ebenen übergeordnete Regulation des Selbst statt. Dazu zählen insbesondere motivationale und volitionale Aspekte. Hier werden zum einen Ziele formuliert und zum anderen die entsprechenden Ressourcen (Zeit, Ruhe), die zur Zielerreichung notwendig sind, überprüft. Auch in dem Hierarchiemodell von Landmann und Schmitz (2007a) werden verschiedene, aufeinander aufbauende Ebenen der Regulation unterschieden. Es beinhaltet bei genauerer Betrachtung allerdings auch prozessuale Elemente. Dies ist dadurch bedingt, dass dem SelfMonitoring eine besondere Rolle zugewiesen wird. Wie bereits aus den Prozessmodellen hervorgegangen ist, führt Selbstregulation i. S. eines SollIstVergleichs dazu, dass der Lernprozess im Falle eines nicht erreichten Ziels wieder von Neuem beginnt. Dieses prozessuale Prinzip wird im beschriebenen Modell nun in mehrere Schichten verpackt : In diesem Ansatz wird der Gegenstand der Selbstbeobachtung sukzessive erweitert, wobei jeder Ebene ein spezifischer Beobachtungsgegenstand zugeordnet wird. Die verschiedenen Ebenen des SelfMonitoring bzw. der Regulation sind in. Abb. 3.4 ersichtlich. Auf der untersten Ebene wird die Ausführung einer ausgewählten Strategie (z. B. einer Lernstrategie wie Auswendiglernen) in Bezug auf die zuvor definierte Aufgabe überwacht (1. Ausführungsregulation). Wird die ausgewählte Strategie nicht korrekt ausgeführt, erfolgt eine Ausführungsregulation (Leutner & Leopold, 2005). Um bei dem Beispiel des Auswendiglernens eines Gedichts zu bleiben (s. o.), wäre dies der Fall, wenn Mia das Gedicht tatsächlich nur laut gelesen, sich aber nicht gleichzeitig darauf konzentriert hätte, es auch auswendig zu lernen. Das bedeutet, dass die Strategie zwar richtig gewählt, jedoch nicht richtig ausgeführt worden wäre. Führt dies nicht zum Erfolg (in diesem Fall zur Erledigung der Aufgabe), kann auf nächsthöherer Ebene die Strategieauswahl beobachtet bzw. reguliert und ein Strategiewechsel vollzogen werden (2. Strategieregulation). Beispielsweise könnte sich ein Schüler entscheiden, auf Lernkarten oder Gedächtnisstrategien (sog. Mnemotechniken) zurückzugreifen. In unserem Beispiel könnte Mia das Gedicht abschreiben. Führt das korrekte Ausführen der neuen Strategie zum Erfolg, ist mit der Zielerreichung die Lernepisode abgeschlossen. Ist jedoch weiterhin kein Erfolg zu verzeichnen, würden weitere verfügbare Strategien (z. B. Lernen mit Klassenkameraden) ausprobiert. Sollte es trotz der Strategieregulation nicht möglich sein, die Aufgabe zu bewältigen, ist es funktional, die Beobachtungsebenen erneut zu wechseln (3. Zielregulation) und das Ziel zu regulieren (d. h. in diesem Fall z. B. das eigene Anspruchsniveau herabzusetzen und vielleicht drei statt zwei Tage für das Lernen einzuplanen). Prinzipiell kann anders als in dem gerade beschriebenen Beispiel auf die Ebene der Zielregulation auch im Falle eines Erfolgs gewechselt werden. So könnte sich der Lernende beispielsweise in Bezug auf die nächste Lernsequenz anspruchsvollere Ziele setzen und sein Aufgabenniveau langfristig anheben. Das Modell lässt klar Elemente klassischer Schichtenmodelle erkennen, die jedoch mit prozessualen Komponenten (Zielsetzung, Handlungsausführung, Kontrolle, ggf. neue Zielsetzung) verbunden sind.

76 52 Kapitel 3 Selbstregulation und selbstreguliertes Lernen Abb. 3.4 Hierarchieebenen des SelfMonitoring und der Selbstregulation. (Modifiziert nach Landmann, M. & Schmitz, B. (2007a). Welche Rolle spielt SelfMonitoring bei der Selbstregulation und wie kann man mit Hilfe von Tagebüchern die Selbstregulation fördern? In M. GläserZikuda & T. Hascher (Hrsg.), Lernprozesse dokumentieren, reflektieren und beurteilen. Lerntagebuch & Portfolio in Forschung und Praxis (S ). Bad Heilbrunn: KlinkhardtVerlag. Mit freundlicher Genehmigung der Julius Klinkhardt Verlagsbuchhandlung KG) Exkurs Effekte von Interventionen zur Förderung von selbstreguliertem Lernen In ihrer Metaanalyse untersuchten Dignath, Büttner & Langfeldt (2008) die Effektivität von Interventionsprogrammen, die darauf abzielen, das selbstregulierte Lernen in der Grundschule zu fördern. Auf der Basis von insgesamt 48 Studien fanden sie sowohl hinsichtlich des Anstiegs der Selbstregulationskompetenz als auch hinsichtlich der Lernleistung vergleichsweise hohe Effektstärken. Weitere Analysen zeigten, dass Selbstregulation bereits in den unteren Klassenstufen (1 bis 3) effektiv trainiert werden kann und dass die Interventionsprogramme insbesondere dann erfolgreich waren, wenn sie nicht von der regulären Lehrkraft, sondern von Forschern durchgeführt wurden Diagnostik von Selbstregulation Wie bereits erläutert, sind theoretische Modelle selbstregulierten Verhaltens notwendig, um Instrumente zur Diagnostik zu entwickeln. Das bedeutet, dass zunächst festgelegt werden muss, aus welchen Komponenten Selbstregulation oder selbstreguliertes Lernen bestehen könnte und welche Beziehung die einzelnen Elemente vermutlich zueinander haben. Erst danach kann mit der Entwicklung eines Instruments zur Messung selbstregulatorischer Fähigkeiten begonnen werden ( Exkurs Effekte von Interventionen zur Förderung von selbstreguliertem Lernen ). Im Folgenden werden verschiedene Verfahren zur Erfassung von Selbstregulation im Kontext des Lernens vorgestellt und diskutiert. Hierbei wird zwischen Fragebögen, Lerntagebüchern, Beobachtungsverfahren, Interviews sowie Denkprotokollen unterschieden (s. auch Spörer & Brunstein, 2006) Fragebogen Die gängigen Fragebögen zur Selbstregulation unterscheiden sich hinsichtlich der von ihnen erfassten Komponenten. In fast allen Fragebögen werden kognitive und metakognitive Strategien abgefragt, in einigen auch Strategien zum Umgang mit inneren und äußeren Ressourcen oder der Motivation. Weit verbreitete englischsprachige Fragebögen zur Erfassung von Lernstrategien sind z. B. der Motivated Strategies for Learning Questionnaire (MSLQ; Pintrich, Smith, Garcia & McKeachie, 1991) und das Learning and Study Strategies Inventory (LASSI;

77 3.3 Diagnostik von Selbstregulation Tab. 3.2 Differenzierung von Lernstrategien gemäß LIST. (Nach Wild, K. P. & Schiefele, U. (1994). Lernstrategien im Studium. Ergebnisse zur Faktorstruktur und Reliabilität eines neuen Fragebogens. Zeitschrift für Differentielle und Diagnostische Psychologie, 15, Mit freundlicher Genehmigung des Verlags Hans Huber, Hogrefe AG) Lernstrategien Erläuterung Beispiele für Mathematik (Flächenberechnungen) und Englisch (Vokabellernen) Beispielitem aus dem LIST Kognitive Lernstrategien Wiederholungsstrategien Lerntätigkeiten, die durch das aktive Wiederholen einzelner Fakten eine feste Verankerung im Langzeitgedächtnis zu erreichen versuchen Mathematik: Das Auswendiglernen der Formel zur Berechnung der Fläche eines Rechtecks Englisch: Vokabeln werden auswendig gelernt Ich lerne Regeln, Fachbegriffe oder Formeln auswendig Elaborationsstrategien Integration von neu aufgenommenem Wissen in die bestehende Wissensstruktur, z. B. durch verbale oder bildliche Anreicherung, Verknüpfung mit Alltagsbeispielen und persönlichen Erlebnissen oder Bildung von Analogien Mathematik: alltägliche Beispiele (z. B. Wie groß ist der Fußballplatz, auf dem ich jede Woche spiele?) werden herangezogen Englisch: Die Bedeutungen von Wörtern werden mit Hilfe von Merksätzen gemerkt (z. B. Unterscheidung much und many : Matsch kann man nicht zählen; he, she, it das s muss mit ) Zu neuen Konzepten stelle ich mir praktische Anwendungen vor Organisationsstrategien Lerntätigkeiten, die dazu geeignet sind, die vorliegenden Informationen in eine leichter zu verarbeitende Form zu transformieren, wie z. B. durch das Anfertigen von Diagrammen und Skizzen Mathematik: Die Angaben aus einer Textaufgabe zur Flächenberechnung werden in eine Skizze übertragen Englisch: Erstellung eines Karteikastens für Vokabeln Ich stelle wichtige Fachausdrücke und Definitionen in eigenen Listen zusammen Metakognitive Lernstrategien Planung Monitoring/ Überwachung Regulation Der Lernende überlegt, wie er bei der Aufgabenbearbeitung vorgehen wird Der Lernende überprüft kontinuierlich seinen Lernerfolg Bei auftretenden Schwierigkeiten passt der Lernende seine Lerntechnik an Vor dem Lernen eines Stoffgebiets überlege ich mir, wie ich am effektivsten vorgehen kann Um Wissenslücken festzustellen, rekapituliere ich die wichtigsten Inhalte, ohne meine Unterlagen zu Hilfe zu nehmen Wenn mir eine bestimmte Textstelle verworren und unklar erscheint, gehe ich sie noch einmal langsam durch Ressourcenbezogene Lernstrategien Bereitstellung interner Ressourcen Bereitstellen externer Ressourcen Die Bereitstellung interner Ressourcen bezieht sich auf das Management der eigenen Anstrengung, die Investition von Aufmerksamkeit und Konzentration sowie das Management des eigenen Zeitbudgets Die Bereitstellung externer Ressourcen kann durch die Gestaltung einer günstigen Lernumgebung, das Hinzuziehen zusätzlicher Literatur sowie durch die Nutzung der Möglichkeiten von Arbeitsgruppen geschehen Wenn ich lerne, bin ich leicht abzulenken Ich suche nach weiterführender Literatur, wenn mir bestimmte Inhalte noch nicht ganz klar sind

78 54 Kapitel 3 Selbstregulation und selbstreguliertes Lernen Weinstein, Zimmerman & Palmer, 1988). Im deutschsprachigen Raum haben sich in diesem Zusammenhang der Fragebogen Lernstrategien im Studium (LIST; Wild & Schiefele, 1994) und das Kieler Lernstrategien Inventar (KSI; Baumert, 1993) etabliert. Dabei wird beispielsweise im LIST zwischen kognitiven, metakognitiven und ressourcenbezogenen Lernstrategien unterschieden ( Exkurs Lernstrategien ). In. Tab. 3.2 werden die verschiedenen Strategien mit Itembeispielen aus dem LIST dargestellt. Zudem wird die Anwendung kognitiver Lernstrategien anhand von Beispielen zum Mathematik und Englischlernen erläutert Lerntagebücher Eine weitere Möglichkeit selbstregulierte Lernstrategien zu erfassen, liegt im Einsatz von (Lern)Tagebüchern. Im Unterschied zu den im vorherigen Abschnitt beschriebenen Fragebögen wird mit Tagebüchern der momentane Zustand bzw. der aktuelle Strategieeinsatz und kein generelles Lernverhalten abgefragt. Bei der Erfassung der Selbstregulation durch Tagebücher werden von den Teilnehmern über einen bestimmten Zeitraum mehrfach (z. B. täglich) Fragen zu den einzelnen Komponenten beantwortet. Lerntagebücher erlauben so eine kontinuierliche und zeitnahe Erhebung der eingesetzten Strategien und der den Lernprozess begleitenden Emotionen. Besonders gut ist im Rahmen einer Tagebuchstudie nicht nur zu beobachten, ob eine Veränderung bezüglich des selbstregulierten Lernens stattgefunden hat, sondern ggf. auch wann. Zumeist sind die eingesetzten Tagebücher standardisiert (Abfolge sowohl identischer Fragen als auch identischer Antwortmöglichkeiten), um Mehrfachdeutungen im Rahmen der Auswertung zu vermeiden und somit möglichst hohe Objektivität zu erreichen. Beispielhaft ist in. Abb. 3.5 ein Tagebuch aus einer Studie zur Förderung selbstregulierten Lernens in der vierten Grundschulklasse dargestellt (Otto, 2007a). Dieses Tagebuch kam in einer Studie zum Einsatz, in der Schüler einer vierten Grundschulklasse über 7 Wochen ein Training in Selbstregulation erhielten. Während dieses Zeitraums füllten sie vor und nach den Hausaufgaben bzw. dem außerschulischen Lernen das Tagebuch aus. Das Tagebuch basierte inhaltlich auf dem Prozessmodell der Selbstregulation von Schmitz et al ( Abschn ). Items, die sich auf die präaktionale Phase dieses Modells bezogen, wurden vor dem Lernen bearbeitet und Items, die sich auf die aktionale bzw. postaktionale Phase bezogen, nach dem Lernen erfragt. So wird beispielsweise der Einsatz der metakognitiven Lernstrategien mit Fragen wie Was davon willst du heute erledigen? (Zielsetzung) oder Die Hausaufgaben, die ich mir für heute vorgenommen habe, habe ich alle geschafft (Monitoring) kontrolliert. Internale Ressourcen betreffende Fragen sind z. B. Ich konnte mich bei den Hausaufgaben heute gut konzentrieren (Konzentration) und Welche der folgenden Übung hast du heute gemacht?. Der Einsatz externaler Ressourcen hingegen lässt sich anhand von Fragen wie Meine Eltern haben heute kontrolliert und Ich wurde heute bei meinen Hausaufgaben gestört überprüfen. Ziel der Tagebuchstudie ist es letztendlich, zu überprüfen, ob, wann und inwiefern eine Intervention zu erhöhtem Einsatz von Lernstrategien und somit zur Verbesserung selbstregulatorischer Kompetenzen beigetragen hat. Mit dem Einsatz standardisierter Lerntagebücher als Evaluationsinstrumente sind bestimmte prozessbezogene Auswertungsmethoden verbunden, die im Sinne zeitreihenanalytischer Verfahren durchgeführt werden ( Exkurs Zeitreihenanalytische Auswertungen ; z. B. Perels, Otto & Schmitz, 2008). Die Zuverlässigkeit der mittels Lerntagebüchern erhobenen Daten hängt von zahlreichen Faktoren ab (z. B. Landmann & Schmitz, 2007a, b). Da der Lernende das Tagebuch über einen festgelegten Zeitraum regelmäßig ausfüllen muss, hängt das Ausfüllverhalten in starkem Maße von der Motivation des Lernenden ab. Daher ist es wichtig, das Tagebuch so zu gestalten, dass es für die entsprechende Zielgruppe ansprechend ist und deren Motivation zur Durchführung erhöht Interviews Interviews bieten die Möglichkeit, sowohl prospektiv den geplanten Einsatz der Strategien zu erfragen, als auch retrospektiv über eingesetzte Strategien berichten zu lassen. Die Fragen können in Interviews sowohl offen als auch geschlossen gestellt werden ( Welche Lernstrategie wurde eingesetzt? vs. Wurden Lernstrategien eingesetzt? ). Weiterhin können dem Lernenden auch Lernszenarien vorgegeben werden. Hierbei wird der Lernende aufgefordert, sein Vorgehen in einer solchen Situation zu erläutern (offenes Fragenformat). Diese offenen Fragen haben den Vorteil, dass sie es dem Lernenden nicht nur ermöglichen, vorgegebene Strategien als hilfreich für diese Situation zu beurteilen, sondern er kann durch die Beschreibung seines eigenen Vorgehens deutlich machen, über welches Strategierepertoire er verfügt. Ein deutschsprachiges Interview für Schüler zur Erfassung von Merkmalen selbstregulierten Lernens stammt von Spörer (2004). Bei diesem Verfahren erfolgt die Befragung individuell und in vertraulicher Atmosphäre. Der Ablauf des Interviews lässt sich in vier Bestandteile unterteilen: 1. Einführung: Der Schüler wird von dem Interviewer über das Vorgehen und die Art des Interviews informiert. Es erfolgt ein Hinweis auf die Vertraulichkeit des Verfahrens.

79 Diagnostik von Selbstregulation Präaktionale Phase Aktionale Phase Postaktionale Phase.. Abb. 3.5 Lerntagebuch. (Nach Otto, 2007a. Mit freundlicher Genehmigung des LogosVerlags) 2. Der Interviewer liest die erste Situation vor und fragt den Schüler, wie er üblicherweise in einer solchen Situation vorgeht. Folgende Situationen werden im Rahmen des Interviews thematisiert: a) Anfertigen von DeutschHausaufgaben: Vorgehen bei der Verfassung eines Deutschaufsatzes; b) Anfertigen von MathematikHausaufgaben; c) Vorbereitung und Lernen für eine Klassenarbeit in Biologie; d) Vorbereitung und Lernen für eine Klassenarbeit in Physik; e) geringe Motivation: Vorgehen, wenn man keine Lust hat zu lernen oder sich nicht auf Schulaufgaben konzentrieren kann; f) schlechte Noten: Umgang mit schlechten Noten; g) Hobbys: Umgang mit Misserfolgen/Schwierigkeiten beim Hobby; h) Freundschaften: Umgang mit Streit mit Freunden. i) Bei den Fragen zu den Situationen wird zunächst gefragt, wie der Schüler anfängt. Es folgt dann eine Frage dazu, wie er weiter vorgeht. Er wird nach Strategien gefragt, die er einsetzt, wenn er auf Schwierigkeiten/Probleme stößt. 3. Unbewertete schriftliche Dokumentation der Schülerantworten. 4. Bewertung der angegebenen Strategien: Auf einer vierstufigen Skala (von sehr selten bis immer ) soll der Schüler einschätzen, wie häufig er ein bestimmtes Verhalten zeigt bzw. eine bestimmte Strategie anwendet Beobachtungsverfahren Die bisher beschriebenen Verfahren setzen entweder voraus, dass die Probanden lesen und schreiben (Fragebogen und Tagebuch) oder aber ihr Vorgehen adäquat in Worte fassen können (Interview). Zur Diagnose selbstregulierten Lernens können sie daher z. T. erst ab dem Ende der Grundschule eingesetzt werden. Zudem werden mit diesen Methoden ausschließlich Selbstauskünfte der Teilnehmer über präferierte Strategien erfasst. Diese Präferenzen können jedoch vom tatsächlichen Strategieeinsatz deutlich abweichen ( Exkurs Warum gibt es nur geringe Zusammenhänge zwischen verschiedenen Instrumenten zur Erfassung des selbstregulierten Lernens? ). 3

80 56 Kapitel 3 Selbstregulation und selbstreguliertes Lernen Exkurs Zeitreihenanalytische Auswertungen Der Einsatz von standardisierten Lerntagebüchern ermöglicht es, ein Merkmal über einen längeren Zeitraum zu beobachten, sodass eine Vielzahl von Messungen vorliegt. Durch die Anwendung zeitreihenanalytischer Auswertungen können Veränderungen gemessen werden, indem der Verlauf der Veränderung näher betrachtet wird. Eine Zeitreihe wird in diesem Zusammenhang als eine zeitliche Folge von Zustandserhebungen (States) zu aufeinander folgenden Zeitpunkten beschrieben. Mithilfe zeitreihenanalytischer Verfahren ist es möglich, über eine genügend genaue Messung dieser Verläufe, nicht nur Änderungen im Lernverhalten (VorherNachherVergleich) festzustellen, sondern auch Annahmen über die Form des Verlaufs zu testen. Beispielsweise konnten Schmitz und Exkurs Perels (2011) im Rahmen einer Zeitreihenanalyse einen positiven Trend bzgl. des selbstregulierten Lernens durch den Einsatz eines Tagebuchs nachweisen. Weiterhin ermöglichen zeitreihenanalytische Verfahren neben der Analyse von Gruppendaten auch idiografische Analysen, d. h. einzelfallanalytische Untersuchungen (s. dazu Perels, Löb & Schmitz, 2007). Zur Veränderungsmessung mithilfe von Verlaufs oder auch Prozessdaten (z. B. zur Evaluation von Interventionen) stehen innerhalb der Zeitreihenanalysen vor allem zwei Verfahren zur Verfügung: die Trendanalyse und die Interventionsanalyse. Mithilfe von Trendanalysen wird überprüft, ob der Verlauf einer bestimmten Variable durch eine (z. B. lineare oder quadratische) Funktion beschrieben werden kann. Dabei kann sowohl der Verlauf für eine Gruppe (z. B. für eine Schulklasse) als auch der Verlauf für eine einzelne Person (z. B. Schüler) betrachtet werden. Mithilfe einer Interventionsanalyse wird untersucht, ob eine bestimmte Intervention (z. B. ein Lernstrategietraining) eine Wirkung hat und wie diese Intervention wirkt. Dazu wird die entsprechende Variable sowohl in einer Baseline (Phase ohne Training) als auch in einer Interventionsphase (Phase mit Training) erhoben. Es wird dann statistisch geprüft, inwiefern diese Intervention zu einem signifikanten Unterschied des Niveaus der beiden Phasen beigetragen hat. Über eine solche Untersuchung der Zeitreihe kann die Wirkung der Intervention genauer analysiert werden Warum gibt es nur geringe Zusammenhänge zwischen verschiedenen Instrumenten zur Erfassung des selbstregulierten Lernens? Spörer und Brunstein (2006) diskutieren eingehend die Frage, warum die Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Instrumenten zur Erfassung des selbstregulierten Lernens zumeist sehr gering ausfallen und Selbstauskünfte häufig nicht oder schwach mit Leistungsmaßen korrelieren. 1. Globalität des erfassten Merkmals: Der Grad der Spezifität bei Selbstberichts und Beobachtungsdaten ist häufig nicht derselbe. Während in Beobachtungssituationen in der Regel vorgegebene Situationen definiert sind, in denen die Probanden ein Verhalten zeigen können oder nicht, wird bei Lernstrategieinventaren und interviews häufig globaler danach gefragt, was ein Schüler macht, wenn er lernt. Zur Erhöhung der gemeinsamen Varianz zwischen Instrumenten wäre es daher möglich, entweder die Fragen in Selbstberichtsverfahren spezifischer zu formulieren (z. B. durch Vorgabe von Aufgabengebieten) oder mehrere Beobachtungen in verschiedenen Situationen durchzuführen und die Selbstberichtsdaten mit den aggregierten Beobachtungsdaten zu korrelieren (s. auch Winne & Perry, 2000). 2. Mit Beobachtungsverfahren wird kein Strategiewissen erhoben: Die Schwierigkeit bei Beobachtungsdaten liegt häufig darin, dass Schüler durchaus eine Strategie kennen und diese ggf. auch in ihrem Lernalltag einsetzen, dass sie jedoch in der spezifischen Beobachtungssituation nicht eingesetzt wird, weil sie beispielsweise nicht erforderlich erscheint. 3. Selbstberichte erfassen kein konditionales Wissen: Selbstberichtsverfahren erfragen zumeist nur, ob Schüler eine bestimmte Strategie kennen bzw. ob sie diese auch anwenden. Sie erfragen aber nicht, ob der Schüler einzuschätzen weiß, bei welcher Aufgabe und in welcher Situation welche Strategie am besten eingesetzt werden sollte (konditionales Wissen). Bei der Erfassung des selbstregulierten Lernens durch Beobachtungen wird dieses konditionale Wissen jedoch indirekt miterfasst, da der Schüler in Abhängigkeit von seiner Entscheidung, ob eine Strategie in dieser Situation von Nutzen ist, diese Strategie einsetzen wird oder nicht. 4. Erfassung einer unterschiedlichen Strategiereife: Mit den verschiedenen Instrumenten könnte möglicherweise eine unterschiedliche Strategiereife (vgl. Hasselhorn, 1996) erfasst werden. Während Selbstberichtsverfahren hauptsächlich die Strategiekenntnis erfassen, auch wenn die erworbenen Strategien noch nicht effizient eingesetzt werden können, werden durch Beobachtungen Daten gewonnen, die belegen, ob Lernstrategien effektiv eingesetzt werden. In Abschn findet sich eine detaillierte Beschreibung der verschiedenen Entwicklungsstufen der Strategiereife. Insgesamt ziehen Spörer und Brunstein (2006) den Schluss, dass es für die Prognose von Verhalten und Leistung von Vorteil ist, gerade wegen der geringen gemeinsamen Varianz der Instrumente diese kombiniert einzusetzen, um die verschiedenen Varianzanteile des vorherzusagenden Kriteriums zu erklären.

81 3.4 Förderung von Selbstregulation 57 3 Exkurs Entwicklung von selbstreguliertem Lernen Rheinberg, Vollmeyer und Rollett (2000) zufolge wird die Fähigkeit zum selbstregulierten Lernen wichtiger, je älter der Lernende wird, da sich ältere Schüler oder auch Studierende zunehmend komplexeres Material selbstständig aneignen müssen. Daher liegen auch verschiedene Interventionsprogramme zur Förderung von Selbstregulation vor, die sich an Personen fast aller Altersstufen (Vorschule, unterschiedliche Jahrgangsstufen in der Schulzeit, Studium und Berufsleben; auch Abschn. 3.5) richten. Allerdings sollte selbstreguliertes Lernen möglichst früh gefördert werden, um günstige Lerngewohnheiten zu etablieren und dysfunktionale Lerngewohnheiten zu vermeiden. Die Frage, ab welchem Alter komplexe Lernstrategien und Selbstregulation erworben werden können, ist nicht abschließend geklärt. Hasselhorn und Gold (2006) beschreiben verschiedene entwicklungspsychologische Phasen, die bei dem Erwerb von Lernstrategien durchlaufen werden müssen. Jede Phase lässt sich durch ein Problem charakterisieren, das es zu überwinden gilt. Auf der ersten Stufe steht das Mediationsdefizit im Vordergrund. Damit ist gemeint, dass Kinder selbst dann, wenn sie gezeigt bekommen, wie eine Lernstrategie eingesetzt wird und aufgefordert werden, diese selbst auszuführen, nicht dazu in der Lage sind. In der zweiten Stufe (Produktionsdefizit) können Kinder bestimmte Lernstrategien zwar produzieren, benötigen dazu aber explizite Nutzungshinweise, da die Strategien noch nicht in das spontane Verhaltensrepertoire integriert worden sind. Auf der nächsten Entwicklungsstufe muss das sog. Nutzungsdefizit überwunden werden. Dass der spontane Strategieeinsatz nicht zum gewünschten Erfolg führt, kann zum einen daran liegen, dass Lerner auf dieser Stufe noch nicht entscheiden können, wann eine bestimmte Strategie am wirkungsvollsten eingesetzt wird. Zum anderen kann das Problem darin liegen, dass Strategien noch nicht hinreichend automatisiert sind und der Strategieeinsatz zu viel kognitive Kapazität bindet, worunter die inhaltliche Bearbeitung der Aufgabe leidet. Geht man davon aus, dass Schüler erst ab dem Alter von Jahren über ein breiteres Repertoire an differenziert einsetzbaren Lernstrategien verfügen, ist ein effizienter Einsatz von Lernstrategien also frühestens bei Schülern ab dem Ende der Sekundarstufe erwartbar. Aus den genannten Gründen werden Beobachtungsverfahren zur Erfassung selbstregulativer Kompetenzen vor allem in Untersuchungen mit jüngeren Kindern eingesetzt (z. B. für den schulischen Kontext: Veenman & Beems, 1999). Im CINDLEProjekt (Anderson, Coltman, Page & Whitebread, 2003) wird ein Beobachtungsinstrument für Erzieherinnen entwickelt, das der Erfassung des independent learning dient. Die CHILDChecklist besteht aus insgesamt 22 Items, die von dem Beobachter auf einer vierstufigen Skala dahingehend einzuschätzen sind, wie häufig die beschriebenen Strategien angewendet werden. Zusätzlich besteht für die Beobachter die Möglichkeit, Kommentare einzutragen. Bei diesem Instrument beziehen sich die Autoren auf die Bereiche selbstregulierten Lernens, wie sie Bronson (2000) postuliert: emotionale, prosoziale, kognitive und motivationale Selbstregulation. Zu diesen Bereichen wurden jeweils mehrere Items formuliert, mit deren Hilfe das Verhalten von Kindern in Lernsituationen eingeschätzt werden kann. Hinsichtlich der emotionalen Selbstregulation soll beispielsweise beurteilt werden, ob das Kind über sein oder das Verhalten anderer und die damit verbundenen Konsequenzen sprechen kann. Weiterhin wird diesbezüglich erfragt, ob das Kind auch bei auftretenden Schwierigkeiten nicht aufgibt. Beobachtungsverfahren werden häufig mit Videoanalysen verknüpft. Dabei wird die zu beobachtende Sequenz videografiert und im Nachhinein von verschiedenen Beurteilern unabhängig voneinander bewertet Denkprotokolle Eine weitere Methode zur Erfassung des selbstregulierten Lernens wird von Winne und Perry (2000) vorgestellt. Bei sog. Denkprotokollen werden die Teilnehmer der Studie aufgefordert, alle Gedanken auszusprechen, die sie während der Bearbeitung einer Aufgabe beschäftigen. Diese Dokumentationen werden dann differenziert ausgewertet und bieten eine gute Möglichkeit, Einblicke in die spezifischen, spontanen Strategieanwendungen der Versuchspersonen zu erhalten. Eine Einschränkung dieses Verfahrens besteht jedoch darin, dass die statistische Auswertung relativ schwierig ist. Sobald selbstreguliertes Lernen mithilfe entsprechender Instrumente erfasst wurde, können entsprechende Interventionen angesetzt werden, um die gewünschten Fähigkeiten zu fördern. Im Anschluss an eine Interventionsmaßnahme kommt das Instrument wiederum zum Einsatz, um Fortschritte der Fähigkeit des selbstregulierten Lernens zu überprüfen. Im Folgenden werden exemplarisch solche Fördermaßnahmen beschrieben. 3.4 Förderung von Selbstregulation Selbstreguliert lernen zu können, stellt eine wesentliche Voraussetzung für den Lernerfolg dar. Dass dennoch nicht alle Schüler im Verlauf der Schulzeit zu kompetenten selbstregulierten Lernern werden (z. B. De Jager, Jansen & Reezigt,

82 58 Kapitel 3 Selbstregulation und selbstreguliertes Lernen ), kann verschiedene Gründe haben: Manchen fehlt die Praxis, andere wurden nie richtig angeleitet. In den letzten Jahren entstand eine große Anzahl von Interventionen zur Verbesserung des selbstregulierten Lernens und Handelns von Schülern, Studierenden und Erwachsenen (z. B. Landmann, Pöhnl & Schmitz, 2005; Otto, 2007a). Stöger und Ziegler (2010) konnten in diesem Zusammenhang zeigen, dass die Wirksamkeit von Selbstregulationstrainings unabhängig von den kognitiven Voraussetzungen von Schülern ist. Im folgenden Abschnitt werden einige Gesichtspunkte benannt, nach denen vorliegende Interventionsprogramme eingeordnet werden können Gestaltung und Optimierung von Trainingsmaßnahmen zur Förderung von Selbstregulation Trainings zur Förderung von Selbstregulation unterscheiden sich durch viele Aspekte. Dies betrifft in erster Linie den Inhalt der Maßnahme und das methodische Vorgehen. Letzteres bezieht sich insbesondere darauf, ob die Vermittlung der Inhalte direkt oder indirekt erfolgt. Auch bzgl. der Zielgruppe, für die ein Training konzipiert werden soll, unterscheiden sich die Interventionen. Hier gilt es unter anderem, das Alter der Adressaten zu berücksichtigen ( Exkurs Entwicklung von selbstreguliertem Lernen ). Inhalte der Maßnahme. Vorliegende Interventionen lassen sich danach unterscheiden, ob eine ganzheitliche Förderung im Vordergrund steht und somit alle Regulationsphasen betrachtet werden oder ob ausgewählte kognitive, motivationale oder metakognitive Aspekte einzelner Phasen (z. B. Zielsetzung, Attribution) trainiert werden. Das vorliegende Kapitel beschränkt sich auf die ganzheitliche Förderung selbstregulatorischer Kompetenzen; das Kap. 17 stellt hingegen eine Maßnahme vor, die ausschließlich motivationale Aspekte thematisiert. Direkte vs. indirekte Maßnahmen. Grundsätzlich können direkte von indirekten Maßnahmen unterschieden werden (Friedrich & Mandl, 1997). Eine direkte Förderung setzt beim Lernenden selbst an, um eine Optimierung des Lernverhaltens zu erzielen. Dieses ist zumeist bei Schülertrainings der Fall (z. B. Perels, 2007). Die Schüler werden beispielsweise darin geschult, wie sie sich Ziele für ihr Lernen setzen können, sich motivieren können oder wie sie mit Ablenkungen oder Misserfolgen umgehen können. Bei der indirekten Förderung des selbstregulierten Lernens geht es in der Regel darum, dass durch eine gezielte (Um)Gestaltung der Lernumgebung selbstreguliertes Lernen ermöglicht und angeregt wird (vgl. z. B. Deci & Ryan, 2000; Friedrich & Mandl, 1997). Dies kann etwa durch ein Training der Eltern im Sinne einer förderlichen Hausaufgabenunterstützung oder die Schulung der Lehrkräfte zur Integration selbstregulativer Aspekte in den Fachunterricht geschehen (Perels, Dignath & Schmitz, 2009). In solchen Förderprogrammen geht es demnach vor allem darum, dass die zentralen Gestalter der Lernumwelt (Otto, 2007a) Methoden erlernen, wie sie einen positiven Einfluss auf das Lernverhalten der Schüler ausüben und somit das selbstregulierte Lernverhalten von Schülern unterstützen können. Studien, in denen beispielsweise Lehrkräfte entsprechende Trainingsprogramme zur Förderung des selbstregulierten Lernens in ihren Klassen durchgeführt haben, zeigen, dass dies prinzipiell möglich ist (z. B. Souvignier & Mokhlesgerami, 2006). Der Metaanalyse von Dignath, Büttner & Langfeldt (2008) zufolge sind Interventionen durch externe Trainer allerdings effektiver als Trainings, die durch die regulären Lehrkräfte durchgeführt werden. Die Effektivität sowohl direkter als auch indirekter Interventionen lässt sich durch günstige Trainingsbedingungen steigern. Einige dieser günstigen Trainingsbedingungen werden im Folgenden näher erläutert. Weitere Punkte finden sich in Abschn (Implementation von Trainingsprogrammen). Optimierung hinsichtlich direkter Förderung Kombination der selbstregulativen Strategien mit fachspezifischen Inhalten. Die Vermittlung selbstregulatorischer Strategien ist dann besonders wirksam, wenn nicht nur Selbstregulation an sich vermittelt wird, sondern wenn diese mit fachspezifischen Inhalten verknüpft wird (Klauer, 2000; Perels, 2007; Perels, Gürtler & Schmitz, 2005; Souvignier & Mokhlesgerami, 2006). So zeigte sich beispielsweise in der Studie von Perels et al. (2005), dass Schüler, die neben Selbstregulationsstrategien auch mathematische Problemlösestrategien vermittelt bekamen, bessere Trainingseffekte erzielten als Schüler, die lediglich Selbstregulationsstrategien vermittelt bekamen. Somit scheint der inhaltliche Bezug der fächerübergreifenden Selbstregulationsstrategien zu einem bestimmten Unterrichtsfach (z. B. Mathematik) den Trainingserfolg zu steigern. Selbstbeobachtung. Ein zentrales Element des selbstregulierten Lernens ist die Selbstbeobachtung (SelfMonitoring; Landmann & Schmitz, 2007a). Schon die alleinige kontinuierliche Selbstbeobachtung kann zu Reaktivität führen, d. h., das Verhalten kann sich bereits durch die bloße Selbstbeobachtung in die gewünschte Richtung verändern (z. B. Kanfer, Reinecker & Schmelzer, 2000). Man spricht in diesem Zusammenhang vom MonitoringEffekt. Dass die Wirksamkeit der Selbstbeobachtung etwa über den Einsatz von Lerntagebüchern gefördert wird, konnte in verschiedenen Studien nachgewiesen werden (z. B. Schmitz, 2001).

83 3.4 Förderung von Selbstregulation 59 3 Transfersicherung. Ebenso wichtig wie ein gut konzipiertes Training ist die Sicherung des Transfers der vermittelten Inhalte; also die Sicherstellung der Anwendung der erlernten Fertigkeiten auch nach Ende der Intervention. Somit ist es nicht ausreichend, ausschließlich selbstregulatorische Inhalte zu vermitteln; auch die Fähigkeit der Probanden, diese Inhalte in verschiedenen Situationen anwenden zu können, muss im Rahmen einer Intervention geschult werden. Dieses kann erreicht werden, indem verschiedene Anwendungskontexte für die Strategien thematisiert und deren Gebrauch in diesen Bereichen eingeübt werden. Je mehr die Schüler die Anwendungsbreite einer erlernten Strategie erkennen, desto eher erfolgt der Transfer auch in andere Themenfelder. Eine ausführliche Darstellung zum Thema Transfer von Selbstregulationsinhalten findet sich bei Pickl (2004). Optimierung hinsichtlich indirekter Förderung Otto (2007a, b) postuliert, dass die zentralen Gestalter der Lernumwelt insgesamt drei verschiedene Möglichkeiten haben, wie sie auf das selbstregulierte Lernen der Schüler Einfluss nehmen können: Schaffung günstiger Lernbedingungen. Aufbauend auf den theoretischen Überlegungen und empirischen Belegen im Rahmen der Forschung zur Selbstbestimmungstheorie (Deci & Ryan, 2000) lassen sich Schlussfolgerungen für den schulischen Alltag ziehen, wie der Unterricht bzw. die Hausaufgabenhilfe gestaltet sein sollte, um motiviertes selbstreguliertes Lernen zu ermöglichen. So können Lehrkräfte und Eltern beispielsweise günstige (motivationsförderliche) Lernbedingungen schaffen, indem sie Aufgaben stellen, die sich an den Interessen der Schüler orientieren und die Schüler bei einer autonomen Aufgabenbearbeitung unterstützen. Im schulischen Kontext kann dem Instruktionsprinzip der Autonomieunterstützung Rechnung getragen werden, indem den Schülern Wahlmöglichkeiten gegeben werden, wodurch das selbstständige und selbstgesteuerte Erkunden, Planen, Handeln und Lernen ermöglicht und gefördert werden. Hierbei sind entsprechend angemessene Unterrichtsmethoden von Bedeutung. So bieten sich beispielsweise Projektarbeiten oder Wochenpläne zur Autonomieunterstützung an. Ebenso fördern das Gruppenpuzzle oder das Stationenlernen die Autonomie des Schülers beim Erlernen neuer Unterrichtsinhalte. Werden Schüler hingegen stark kontrollierend, d. h. mit vielen engen Vorgaben unterrichtet, so führt dieses nicht nur zu einer Verringerung von Initiative beim Lernen, sondern auch zu weniger effektivem Lernen (z. B. Utman, 1997). Neben der Autonomieunterstützung ist auch die Kompetenzunterstützung von Bedeutung. Das heißt, die Schüler sollten nicht nur das Gefühl der Wahlmöglichkeiten haben, sondern auch spüren, dass sie fähig sind, die gestellten Aufgaben erfolgreich bewältigen zu können. Zur erfolgreichen Kompetenzunterstützung im schulischen Alltag ist vor allem das informative und motivationsförderliche Feedback geeignet. Erhalten Schüler regelmäßig Rückmeldung über ihr Lernen und die angewendeten Strategien, so können sie ihr Lernverhalten entsprechend anpassen. Dabei ist es wichtig, dass nicht nur die Bewertung des Lernergebnisses kommuniziert wird, sondern auch Lernprozesse und Lernergebnisse mit den positiven wie verbesserungswürdigen Anteilen thematisiert werden. Bei solchen Rückmeldungen ist zudem von Bedeutung, dass günstige Attributionen nahegelegt werden (Möller, 2001). Dieses bedeutet insbesondere, dass vor allem Misserfolge nicht auf (unveränderliche) mangelnde Fähigkeiten oder auf Faktoren zurückgeführt werden sollten, die außerhalb der Kontrolle des Schülers liegen. Idealerweise werden hier veränderbare Ursachen wie z. B. mangelnde Anstrengung oder falscher Strategiegebrauch zur Erklärung eines Misserfolges herangezogen. Kombination mit direkter Strategievermittlung. Neben der Schaffung günstiger Lernbedingungen können Lehrkräfte und Eltern zusätzlich auf direktem Weg Strategien zur Selbstregulation vermitteln. Sie können die Schüler z. B. in effektiver Zeitnutzung schulen, oder hinsichtlich dessen, wie sie sich bei Unlust oder Ablenkung für ihre Hausaufgaben motivieren können. Im Grunde können die zentralen Gestalter der Lernumwelt (Lehrkräfte, Eltern) somit die gleichen Strategien vermitteln, die externe Trainer in den direkten Förderprogrammen für Schüler als Trainingsinhalte thematisieren. Insofern müssen sie im Rahmen der indirekten Förderprogramme mit den Selbstregulationsstrategien vertraut gemacht werden, um diese weitervermitteln zu können. Modellverhalten. Lehrkräfte und Eltern können auch über ihr eigenes Modellverhalten (Bandura, 1991) Einfluss auf das selbstregulierte Lernverhalten der Schüler nehmen. Schüler können ein günstiges Lernverhalten erlernen, indem sie dieses zunächst an einem positiven Modell beobachten und später imitieren. Lehrkräfte oder Eltern können solche Modelle darstellen (Otto, Perels & Schmitz, 2008). Im Unterrichtsalltag sollte die Lehrkraft daher die Selbstregulationsstrategien, die sie bei den Schülern gerne sehen würde, auch selbst zeigen. Dazu kann z. B. die regelmäßige Angabe von Lernzielen am Anfang des Unterrichts, die demonstrative Verwendung einer Lernstrategie wie das Unterstreichen von wichtigen Textpassagen sowie die Reflexion und Evaluation am Ende der Unterrichtsstunde gehören. Es liegen mehrere empirische Studien dazu vor, dass Trainingsprogramme für Eltern (z. B. Lund, Rheinberg & Gladasch, 2001) und Lehrkräfte (z. B. De Jager, Jansen &

84 60 Kapitel 3 Selbstregulation und selbstreguliertes Lernen Reezigt, 2005; Perels, Dignath & Schmitz, 2009; Souvignier & Mokhlesgerami, 2006) als indirekte Intervention durchaus erfolgreich sein können, um das selbstregulierte Lernen von Schülern zu optimieren. Trotzdem wird immer wieder ersichtlich, dass direkte Trainingsangebote an Schüler effektiver sind als indirekte Interventionen (Otto, 2007a). Insofern wäre es optimal, eine kombinierte Intervention für die Schüler selbst sowie für die Gestalter der Lernumwelt durchzuführen. Nachdem die voranstehenden Abschnitte zunächst die Diagnostik selbstregulierten Lernens und anschließend allgemeine Hinweise zur Gestaltung entsprechender Interventionen beschreiben, stellt das nachfolgende Kapitel bereits etablierte Maßnahmen zur Steigerung selbstregulatorischer Kompetenzen (überwiegend, aber nicht ausschließlich) im Kontext des Lernens vor Exemplarische Beschreibung von Trainingsmaßnahmen Die Förderung von Selbstregulation kann sich bezüglich der geförderten Aspekte der Selbstregulation, der verwendeten Methode oder hinsichtlich der Zielgruppe unterscheiden. Im Folgenden werden exemplarisch ein Schülertraining zur Vermittlung mathematischer Problemlösestrategien, ein computerbasiertes Training zur Förderung einzelner kognitiver Lernstrategien, ein webbasiertes Training zur Vermittlung metakognitiver Lernstrategien mit einem Tagebuch und ein Training zur Förderung von Selbstregulation bei Erwachsenen vorgestellt. Förderung von mathematischen Problemlösestrategien bei Schülern Nachfolgend wird exemplarisch eine direkte Intervention in Form eines Schülertrainings skizziert, welches vertiefend bei Perels (2007) nachgelesen werden kann. Dieses Training kombiniert fachliche mit fachübergreifenden Inhalten und wurde in der 5. gymnasialen Jahrgangsstufe durchgeführt. Zielsetzung ist es, die Selbstregulationsfähigkeit der Schüler zu verbessern. Das Training basiert auf dem Prozessmodell der Selbstregulation (Schmitz & Wiese, 2006) und besteht aus insgesamt 10 wöchentlichen Trainingssitzungen im Umfang von jeweils 2 Schulstunden. Da im Sinne der Optimierung von Trainingseffekten ( Abschn ) überfachliche Strategien mit fachspezifischen Inhalten gekoppelt werden sollten, wurden den Schülern zusätzlich zu Selbstregulationsstrategien mathematische Problemlösestrategien vermittelt. Die 1., 9. und 10. Stunde dienen dem Kennenlernen und der Wiederholung der Inhalte. Die verbleibenden 7 Sitzungen werden den drei Phasen der Selbstregulation zugeordnet; dabei werden chronologisch entsprechende Strategien vermittelt. Die mathematischen Problemlösestrategien werden ebenfalls den drei Phasen des Modells zugeordnet. So werden in Bezug auf die präaktionale Phase innerhalb von 3 Sitzungen sowohl die Selbstregulationsstrategien Zielsetzung und Planung als auch die handlungsvorbereitenden Strategien des mathematischen Problemlösens Skizze, Selektion und Überschlag vermittelt. Bezüglich der aktionalen Phase werden in 2 Sitzungen einerseits Strategien zur Förderung von Konzentration, Motivation und Willensstrategien trainiert; andererseits wird auf die Zerlegung beim Problemlösen eingegangen. Zwei Sitzungen widmen sich den postaktionalen Strategien und vermitteln die Reflexion und den Umgang mit Fehlern. In. Tab. 3.3 sind die Inhalte des Schülertrainings pro Sitzung detailliert aufgeführt. Das Training wird von zwei externen Trainern nachmittags in den Räumen der Schule durchgeführt. Die Gruppengröße besteht jeweils aus maximal 15 Schülern. Die einzelnen Inhalte werden in der Regel zweimal wiederholt. Im Verlauf des Trainings werden alle Strategien auf einer persönlichen Schreibtischunterlage festgehalten. Weiterhin füllen die Schüler täglich über den gesamten Zeitraum hinweg ein standardisiertes Lerntagebuch ( Abschn ) aus. Zielsetzung des Lerntagebuchs ist es zum einen, die strukturierte Selbstbeobachtung im Hinblick auf das individuelle Lernverhalten zu fördern und Reflexionsund Regulationsprozesse anzuregen. Zum anderen sollen auf diese Weise die Inhalte des Trainings systematisch in die Hausaufgabenbearbeitung integriert werden. Die Auswahl der Trainingsmethoden zeichnet sich durch Variation und Aktivierung aus. So werden neben direkter Instruktion auch Gruppenarbeiten und Spiele integriert und Frontalunterricht durch Übungsphasen aufgelockert. Weiterhin fungieren die Trainer und der Trainingsaufbau explizit als Modell für selbstregulatives Vorgehen. Der Aufbau der einzelnen Sitzungen ist identisch: Zu Beginn des Trainings findet ein Stuhlkreis statt. Hier wird über die Erfahrungen und Probleme bezüglich der Umsetzung der neuen Strategien, die in den letzten Sitzungen eingeübt wurden, und beim Ausfüllen des Tagebuchs gesprochen. Dann findet der inhaltliche Teil der aktuellen Sitzung statt. Nach Abschluss der Inhalte jeder Trainingsphase wird eine 10minütige Wissensabfrage durchgeführt und in der jeweils folgenden Sitzung korrigiert an die Teilnehmer zurückgegeben. Am Ende jeder Sitzung erfolgt die schriftliche Evaluation der Stunde, ein Abschlussstuhlkreis und eine mündliche Rückmeldung in Form eines Blitzlichts (kurze Aussage eines jeden Teilnehmers, welche nicht weiter kommentiert oder diskutiert wird). Zur Transferförderung werden Hausaufgaben aufgegeben. Diese werden eingesammelt, mit schriftlichem, informativem Feedback angereichert und in der folgenden Woche zurückgegeben. Vorteile dieses Trainings sind die massierte (in kurzer Zeit sehr intensive) Förderung ganzheitlicher Selbstregu

85 3.4 Förderung von Selbstregulation Tab. 3.3 Inhalte des Schülertrainings. (Nach Perels, F. (2007). Hausaufgabentraining für Schüler der Sekundarstufe I: Förderung selbstregulierten Lernens in Kombination mit mathematischem Problemlösen bei der Bearbeitung von Textaufgaben. In M. Landmann & B. Schmitz (Hrsg.), Selbstregulation erfolgreich fördern (S ). Stuttgart: Kohlhammer. Mit freundlicher Genehmigung des Kohlhammer Verlags) 1. Sitzung Basics 2. Sitzung Vor dem Lernen 3. Sitzung Vor dem Lernen 4. Sitzung Vor dem Lernen 5. Sitzung Während des Lernens Erwartungen Regeln Überblick Einstieg Einstellung zu Mathematik Selektion Überschlag Zielsetzung Selektion Skizze Planung Einstellung Ziele Selektion Überschlag Skizze Konzentration Motivation Zerlegung 6. Sitzung Während des Lernens 7. Sitzung Nach dem Lernen 8. Sitzung Nach dem Lernen 9. Sitzung Selbstregulation 10. Sitzung Problemlösen Umgang mit störenden Gedanken Zerlegung Umgang mit Ablenkern Wiederholung Motivation Volition Probe Umgang mit Fehlern Individuelle Bezugsnorm Umgang mit Fehlern Probe Wiederholung Abschluss lationsstrategien und deren Kombination mit fachspezifischen Inhalten. Als nachteilig könnten sich die zeitlichen und personellen Kosten des Trainings erweisen, die durch die 10 außercurricularen Sitzungen, die Leitung durch zwei Trainer, die relativ kleinen Gruppengrößen und das begleitende Lerntagebuch bedingt sind. Die Evaluationsergebnisse bestätigen jedoch die Wirksamkeit des Trainings und rechtfertigen den Aufwand. Sowohl die selbstregulatorischen Fähigkeiten als auch das mathematische Problemlösen konnten durch das Training gefördert werden. Auch seitens der Schüler fiel die Einschätzung des Trainings trotz der zeitlichen Belastung sehr positiv aus. Förderung kognitiver Lernstrategien mit einem computerbasierten Training Selbstregulationstrainings finden nicht zwangsläufig im Rahmen von Präsenzlernen statt; immer häufiger wird selbstreguliertes Lernen auch im Zusammenhang mit BlendedLearning (vgl. Spiel et al., 2007) oder der ausschließlichen Verwendung von elektronischen Medien gefördert. Der folgende Abschnitt stellt ein computerbasiertes Trainingsprogramm für die 10. Jahrgangsstufe von ElzenRump und Leutner (2007) vor. Zielsetzung dieses Programms ist es, den Einsatz einer MappingStrategie (globales Organisieren und sprachliches Integrieren gelesener Information) im Kontext naturwissenschaftlicher Sachtexte zu optimieren. Die Besonderheit besteht darin, dass der qualitätsvolle Einsatz dieser Lernstrategien reguliert werden soll. Basierend auf dem EPOSModell (Essener prozessorientiertes Selbstregulationsmodell nach Leutner & Leopold, 2005) wird damit vor allem auf die Mikro ebene der Lernprozessregulation fokussiert. Der Lernende bekommt Wissen darüber vermittelt, warum und wie er einzelne Schritte der MappingStrategie einbringen und sich selbst beim Strategieeinsatz beobachten, einschätzen und angemessen reagieren kann. Vergleichsstandard bei der Selbstregulation ist in diesem Fall also nicht das Gesamtziel, sondern die Erreichung zuvor festgelegter Qualitätsanforderungen bei der Strategieumsetzung. Didaktisch unterteilt sich das Training in drei Teile: 1. Fallbeispiel 2. Lernstrategieteil 3. Selbstregulationsteil. Alle drei Teile beinhalten geschriebene Textabschnitte, Grafiken und verbale Beschreibungen, die z. T. gesprochen werden. Weiterhin sind im Selbstregulationsteil Übungsaufgaben integriert. Die Bearbeitungszeit kann individuell variieren, ist jedoch auf 90 Minuten ausgerichtet. Die Wirksamkeit des computerbasierten Trainings konnte in Trainingsexperimenten in Bezug auf das Lernverhalten und den Lernerfolg beim Lesen von Sachtexten belegt werden. (Weitere Interventionen zur Trainierbarkeit kognitiver Grundfunktionen jedoch ohne den Aspekt der selbstregulatorischen Kompetenzen finden sich in Kap. 17.) Vermittlung metakognitiver Strategien mit einem webbasierten Lerntagebuch Winter (2007; Winter & Hofer, 2007) konzipierte ein webbasiertes Lerntagebuch, das Studierende bei der Planung und Regulation des universitären Lernverhaltens unterstützen soll. Dieses Programm ist prinzipiell unabhängig von den Inhalten einzelner Lehrveranstaltungen oder unterschiedlichen Lehrplänen und zielt auf die Förderung metakognitiver und ressourcenbezogener Regulationsstrategien ab. Der Lernende wird durch dieses Tool über einen längeren Zeitraum (z. B. ein Semester oder mehrere

86 62 Kapitel 3 Selbstregulation und selbstreguliertes Lernen Wochen während der Prüfungsvorbereitung) angehalten, sein Lernverhalten in regelmäßigen Zeitabständen zu planen, zu beobachten, zu protokollieren und zu reflektieren. Dies geschieht anhand von Leitfragen, die sich entweder auf einen einzelnen Lerntag oder eine ganze Lernwoche beziehen. Darüber hinaus hat er die Möglichkeit, die Entwicklung seines Lernverhaltens über die Zeit grafisch darstellen zu lassen. Dieses elektronische Lerntagebuch wurde an der Universität Mannheim erprobt und die Ergebnisse zeigen, dass eine sorgfältige und kontinuierliche Nutzung die Selbstregulation beim Lernen (z. B. Zeit zur Prüfungsvorbereitung, Wissenstest) verbessert. Förderung von Selbstregulation bei Erwachsenen Dass Selbstregulation auch im Erwachsenenalter erfolgreich gefördert werden kann und die beschriebenen Strategien auch für den beruflichen Kontext hilfreich sein könnten, zeigt das im Folgenden beschriebene Training von Landmann (2005; Landmann, Pöhnl & Schmitz, 2005). Es richtet sich an Personen, die sich in Phasen beruflicher Neuorientierung oder des beruflichen Wiedereinstiegs befinden. Das Training besteht aus 7 wöchentlichen Trainingssitzungen von jeweils 2,5 Stunden. Die Strukturierung und Auswahl der vermittelten Inhalte orientiert sich am Handlungsphasenmodell (Gollwitzer, 1990; Heckhausen, 1989). Es werden wesentliche Strategien jeder einzelnen Handlungsphase (prädezisionale, präaktionale, aktionale, postaktionale Phase) vermittelt, um hierdurch einen vollständigen Handlungsablauf zu fördern und somit die Zielerreichung zu ermöglichen. Die vermittelten Strategien sind: Zielsetzung Handlungsplanung Selbstmotivierung Selbstbeobachtung Handlungsregulation Volition Attribution Reflexion. In. Tab. 3.4 sind die Inhalte des Trainings entsprechend den einzelnen Sitzungen dargestellt. Die einzelnen Sitzungen folgen einem ähnlichen Ablauf. Zu Beginn werden in der Gruppe die Erfahrungen mit dem Tagebuch und bei der Umsetzung der Inhalte seit der letzten Trainingssitzung besprochen. Anschließend werden die Inhalte der jeweiligen Stunde in eine vereinfachte Darstellung des Handlungsphasenmodells eingeordnet, das als Rahmenmodell für das gesamte Training dient und die kognitive Strukturierung der vermittelten Inhalte seitens der Teilnehmer erleichtert. Bevor neue Inhalte vermittelt werden, erfolgt die Aktivierung von Vorwissen. Theoretische Inhalte.. Tab. 3.4 Struktur und Inhalte des Trainings zur beruflichen Zielerreichung. (Modifiziert nach Landmann, 2005, mit freundlicher Genehmigung des ShakerVerlags, Aachen) Einheit Inhalte 1. Termin Kennenlernen, Struktur des Trainings Kennenlernen der Teilnehmer untereinander Vorstellen von Gruppenregeln Abgleich von Zielen und Erwartungen Trainingsüberblick, Modell Hausaufgabe 2. Termin Postaktionale Motivationsphase: Ziele I, Umgang mit Erfolg und Misserfolg Sinn von Zielen und Zielbindung, Verträge, Trainingsziel, Zielvereinbarung Strategien zum Umgang mit Erfolg und Misserfolg Nutzenfokussierung, realistische Interpretation von Ereignissen Auswirkungen von günstigem und ungünstigem Umgang mit Ergebnissen Hausaufgabe 3. Termin Prädezisionale Motivationsphase: Ziele II, Stärken Herausfordernde/realistische Zielsetzung, Zielanpassung Zusammenhang zwischen Zielsetzung und Ergebnis Stärkenanalyse Hausaufgabe 4. Termin Prädezisionale Motivationsphase: Ziele III Strukturierung und Formulierung von Zielen Zielformulierung Hausaufgabe 5. Termin Präaktionale Volitionsphase: Handlungsplanung Nutzen konkreter, schriftlicher Planung Umgang mit Handlungs und Wochenplänen Erstellen eines Handlungsplanes Vorausschauende Problemanalyse Problemlösen/allg. Problemlöseleitfaden (Rückfallpräventionsmodell) Hausaufgabe 6. Termin Aktionale Volitionsphase: Selbstregulationszyklus Selbstregulationszyklus: Selbstbeobachtung, bewertung, reaktion Nutzen und Anwendung von Verstärkern Zusammenhang von Emotionen, Kognitionen, Verhalten Kognitions und Emotionssteuerung Hausaufgabe 7. Termin Wiederholung, Abschluss, Evaluation Wiederholung der zentralen Inhalte des Trainings Rückblick/persönliches Resümee, Trainingserinnerer Evaluationsfragebogen

87 3.5 Ausblick 63 3 werden in kurzen, interaktiven Vortragssequenzen dargeboten und in anschließenden Einzel oder Gruppenübungen vertieft. Zum Ende jeder Sitzung werden die Inhalte der Sitzung von den Teilnehmern zusammengefasst; außerdem wird eine Hausaufgabe aufgegeben. Das Training wird in Kleingruppen von maximal 15 Personen durchgeführt. Wesentliche weitere konzeptionelle Bestandteile des Trainings sind a) ein Trainingsprojekt (in der Regel das berufliche Ziel) der Teilnehmer, das zu Beginn des Trainings gesetzt und an dem sukzessive die vermittelten Strategien umgesetzt/erprobt werden, b) ein Trainingsvertrag zwischen den Teilnehmern und dem Trainer und c) ein Selbstbeobachtungstagebuch, das täglich ausgefüllt wird und das der strukturierten Umsetzung und Beobachtung der im Training vermittelten Strategien im Alltag dient. Die Ergebnisse belegen die Wirksamkeit des Trainings sowohl im Hinblick auf die Vermittlung von Selbstregulationsstrategien als auch in Bezug auf die berufliche Zielerreichung (Landmann, Pöhnl & Schmitz, 2005), wobei sich das Tagebuch als besonders wirkungsvolle Trainingskomponente erwiesen hat. 3.5 Ausblick Ungeachtet der intensiv betriebenen Forschungs und Entwicklungsarbeit in den letzten Jahren lässt sich eine Reihe von Fragestellungen nennen, denen es zukünftig nachzugehen gilt. Exemplarisch seien abschließend ausgewählte Forschungsthemen skizziert: Derzeit existiert eine Reihe von Selbstregulationsmodellen, die sich trotz unterschiedlicher Schwerpunktsetzungen mehr oder weniger stark überlappen. Eine Herausforderung für die weitere Forschung wird darin bestehen, vorliegende Modellvorstellungen stärker zu integrieren. Eine weitere offene Forschungsfrage zielt auf das Verhältnis zwischen Fremd und Selbststeuerung, das in den wenigsten Theorien Berücksichtigung findet, ab. Auch die Frage, welche Rolle das soziale Umfeld und Peergruppen bei der Unterstützung von Selbstregulation spielen, ist bisher wenig erforscht. In Bezug auf die Messung von Selbstregulationskompetenz besteht Forschungsbedarf hinsichtlich der Frage, worauf die eher geringen Korrelationen zwischen der im Fragenbogen erhobenen Selbstregulationskompetenz und dem tatsächlich gezeigten Regulationsverhalten zurückzuführen sind. In diesem Zusammenhang ist auch die Analyse der Beziehung zwischen den verschiedenen Möglichkeiten zur Förderung selbstregulierten Lernens von wissenschaftlichem Interesse. Bezogen auf die unterstützenden Maßnahmen zur Förderung selbstregulierten Lernens bildet die Konzeption und Evaluation von Selbstbeobachtungstagebüchern, die der Förderung von Selbstbeobachtung dienen, einen weiteren Themenschwerpunkt. Da das SelfMonitoring eine wesentliche Voraussetzung für gelungenes Regulationsverhalten darstellt, ist die Identifikation von Maßnahmen zur Unterstützung der Selbstbeobachtung von hoher Relevanz. Selbstregulationstagebücher konnten zwar bei unterschiedlichen Zielgruppen erfolgreich zur Förderung von Selbstregulation eingesetzt werden, sie sind aber noch vergleichsweise aufwändig und wenig alltagstauglich. Generell gilt es schließlich auch näher zu analysieren, ab welchem Alter welche Selbstregulationskompetenzen gefördert werden können. Fazit Insgesamt sollte mit diesem Kapitel deutlich gemacht werden, dass Selbstregulationskompetenzen für erfolgreiches Lernen und Studieren entscheidend sind. Die vielfältigen Forschungsaktivitäten in diesem Bereich haben zur Entwicklung zunehmend differenzierter Modelle der Selbstregulation geführt, die Ausgangspunkt von Fördermaßnahmen wurden. Ungeachtet des umfangreichen Kenntnisstands und der Tatsache, dass selbstreguliertes Lernen als ein wichtiges Qualitätskriterium von Schulqualität angesehen wird, ist jedoch die Vermittlung von Selbstregulationsstrategien weder in der Schule, noch im Studium oder im Berufsleben selbstverständlich. Dieses Ungleichgewicht verweist letztlich auf allgemeine Probleme der praktischen Umsetzung von Forschungsergebnissen, die (auch) in der Aus und Weiterbildung von Lehrkräften und Hochschullehrern zu verorten sind ( Kap. 18). Verständnisfragen 1. Warum ist selbstreguliertes Lernen wichtig für den Lernerfolg? 2. Welche Phasen werden bei den neueren prozessorientierten Modellen der Selbstregulation unterschieden und was beinhalten die einzelnen Phasen? 3. Welche Verfahren zur Erfassung selbstregulierten Lernens werden unterschieden? 4. Beschreiben Sie die Inhalte des LIST! 5. Wie lauten die allgemeinen Prinzipien, die bei der Wissensvermittlung zum selbstregulierten Lernen beachtet werden sollten?

88 64 Kapitel 3 Selbstregulation und selbstreguliertes Lernen Vertiefende Literatur Baumeister, R. F. & Vohs, K. D. (2004). Handbook of selfregulation. Research, theory and applications. New York: Guilford. Boekaerts, M., Pintrich, P. & Zeidner, M. (2000). Handbook of selfregulation. San Diego, CA: Academic Press. Landmann, M. & Schmitz, B. (2007). Selbstregulation erfolgreich fördern. Praxisnahe Trainingsprogramme für effektives Lernen. Stuttgart: Kohlhammer. Literatur Anderson, H., Coltman, P., Page, C., Whitebread, D. (2003). Developing independent learning in children aged 3 5. Paper presented at the conference of the European Association for Research on Learning and Instruction (EARLI), Podova, Italy. Bandura, A. (1991). Social cognitive theory of self regulation. Organizational Behavior and Human Decision Processes, 50, Baumert, J. (1993). Lernstrategien, motivationale Orientierung und Selbstwirksamkeitsüberzeugungen im Kontext schulischen Lernens. 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90 67 II Lehren Kapitel 4 Unterricht 69 Frank Lipowsky Kapitel 5 Klassenführung 107 Tina Seidel Kapitel 6 Medien 121 Holger Horz

91 69 4 Unterricht Frank Lipowsky 4.1 Begriffliche und theoretische Grundlagen Didaktische Theorien Modelle für die Planung und Analyse von Unterricht Aeblis Entwurf einer kognitionspsychologischen Didaktik InstructionalDesignModelle AngebotsNutzungsModell Merkmale und Merkmalskonfigurationen erfolgreichen Unterrichts Strukturiertheit des Unterrichts Inhaltliche Klarheit und Kohärenz des Unterrichts Feedback Kooperatives Lernen Üben Kognitive Aktivierung Metakognitive Förderung Unterstützendes Unterrichtsklima Innere Differenzierung, Individualisierung und Scaffolding als Formen adaptiven Unterrichts Zusammenfassung und Einbettung der Befunde Grenzen 96 Literatur 98 E. Wild, J. Möller (Hrsg.), Pädagogische Psychologie, SpringerLehrbuch, DOI / _4, SpringerVerlag Berlin Heidelberg 2015

92 70 Kapitel 4 Unterricht Dieses Kapitel beleuchtet theoretische Grundlagen unterrichtlichen Lehrens und Lernens und gibt einen Überblick über wichtige Ergebnisse der Unterrichtsforschung. Dabei wird sowohl auf kognitive als auch auf affektivmotivationale Merkmale von Schulerfolg Bezug genommen (. Abb. 4.1). 4.1 Begriffliche und theoretische Grundlagen Dieser Abschnitt setzt sich mit begrifflichen und theoretischen Grundlagen unterrichtlichen Lehrens und Lernens auseinander. Wenn hier von Unterricht oder unterrichtlichem Lehren und Lernen die Rede ist, dann ist primär der Unterricht in der Schule gemeint, obgleich der Terminus Unterricht auch Prozesse in Institutionen der Erwachsenenbildung, wie z. B. in der Hochschule oder in der privaten oder betrieblichen Weiterbildung, umfasst. Definition Unterricht kann als langfristig organisierte Abfolge von Lehr und Lernsituationen verstanden werden, die von ausgebildeten Lehrpersonen absichtsvoll geplant und initiiert werden und die dem Aufbau von Wissen sowie dem Erwerb von Fertigkeiten und Fähigkeiten der Lernenden dienen. Sie finden in der Regel in bestimmten dafür vorgesehenen Institutionen unter regelhaften Bedingungen statt (Terhart, 1994). Im Folgenden werden zunächst theoretische Ansätze vorgestellt, die seitens der Schulpädagogik ( Abschn ) und der Unterrichtsforschung ( Abschn ) zur Analyse von Lehr und Lernprozessen und zur Erklärung von Schulerfolg entwickelt wurden. Daran anschließend wird ein Überblick über den Forschungsstand zu Unterrichtsmerkmalen gegeben, die die kognitive und die affektivmotivationale Entwicklung der Lernenden beeinflussen ( Abschn. 4.2) Didaktische Theorien Modelle für die Planung und Analyse von Unterricht.. Abb. 4.1 ( Digital Vision/Thinkstock) Die allgemeine Didaktik hat eine Vielzahl von didaktischen Theorien entwickelt, die sich vor allem als Modelle für die Planung und Analyse von Unterricht verstehen. Bekannt geworden sind vor allem die didaktischen Modelle von Klafki (1963, 1996) und Heimann et al. (1965), auf die hier kurz eingegangen werden soll. Klafki (1963, 1996) akzentuiert in seiner bildungstheoretischen, später zur kritischkonstruktiven Didaktik weiterentwickelten Konzeption die Auswahl und Begründung von Unterrichtsinhalten. Dem Bedeutungsgehalt eines Themas misst Klafki die zentrale Rolle für die Bildung der Lernenden bei. Da nicht jeder Inhalt nach Ansicht Klafkis bildungsbedeutsam ist, hat die Lehrperson vorrangig die Aufgabe, die Inhalte auf ihren gegenwärtigen und zukünftigen Bedeutungsgehalt zu analysieren. Hierzu entwickelt Klafki die sog. didaktische Analyse, die der Lehrperson Leitfragen zur Vorbereitung ihres Unterrichts an die Hand gibt. In ihrer Berliner Didaktik unterscheiden Heimann, Otto und Schulz (1965) vier Entscheidungsfelder (Ziele, Inhalte, Verfahren und Medien des Unterrichts) und zwei Bedingungsfelder (anthroprogene und soziokulturelle Lernvoraussetzungen der Lernenden) und betonen deren Interdependenz. Beispielsweise lassen sich ohne Kenntnis der Lerngruppe und ihrer spezifischen Voraussetzungen didaktische Entscheidungen nicht begründet treffen. Das Berliner Modell hatte großen Einfluss auf die Ausbildung ganzer Lehrergenerationen und akzentuiert vor allem die Frage nach der sinnvollen und kohärenten Beziehung zwischen Zielen, Inhalten und Methoden des Unterrichts. Von Schulz (1980) wurde es zur Hamburger Didaktik weiterentwickelt, wobei er vor allem an den wissenschaftstheoretischen Prämissen des Berliner Modells Änderungen vornahm. Obgleich seit einigen Jahren zunehmende Kritik an den Modellen und Theorien der allgemeinen Didaktik laut wird, die sich vor allem an der mangelnden Integration empirischer Forschungsbefunde und an der Abstraktheit der Modelle entzündet, sind sie auch heute noch für die Ausbildung von Lehrpersonen von Bedeutung. Sie geben der Lehrperson wichtige Leitfragen zur Planung von Unterricht an die Hand, sensibilisieren für bestehende Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Entscheidungsfeldern, regen zur Reduzierung und Strukturierung

93 4.1 Begriffliche und theoretische Grundlagen 71 4 des Unterrichtsgegenstands an und bilden damit ein Gerüst für die Planung und Analyse von Unterricht. Zum Ausfüllen dieses Rahmens ist es jedoch auch notwendig, Erkenntnisse aus der empirischen Unterrichtsforschung und den Fachdidaktiken heranzuziehen Aeblis Entwurf einer kognitionspsychologischen Didaktik Einen ganz anderen Weg der Theoriebildung beschritt der Schweizer Hans Aebli. Als Schüler Piagets entwickelt er eine stark auf kognitionspsychologischen Erkenntnissen beruhende Didaktik und legt den Schwerpunkt auf die Lern und Verstehensprozesse der Lernenden, indem er nach den allgemeingültigen Strukturmerkmalen der Operations und Begriffsbildung fragt und damit die kognitive Tiefengrammatik (Messner & Reusser, 2006) des Unterrichts akzentuiert. Aebli geht und das kennzeichnet seine Nähe zu kognitionspsychologischen und konstruktivistischen Positionen ( Abschn ) davon aus, dass Lernende ihr Wissen selbst aufbauen müssen und dass die Auseinandersetzung mit Problemen besonders geeignet ist, diesen Wissensaufbau zu befördern. Die Lernprozesse im Unterricht sollten nach Aebli (1983) bestimmte Schritte durchlaufen: problemlösendes Aufbauen Durcharbeiten Üben Anwenden Den Ausgangspunkt einer Unterrichtseinheit bildet ein Problem, das die Lernenden zu den geforderten Operationen führen soll und das geeignet sein muss, die sachlichen Beziehungen und Strukturen zu verdeutlichen. Das Problem, das in der Regel von der Lehrperson eingebracht wird, sollte in lebenspraktische Zusammenhänge eingekleidet sein. Zunächst entwickeln die Lernenden eine Lösung für das gestellte Problem und bauen dabei neue Operationen auf. Die bei der Problembearbeitung gewonnenen Einsichten sind jedoch noch sehr am spezifischen Problem verhaftet. Um ein vertieftes Verständnis der Zusammenhänge zu erreichen und bewegliches Denken zu fördern, ist es daher notwendig, Handlungen, Begriffe und Operationen durchzuarbeiten, d. h. vielfältigen Transformationen zu unterwerfen und sie aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten. Im Zuge eines solchen Durcharbeitens reinigen wir den Begriff von den Schlacken, die ihm von der ersten Erarbeitung her anhaften. Die wesentlichen Zusammenhänge treten in Klarheit hervor (Aebli, 1976, S. 206). Der Lehrperson kommt dabei u. a. die Aufgabe zu, neue Einsichten hervorzuheben, darüber zu wachen, dass der Überblick über das Ganze nicht verloren geht, und den Blick immer wieder auf die ursprüngliche Fragestellung zu lenken. Übungs und Wiederholungsphasen dienen der Automatisierung und Konsolidierung des Gelernten. Aebli (1976, S. 238ff.) verweist bei der Gestaltung der Übungsphasen auf die Erkenntnisse der Lernpsychologie. Er erinnert z. B. an das Gesetz des verteilten Übens ( Abschn ) und fordert, erst dann auswendig zu lernen, wenn eine ausreichende Durcharbeitung stattgefunden hat. Nach der Konsolidierung des Gelernten sollen Handlungen, Operationen und Begriffe in vielfältiger Weise angewendet werden, um sie transferierbar für neue Kontexte und Situationen zu machen. Anwendungen stehen jedoch nicht ausschließlich am Schluss einer Unterrichtseinheit, sondern erfolgen auch bei der Bearbeitung und Lösung neuer Probleme. Aeblis Entwurf einer kognitionspsychologischen Didaktik erfreut sich in Deutschland in jüngster Zeit wachsender Beliebtheit. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Zum einen gilt sein Entwurf als anschlussfähig an die aktuelle Unterrichtsforschung, und zum zweiten richtet Aebli seinen Fokus nicht, wie die meisten didaktischen Theorien, auf Oberflächenmerkmale von Unterricht, sondern eher auf die konkreten Lern und Verstehensprozesse der Lernenden InstructionalDesignModelle Die angloamerikanische Lehr und Lernforschung fasst Modelle zur Planung und Gestaltung von Unterricht häufig unter dem Begriff instructional design zusammen (Niegemann, 2001). Im Gegensatz zu den didaktischen Modellen deutscher Provenienz (s. o.) fokussieren die Instruktionsdesignmodelle konkreter auf die eigentlichen Lehr und Lernprozesse und beschäftigen sich intensiver mit der Frage nach deren Wirksamkeit. Insofern wundert es nicht, dass die entwickelten Ansätze sehr eng mit den jeweils vorherrschenden lerntheoretischen Annahmen ihrer Zeit korrespondieren. Im Folgenden werden exemplarisch Modelle vorgestellt, die sich auf behavioristische Ansätze stützen, eine deutliche Affinität zu kognitiven Theorien aufweisen oder an konstruktivistischen Grundannahmen orientiert sind. Kritisch angemerkt werden muss, dass vor allem die frühen InstructionalDesignModelle den Unterricht sehr technologisch betrachteten, indem sie unterrichtliche Prozesse auf rationale, vollständig zu planende Teilschritte reduzierten und ein aus heutiger Sicht vergleichsweise naives mechanistisches Verständnis des Lehrens und Lernens vertraten (ReinmannRothmeier & Mandl, 2001).

94 72 Kapitel 4 Unterricht Behavioristisch orientierte Instructional DesignModelle Im Mittelpunkt des einflussreichen Modells von Carroll (1963) steht die Lernzeit. Carroll betrachtet den Lernerfolg eines Schülers als eine Funktion des Verhältnisses von tatsächlich aufgewendeter aktiver Lernzeit und benötigter Lernzeit (Lernerfolg = aktive Lernzeit / benötigte Lernzeit). Die benötigte Lernzeit wird aufseiten der Lernenden beeinflusst von deren Lernvoraussetzungen, genauer von den aufgabenspezifischen und den allgemeinen kognitiven Fähigkeiten, von der Fähigkeit, dem Unterricht zu folgen und von der Qualität des Unterrichts (. Abb. 4.2). Die aufgabenspezifischen und allgemeinen kognitiven Voraussetzungen beeinflussen wiederum die Fähigkeit, dem Unterricht zu folgen, auf die sich auch die Qualität des Unterrichts auswirkt: Ist die Qualität des Unterrichts gering, benötigt der Lernende mehr Zeit und günstigere kognitive Lernvoraussetzungen, um dem Unterricht zu folgen. Als Merkmale guten Unterrichts nennt Carroll Aspekte wie die Klarheit der Begriffe und Erklärungen, die vernünftige Anordnung der Inhalte, das Ausmaß an Wiederholungen und Anwendungen, die Klarheit der Anforderungen sowie die Bekräftigungen, Verstärkungen und Rückmeldungen seitens der Lehrperson. Ähnlich wie Carroll räumt Bloom (1976) der Lernzeit eine bedeutsame Rolle ein: 90 % der Lernenden einer Klasse können gute Leistungen erreichen, wenn ihnen ausreichend Zeit zum zielerreichenden Lernen ( mastery learning ) zugestanden wird und wenn sich der Unterricht an den speziellen Lernbedürfnissen und Lernvoraussetzungen der Lernenden orientiert. Ein qualitativ hochwertiger Unterricht zeichnet sich nach Bloom dadurch aus, dass die Lehrkraft den Unterrichtsstoff schrittweise darbietet und nach jeder Unterrichtssequenz den Lernenden Rückmeldungen gibt, ob diese die Leistungsanforderungen erfüllt haben oder nicht. Für diejenigen Schüler, die die Lernziele nicht erreicht haben, stellt die Lehrperson zusätzliche Instruktionen und Übungen bereit, bis die Lernenden die Ziele erfüllen. Zu den weiteren Komponenten der Unterrichtsqualität gehören für Bloom die Bekräftigung der Lernenden und ein effektives Unterrichtsmanagement, das sich in einem hohen Anteil aktiv genutzter Lernzeit widerspiegelt. In Blooms Verständnis von Unterrichtsqualität kommt deutlich das Konzept des zielerreichenden Lernens zum Ausdruck (Bloom, 1971). Diese Form individualisierten Unterrichts, die vor allem die den Lernenden zur Verfügung gestellte Lernzeit variierte, erwies sich zwar einerseits als wirksam (Kulik, Kulik, & BangertDrowns, 1990; Hattie, 2009). Andererseits zeigte sich jedoch, dass die Effekte in erheblichem Ausmaß mit der Qualität des Lehrerfeedbacks, den spezifischen Leistungsanforderungen und den eingesetzten Tests variieren und dass stärkere Schüler durch die zahlreichen remedialen Schleifen in ihrer Entwicklung eher gehemmt werden (Arlin, 1984). Unterrichtspraktisch erwiesen sich die Zergliederung des Lernstoffs in kleine Häppchen, die passive Rolle der Lernenden und die großen zeitlichen Beanspruchungen, die durch die remediale Instruktionen entstanden, als problematisch. Kognitionspsychologisch fundierte InstructionalDesignModelle Die kognitive Struktur des Menschen ist nach Ansicht von Ausubel (1974) hierarchisch geordnet. Sie umfasst auf einer höheren Ebene allgemeinere Begriffe und Konzepte, die sich nach unten in spezifischere Begriffe und Konzepte auffalten. Damit es Lernern gelingt, neue Wissenselemente in ihre bestehende kognitive Struktur zu integrieren, sollte die Darbietung des Unterrichtsgegenstands (Exposition) bestimmten Prinzipien genügen: Zu Beginn einer Unterrichtssequenz sollten Advance Organizer als Strukturierungshinweise eingesetzt werden. Sie geben einen Überblick über den Unterrichtsgegenstand, bieten gedankliche Verankerungsmöglichkeiten und erleichtern die Einordnung neuer Ideen, Gedanken und Konzepte ( Abschn ). Der Unterricht sollte von allgemeinen Begriffen zu spezifischen Details voranschreiten, da es dem Lernenden so leichter gelingt, neues Wissen in seine kognitive Struktur zu integrieren. Dies entspricht einem eher deduktiven Vorgehen. Unter integrativer Aussöhnung versteht Ausubel, Beziehungen, Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen inhaltlichen Aspekten zu verdeutlichen und herauszustellen (vgl. auch Training zum induktiven Denken in Kap. 17 und Abschn ). Sequenzielle Organisation bezieht sich auf die Kohärenz des unterrichtlichen Stoffs. Lernen und Behalten werden befördert, wenn die Lehrperson die dem Stoff innewohnenden Abhängigkeiten beachtet und den Stoff entsprechend sequenziert. Mit Verfestigung sind vor allem Übungen und Wiederholungen mit fortschreitenden Variationen gemeint. Diese Prinzipien verdeutlichen die zentrale Rolle, die Ausubel den Lehrenden zuordnet. Insbesondere schwächere Schüler bedürfen aus seiner Sicht darbietender Verfahren und einer Vorstrukturierung des Unterrichtsgegenstands durch die Lehrperson. Im Unterschied zu Ausubel hält Bruner (1961) es für erfolgversprechender, wenn die Lernenden zunächst mit Einzelfällen bzw. bestimmten Problemen konfrontiert werden, um daraus auf übergreifende gesetzmäßige Zusammenhänge zu schließen. Die Lernenden sollen sich

95 4.1 Begriffliche und theoretische Grundlagen Abb. 4.2 Das Modell von Caroll (1963. Republished with permission of Teachers College Record, 1963; permission conveyed through Copyright Clearance Center, Inc.) in Anlehnung an Harnischfeger und Wiley (1977, mit freundlicher Genehmigung von Hogrefe, Göttingen) dabei aktiv und selbstständig mit den Lernaufgaben auseinandersetzen und so zu Konstrukteuren ihres eigenen Lernprozesses werden. Den Lehrenden versteht Bruner als zurückhaltenden Moderator, der für die Auswahl geeigneter Probleme und Aufgabenstellungen sorgt und die Lernenden zum Entdecken anleitet. Zwischen Bruner und Ausubel entspann sich seinerzeit eine anhaltende Kontroverse, die letztlich wenngleich unter Verwendung unterschiedlicher Termini bis heute andauert. So diskutierten Verfechter der CognitiveLoadTheorie ( Kap. 1) und Anhänger problemorientierten Lernens, wie viel Lehrerlenkung und Strukturierung für die Lernenden förderlich sind (vgl. HmeloSilver, Duncan & Chinn, 2007, Kirschner, Sweller & Clark, 2006; Schmidt, Loyens, Van Gog & Paas, 2007). Die Forschung zeigt zusammenfassend, dass entdeckende Lernumgebungen lehrergelenkten Settings nicht zwangsläufig unter oder überlegen sind, sondern dass es auf die Lernvoraussetzungen der Lernenden, auf Merkmale der Lernumgebung und ihrer Implementierung und dabei insbesondere auf den Grad der Strukturierung und auf die intendierten Kompetenzen ankommt (Hasselhorn & Gold, 2013). So ergab eine aktuelle Metaanalyse, dass die Leistungen von Schülern beim entdeckenden Lernen mit nur geringer Lehrerlenkung geringer ausfallen als im Rahmen von lehrergelenkten Unterrichtsverfahren (direkte Instruktion), während demgegenüber entdeckendes Lernen mit einer stärkeren Lehrerlenkung und Strukturierung zu besseren Leistungen führt als andere Unterrichtsformen (Alfieri, Brooks, Aldrich & Tenenbaum, 2011). Vertiefte Analysen lassen den Schluss zu, dass entdeckendes Lernen insbesondere dann, wenn es mit Merkmalen wirksamen Unterrichts kombiniert wird, an Effektivität gewinnt. So stellen die Autoren fest, dass entdeckendes Lernen effektiv ist, wenn der Unterrichtsstoff angemessen strukturiert ist, die Schüler aufgefordert werden, die erarbeiteten Sachverhalte und Lösungswege sich oder Mitschülern zu erklären, wenn sie Feedback erhalten und ihnen Lösungsbeispiele angeboten werden (Alfieri et al., 2011). Alle diese Punkte sind bereits für sich genommen Merkmale lernwirksamen Unterrichts ( Abschn , Abschn , Abschn , Abschn ). Konstruktivistische Ansätze Seit einigen Jahren stoßen gemäßigt konstruktivistische Positionen auf eine breite Resonanz in der Lehr und Lernforschung und in der Schulpädagogik. Aus konstruktivistischer Sicht wird Lernen als ein konstruktiver, kumulativer, selbstgesteuerter, situativer, individuell unterschiedlicher, gleichzeitig auf die Interaktion mit anderen angewiesener Prozess des Aufbaus von Wissen und der Konstruktion von Bedeutung verstanden (De Corte, 2000). Die auf konstruktivistischen Annahmen beruhenden Lernumgebungen werden häufig unter dem Begriff des situierten oder problemorientierten Lernens zusammengefasst. Dem situierten Lernen liegt die Annahme zugrunde, dass das Lernen kontextgebunden, d. h. situiert erfolge. Gerade diese Annahme der Situiertheit des Lernens wird jedoch nicht vorbehaltlos geteilt, denn schließlich gibt es zahlreiche Beispiele, in denen die Übertragung erworbenen Wissens gelingt.

96 Kapitel 4 Unterricht Situierte Lernumgebungen konfrontieren die Lernenden in der Regel mit komplexen Aufgaben und authentischen Problemen und setzen bei der Bearbeitung auf ein hohes Maß der Selbststeuerung. Sie intendieren, den Aufbau tragfähigen und flexiblen Wissens zu unterstützen, das Verständnis für neue Lerninhalte zu erleichtern und die Anwendbarkeit sowie den Transfer erworbener Kenntnisse und Fertigkeiten zu fördern (ReinmannRothmeier & Mandl, 2001). Zu den bekanntesten konstruktivistischorientierten Instruktionsmodellen zählen das Modell der anchored instruction und der Ansatz des cognitive apprenticechip ( Exkurs Anchored Instruction und Cognitive Apprenticeship ). Mitunter werden auch offene Unterrichtsformen als eine Form konstruktivistisch orientierten Unterrichts betrachtet, da man in den Wahlfreiheiten des Unterrichts wesentliche Elemente eines konstruktivistisch geprägten Lernverständnisses berücksichtigt sieht (s. o.). Dabei wird jedoch übersehen, dass sich aus konstruktivistischen Positionen keine direkten Schlussfolgerungen für konkretes didaktisches Handeln ableiten lassen (s. u.; auch Reusser, 2006; Mayer, 2009). Die bislang vorliegenden Studien, die sich mit der Wirksamkeit konstruktivistisch orientierter, problemorientierter und offener Lernumgebungen beschäftigten, zeichnen insgesamt ein uneinheitliches Bild. Dies dürfte teilweise Unterschieden in der Operationalisierung der Lernumgebungen geschuldet sein, teilweise aber auch auf eine unzureichende Erfassung und Kontrolle wichtiger Merkmale des Unterrichts und der Lernenden zurückzuführen sein. Dochy et al. (2003) gelangen in ihrer Metaanalyse zu dem Fazit, dass problemorientierte Lernumgebungen höhere Lernerfolge nach sich ziehen, wenn es um den Erwerb von Problemlöse und Anwendungsfähigkeiten geht. Gemessen am Erwerb von deklarativem und konzeptuellem Wissen fallen die Ergebnisse jedoch inkonsistent aus und offenbaren teilweise Einbußen. Giaconia und Hedges (1982) fassen den Forschungsstand zum offenen Unterricht zusammen und machen hinsichtlich leistungsbezogener Kriteriumsvariablen kaum Unterschiede zwischen geöffneten und lehrergelenkten Unterrichtsformen aus (vgl. auch Hattie, 2009). Über alle Studien hinweg ist ein Unterricht mit mehr Wahlfreiheiten für die Schüler damit nicht zwingend lernwirksamer als ein Unterricht, in dem die wesentlichen Entscheidungen von der Lehrperson getroffen werden. Offene Lernumgebungen erfordern ein Mindestmaß an Selbstregulationskompetenzen, weshalb Lernende mit günstigeren Voraussetzungen stärker von diesen Ansätzen profitieren dürften als Schüler mit ungünstigeren Voraussetzungen (Lipowsky, 2002). Gleichwohl lassen sich diese Selbstregulationsfähigkeiten, wie die Forschung zum selbstgesteuerten Lernen zeigt, mit Trainingsmaßnahmen gezielt fördern. Diese Trainings fokussieren in der Regel auf den systematischen domänenspezifischen Erwerb und die reflexive Anwendung von Lernstrategien ( Kap. 3) und wirken sich nicht nur positiv auf den Erwerb von kognitiven und metakognitiven Lernstrategien und den Erwerb affektivmotivationaler Aspekte des Lernens, sondern auch auf die Schulleistungen von Lernenden aus (vgl. u. a. Dignath, Büttner & Langfeldt, 2008; Hattie, 2009, 2012; auch: Abschn ). Hattie (2012) ermittelt für alle ausgewertete Metaanalysen, welche die Förderung kognitiver und metakognitiver Strategien sowie affektivmotivationaler Komponenten des Lernens intendierten ( metacognitive strategies, study skills, selfverbalisation & self questioning ), eine mittlere Effektstärke von d = Studienergebnisse Offenere verweisen darauf, dass sich die Art und Weise, wie konstruktivistisch orientierte Lernumgebungen realisiert werden, erheblich unterscheiden kann und dass die Unterschiede in der Implementierung auch die Stärke der Effekte der Lernumgebungen beeinflussen (Cognition and Technology Group at Vanderbilt, 1997; Hickey, Moore, & Pellegrino, 2001). Lernumgebungen sind offenbar vor allem dann lernwirksam, wenn die Lehrperson den Unterrichtsgegenstand strukturiert und die Lernenden kognitiv aktiviert, sodass es den Lernenden gelingt, neue Wissenselemente und Informationen mit bereits bestehenden zu verknüpfen und ihre vorhandenen Konzepte zu erweitern, umzustrukturieren und ggf. weiterzuentwickeln (Hardy, Jonen, Möller & Stern, 2006; Lipowsky, 2002). Somit erweist es sich ähnlich wie beim entdeckenden Lernen (s. o.) auch für offenere Lernumgebungen als vorteilhaft, wenn sich diese durch Merkmale lernwirksamen Unterrichts auszeichnen. Die Diskussion über das Für und Wider von Lernumgebungen, die sich explizit auf konstruktivistische Ansätze und Theorien berufen, spiegelt sich auch in der Diskussion über Vor und Nachteile direkter und indirekter Instruktion wider, zwei Begriffe, die vor allem in der angloamerikanischen Literatur Verwendung zu finden sind. Direkte Instruktion beschreibt einen lehrergelenkten Unterricht, der durch klare Zielvorgaben, die verständliche Darstellung von Inhalten, ein schrittweises Vorgehen, Lehrerfragen mit unterschiedlicher Schwierigkeit, Phasen angeleiteten und selbstständigen Übens, häufiges Lehrerfeedback und eine regelmäßige Überprüfung der Lernfortschritte der Ler

97 4.1 Begriffliche und theoretische Grundlagen 75 4 Exkurs Anchored Instruction und Cognitive Apprenticeship Der AnchoredInstructionAnsatz wurde von einer Gruppe an der VanderbiltUniversität in Nashville, USA (Cognition and Technology Group at Vanderbilt CTGV) entwickelt. Die zentrale Komponente der von dieser Gruppe entwickelten Lernumgebungen sind sogenannte narrative Anker, komplexe Geschichten, die den Lernenden z. B. mittels Videofilm präsentiert werden. An einer bestimmten Stelle bricht der Film ab. Die Lernenden sollen das Problem zunächst entdecken und mithilfe der im Film enthaltenen Informationen selbstständig und kooperativ lösen. Die Lehrkraft hält sich dabei zurück und übernimmt in diesen Lernumgebungen die Rolle eines Moderators und zurückhaltenden Betreuers. Der CognitiveApprenticeshipAnsatz (kognitive Meisterlehre) geht auf Collins, Brown und Newman (1989) zurück. Ausgangspunkt sind Prinzipien der Handwerkslehre, die auf den Erwerb kognitiver Fähigkeiten übertragen werden. Im Unterschied zum AnchoredInstruction Ansatz fordert der CognitiveApprenticeshipAnsatz eine aktivere Rolle der Lehrperson und eine stärkere Anleitung der Lernenden, da insbesondere bei komplexeren Problemen die Gefahr der Überforderung besteht. Im Laufe einer Unterrichtseinheit wird das Ausmaß an Lehrersteuerung jedoch immer weiter zurückgefahren. Ein weiteres Kernelement dieses Ansatzes ist, dass Lehrende analog zu Handwerksmeistern ihr Wissen durch lautes Denken verbal explizieren. Zur Gestaltung des Unterrichts nach den Grundsätzen des cognitive apprenticeship werden verschiedene Strategien empfohlen: Modeling meint das Vorzeigen und Vormachen und das laute Denken der Lehrperson. Coaching Scaffolding Fading Articulation Cooperation Reflection umfasst die Begleitung der Lernenden während der Problembearbeitung. beschreibt die Vermittlungsbemühungen der Lehrperson im Sinne minimaler didaktischer Hilfe, um eine Brücke zu schlagen zwischen dem bestehenden Wissen der Lernenden und den Anforderungen der Aufgabensituation. meint, dass die Lehrperson nach und nach ihre Unterstützung zurückfährt. bedeutet, dass die Lernenden angeregt werden, ihre Gedanken, Ideen und Lösungen wiederzugeben. umfasst die kooperative Bearbeitung von Aufgaben und Problemen. impliziert den Vergleich von Lösungen und Strategien im Austausch mit anderen. nenden charakterisiert ist (Rosenshine & Stevens, 1986). Diese Erläuterung verdeutlicht, dass direkte Instruktion keinesfalls mit einem die Schüler über oder unterfordernden fragendentwickelnden Frontalunterricht gleichgesetzt werden kann. Indirekte Instruktion wird als Sammelbegriff für unterschiedliche Ansätze und Konzepte benutzt, wobei die Lernenden den Unterrichtsgegenstand und das Lernmaterial partiell selbst strukturieren, transformieren oder konstruieren (Borich, 2007) und die demzufolge mit einem geringeren Ausmaß an Lehrerlenkung verbunden sind. Hierzu zählen u. a. das entdeckende Lernen ( discovery learning ), das forschende Lernen ( inquiry based learning ), das problemorientierte Lernen, offene Unterrichtsformen und konstruktivistischorientierte Lernumgebungen (Borich, 2007). Zusammenfassend kommt die Forschung zu dem Ergebnis, dass Formen direkter Instruktion häufig lernwirksamer und ökonomischer sind als Formen indirekter Instruktion, insbesondere dann, wenn die Lernenden über geringere Lernvoraussetzungen verfügen (z. B. Hattie, 2009; Klahr & Nigam, 2004; Schwerdt & Wuppermann, 2011). Gleichzeitig zeigt die Forschung aber auch, dass Formen indirekter Instruktion wirksam sein können, wenn sie mit Merkmalen lernwirksamen Unterrichts kombiniert werden (s. o.). So setzt sich gegenwärtig immer stärker die Auffassung durch, dass Formen indirekter Instruktion auf der einen Seite und Formen direkter Instruktion auf der anderen Seite komplementäre Ansätze sind, die es zu verbinden gilt (Lipowsky, 2006; Gräsel & Parchmann, 2004). Betrachtet man affektivmotivationale Zielkriterien, so muss lehrergelenkter Unterricht nicht zwangsläufig mit einer Belastung der Schülermotivation einhergehen, genauso wenig wie objektiv vorhandene Handlungsoptionen immer mit dem Erleben von Selbstbestimmung und intrinsischer Motivation verbunden sein müssen ( Exkurs Motivationsförderung durch offenen Unterricht? ). Fokussiert man auf kognitive Zielkriterien, so können sich innere mentale Konstruktionsvorgänge grundsätzlich in jeder Art von Unterricht vollziehen. Hinzu kommt, dass eine hohe Aktivität der Lernenden auf der Verhaltensebene, wie sie z. B. im geöffneten Unterricht häufig zu beobachten ist, nicht zwangsläufig mit kognitiver Aktivität, mit dem Aufbau tragfähigen Wissens bzw. der Umstrukturierung von Wissensbeständen einhergehen muss (vgl. auch Chi, 2009; Mayer, 2004; Renkl, 2011). Umgekehrt kann auch ein lehrerzentriertes Vorgehen, bei dem die Lernenden äußerlich passiv wirken, dazu führen, dass diese neues Wissen aufbauen oder altes Wissen um bzw. restrukturieren AngebotsNutzungsModell In der deutschen Unterrichtsforschung hat sich in den letzten Jahren ein integratives systemisches Modell zur Erklärung von Schulerfolg etabliert, das vor allem auf die Arbeiten von Fend (1981) und Helmke (2012) zurückgeht (. Abb. 4.3). Das sog. AngebotsNutzungsModell unterscheidet sich in mehrfacher Hinsicht von den oben

98 76 Kapitel 4 Unterricht Exkurs Motivationsförderung durch offenen Unterricht? Als besonderer Vorteil des offenen Unterrichts oder konstruktivistisch orientierter Lernumgebungen wird immer wieder deren motivierendes Potenzial genannt, das auf den hohen Grad an Selbstbestimmung der Schüler zurückgeführt wird. Nach bislang vorliegenden Befunden greift aber die Annahme, dass mit dem Ausmaß an Wahlfreiheiten auch das Autonomieerleben und als Folge die intrinsische Motivation und das Interesse linear zunehmen, zu kurz (auch Kap. 10). Zwar deuten einige Befunde auf einen Zusammenhang zwischen Wahlfreiheiten im Unterricht und dem Autonomieerleben bzw. der Ausbildung von Interesse hin (Hartinger, 2005; Grolnick & Ryan, 1987). Allerdings spielt offenbar die Wahlfreiheit nur dann eine Rolle, wenn die zur Auswahl stehenden Lernangebote das Interesse der Lernenden ansprechen und sich in ihrer Attraktivität unterscheiden (MeyerAhrens & Wilde, 2013). Die Schlussfolgerung Je offener der Unterricht, desto motivierter sind die Lernenden ist weder empirisch haltbar noch theoretisch zu erwarten, denn ein hohes Maß an Wahlfreiheiten kann im Sinne der ChoiceOverloadHypothese auch zu Überforderung, Frustration, Unzufriedenheit und Lernabbrüchen führen (Iyengar & Lepper, 2000) und muss demzufolge nicht zwingend mit einem höheren Autonomie und Kompetenzerleben der Lernenden einhergehen (Wijnia, Loyens & Derous, 2011) dargestellten Modellen und Ansätzen. So werden im AngebotsNutzungsModell schulische und außerschulische Determinanten des Schulerfolgs zu komplexen Variablengruppen auf einem höheren Abstraktionsniveau gebündelt. Dadurch entsteht eine Art Metamodell, das aufgrund seines hohen Abstraktionsniveaus als Rahmenmodell verstanden werden kann, welches mit spezifischeren Konstrukten und theoriegeleiteten Hypothesen gefüllt werden muss. Schulerfolg. Schulerfolg wird in diesem Modell als Ergebnis des Zusammenspiels unterschiedlicher Faktoren betrachtet und umfasst dabei nicht nur die Lern und Leistungsentwicklung, sondern auch die affektivmotivationale und persönlichkeitsbezogene Entwicklung der Lernenden. Unterricht. Das Modell unterscheidet zwischen dem Bildungsangebot und der Nutzung dieses Angebots durch die Lernenden. Im Mittelpunkt des Modells steht der Unterricht, der als Angebot an Lerngelegenheiten betrachtet wird, die von den Lernenden in unterschiedlicher Weise wahrgenommen und genutzt werden können. Entsprechend werden Quantität und Qualität unterrichtlicher Lerngelegenheiten nicht nur in ihren direkten Wirkungen auf den Schulerfolg untersucht, sondern auch in ihren indirekt vermittelten Wirkungen über die Wahrnehmung und Nutzung unterrichtlicher Lerngelegenheiten, die sich z. B. im Erleben des Unterrichts, in der Anstrengungsbereitschaft oder in der Mitarbeit der Lernenden ausdrücken. Diese Wahrnehmung und Nutzung unterrichtlicher Lerngelegenheiten wird wiederum in Abhängigkeit von den Voraussetzungen und Merkmalen der Lernenden konzeptualisiert, die als mitverantwortliche Konstrukteure ihres eigenen Wissens betrachtet werden. Hierin drücken sich auch konstruktivistische Anleihen des AngebotsNutzungsModells aus. Der beidseitige Pfeil im Unterrichtsrechteck in. Abb. 4.3 drückt aus, dass Unterricht kein eindirektionales Vorgehen darstellt, sondern wechselseitige Interaktionen und Beeinflussungen beinhaltet: Nicht nur die Lernangebote des Lehrers wirken auf die Schüler, sondern auch die Schüler einer Klasse beeinflussen mit ihren Voraussetzungen und ihrem Verhalten die Qualität und Quantität der Lernangebote, die eine Lehrperson unterbreitet. Lehrer. Das AngebotsNutzungsModell konzeptualisiert Lehrerkompetenzen und Lehrermerkmale als wesentliche Determinanten für die Qualität und Quantität unterrichtlicher Angebote. Fokussiert man auf die Lehrerkompetenzen, rücken kognitive, motivationale und persönlichkeitsbezogene Dimensionen der Lehrpersonen in den Mittelpunkt ( Kap. 11). Zusammenfassend stützen aktuellere empirische Arbeiten die These, dass sich das fachliche und fachdidaktische Wissen und die Überzeugungen von Lehrpersonen positiv auf die Qualität und Quantität der Lerngelegenheiten und auch positiv auf den Schulerfolg auswirken können (Baumert & Kunter, 2006; Kunter et al., 2011; Lipowsky, 2006; Reusser, Pauli & Elmer, 2011). Mit Blick auf motivationale und persönlichkeitsbezogene Aspekte der Lehrperson geht man heute eher von indirekten Effekten der beruflichen Motivation, der Persönlichkeit, des Belastungserlebens und der beruflichen Zufriedenheit auf den Schulerfolg der Lernenden aus (Klusmann, Kunter, Trautwein & Baumert, 2006). Lernende. Die Entwicklung der Lernenden wird, wie viele Untersuchungen zeigen, in erster Linie von deren spezifischen Voraussetzungen determiniert (Hattie, 2009). Während sich die affektivmotivationale Entwicklung vor allem durch die affektivmotivationalen Voraussetzungen der Lernenden vorhersagen lässt, spielen für die kognitive Entwicklung vor allem das Vorwissen und die Intelligenz der Lernenden eine entscheidende Rolle. Darüber hinaus belegt eine Vielzahl von Studien die Bedeutung der sozialen Herkunft der Lernenden für den Schulerfolg.

99 4.2 Merkmale und Merkmalskonfigurationen erfolgreichen Unterrichts Abb. 4.3 Vereinfachtes AngebotsNutzungsModell. (Modifiziert nach Fend, 1981, mit freundlicher Genehmigung von Elsevier; Helmke, 2012, mit freundlicher Genehmigung des FriedrichVerlags, Seelze) Klassenzusammensetzung. Auch die mittlere Leistungsfähigkeit einer Klasse beeinflusst die Leistungsentwicklung eines Lernenden, und zwar unabhängig davon, über welche individuellen Voraussetzungen der einzelne Lernende verfügt. Das heißt, mit einem Anstieg der Leistungsfähigkeit einer Klasse sind bessere individuelle Leistungen der Lernenden verbunden (z. B. Rindermann, 2007; Tiedemann & BillmannMahecha, 2004). Mögliche Erklärungen für diesen Effekt sind, dass sich die Lernenden in leistungsfähigeren Klassen stärker gegenseitig anregen und dass die Lehrpersonen in leistungsstärkeren Klassen einen fachlich anspruchsvolleren Unterricht halten, schneller voranschreiten und höhere Erwartungen an die Lernenden stellen, was sich insgesamt positiv auf die Verarbeitungstiefe auswirkt. Außerdem kann angenommen werden, dass die günstigere Klassenzusammensetzung in leistungsstärkeren Klassen einen effektiveren und reibungsloseren Unterricht erleichtert. Gleichzeitig zeigt sich jedoch, dass ein Anstieg in der mittleren Leistungsfähigkeit der Klasse aufgrund sozialer Vergleichsprozesse zu einem geringeren Fähigkeitsselbstkonzept der einzelnen Lernenden führen kann ( Kap. 8). Merkmale der Schule. Merkmalen der Schule kommt im Vergleich zu Merkmalen des Unterrichts eine geringere Bedeutung für die Entwicklung der Lernenden zu ( Exkurs Die Bedeutung der Schüler, Klassen und Schulebene ). Die Schuleffektivitätsforschung gelangt zusammenfassend zu dem Ergebnis, dass sich lernwirksame Schulen durch hohe Leistungserwartungen an die Lernenden, durch eine effektive und verantwortungsvolle Schulleitung mit einem Fokus auf das Kerngeschäft des Unterrichts, durch Konsens und Kooperation innerhalb des Kollegiums, durch ein positives, störungsarmes Schulklima, durch die systematische Überprüfung und Bewertung von Lernfortschritten der Lernenden und durch eine intensive Zusammenarbeit mit den Eltern auszeichnen (Robinson, Hohepa & Lloyd, 2009; Scheerens & Bosker, 1997; Teddlie & Reynolds, 2001). In den folgenden Abschnitten wird das Feld Qualität und Quantität von Lerngelegenheiten im AngebotsNutzungsModell weiter ausdifferenziert. 4.2 Merkmale und Merkmalskonfigurationen erfolgreichen Unterrichts Als Zielvariablen von Schulerfolg werden in den folgenden Abschnitten die kognitive und die affektivmotivationale Entwicklung der Lernenden untersucht. Grundsätzlich ist dabei zu beachten, dass die motivationale Entwicklung deutlich stärker durch individuelle Determinanten der Lernenden bestimmt wird als die kognitive Entwicklung (Kunter, 2005; Van Landeghem, Van Damme, Opdenakker, De Fraine, & Onghena, 2002). Das bedeutet, dass der Spielraum unterrichtlicher Einflussmöglichkeiten für die affektivmotivationale Entwicklung geringer ist als für kognitive Zielvariablen.

100 78 Kapitel 4 Unterricht Exkurs Die Bedeutung der Schüler, Klassen und Schulebene Mehrebenenanalytische Auswertungsverfahren ermöglichen es, jene Anteile am Schulerfolg (Leistung, Motivation etc.) eines Lernenden zu bestimmen, die auf Unterschiede zwischen einzelnen Schülern (Schülerebene), zwischen Klassen (Klassenebene) und zwischen Schulen (Schulebene) zurückzuführen sind. Das Verfahren der Mehrebenenanalyse erlaubt es, Einflüsse von Faktoren dieser drei Ebenen gleichzeitig zu modellieren und zu analysieren (Hartig & Rakoczy, 2010). Die Schul und Unterrichtsforschung hat in zahlreichen Studien die Bedeutung dieser drei Einflussebenen vor allem für die Leistungsentwicklung untersucht. Es zeigt sich, dass sich der größte Teil der Schulleistungsvarianz mit individuellen Schülermerkmalen erklären lässt. An zweiter Stelle folgen Merkmale, die mit der Klassenzugehörigkeit eines Schülers zusammenhängen, an dritter Stelle Merkmale, in denen sich Schulen voneinander unterscheiden. Während die Rangfolge dieser drei Ebenen in ihrer Bedeutung für die Erklärung von Schulleistungsunterschieden weitgehend unstrittig ist und in zahlreichen Studien bestätigt wurde (Hattie, 2009), unterscheiden sich die ermittelten Varianzanteile teilweise beträchtlich. Die kognitiven, motivationalen und sozialen Lernvoraussetzungen der Schüler (Individualebene) erklären je nach Studie zwischen 50 % und 70 % der Leistungsunterschiede, auf Merkmale des Unterrichts, der Lehrperson und der Klassenzusammensetzung (Klassenebene) entfallen Anteile von ca % und auf Merkmale der Schule (Schulebene) Anteile von ca %. Die Ergebnisse amerikanischer Valueadded Studien deuten darauf hin, dass der Klassenebene, d. h. Merkmalen der Klasse, des Lehrers und des Unterrichts, eine größere Bedeutung eingeräumt werden muss als bislang angenommen, wenn man nicht den Leistungsstand, sondern die Leistungsentwicklung untersucht, und dass demgegenüber die Bedeutung der individuellen Lernvoraussetzungen eher abnimmt (Lanahan, McGrath, McLaughlin, BurianFitzgerald, & Salganik, 2005; Schacter & Thum, 2003). Darüber hinaus konnte mehrfach nachgewiesen werden, dass Merkmale von Schule und Unterricht für Schüler mit ungünstigen Startvoraussetzungen eine größere Bedeutung haben als für Lernende mit günstigeren Startvoraussetzungen (z. B. Babu & Mendro, 2003) Strukturiertheit des Unterrichts Die Strukturiertheit des Unterrichts einige Autoren sprechen auch von Strukturierung gilt als zentrales Merkmal effektiven Unterrichts. Bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass dieses Merkmal in der Unterrichtsforschung teilweise sehr unterschiedlich operationalisiert und verwendet wird. Grundsätzlich lassen sich mehrere Bedeutungsfacetten von Strukturiertheit unterscheiden. Zum einen kann Strukturiertheit eine klare erkennbare Gliederung des Unterrichts in einzelne Phasen und Abschnitte und die Zerlegung des Unterrichtsinhalts in einzelne Komponenten bedeuten. Diese Bedeutung von Strukturiertheit bezieht sich also vor allem auf didaktische Aspekte des Unterrichts. Zum zweiten wird Strukturiertheit häufig als Konsistenz von Regeln, Erwartungen und Grenzen interpretiert. Diese Facette von Strukturiertheit fokussiert eher auf das Verhalten der Lernenden und auf die Aufrechterhaltung der Disziplin im Klassenzimmer. Zum dritten kann Strukturiertheit von Unterricht stärker kognitionspsychologisch verstanden werden. Darunter werden Maßnahmen und Handlungen subsumiert, die geeignet sind, eine Verbindung zwischen dem Vorwissen der Lernenden und neuen Wissenselementen herzustellen und den Aufbau einer komplexen und geordneten Wissensstruktur beim Lernenden zu erleichtern. Dies lässt sich z. B. anbahnen, indem Zusammenhänge zwischen verschiedenen Aspekten des Unterrichtsinhalts hergestellt werden, indem die Übersicht und Einordnung neuer Informationen z. B. mittels Advance Organizers erleichtert wird und indem wichtige Unterrichtsergebnisse zusammengefasst werden. Auch Lehrerfragen können zur Strukturierung des Unterrichts beitragen (s. u.). Kognitive Zielvariablen Wie lassen sich positive Effekte der Strukturiertheit des Unterrichts theoretisch erklären? Die drei Bedeutungsfacetten implizieren unterschiedliche Annahmen über die angenommenen Wirkmechanismen. Die didaktische Strukturierung des Unterrichts setzt einen sorgfältig geplanten Unterricht voraus und kann somit als wichtige Voraussetzung für angemessene Anforderungen an die Lernenden begriffen werden. Eine Strukturierung auf der Verhaltensebene begünstigt eine störungsfreie Lernumgebung, fördert die Aufmerksamkeit der Lernenden und sorgt dafür, dass mehr Unterrichtszeit für die Auseinandersetzung mit den Unterrichtsthemen zur Verfügung steht. Auf der Basis einer kognitionspsychologisch verstandenen Strukturiertheit lässt sich annehmen, dass Fragen, Strukturierungshinweise und hilfen der Lehrperson die Aufmerksamkeit der Schüler auf die relevanten Aspekte des Unterrichtsgegenstands lenken, einen Überblick über den Unterrichtsgegenstand erleichtern, Relationen zwischen Teilaspekten des Unterrichtsgegenstands verdeutlichen und gedankliche Verankerungsmöglichkeiten schaffen, sodass es den Lernenden leichter gelingt, ihr neues

101 4.2 Merkmale und Merkmalskonfigurationen erfolgreichen Unterrichts 79 4 Wissen zu organisieren und mit bereits vorhandenem zu verbinden (Einsiedler & Hardy, 2010; Schnotz, 2006). Die Forschungslage hat sich in zahlreichen Studien mit diesen unterschiedlichen Facetten von Strukturierung beschäftigt. Die didaktische Strukturierung, also die Gliederung und Sequenzierung des Unterrichts, hat sich in Studien zum mastery learning und zur direkten Instruktion als lernförderlich erwiesen (Rosenshine & Stevens, 1986; Fraser, Walberg, Welch & Hattie, 1987). Beleuchtet man Strukturierung auf der Verhaltensebene und fragt nach deren Bedeutung, so lässt sich eine Reihe von Studien heranziehen, die zeigen können, dass ein störungsarmer, reibungsloser Unterricht und ein funktionierendes bereits zu Beginn des Schuljahres eingeführtes Regelsystem mit einem höheren Lernerfolg der Lernenden einhergehen (Campbell et al., 2004; Helmke, Schneider & Weinert, 1986). Häufig werden die beschriebenen Merkmale mit dem Begriff der effektiven Klassenführung überschrieben ( Kap. 5). Die Metaanalyse von Seidel und Shavelson (2007) bestätigt die bedeutende Rolle einer effektiven Unterrichts und Klassenführung für die kognitive Entwicklung der Lernenden. Eine effektive Klassenführung geht mit einem aufgabenbezogeneren Verhalten der Lernenden und einem Mehr an inhaltsbezogenen Lerngelegenheiten opportunity to learn einher. Eine Reihe von Forschungsarbeiten weist nach, dass sich time on task, also die aufgabenbezogene Nutzung der Lernzeit positiv auf den Lernerfolg auswirkt (z. B. Fredrick & Walberg, 1980; Hattie, 2009; Rowe & Rowe, 1999). Ähnliches gilt für das Ausmaß an inhaltlichen Lerngelegenheiten, also für die Zeit, die für die Behandlung eines Unterrichtsgegenstands zur Verfügung gestellt und genutzt wird (Hiebert & Grouws, 2007; Walberg & Paik, 2000). Fokussiert man auf die dritte Bedeutung von Strukturierung, so lassen sich z. B. Studien heranziehen, die Effekte von Strukturierungshilfen, wie z. B. Advance Organizers untersucht haben ( Abschn ). Hattie (2009) identifiziert für seine MetaMetaanalyse Visible learning sieben Metaanalysen, die die Wirkungen von Advance Organizern untersucht haben. Für diese sieben Studien ermittelt er eine mittlere Effektstärke von d = 0.53, was einem durchaus beachtlichen Effekt entspricht. Preiss und Gayle (2006) zeigen in ihrer Metaanalyse, dass die Effektstärken abhängig vom Alter der Lernenden und dem untersuchten Fach variieren. Demnach profitieren jüngere Lernende und Lernende in sozialwissenschaftlichen Fächern stärker von Advance Organizers als Lernende in naturwissenschaftlichen und sprachlichen Domänen. In zahlreichen Einzelstudien und einschlägigen Zusammenfassungen des Forschungsstands finden sich Hinweise auf die Bedeutung der Strukturierung des Unterrichts durch Lehrerfragen ( Exkurs Lehrerfragen ), Zusammenfassungen und verbale Hervorhebungen (z. B. Borich, 2007; Hardy et al., 2006; Marzano, Gaddy & Dean, 2000). Affektivmotivationale Aspekte des Lernens In diesem Abschnitt wird der Frage nachgegangen, ob und inwiefern die Strukturierung des Unterrichts mit positiven Effekten für die affektivmotivationale Entwicklung der Lernenden einhergeht. Im ersten Teil wird dabei auf die Selbstbestimmungstheorie von Deci und Ryan ( Kap. 7) fokussiert und als Zielvariablen das Autonomie und Kompetenzerleben der Lernenden in den Blick genommen. Im zweiten Teil werden Studienergebnisse berichtet, die die Vorhersage anderer affektivmotivationaler Variablen durch Merkmale wie Klassenführung und Strukturiertheit des Unterrichts untersuchten. Nach den Ergebnissen aktueller Studien zeigt sich, dass eine effektive Klassenführung und ein störungsarmer, disziplinierter Unterricht positive Wirkungen auf das Autonomieerleben und auf das Kompetenzerleben der Lernenden haben. Rakoczy (2007) untersuchte im Rahmen der deutschschweizerischen Studie Unterrichtsqualität, Lernverhalten und mathematisches Verständnis die Auswirkungen einer effektiven Klassenführung auf die drei sog. basic needs nach Deci und Ryan. Sie wies nach, dass je disziplinierter und störungsfreier der Unterricht verlief, desto stärker fühlten sich die Lernenden in ihrem Streben nach Kompetenz und Autonomie unterstützt. In einer vertiefenden Analyse können Rakoczy et al. (2007) zeigen, dass dieser Effekt möglicherweise auch darauf zurückzuführen ist, dass Schüler in störungsfreien und strukturierten Lernumgebungen über eine höhere Intensität kognitiver Aktivitäten und über positivere emotionale Erfahrungen berichten als Lernende in Klassen mit einem höheren Ausmaß an Störungen und einem geringeren Ausmaß an Disziplin. Auch Kunter (2005) weist nach, dass der effektive Umgang mit Störungen und eine klare didaktische Strukturierung des Unterrichts von den Lernenden als kompetenzunterstützend wahrgenommen werden. Auch eine kognitionspsychologisch orientierte Strukturiertheit wirkt sich offenbar positiv auf motivationale Aspekte des Lernens aus, wie die Studie von Blumberg et al. (2004) für das Kompetenzerleben und die Erfolgszuversicht von schwächeren Schülern nachweisen kann. Nimmt man weitere affektivmotivationale Variablen in den Blick, so zeigt z. B. die längsschnittliche Studie von Kunter und Baumert (2006), dass sich ein geringes Ausmaß an Unterrichtsstörungen positiv auf die von Schülern erlebte Herausforderung auswirkt, die wiederum positive Effekte auf die Interessensentwicklung hat. Im Rahmen der Münchener Hauptschulstudie konnte mittels Pfadanalysen und unter Kontrolle von kognitiven und affektiven Lernvoraussetzungen der Lernenden nachgewiesen wer

102 80 Kapitel 4 Unterricht Exkurs Lehrerfragen Lehrerfragen dienen dazu, den Unterricht zu strukturieren und zu steuern, die Aufmerksamkeit der Lernenden auf relevante Aspekte des Unterrichts zu lenken, das Vorwissen zu aktivieren, die Lernenden anzuregen und herauszufordern, Lernwege, (Miss)Konzepte und (Fehl) Vorstellungen offenzulegen, den Wissensstand der Lernenden zu ermitteln, Unterrichtsergebnisse zu sichern, oder manchmal auch dazu, die Lernenden zu disziplinieren. Lehrerfragen lassen sich nach unterschiedlichen Kriterien, so z. B. nach ihrem kognitiven Niveau und nach ihrer Offenheit ordnen. Was das kognitive Niveau von Lehrerfragen anbelangt, wird häufig zwischen lowlevelquestions und highlevelquestions unterschieden, wobei sich level meist auf die Lernzielebenen Wissen, Verstehen, Anwenden, Analysieren, Synthetisieren und Bewerten nach Bloom (1974) bezieht. Unter LowLevelFragen werden Fragen verstanden, deren Beantwortung auf die Wiedergabe von Informationen, Faktenwissen, Prozeduren und Definitionen abzielen, sich also im Wesentlichen auf die Ebene des Wissens beziehen, während man unter HighLevelFragen Denkfragen versteht, die die Verknüpfung von Informationen, Konzepten, Wissensbausteinen etc. erfordern und die Lernenden anregen, Vorgehensweisen und Gedankengänge zu erläutern und zu begründen. Die vorliegenden Studien beziffern den Anteil an HighLevelFragen, je nach Definition, auf 4 20 %, während sich demgegenüber der Anteil an Low LevelFragen zwischen 40 % und 90 % bewegt (Niegemann & Stadler, 2001; Wilen, 1991). Dieser hohe Anteil an Low LevelFragen wird allgemein als kritisch betrachtet. Die Forschungslage zu den Wirkungen des kognitiven Niveaus den, dass eine effektive Klassenführung einen positiven Einfluss auf das Engagement der Lernenden ausübte, das wiederum mit günstigeren Einstellungen der Lernenden zum Fach Mathematik und mit einem günstigeren mathematischen Selbstkonzept der Lernenden einherging (Helmke et al., 1986). Auch international lassen sich empirische Evidenzen für Effekte eines störungsarmen und strukturierten Unterrichts auf Einstellungsveränderungen der Lernenden nachweisen (Campbell et al., 2004). von Lehrerfragen ist jedoch insgesamt uneinheitlich. Zwar kann mehrheitlich nachgewiesen werden, dass kognitiv anspruchsvollere Lehrerfragen kognitiv anspruchsvollere Schülerantworten nach sich ziehen und insofern zu einer tieferen Verarbeitung und Elaboration des Unterrichtsinhalts durch die Lernenden beitragen (Gayle, Preiss & Allen, 2006). Ob mit dem Anteil kognitiv anspruchsvoller Fragen aber auch der Lernerfolg der Schüler linear zunimmt, ist umstritten (Mills, Rice, Berliner & Rosseau, 1980; Samson, Strykowski, Weinstein & Walberg, 1987; Winne, 1979). Mögliche Erklärungen für die uneinheitlichen Ergebnisse sind die unterschiedlichen Operationalisierungen des Begriffs highlevel question, die unterschiedlichen Stichproben und curricularen Kontexte, die untersucht wurden, und der Umstand, dass es keine 1 : 1Korrespondenz zwischen dem kognitiven Niveau der Lehrerfragen und dem kognitiven Niveau der dadurch angestoßenen Schüleraktivitäten gibt (Dillon, 1982; Mills et al., 1980). Einige Studien verweisen darauf, dass es auch auf die Passung zwischen Frageniveau und dem Vorkenntnisstand der Klasse ankommt: Sind die Lehrerfragen zu anspruchsvoll und kann somit ein beträchtlicher Teil der Lehrerfragen nicht beantwortet werden, so hat dies ebenso negative Auswirkungen auf den Lernerfolg der Schüler wie ein zu geringes Niveau der Lehrerfragen. Die entsprechende Schwelle beträgt nach den Ergebnissen dieser allerdings schon älteren Studien in etwa zwischen ca. 70 % und 80 % beantworteter Fragen (Brophy & Evertson, 1980; Rosenshine & Stevens, 1986). Als eine weitere moderierende Drittvariable für den Zusammenhang zwischen Fragenniveau und Lernerfolg kommt der Zeitraum in Betracht, der den Lernenden zum Nachdenken nach einer gestellten Lehrerfrage eingeräumt wird. Studien zeigen, dass es einer bestimmten Wartezeit zwischen der Lehrerfrage und dem Aufrufen eines Schülers (Wartezeit) bedarf, damit die Frage ihr Potenzial entfalten kann. Als optimal wird eine Wartezeit von 3 5 Sekunden betrachtet. In vielen Studien stellte sich jedoch heraus, dass die tatsächliche Wartezeit im Unterricht deutlich kürzer ist. Wird die Wartezeit auf 3 5 Sekunden verlängert, führt dies in der Regel zu elaborierteren Schülerbeiträgen, zu einer höheren Anzahl von Meldungen, zu häufigeren Schülerfragen und insgesamt zu einer aktiveren und niveauvolleren Beteiligung von Schülern am Unterricht (Rowe, 1974; Tobin, 1987). Studien über den Zusammenhang zwischen Wartezeiten und Lernzuwachs sind auch international selten und kommen nicht zu einheitlichen Ergebnissen (Tobin, 1987). Schülerfragen sind im Unterschied zu Lehrerfragen ein vergleichsweise seltenes Ereignis, erfüllen jedoch eine wichtige Funktion beim Wissensaufbau (Niegemann, 2004; Wuttke, 2005). In Trainingsprogrammen zum selbstgesteuerten Lernen und zum reziproken Lehren (reciprocal teaching) werden Schüler systematisch dazu angeleitet, sich selbst Fragen zu stellen und hierüber ihren Lernprozess zu strukturieren, zu begleiten und ihr Verständnis zu vertiefen. Entsprechende Forschungsbefunde zeigen, dass diese Anleitung zum selfquestioning eine wirksame Strategie darstellt, um das Verständnis gelesener Texte zu fördern (King, 1991, 1994; Kramarski & Mevarech, 2003; Rosenshine, Meister & Chapman, 1996). Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass ein strukturierter, störungsarmer und effektiv geführter Unterricht die affektivmotivationale Entwicklung der Lernenden befördern kann. Es kann angenommen werden, dass ein Mindestmaß an didaktischer Strukturierung eine notwendige Voraussetzung für eine wirksame Klassenführung darstellt, die wiederum als wichtige Voraussetzung dafür angesehen werden kann, dass inhaltsbezogene Strukturierungen und Hinweise Wirkungen entfalten können.

103 4.2 Merkmale und Merkmalskonfigurationen erfolgreichen Unterrichts Inhaltliche Klarheit und Kohärenz des Unterrichts Kognitive Zielvariablen Inhaltliche Klarheit beschreibt einen Unterricht, in dem die inhaltlichen Aspekte des Unterrichtsgegenstandes sprachlich prägnant und verständlich, fachlich korrekt und inhaltlich kohärent dargestellt und/oder entwickelt werden. Dabei übernehmen variantenreiche Erklärungen und Erläuterungen unter Verwendung von Veranschaulichungen, Abbildungen, Beispielen, Analogien und Metaphern, die Hervorhebung und Zusammenfassung zentraler inhaltlicher Punkte, die Herausarbeitung von Gemeinsamkeiten und Unterschieden in Konzepten, die Verwendung und Verbindung unterschiedlicher Repräsentationsformen sowie das wiederholte Aufgreifen von schwierigen Sachverhalten und Aspekten eine wichtige verständnisfördernde Funktion (Cruickshank, 1985; Helmke, 2007). Die Forschungslage ist trotz der weiten Bedeutung des Begriffs inhaltliche Klarheit relativ konsistent. Die inhaltliche Klarheit des Unterrichts hat positive Effekte auf das Lernen der Schüler, unabhängig vom Alter der Lernenden, unabhängig davon, ob die Klarheit mittels niedrig oder hochinferenter Verfahren erfasst wird, unabhängig davon, welche Dimensionen von Klarheit tatsächlich untersucht werden und unabhängig davon, ob es sich um experimentelle oder quasiexperimentelle Studien handelt (z. B. Chesebro, 2003; Hattie, 2009; Hines et al., 1985; Rodger, Murray, & Cummings, 2007). Stellvertretend für die Vielzahl an Studien wird hier eine Studie näher vorgestellt. Hines et al. (1985) ließen 32 angehende Lehrpersonen die gleiche 25minütige Unterrichtssequenz unterrichten. Die Lerngruppen bestanden aus 4 6 Schülern. Die Unterrichtsstunden wurden auf Video gezeichnet. Die Klarheit des Unterrichts wurde mit 29 Items durch Lehrpersonen, Lernende und zwei unabhängige Beobachter niedriginferent erfasst. Zusätzlich wurden hochinferente Ratings durch zwei Beobachter vorgenommen. Als Zielkriterien wurden der Lern erfolg und die Zufriedenheit der Lernenden untersucht. Die Ergebnisse zeigten, dass die Klarheit des Unterrichts, unabhängig von dem Verfahren der Erfassung, positive Effekte auf den Lernerfolg und die Zufriedenheit der Lernenden hatte. Zu den Lehrstrategien, die zur inhaltlichen Klarheit des Unterrichts beitragen, zählen auch der Einsatz und die Verbindung unterschiedlicher Repräsentationsformen (s. oben). So ergab die Metaanalyse von Marzano und Kollegen (2000), dass der Einsatz nichtsprachlicher Repräsentationsformen deutliche leistungssteigernde Effekte hat, und zwar vor allem dann, wenn sprachliche und nichtsprachliche Repräsentationsformen miteinander verknüpft wurden (zur Bedeutung des Medieneinsatzes Kap. 6). Warum wirkt sich die inhaltliche Klarheit des Unterrichts positiv auf den Lernerfolg aus? Die inhaltliche Klarheit des Unterrichts so lässt sich annehmen sorgt dafür, dass die wichtigsten inhaltlichen Aspekte klar und deutlich hervortreten und als kennzeichnende Elemente von den Lernenden identifiziert, diskriminiert und verarbeitet werden. Auf der Basis der CognitiveLoadTheorie lässt sich argumentieren, dass die Betonung relevanter Informationen, der Verzicht auf irrelevante und überflüssige Informationen, die didaktische Reduktion der Komplexität des Inhalts sowie die angemessene Verbindung unterschiedlicher Repräsentationsformen das Arbeitsgedächtnis entlasten und die Informationsverarbeitung erleichtern (Chandler & Sweller, 1991; Mayer & Moreno, 2003). Aktuellere Ansätze in der Unterrichtsforschung verweisen mit Begriffen wie attending to concepts, opportunities to learn, inhaltlich fokussierte Informationsverarbeitung oder Verstehenselemente auf die Bereitstellung fachlich relevanter Lerngelegenheiten. Letztlich sind hiermit curriculare Entscheidungen der Lehrpersonen angesprochen, im Unterricht fachlich zentrale Themen, Konzepte und Ideen zu behandeln (vgl. DrollingerVetter & Lipowsky, 2006; Hiebert & Grouws, 2007; Learning Mathematics for Teaching Project, 2010; Renkl, 2011; Schmidt & Maier, 2009). Diese curricularen Aspekte gehen über die inhaltliche klare und verständnisvolle Präsentation vorgegebener Inhalte hinaus. Sie dürften vor dem Hintergrund aktueller Anforderungen an die Entwicklung schulspezifischer Curricula künftig weiter an Bedeutung gewinnen. Mit Begriffen wie strukturelle Klarheit, making connections, links made between multiple models und coherent content wird herausgestellt, dass es wichtig ist, die Beziehungen und Verknüpfungen zwischen diesen (Teil) Konzepten und Ideen explizit unterrichtlich zu behandeln (vgl. Brophy, 2000). Im sogenannten Pythagorasprojekt wurde u. a. untersucht, inwieweit im Unterricht der beteiligten Klassen jene (Verstehens)Elemente und ihre Beziehungen behandelt wurden, von denen man annehmen kann, dass sie für den Aufbau eines inhaltlich vertieften und elaborierten Verständnisses des Satzes von Pythagoras fundamental sind. Hierzu gehören z. B. die geometrische Bedeutung des Satzes von Pythagoras, die deutliche Herausstellung und Erarbeitung, dass der Satz nur im rechtwinkligen Dreieck gilt oder das Verstehenselement, dass der Satz Aussagen über die Beziehungen zwischen den Seiten im rechtwinkligen Dreieck formuliert. In dieser Studie erwiesen sich das Vorkommen, die Qualität und die Strukturierung dieser Verstehenselemente als prädiktiv für den Lernerfolg der Schüler (DrollingerVetter, 2011). Auch das Lernen mit Lösungsbeispielen lässt sich als eine unterrichtliche Strategie begreifen, den relevanten Inhalt klarer und verständnisorientierter zu präsentieren. Insbesondere für das Lernen von mathematischen

104 82 Kapitel 4 Unterricht und naturwissenschaftlichen Inhalten hat sich das Lernen mit Lösungsbeispielen als wirksames Verfahren erwiesen. Während die Schüler im herkömmlichen Mathematikunterricht z. B. nach der Einführung eines Prinzips oder eines Verfahrens und einer Beispielaufgabe in der Regel damit konfrontiert werden, mehrere Aufgaben zu lösen, erfolgt bei der Arbeit mit Lösungsbeispielen nach einer ersten Einführung des Themas ein vergleichsweise ausführliches Studium von Aufgabenbeispielen, die bereits ganz oder teilweise gelöst sind. Die Lernenden werden also mit mehreren Lösungsbeispielen konfrontiert, die das zugrundeliegende Prinzip, Verfahren oder Lösungsschemata an mehreren Aufgaben und nicht wie in vielen einführenden Abschnitten von Schulbüchern an einer Aufgabe darstellen. Diese Arbeit mit Lösungsbeispielen basiert auf Annahmen der CognitiveLoadTheorie, wonach eigene Lösungsversuche das Arbeitsgedächtnis so stark belasten, dass nur geringe Kapazitäten für das Ausbilden von Lösungsschemata verbleiben, während demgegenüber die Auseinandersetzung mit komplett oder partiell gelösten Aufgabenbeispielen das Augenmerk des Lernenden auf das Verstehen der Lösungsschritte und verfahren lenken. Die Forschung zeigt: Das Studieren und Analysieren von Lösungsbeispielen ist insbesondere dann effektiv, wenn die Lernenden über wenig Vorwissen verfügen, wenn sie mit Fragen und Prompts zur Reflexion und Selbsterklärungen angeregt werden, die Lösungsbeispiele variiert werden und die Lernenden nach und nach einzelne Lösungsschritte selbst übernehmen, also Lücken im Lösungsprozess selbst füllen müssen ( Kap. 1; Atkinson, Derry, Renkl & Wortham, 2000; Chi, Bassok, Lewis, Reimann & Glaser, 1989, Paas & Van Merrienboer, 1994; Renkl, Stark, Gruber & Mandl, 1998; Renkl, Atkinson, Maier & Staley, 2002). Motivationalaffektive Zielvariablen Die Forschungslage zu den Effekten des Lernens mit Lösungsbeispielen auf affektivmotivationale Variablen ist dünn (Stark, 1999), sodass ein einheitlicher Trend derzeit nicht auszumachen ist. Hinsichtlich der inhaltlichen Klarheit des Unterrichts ist der Forschungsstand vergleichsweise konsistent. Hines et al. (1985) konnten in ihrer Studie z. B. nachweisen, dass eine höhere Klarheit des Unterrichts mit einer höheren Zufriedenheit der Lernenden einhergeht. Rodger et al. (2007) zeigten in ihrer experimentellen Studie, dass Studierende stärker motiviert sind, wenn die Klarheit des (Hochschul)Unterrichts ausgeprägter ist. Die Studie von Seidel, Rimmele und Prenzel (2005) konnte ebenfalls positive Effekte auf die Motivationsentwicklung feststellen: Lernende in Klassen, in denen die Zielklarheit und die Kohärenz des Physikunterrichts besonders deutlich ausgeprägt waren, berichteten über eine höhere intrinsische Motivation als Lernende in Klassen, in denen diese beiden Merkmale vergleichsweise gering ausgeprägt waren. In die gleiche Richtung weisen die Befunde von Schrader, Helmke und Dotzler (1997) aus der SCHOLASTIK Studie. Auch hier zeigte die eingeschätzte Klarheit des Unterrichts einen positiven Zusammenhang mit der affektiven Entwicklung der Lernenden Feedback Kognitive Zielvariablen Definition Feedback wird als jede Art von Rückmeldung verstanden, die sich auf die Leistung oder das Verständnis des Lernenden bezieht, diesen über die Richtigkeit seiner Antwort bzw. seiner Aufgabenlösung informiert (Mory, 2004) oder ihm inhaltliche und/oder strategische Hilfen und Informationen zu seinem Bearbeitungsprozess zur Verfügung stellt. Das Feedback kann von der Lehrperson, einem Mitschüler, dem Schüler selbst oder einem Medium gegeben werden. Bloße Bekräftigungen (Belohnungen, Lob, Tadel) ohne Bezug auf die erbrachte Leistung werden in der Regel nicht zum Feedback gezählt (Jacobs, 2002; Mory, 2004) und daher bei der folgenden Zusammenfassung nicht berücksichtigt. Feedback gilt als zentrale Komponente im Lehrund Lernprozess. Aus kognitionspsychologischer Sicht hat Feedback eine informierende Funktion und soll dem Lernenden Fehler und Misskonzepte bewusst machen sowie Diskrepanzen zwischen aktueller Leistung und aktuellem Verständnis auf der einen Seite und dem zu erreichenden Zielzustand auf der anderen Seite reduzieren (Hattie & Timperley, 2007). Hierzu ist es erforderlich, dass für die Lehrperson und den Lernenden der Zielzustand (feedup) klar ist und dass das Feedback Antworten darauf gibt, wo man im Hinblick auf das angestrebte Lernziel steht (feedback) und welche weiteren Schritte erforderlich sind, um dem angestrebten Ziel näher zu kommen (feedforward). Wenn man sich dem Forschungsstand zunächst unter Heranziehung der großen Metaanalysen nähert, dann kann man schnell den Eindruck gewinnen, dass Feedback geben per se positive Auswirkungen auf kognitive und motivationale Zielvariablen hat, so bedeutsam fallen die ermittelten mittleren Effektstärken aus (Hattie, 2009; Hattie & Timperley, 2007; Lysakowski & Walberg, 1982; Scheerens & Bosker, 1997). Doch der erste Eindruck täuscht. Bei näherer Betrachtung ergibt sich ein recht uneinheitliches Bild (Kluger & DeNisi, 1996; Shute, 2008),

105 4.2 Merkmale und Merkmalskonfigurationen erfolgreichen Unterrichts 83 4 das die Notwendigkeit einer weiteren Differenzierung aufzeigt und die Frage aufwirft, welche Merkmale von Feedback, aber auch welche Merkmale des Kontexts und des Lernenden dazu beitragen, dass sich Rückmeldungen lernförderlich auswirken. Die Feedbackforschung beschäftigt sich vor allem mit dem Lehrerfeedback auf Aufgaben, bei denen es eine richtige Antwort bzw. Lösung gibt. In Abhängigkeit von der Komplexität und der Elaboriertheit des Feedbacks werden verschiedene Formen unterschieden. Die einfachen Rückmeldungen informieren den Lernenden, ob seine Lösung bzw. seine Antwort richtig oder falsch war ( knowledge of results, KOR) und ggf. noch darüber, wie die richtige Antwort lautet ( knowledge of correct results, KCR). Zu den komplexen und elaborierteren Rückmeldeformen werden in der Regel Hinweise gezählt, die über die Nennung des richtigen Ergebnisses hinausgehen und weitere Informationen und Erklärungen beinhalten, die für das Verständnis der Aufgabe von Bedeutung sind und die Lösung bzw. richtige Antwort verständlich machen (vgl. Jacobs, 2002; Kulhavy & Stock, 1989). Fasst man die Vielzahl von Studien zusammen und differenziert zusätzlich nach den Formen des Feedbacks, so zeigt sich ein etwas einheitlicheres Bild. Demzufolge haben Rückmeldungen, die lediglich darüber informieren, ob eine Antwort bzw. ein Ergebnis falsch oder richtig ist, in der Regel keinen Effekt auf die Lernleistung (Kluger & DeNisi, 1996; Mory, 2004). Sind mit der Rückmeldung dagegen Informationen verbunden, wie die korrekte Lösung lautet bzw. ist mit der Rückmeldung eine Fehlerkorrektur verbunden, so sind eher Effekte auf den Lernerfolg zu beobachten (z. B. BangertDrowns et al., 1991; Heubusch & Lloyd, 1998). Formen elaborierten Feedbacks gelten einfacheren Formen des Feedbacks grundsätzlich zwar als überlegen (BangertDrowns et al., 1991; Kluger & DeNisi, 1996), doch geht man heute davon aus, dass für die positiven Effekte elaborierter Feedbackformen weitere Variablen eine Rolle spielen, über deren Zusammenspiel noch wenig bekannt ist. Hierzu zählen z. B. die Komplexität der Aufgabe und verschiedene Merkmale des Lernenden, wie z. B. dessen Vorwissen und dessen Umgang mit dem gegebenen Feedback. Auch die Adaptivität und Spezifität des elaborierten Feedbacks spielen offenbar eine wichtige Rolle: Enthält das elaborierte Feedback zu komplexe oder überflüssige Informationen, führt dies nicht unbedingt zu besseren Leistungen (Mory, 2004; Shute, 2008), möglicherweise auch deshalb, weil dieses Zuviel an Informationen mit einer zu starken kognitiven Belastung einhergeht. Generell gilt zwar, dass spezifisches Feedback allgemein gehaltenen Rückmeldungen überlegen ist, jedoch scheint es auch hier Moderatorvariablen zu geben, die die Wirkungen der Spezifität von Feedback beeinflussen (Shute, 2008). So zeigte sich in einigen Studien, dass bei einfachen Aufgabenstellungen, die lediglich die Wiedergabe von Fakten erfordern, elaboriertes und komplexes Feedback eher schädlich sein kann (Mory, 2004), da es mehr Informationen enthält als zur Korrektur eigentlich notwendig sind, wodurch das Arbeitsgedächtnis der Lernenden unnötig belastet und wertvolle Lernzeit mit vergleichsweise irrelevanten Hinweisen gebunden wird. Elabarorierteres Feedback scheint vor allem bei Aufgabenstellungen, die den Erwerb von Regeln und Konzepten intendieren und komplexeres Denken erfordern, wirksamer zu sein als wenig informatives Feedback (Huth, 2004; Krause, Stark & Mandl, 2004; Moreno, 2004). Was Merkmale der Lernenden anbelangt, verdeutlichen verschiedene Studien, dass der Lernerfolg als Folge von Feedback abhängig ist vom Vorwissensstand des Lernenden. Insbesondere bei geringerem Vorwissen sind höhere Effekte von Feedback zu erwarten (Jacobs, 2002). Für leistungsstärkere Schüler kann unvollständiges Feedback effektiver sein kann als für leistungsschwächere, die demgegenüber eher von vollständigem Feedback profitieren (Mory, 2004). Van den Boom, Paas und Van Merriënboer (2007) berichten über positive Effekte eines sogenannten suggestiven Feedbacks, das Hinweise auf Fehler und Probleme enthält, ohne dass jedoch direkte Hinweise gegeben werden, worin das Problem bzw. der Fehler besteht. Auch Hattie und Timperley (2007) verweisen in ihrem Forschungsüberblick auf die Wirksamkeit von Feedback, das sich auf den Prozess der Bearbeitung und auf die Anwendung von Strategien bezieht. Nach den Ergebnissen von Vollmeyer und Rheinberg (2005) kann sogar schon die Ankündigung von Feedback ausreichen, um Lernende zu einer systematischeren Anwendung von Strategien anzuregen und damit zu besseren Leistungen zu bewegen. Aus einer konstruktivistischen Perspektive sind der Umgang mit und die Nutzung von Feedback relevante mediierende Faktoren für die Wirkungen von Feedback. Aktuellere Feedbackmodelle und Forschungsbefunde im Kontext des selbstgesteuerten Lernens lassen erkennen, dass die Nutzung von Feedback nicht nur von kognitiven, sondern auch von metakognitiven und affektivmotivationalen Voraussetzungen der Lernenden, wie z. B. den Zielorientierungen und den Kontroll und Kompetenzüberzeugungen abhängig ist (Butler & Winne, 1995; Mory, 2004; Narciss, 2004; Kap. 8). Auch der Zeitpunkt der Rückmeldung kann offenbar die Wirkungsweise des elaborierten Feedbacks beeinflussen. In einigen Studien zeigte sich, dass sofortige Lehrerrückmeldungen im Unterricht grundsätzlich wirksamer sind als aufgeschobene bzw. verzögerte Rückmeldungen (Kulik & Kulik 1988; Heubusch & Lloyd, 1998; Dihoff, Brosvic & Epstein, 2003). In anderen Studien ergab sich jedoch auch eine Wechselwirkung zwischen dem Zeitpunkt

106 84 Kapitel 4 Unterricht des Feedbacks und der Aufgabenschwierigkeit: Demnach kann bei anspruchsvollen Aufgabenstellungen verzögertes Feedback wirksamer sein als bei einfachen Aufgabenstellungen (Hattie & Timperley, 2007). Hattie und Timperley (2007) differenzieren vier Ebenen der Rückmeldung. Feedback kann sich auf die Aufgabe, auf den Verarbeitungsprozess, auf die Ebene der Selbstregulation und/oder auf die Ebene des Lernenden beziehen. Als Fazit ihrer Metaanalyse zur Wirksamkeit von Feedback formulieren die Autoren: Feedback ist wirksamer, wenn es aufgaben, prozess und selbstregulationsbezogene Hinweise verknüpft und enthält. Aufgabenbezogenes Feedback bezieht sich darauf, wie gut eine Aufgabe gelöst oder verstanden worden und was ggf. noch fehlerhaft ist. Es setzt allerdings voraus, dass Lernende bereits über ausreichendes Verständnis und Vorwissen verfügen. Wenn dieses fehlt, ist eine Erklärung und nochmalige Instruktion effektiver als ein Feedback. Feedback auf der Ebene des Verarbeitungsprozesses ist insbesondere dann wirksam, wenn es hilft, Fehler zu identifizieren, weitere Informationen zu sammeln und Strategien zu verwenden bzw. zu optimieren. Feedback zum Prozess der Selbstregulation fokussiert vor allem auf metakognitive Tätigkeiten des Lernenden und umfasst Hinweise und Hilfen, wie der Lernende sein Lernen selbst planen, regulieren und bewerten kann. Es ist vor allem dann effektiv, wenn es zu einer größeren Anstrengungsbereitschaft und zu einer höheren Selbstwirksamkeit des Lernenden beiträgt. Feedback, das sich lediglich auf die Person des Lernenden oder auf die generelle Leistung des Schülers bezieht und keine spezifischen Angaben zur Aufgabe, dem Prozess und der Regulation macht, gilt als vergleichsweise unwirksam, da es die Aufmerksamkeit des Lernenden zu sehr auf die eigene Person und damit auf aufgabenirrelevante Aspekte lenkt (Hattie & Timperley, 2007). Ein Blick in die Unterrichtspraxis zeigt, dass das Potenzial von Feedback von Lehrpersonen offenbar nur selten genutzt wird. Lehrpersonen geben vergleichsweise häufig unspezifische Rückmeldungen und loben, ohne auf die Besonderheiten der Aufgabenbearbeitung oder auf individuelle Lernfortschritte Bezug zu nehmen (vgl. Pauli, 2010; Voerman, Meijer, Korthagen & Simons, 2012). Motivationale Zielvariablen Positive Wirkungen von Feedback auf kognitive Variablen lassen sich u. a. mit der CognitiveEvaluationTheorie auch indirekt, über die Wirkungen auf motivationale Variablen erklären (vgl. Deci, Koestner & Ryan, 1999) ( Kap. 9). Feedback kann sich dementsprechend über zunehmende Anstrengung, höheres Engagement, geringere Unsicherheiten und wachsendes Kompetenzerleben auf die Motivation und die Selbstwirksamkeit der Lernenden auswirken (Hattie & Timperley, 2007), da die Lernenden durch Feedback Informationen über die Wirkungen ihrer Lernhandlungen erhalten und ihre Anstrengungen beachtet und gewürdigt sehen, wodurch sich ihr Kompetenzgefühl und ihre Lernfreude steigern lassen. Die Forschungslage zu den motivationalen Wirkungen von aufgabenbezogenem Feedback fällt allerdings uneinheitlich aus. Einerseits berichten verschiedene Studien, dass aufgabenorientiertes Feedback die Motivation und das Interesse steigert (z. B. Butler, 1987). Andere Studien dagegen können keine positiven bzw. keine direkten Effekte des Feedbacks auf affektivmotivationale Variablen absichern (z. B. Krause & Stark, 2004). Die Studie von Vollmeyer und Rheinberg (2005) zeigt indirekte Effekte des Feedbacks über die angewandten Strategien auf die Motivation. Auch wenn man verschiedene Feedbackformen miteinander vergleicht, wird die Befundlage nicht klarer. Offenbar wird der Zusammenhang zwischen Feedback und Motivation von weiteren Drittvariablen moderiert. Narciss (2002, 2004) untersuchte in mehreren Studien die Auswirkungen des Informationsgehalts von Feedback auf kognitive und motivationale Variablen. Ihre Ergebnisse deuten darauf hin, dass die motivationsförderlichen Wirkungen eines elaborierteren informativen Feedbacks nicht salient werden, wenn die Lernenden einer intensiven Aufgabenbearbeitung aus dem Weg gehen können. Wenn die Lernenden jedoch gezwungen sind, sich eine bestimmte Zeit mit den Aufgaben auseinanderzusetzen, werden positive Wirkungen eines informationshaltigeren Feedbacks wahrscheinlicher. Unterrichtsstudien, wie die von Kunter (2005) und Elawar und Corno (1985), zeigen positive Effekte des Feedbacks auf affektivmotivationale Zielvariablen. Kunter wies bei der Reanalyse der deutschen TIMSSVideos nach, dass sich die von den Lernenden wahrgenommene Rückmeldequalität der Lehrperson positiv auf die Interessensentwicklung auswirkte, und zwar auch nach Kontrolle der individuellen Lernvoraussetzungen der Lernenden und der Kontextbedingungen der jeweiligen Klasse. Elawar und Corno (1985) untersuchten, wie Lehrerrückmeldungen auf Hausaufgaben die Leistung und Motivation der Lernenden beeinflussen. Hierzu wurde eine Experimentalgruppe von Mathematiklehrpersonen in einem aufwendigen Training fortgebildet. Die ausführlichen Lehrerrückmeldungen bestanden aus emotionalmotivationalen und sachlichinhaltsbezogenen Komponenten. Verglichen wurden diese ausführlichen Rückmeldungen mit einfachen Rückmeldungen, die die Lernenden nur darüber informierten, wie viele Aufgaben sie richtig bearbeitet hatten. Das ausführlichere Feedback zeigte positive Effekte sowohl auf die Leistungen als auch auf das Selbstkonzept, die Lernfreude und auf die Einstellungen der Lernenden zur Lehrperson und zur Schule.

107 4.2 Merkmale und Merkmalskonfigurationen erfolgreichen Unterrichts Kooperatives Lernen Kognitive Zielvariablen Sowohl im deutschen wie auch im angloamerikanischen Sprachraum wird der Begriff kooperatives Lernen bzw. cooperative learning nicht einheitlich verwendet. Pauli und Reusser (2000) verstehen unter kooperativem Lernen Lernarrangements, die eine koordinierte, kokonstruktive Aktivität der Teilnehmer/innen verlangen, um eine gemeinsame Lösung eines Problems oder ein gemeinsam geteiltes Verständnis einer Situation zu entwickeln (Pauli & Reusser, 2000, S. 421). Mit KoKonstruktion ist gemeint, dass Lernende durch den gegenseitigen Austausch neues Wissen aufbauen, ein neues Verständnis oder neue Aufgaben oder Problemlösungen entwickeln, die vorher in dieser Form bei keinem der Lernenden verfügbar waren. Zu beachten ist jedoch, dass kooperatives Lernen nicht einfach gleichzusetzen ist mit jeder xbeliebigen Form von Gruppenarbeit. Unter Berücksichtigung der umfangreichen Literatur werden immer wieder folgende zentrale Bestimmungsmerkmale genannt, die kooperatives Lernen im engeren Sinne kennzeichnen (Johnson, Johnson & Stanne 2000). Zentrale Bestimmungsmerkmale kooperativen Lernens Grundlegend für kooperatives Lernen ist eine positive Interdependenz (wechselseitige Abhängigkeit) der Lernenden. Das bedeutet: Den Lernenden sollte bewusst sein, dass sie die Aufgabe nur zusammen lösen können. Bekräftigungen wie Wir sitzen alle in einem Boot oder Wir ziehen am gleichen Strang drücken diese positive Interdependenz aus. Dies impliziert auch, dass jedes Gruppenmitglied eine individuelle Verantwortung für den Arbeitsprozess in der Gruppe übernimmt. Die Unterrichtspraxis sieht jedoch häufig anders aus: Oft arbeiten nur einige wenige an der Aufgabenstellung, die anderen tauchen ab oder klinken sich ganz aus dem Arbeitsprozess aus (Renkl, Gruber & Mandl, 1996). Kooperatives Lernen lebt von der FacetoFace Kommunikation zwischen den Lernenden, von Formen gegenseitiger Unterstützung und wechselseitiger Rückmeldung. Soziale Fähigkeiten sind gleichsam Voraussetzung und Ziel kooperativen Lernens. Ohne ein Minimum an vorhandenen Fertigkeiten und Fähigkeiten ist kooperatives Lernen kaum realisierbar, gleichzeitig dient kooperatives Lernen jedoch auch dem Aufbau sozialer Kompetenzen. Die fünfte Komponente bezieht sich auf metakognitive und reflexive Tätigkeiten der Lernenden. Kooperatives Lernen im engeren Sinne beinhaltet, dass die Lernenden darüber nachdenken, welche Tätigkeiten und Arbeitsschritte hilfreich sind und wie sie ggf. ihren Arbeitsprozess modifizieren müssen. Dem kooperativen Lernen in den USA und auch in anderen Ländern liegen langjährig entwickelte und erprobte Konzepte zugrunde. Diese lassen sich u. a. nach ihrer Belohnungs/Bewertungsstruktur und nach ihrer Aufgabenstruktur systematisieren. Hinsichtlich der Belohnung bzw. der Bewertung wird zwischen Konzepten unterschieden, bei denen die Gruppen aufgrund der individuellen Leistungen ihrer Mitglieder belohnt bzw. bewertet werden und solchen Konzepten, bei denen entweder keine Belohnung bzw. Bewertung erfolgt oder die Belohnung bzw. Bewertung nur für das Gruppenergebnis, unabhängig von den Leistungen der einzelnen Mitglieder, gegeben wird. Hinsichtlich der Aufgabenstruktur lassen sich Konzepte voneinander abgrenzen, die sich im Grad der Vorstrukturierung und der Aufteilung der Aufgaben unterscheiden. Zwei bedeutsame Konzepte kooperativen Lernens werden in den folgenden Exkursen vorgestellt. Beim STADKonzept erfolgt eine Gruppenbelohnung aufgrund individueller Leistungen der Gruppenmitglieder, dagegen wird auf eine Vorstrukturierung der Aufgaben in der Regel verzichtet. Beim zweiten hier vorgestellten Konzept, dem Jigsaw, erfolgt dagegen keine Belohnung der Leistungen, dagegen sind die Aufgaben vorstrukturiert. Was den Forschungsstand zum kooperativen Lernen insgesamt anbelangt, so zeigen die großen Metaanalysen zunächst ein relativ konsistentes Bild: Kooperative Lernsituationen scheinen individualisierten und kompetitiven Lernsituationen überlegen zu sein (Johnson et al., 2000; Rohrbeck, GinsburgBlock, Fantuzzo & Miller, 2003). Doch bei näherer Betrachtung stellt man fest, dass die mittleren Effektstärken in den verschiedenen Metaanalysen erheblich variieren und dass auch innerhalb der jeweiligen Metaanalysen die Effektstärken der einzelnen Studien breit streuen. Dies legt die Vermutung nahe, dass die Effekte kooperativen Lernens von weiteren Bedingungen beeinflusst werden. Die Metaanalyse von Rohrbeck et al. (2003) konnte eine Reihe solcher Drittvariablen identifizieren, die die Effektivität des peerassisted learning (PAL), bei dem sich Schüler gegenseitig in Gruppen unterrichten, moderieren. Demnach fallen die Ergebnisse für diese Art des kooperativen Lernens dann günstiger aus, wenn die Lernenden in gleichgeschlechtlichen Gruppen zusammenarbeiten, wenn das Ziel der Arbeit von den Lernenden festgelegt wird und

108 86 Kapitel 4 Unterricht Exkurs Student TeamsAchievement Divisions (Slavin, 1996) STAD ist eine Kombination aus Gruppenarbeit, regelmäßiger Leistungsüberprüfung und Gruppenbelohnung. STAD umfasst mehrere Phasen. Zunächst führt die Lehrperson im Klassenverband in das Thema des Unterrichts ein. In der zweiten Phase arbeiten die Lernenden in leistungsheterogenen Gruppen. Ziel dieser Phase ist, dass alle Mitglieder der Gruppe die entsprechende(n) Aufgabe(n) lösen. Jede Gruppe bekommt die gleiche(n) Aufgabe(n) und die gleichen Materialien zur Verfügung gestellt. Nach der kooperativen Phase diese kann 3 5 Unterrichtsstunden umfassen erfolgt eine individuelle Leistungsüberprüfung mit einem Quiz bzw. Test. Dabei arbeitet jeder Schüler allein. Die erzielten individuellen Leistungen der Schüler werden jeweils mit einer Baseline, die vor der eigentlichen kooperativen Phase erfasst wurde, verglichen. Daran bemisst sich, wie viele Punkte jedes Gruppenmitglied erhält. Die Punkte werden pro Gruppe aufsummiert, die Gruppe mit den meisten Punkten gewinnt. Eine Gruppe so die Erwartung kann also nur dann erfolgreich sein, wenn alle Mitglieder der Gruppe dazugelernt haben bzw. nach der kooperativen Phase bessere Leistungen zeigen als vorher, was voraussetzt, dass sich die Lernenden gegenseitig in ihrem Lern und Verstehensprozess unterstützen und Verantwortung für sich und die anderen Mitglieder in der Gruppe übernehmen. Diese Form der Beurteilung erhöht den Druck für die einzelnen Gruppenmitglieder sich anzustrengen und sich für die Arbeit der Gruppe zu engagieren. Slavin (1996) verweist auf die große Bedeutung, die der individuellen Leistungsüberprüfung in diesem Modell eingeräumt werden muss. Eine von ihm durchgeführte Metaanalyse ergab für diese Form kooperativen Lernens eine mittlere Effektstärke von d = Wenn dagegen ausschließlich ein einziges von der Gruppe erstelltes Produkt bewertet wird, zeigen die Studienergebnisse nur einen geringen Effekt von d = wenn die Arbeit Freiheitsgrade für die Lernenden eröffnet. Besonders hoffnungsvoll stimmen Befunde, die darauf hindeuten, dass insbesondere sozial benachteiligte Kinder von dieser Art des Lernens profitieren. Weitere Studien beschäftigten sich mit den Effekten der Gruppenzusammensetzung auf den Lernerfolg. Eine heterogene Zusammensetzung der Gruppe kommt offenbar insbesondere den schwächeren Schülern zugute (Lou et al., 1996; Webb et al., 1998). Erklärt wird dies mit den elaborierteren Erklärungen und Beiträgen der stärkeren Mitglieder der Gruppen, aber auch mit einem aktiveren Lernverhalten der schwächeren Schüler in heterogenen Gruppen (Fawcett & Garton, 2005; Fuchs et al., 1996). Für leistungsdurchschnittliche Schüler zeichnet sich dagegen ab, dass ihr Lernerfolg in heterogenen Gruppen eher geringer ausfällt als in homogenen Gruppen, für leistungsstarke Schüler differieren die Befunde (Webb et al., 1998; Lou et al., 1996). Letztere erzielen in heterogenen Gruppen offenbar dann einen vergleichsweise hohen Lerngewinn, wenn eine intensive, freundliche und von gegenseitiger Unterstützung geprägte Arbeitsatmosphäre vorherrscht (Webb, Nemer & Zuniga, 2002). Das letztgenannte Ergebnis zeigt, dass für das Gelingen kooperativen Lernens die Interaktionsqualität eine wichtige Rolle spielt (Hijzen, Boekkaerts & Vedder, 2007). In einer Studie mit Studierenden wiesen Jurkowski und Hänze (2010) nach, dass auch die Kooperationsfähigkeit der Studierenden einen Einfluss auf den Lernerfolg hat, der partiell über das transaktive Interaktionsverhalten vermittelt wird. Mit transaktivem Interaktionsverhalten ist gemeint, wie intensiv die Lernenden aufeinander Bezug nehmen und Beiträge der anderen Gruppenmitglieder aufgreifen und weiterentwickeln. Ob auch Strukturierungsmaßnahmen die Qualität kooperativen Arbeitens befördern können, ist nicht restlos geklärt. In der Metaanalyse von Rohrbeck et al. (2003) konnte dies nicht bestätigt werden, anderen Studien zufolge befördern Strukturierungen jedoch die Qualität kooperativen Arbeitens, insbesondere dann, wenn sie auf eine Aktivierung und Förderung metakognitiver Fähigkeiten der Lernenden abzielen (Howe & Tolmie, 2003; Kramarski & Mevarech, 2003) und wenn sie über Skripts den inhaltlichen Austausch der Gruppenmitglieder befördern und zur Vertiefung und Verknüpfung der Inhalte anregen (Jurkowski & Hänze, 2010). Weitere Bedingungen, die die Wirksamkeit kooperativen Arbeitens beeinflussen können, sind offenbar die Komplexität und das Anforderungsniveau der Aufgabenstellung. Eine aktuelle Studie von Kirschner et al. (2011), die sich der CognitiveLoadTheorie zuordnen lässt, ergab, dass kooperatives Lernen dann wirksamer ist als Einzelarbeit, wenn die unterrichtlichen Anforderungen komplexer Natur sind und problemlösendes Lernen erfordern. Wenn es dagegen um das Bearbeiten von weniger komplexen Anforderungen (hier: das Studium von Lösungsbeispielen) geht, zeigen sich deutlich geringere Unterschiede zwischen Einzelarbeit und kooperativer Bearbeitung. Eine mögliche Erklärung hierfür ist, dass sich die höhere kognitive Beanspruchung bei der Problemlöseaufgabe im Rahmen des kooperativen Settings auf mehrere Mitlernende verteilt, wodurch das Lernen effizienter und effektiver gestaltet werden kann, als wenn die Schüler alleine arbeiten. Dieses Ergebnis verweist darauf, dass auch das Niveau und die Komplexität der Aufgabenstellungen und die zu ihrer Bearbeitung erforderlichen Lernaktivitäten darüber entscheiden, ob kooperative Lernumgebungen ihr Potenzial ausspielen können oder nicht ( Exkurs Student TeamsAchievement Divisions (Slavin, 1996) ; Exkurs Jigsaw (Aronson, Blaney, Stephan, Sikes, & Snapp, 1978) ).

109 4.2 Merkmale und Merkmalskonfigurationen erfolgreichen Unterrichts 87 4 Exkurs Jigsaw (Aronson, Blaney, Stephan, Sikes, & Snapp, 1978) Das Jigsaw (Gruppenpuzzle) verläuft in 4 unterschiedlichen Phasen. Zunächst teilt sich die Klasse in sogenannte Stammgruppen mit 4 5 Mitgliedern auf. Daraufhin werden, auf der Basis thematischer Vorstrukturierungen seitens der Lehrperson, Expertengruppen gebildet, in die jeweils ein Mitglied jeder Stammgruppe entsandt wird und die unterschiedliche Aspekte oder Aufgaben eines komplexeren Themas bearbeiten. Nach dieser Expertenphase folgt die Vermittlungsphase in den Stammgruppen. Jedes Mitglied hat dabei die Aufgabe, sein in den Expertengruppen erworbenes (Experten)Wissen an die Mitglieder seiner Stammgruppe weiterzugeben, die sich mit einem anderen Thema beschäftigt haben. Daran schließt sich in der Regel noch eine gemeinsame Reflexion im Klassenverband an. Die Befunde zur Lernwirksamkeit des Gruppenpuzzles fallen, was den Lernerfolg anbelangt, uneinheitlich aus. In den meisten Untersuchungen konnten keine Vorteile des Gruppenpuzzles gegenüber herkömmlichem Unterricht abgesichert werden können (Hänze & Berger, 2007; Souvignier & Kronenberger, 2007). Demgegenüber berichten z. B. Borsch et al. (2002) von positiven Effekten, d. h., die Lernenden erzielten im Gruppenpuzzle größere Lernzuwächse als im traditionellen Unterricht bzw. in Einzelarbeit. Die Metaanalyse von Johnson, Johson und Stanne (2000) ermittelt für das Gruppenpuzzle leicht positive Effekte. Einhellig weisen die Studien jedoch auf differenzielle Effekte innerhalb der Gruppenpuzzlegruppen hin: In ihren Expertenthemen schneiden die Lernenden in der Regel besser ab als in jenen Themen, die ihnen von ihren Mitlernenden präsentiert wurden (z. B. Hänze & Berger, 2007). Dieser Befund ist nicht überraschend, wenn man bedenkt, dass die Schüler sehr viel mehr Zeit auf die Erarbeitung ihrer Expertenthemen verwenden, und wenn man berücksichtigt, dass der Lernerfolg in den Nichtexpertenthemen auch von der Qualität der Vermittlung und Präsentation durch die Mitschüler abhängig sein dürfte (Webb et al., 1998). Neben der CognitiveLoadTheorie kommen für die hier dargestellten positiven Effekte kooperativen Lernens weitere theoretische Erklärungen infrage. Dabei lässt sich eine kognitivkonstruktivistische und eine motivationale Perspektive unterscheiden. Aus kognitivkonstruktivistischer Perspektive kann angenommen werden, dass kooperatives Lernen insbesondere dann zu einer Weiterentwicklung kognitiver Schemata und Strukturen beiträgt, wenn es zu einem vertieften Austausch von Meinungen, Ideen und Konzepten zwischen den Lernenden kommt, wenn widersprüchliche Meinungen aufeinandertreffen und kognitive Konflikte entstehen, die zu einem inhaltlich intensiven Diskurs führen (Piaget, 1985). Empirische Evidenzen hierfür fassen De Lisi und Golbeck (1999) zusammen (vgl. auch Jurkowski & Hänze, 2010). Eine stärker soziokulturelle Perspektive verfolgt die Theorie Vygotskys (1978). Vygotsky geht davon aus, dass die kognitive Entwicklung ein Prozess ist, der vor allem durch die Aushandlungs und Interaktionsprozesse mit (kompetenteren) Personen befördert und unterstützt wird. Lernende eignen sich durch die Interaktion mit kompetenteren Personen Konzepte, Denkweisen und Strategien an, indem sie diese schrittweise internalisieren. Lernende profitieren vor allem dann von dieser Interaktion, wenn Anleitung und Unterstützung in der Zone der nächsten Entwicklung angesiedelt sind, also etwas über den aktuellen Entwicklungsstand des Lernenden hinausreichen. Andere Autoren erklären die positiven Effekte kooperativen Lernens mit motivationalen Aspekten des Lernens (s. unten). Motivationale Zielvariablen Für Slavin (1996) stellt die Motivation der Lernenden, die seiner Meinung nach insbesondere durch die gruppenbezogene Belohnung auf der Basis der individuellen Leistungen der Gruppenmitglieder und die sich dadurch ergebende individuelle Verantwortlichkeit der Lernenden gefördert wird, den entscheidenden Wirkmechanismus beim kooperativen Lernen dar. Andere Autoren sehen eher in der sozialen Kohäsion der Gruppenmitglieder den entscheidenden Grund für die positiven Effekte kooperativen Lernens, da kooperatives Lernen dem Bedürfnis nach sozialer Eingebundenheit entgegenkommt und darüber die Lernmotivation der Lernenden fördert (Cohen, 1994). Insgesamt liegen zu den Effekten auf motivationalaffektive Variablen (Einstellungen zum Lernen, Selbstwertgefühl, Formen der Lernmotivation) deutlich weniger Studien vor als für die Leistungsentwicklung. Zusammenfassungen des Forschungsstands und Metaanalysen indizieren auch hier ein insgesamt positives Bild (Lou et al., 1996; Springer, Stanne & Donovan, 1999). Zieht man einige aktuellere Einzelstudien heran, so wird das Bild verschwommener. In der Studie von Krause und Stark (2004) blieben die erwarteten Effekte kooperativen Lernens auf motivationale Variablen, wie die Selbstwirksamkeit, die erlebte Kompetenz, die wahrgenommene Anstrengung sowie die Akzeptanz der Lernumgebung, allesamt aus. Positive Ergebnisse ergeben sich dagegen aus zwei Studien, die die Wirkungen der STADMethode und des Gruppenpuzzles untersuchten. In einer amerikanischen Studie mit Lernenden an Highschools konnten positive Effekte der STADMethode auf die Entwicklung der Selbstwirksamkeit, der intrinsischen Motivation sowie auf die Zielorientierungen der Lernenden nachgewiesen werden (Nichols, 1996). Hänze und Berger (2007) zeigen, dass sich das Verfahren des Gruppenpuzzles positiver auf die

110 88 Kapitel 4 Unterricht drei basic needs nach Deci und Ryan (1985), also auf das Kompetenzerleben, die soziale Eingebundenheit und das Autonomieerleben, auswirkt als traditioneller Unterricht. Zusammenfassend zeigt sich auch für den affektivmotivationalen Bereich, dass man nicht automatisch von positiven Effekten des kooperativen Lernens ausgehen kann. Vielmehr deuten die uneinheitlichen Ergebnisse darauf hin, dass es auch für den affektivmotivationalen Bereich moderierende Faktoren gibt, die die Stärke der Effekte kooperativen Lernens beeinflussen Üben Üben und Wiederholen sind wichtige Komponenten im Lern bzw. Wissenserwerbsprozess und spielen in vielen Instruktionstheorien und modellen eine wichtige Rolle (vgl. Aebli; Abschn ; Anderson, 2001). Üben verbessert die Übertragung von Informationen vom Arbeits in das Langzeitgedächtnis, dient somit der Speicherung und Festigung von deklarativem und prozeduralem Wissen und damit der Entlastung des kognitiven Systems. Als allgemein anerkannt gilt, dass Training und Übung mangelnde Fähigkeiten und Begabung zumindest partiell kompensieren können. Wenn man den Forschungsstand zum Thema Üben analysiert, so fällt zunächst auf, dass es vergleichsweise wenig aktuelle Studien gibt, die die Wirkungen von Übungen und Übungskomponenten auf schulrelevantes Wissen und schulbezogene Fähigkeiten explizit untersuchen. Entsprechenden Fragen wird in der Kognitionspsychologie und in der Forschung zur Bedeutung von Lernstrategien für den Lern und Übungserfolg nachgegangen ( Kap. 2; Klauer & Leutner, 2007; Mandl & Friedrich, 2006). Auch in Standardwerken zum Thema Unterrichtsqualität wird immer wieder auf die Bedeutung des Übens für den Lernprozess hingewiesen (Brophy, 2000; Borich, 2007). Marzano et al. (2000) ermitteln in ihrer Metaanalyse für das Merkmal Hausaufgaben und Übungen eine Effektstärke von d = 0.77, was einen beträchtlichen Effekt darstellt. Auch die fachdidaktische Forschung stellt die Bedeutung des Übens für den Lernprozess heraus (z. B. für die Mathematik: Grouws & Cebulla, 2000). Dabei wird meist darauf verwiesen, dass positive Effekte von Übungen am ehesten dann zu erwarten sind, wenn ein ausreichendes konzeptionelles Verständnis beim Lernenden vorhanden ist. Dieser weit verbreiteten Ansicht widersprechen allerdings die Befunde von RittleJohnson, Siegler und Alibali (2001), die wechselseitige Zusammenhänge zwischen der Entwicklung konzeptuellen Verständnisses und prozeduraler Fertigkeiten nachweisen konnten. Die Leseforschung verdeutlicht, dass wiederholtes Lesen der gleichen Textabschnitte (repeated reading) erhebliche Effekte auf die Leseflüssigkeit und das Leseverständnis hat (Therrien, 2004). Als empirisch gut bestätigt gilt, dass verteiltes Üben grundsätzlich effektiver ist als massiertes (Donovan & Radosevich, 1999; Cepeda, Pashler, Vul, Wixted & Rohrer, 2006; Dunlosky, Rawson, Marsh, Nathan & Willingham, 2013; Rohrer & Taylor, 2006; Seabrook, Brown & Solity, 2005; Sobel, Cepeda & Kapler, 2011). Aktuelle Forschungen zeigen zudem, dass das Behalten langfristig gesteigert werden kann, wenn (Übungs)Aufgaben vermischt bzw. verschachtelt dargeboten werden. Beim vermischten Üben werden Aufgaben zu miteinander in Beziehung stehenden Inhalten verschachtelt (abcabcabc) dargeboten (Rohrer & Taylor, 2007; Taylor & Rohrer, 2010). Bei geblockten Übungen, was dem typischen Vorgehen in der Schule entspricht, werden die Aufgaben nach den jeweiligen Inhalten dagegen isoliert und geblockt bearbeitet bzw. geübt (aaabbbccc): Nach der Einführung eines Inhalts a wird dieser Inhalt, häufig aber eben nur dieser Inhalt, sofort geübt, bevor ein neuer Inhalt b eingeführt und geübt wird. Während für kurzfristiges Behalten und Lernen geblockte Übungen offenbar effektiver sind, erweisen sich vermischte Übungen für den längerfristigen Lern und Behaltenserfolg als überlegen. Entsprechende Studien liegen insbesondere für den Mathematikunterricht vor (Dunlosky et al., 2013; Kornell & Bjork, 2008; Taylor & Rohrer, 2010; Rohrer, 2012), wenngleich es sich jedoch hierbei vielfach um Laborstudien mit älteren Lernenden handelt (vgl. Richter et al., 2013). Erklären lässt sich die Überlegenheit vermischt bzw. verschachtelt dargebotener Lernund Übungsaufgaben damit, dass Schüler dabei zusätzlich entscheiden müssen, welches der gelernten Verfahren oder Prinzipien anzuwenden ist, was erhebliche Diskriminationsleistungen erfordert. Demgegenüber kommt es bei geblockten Übungen lediglich darauf an, eine zuvor gelernte Prozedur bzw. ein Verfahren in der vorher gelernten Weise anzuwenden. Die plausibelste Erklärung für den Vorteil verschachtelten Übens ist demnach, dass Schüler dabei ein Wissen darüber ausbilden, welches Verfahren und welche Prozedur bei welchen Aufgaben anzuwenden ist und dadurch Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Aufgabenmerkmalen erkennen. Diese angenommene Erklärung für den Vorteil verschachtelten Übens und Lernens lässt sich mit Ergebnissen der Metaanalyse von Marzano, Gaddy und Dean (2000) in Einklang bringen, die für instruktionale Maßnahmen, die Lernende dazu anregen, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zweier Elemente zu identifizieren, die höchste aller berichteten Effektstärken (d = 1.61) ermittelten (s. auch Abschn ). Verschachteltes Üben lässt sich somit als wünschenswertes Erschwernis begreifen, welches das Lernen zunächst schwerer, langfristig aber effektiver macht (Bjork & Bjork, 2011; Richter et al. 2013).

111 4.2 Merkmale und Merkmalskonfigurationen erfolgreichen Unterrichts 89 4 Ganz ähnliche Unterschiede zwischen kurzfristigem und langfristigem Behalten zeigen Studien zum sogenannten Testeffekt: Demnach ist es für das langfristige Behalten besser, wenn sich Lernende nach einer einmaligen Lesebzw. Lernphase selbst testen und ihr Wissen prüfen, als wenn sie den zu lernenden Text nochmals lesend durcharbeiten und studieren. Für den kurzfristigen Lern und Behaltenserfolg erweisen sich zwar nacheinander durchgeführte Studiums bzw. Wiederholungsphasen als effektiver, langfristig bringt es jedoch mehr, wenn einmal gelerntes Wissen rekonstruiert und abgefragt wird, als wenn der Inhalt nochmals studiert wird (vgl. Dunlosky et al., 2013; Roediger & Karpicke, 2006a, 2006b). Das eigene Wissen zu testen, stellt somit auch eine wertvolle Lerngelegenheit dar. Darüber, wie sich dieser Testeffekt erklären lässt, liegen unterschiedliche Annahmen vor: Zum einen werden direkte Effekte angenommen, die davon ausgehen, dass durch das Testen und Abrufen des Wissens die Wahrscheinlichkeit steigt, dass neue Informationen mit der bestehenden kognitiven Struktur verknüpft und dadurch leichter erinnert werden. Indirekte Effekte basieren z. B. auf den Annahmen, dass der Lernende durch den Test Wissenslücken bemerkt, auf deren Schließung er sich nachfolgend konzentrieren kann, dass der Test mit seinen Fragen die Organisation von Wissen erleichtern kann und dass der Test eine Feedbackfunktion beinhaltet (Roediger, Putnam & Smith, 2011). Wie lang dürfen oder sollen die Zeiträume zwischen den Übungseinheiten sein? Lange ging man davon aus, dass es sinnvoll sei, die Zeitintervalle zwischen den Wiederholungsphasen sukzessive auszudehnen. Studien können dies jedoch bislang nicht bestätigen. Donovan und Radosevich (1999) zeigen, dass zu lange Zeiträume zwischen den Übungseinheiten den Übungserfolg schmälern können. Cepeda et al. (2006) berichten in ihrer Metaanalyse von einer uneinheitlicher Befundlage: Während einige Studien nachweisen, dass mit einer Vergrößerung der Zeiträume zwischen den Übungsphasen ein höherer Lernzuwachs verbunden ist, gelangen andere Studien zu dem Ergebnis, dass gleich lange Zeiträume vorteilhafter sind. Ein Grund für die inkonsistente Forschungslage könnte sein, dass der Übungserfolg nicht nur von den Zeiträumen zwischen den Übungseinheiten, sondern auch davon abhängig ist, wie lange und nachhaltig das Wissen behalten werden soll. Je nachhaltiger und länger der Übungsstoff behalten werden soll, desto länger dürfen die Zeiträume zwischen den Übungseinheiten sein (Cepeda, Vul, Rohrer, Wixted & Pashler, 2008). Soll der Lernende das Wissen noch nach fünf Jahren erinnern, so sollten die Übungseinheiten 6 12 Monate auseinander liegen. Geht es dagegen um das Behalten für eine Woche, so sollten die Zeiträume zwischen den Übungseinheiten nicht länger als Stunden sein (Cepeda et al., 2008). Die berichteten Ergebnisse zum verteilten Üben (s. o.) lassen positive Effekte des sog. Overlearning also des Weiterübens einer Tätigkeit, die man eigentlich schon beherrscht fraglich erscheinen. Während frühere Studien positive Effekte für das Overlearning nachweisen konnten (vgl. zsf. Klauer & Leutner, 2007), gelangen neuere Untersuchungen eher zu dem Fazit, dass das Overlearning weder einen kurz noch einen langfristigen Effekt hat (Rohrer, 2009; Rohrer & Taylor, 2006). Insgesamt verweisen die Ergebnisse darauf, dass Übungen dann vergleichsweise wirkungslos verpuffen, wenn die Lernenden die auszuführenden Tätigkeiten bereits beherrschen und wenn die Übungsaufgaben keine Variationen und Herausforderungen beinhalten, sodass es den Lernenden nicht oder nur unzureichend gelingt, die kennzeichnenden Bestandteile des relevanten Konzepts zu diskriminieren und zu generalisieren (Bjork, 1994). Hier zeigen sich interessante Parallelen zu den Empfehlungen von Aebli (1976; 1983). Mit den positiven Effekten des vermischten Übens und mit dem berichteten Testeffekt lassen sich auch Verbindungen zum Konstrukt der kognitiven Aktivierung herstellen Kognitive Aktivierung Aus einer kognitivkonstruktivistischen Sicht verspricht Unterricht dann erfolgreich im Sinne der Förderung eines vertieften Verständnisses zu sein, wenn er Lernende zum vertieften Nachdenken und zu einer elaborierten Auseinandersetzung mit dem Unterrichtsgegenstand anregt. Damit wird das Konstrukt der kognitiven Aktivierung umschrieben, ein vergleichsweise junges Konstrukt in der deutschen Unterrichtsforschung, das von Baumert und Klieme in Abgrenzung zu anderen Basisdimensionen der Unterrichtsqualität, wie Schülerorientierung und Klassenführung, in die Diskussion eingeführt wurde (Baumert et al., 2004; Klieme, Lipowsky, Rakoczy & Ratzka, 2006). International werden für einen anregenden, herausfordernden Unterricht auch andere Begriffe wie higher order questions, higher order thinking, challenging tasks, thoughtful discourse oder authentic instruction verwendet (vgl. Brophy, 2000; Hattie, 2009, 2012; Louis & Marks, 1998), wobei mit diesen Begriffen teilweise unterschiedliche Facetten kognitiver Aktivierung betont werden. Inwieweit Lernende kognitiv aktiviert und stimuliert werden, lässt sich nicht direkt beobachten, sondern wird in der Regel über verschiedene Indikatoren approximativ zu erfassen versucht. Diese beziehen einerseits Merkmale des Unterrichtsangebots, andererseits Aspekte der Nutzung dieses Angebots durch die Lernenden ein. Indikatoren des Unterrichtsangebots umfassen vor allem Aspekte des Leh

112 90 Kapitel 4 Unterricht rerverhaltens. Die Lehrperson kann den Prozess der kognitiven Aktivierung initiieren und befördern, indem sie die Lernenden mit kognitiv herausfordernden Aufgaben konfrontiert, kognitive Konflikte provoziert, auf Unterschiede in inhaltsbezogenen Ideen, Konzepten, Positionen, Interpretationen und Lösungen hinweist, die Lernenden anregt, ihre Gedanken, Konzepte, Ideen und Lösungswege darzulegen und zu erläutern, anregende und herausfordernde Fragen stellt, die zu Begründungen, Vergleichen und Verknüpfungen neuer Informationen mit bereits bestehendem Wissen anregen und allgemein gesprochen eine diskursive Unterrichtskultur pflegt, in der sich die Lernenden intensiv über inhaltliche Konzepte und Ideen austauschen. Korrespondierend hierzu lässt sich auf der Ebene der Angebotsnutzung dann von einem vergleichsweise kognitiv aktivierenden Unterricht ausgehen, wenn die Lernenden kognitiv anspruchsvolle Tätigkeiten ausüben, also z. B. Argumente austauschen, Querverbindungen zu anderen Themen oder Konzepten herstellen, Vergleiche anstellen, Lösungswege erläutern, vergleichen und beurteilen, Vermutungen formulieren, Fragen stellen, Antworten und Lösungen hinterfragen und ihr Wissen auf andere Situationen übertragen. Eine besondere Rolle in einem kognitiv aktivierenden Unterricht spielt das fachliche Niveau der didaktischen Kommunikation und der Unterrichtsgespräche (Brophy, 2000; Learning Mathematics for Teaching Project, 2010; Menke & Pressley, 1994; Pauli & Reusser, 2011; Walshaw & Anthony, 2008). Theoretisch weist das Konstrukt der kognitiven Aktivierung u. a. Bezüge zu den Theorien von Vygotsky und Piaget und zu konstruktivistischen Theorien des Wissenserwerbs auf. Der inhaltliche Austausch mit anderen Menschen, insbesondere mit kompetenteren Mitlernenden und Erwachsenen, wird von Vygotsky (1978) als zentrale Voraussetzung für die allmähliche Verinnerlichung von neuen Konzepten, Strategien und für den Aufbau von neuem Wissen verstanden ( Abschn ). Der Ansatz von Vygotsky wie auch das Konstrukt der kognitiven Aktivierung betonen gleichermaßen die Bedeutung der fachgebundenen Interaktion für den Aufbau von neuem Wissen. Die Konfrontation der Schüler mit anderen Standpunkten und Sichtweisen bzw. die Initiierung von Widersprüchen stellt eine Voraussetzung für das Entstehen kognitiver Konflikte dar, die im Sinne Piagets (1985) als Motor für die Weiterentwicklung kognitiver Strukturen betrachtet werden. Theoretische Basis für diese Annahmen bildet das sog. Äquilibrationskonzept, also das Bestreben des Lernenden, ein Gleichgewicht zwischen den existierenden Vorstellungen und Konzepten einerseits und neuen Informationen und Erfahrungen andererseits herzustellen. Der Impuls zum Aufbau und zur Weiterentwicklung kognitiver Strukturen erfolgt dadurch, dass der Lernende mit Informationen, Erfahrungen oder Phänomenen konfrontiert wird, die im Widerspruch zu seinen bisherigen Konzepten stehen und die ihn erkennen lassen, dass seine bisherigen Vorstellungen nicht mehr tragfähig sind und neue Konzepte plausibler erscheinen ( Abschn ). Die Forschungslage zu Wirkungen eines kognitiv aktivierenden Unterrichts ist noch vergleichsweise dünn. Die meisten Studien liegen zum Mathematikunterricht vor. Klieme, Schümer und Knoll (2001) konnten auf der Basis der Daten aus der TIMSSVideostudie 1995 positive Zusammenhänge zwischen der kognitiven Aktivierung der Lernenden und dem Lernzuwachs nachweisen, dabei wurde jedoch der Mehrebenencharakter der Daten nicht berücksichtigt. In dem Projekt Unterrichtsqualität, Lernverhalten und mathematisches Verständnis (Pythagorasstudie) stellten Lipowsky et al. (2009), nach Kontrolle diverser Lernvoraussetzungen und klassenspezifischer Bedingungen, einen positiven, wenngleich schwachen Effekt der von externen Beobachtern hochinferent eingeschätzten kognitiven Aktivierung auf den Lernerfolg der Schüler während einer dreistündigen Unterrichtseinheit zur Satzgruppe des Pythagoras fest. Pauli und Reusser (2011) analysierten die LehrerSchülerInteraktion im öffentlichen Klassengespräch des videografierten Pythagorasunterrichts genauer. Mittels niedriginferenter Kodierungen wurden u. a. der Anteil von Lehreräußerungen erfasst, mit denen die Schüler aufgefordert wurden etwas zu begründen oder zu erläutern, der Anteil kognitiv herausfordernder Lehrerfragen, der Anteil gleichberechtigter Schüleräußerungen (in Abgrenzung zu Schüleräußerungen, die lediglich eine Stichwortfunktion erfüllten) und der Anteil der Schüleräußerungen, die eine Begründung enthielten. Diese vier Kategorien ließen sich faktorenanalytisch zu der Dimension anspruchsvolle mathematische Diskussionen verdichten, deren Ausprägung mehrebenenanalytisch den Lernerfolg der Schüler in der dreistündigen Unterrichtseinheit Einführung in den Satz des Pythagoras positiv vorhersagen konnte. Im COCATIVProjekt ermittelten Baumert und Kollegen (2010) einen positiven Effekt der kognitiven Aktivierung auf den Lernzuwachs von Schülern im Mathematikunterricht des 10. Schuljahrs, wobei die kognitive Aktivierung des Unterrichts hier über das Anspruchsniveau der in Klassenarbeiten eingesetzten Aufgaben erfasst wurde (vgl. auch Kunter & Voss, 2011). Auch Befunde des amerikanischen QUASARProjekts (Stein & Lane, 1996), des britischen CAMEProjekts (Shayer & Adhami, 2007), Ergebnisse einer kleinen Studie von Hiebert und Wearne (1993) sowie Befunde mehrerer qualitativer mathema

113 4.2 Merkmale und Merkmalskonfigurationen erfolgreichen Unterrichts 91 4 tikdidaktischer Studien, die Hiebert und Grouws (2007) zusammenfassen, verweisen auf die positiven Effekte eines Unterrichts, der sich durch eine höhere Anzahl kognitiv anspruchsvoller Aufgaben und durch die kognitiv anspruchsvolle Auseinandersetzung mit zentralen mathematischen Kernideen auszeichnet. Taylor, Pearson, Peterson und Rodriguez (2003) konnten ähnliche Befunde für die Leseleistungen von benachteiligten Grundschülern ermitteln: Demnach wurden die Leseleistungen der Lernenden vor allem dann gefördert, wenn die Lehrpersonen die Lernenden zu kognitiv anspruchsvollen Aktivitäten anregten (vgl. auch Menke & Pressley, 1994). Für naturwissenschaftlichen Unterricht ergeben sich Hinweise auf positive Effekte eines kognitiv aktivierenden Unterrichts z. B. durch die Studien von She und Fisher (2002) und von Zohar und Dori (2003, auch Zohar, 2004). Fauth, Decristan, Rieser, Klieme und Büttner (2014) ermittelten positive Effekte kognitiver Aktivierung auf das naturwissenschaftliche Interesse von Grundschülern, nicht aber auf deren Leistungsentwicklung. Eine spezifische Strategie, Lernende kognitiv zu aktivieren, stellt die Konfrontation mit kontrastierenden Aufgaben(lösungen), Meinungen und mit typischen Fehlern oder Misskonzepten dar. In einer Studie im Fach Mathematik konnten RittleJohnson und Star (2007) am Beispiel von Aufgaben zum Thema lineare Gleichungen zeigen, dass Schüler ein höheres prozedurales Wissen und eine höhere Flexibilität erwerben, wenn sie aufgefordert werden, unterschiedliche Schülerlösungen zu einer Aufgabe zu vergleichen, statt wenn sie sequenziell, also hintereinander, mit Aufgabenlösungen zu verschiedenen Aufgaben konfrontiert werden. In einer aktuelle Studie der Arbeitsgruppe um Chi (Gadgil, NokesMalach & Chi, 2012) wurde eine Gruppe von Lernenden mit einer korrekten Abbildung eines naturwissenschaftlichen Konzepts (Blutkreislauf) und einer Abbildung, die eine typische Fehlvorstellung repräsentierte, konfrontiert. Außerdem wurden die Schüler über Prompts aufgefordert, beide Abbildungen zu vergleichen. Eine zweite Gruppe von Lernenden erhielt nur die korrekte Abbildung mit der Aufforderung, diese zu erklären. Beide Gruppen erhielten zudem den gleichen Sachtext zum Thema. Der Vergleich der beiden Schülergruppen ergab, dass die vergleichende Gruppe ein höheres Faktenwissen erwarb, ihre Misskonzepte häufiger aufgab und mehr korrekte Schlussfolgerungen entwickelte als die Gruppe, die lediglich die eine korrekte Abbildung erhielt. Diese beiden Ergebnisse lassen sich in Verbindung bringen mit den oben berichteten Ergebnissen zum verschachtelten Üben und mit der Metaanalyse von Marzano et al. (2000), wonach Lernhandlungen, die die Identifizierung von Gemeinsamkeiten und Unterschieden und damit ein Vergleichen erfordern, besonders lernwirksam sind ( Abschn ). Zusammenfassend handelt es sich bei der kognitiven Aktivierung um ein facettenreiches Konstrukt, das zum einen auf das Angebot der Lehrperson und deren Handlungen fokussiert, zum anderen eher die Nutzung dieses Angebots durch die Lernenden zur Messung heranzieht. Entsprechend wird die kognitive Aktivierung in einigen Studien über Unterrichtsbeobachtungen und Aufgabenanalysen erfasst, in anderen Studien über die Befragung und Beobachtung der Lernenden. Im Vergleich zu den beiden anderen Basisdimensionen von Unterrichtsqualität, der effektiven Klassenführung ( Abschn und Kap. 5) und dem Unterrichtsklima ( Abschn ), scheint die Stabilität der kognitiven Aktivierung geringer zu sein, d. h. sie kann von Unterrichtseinheit zu Unterrichtseinheit variieren und hängt offenbar auch stärker von Merkmalen des zu unterrichtenden Inhalts ab (vgl. Praetorius, Pauli, Reusser, Rakoczy & Klieme, accepted) Metakognitive Förderung In enger Verbindung mit der kognitiven Aktivierung der Lernenden und der Qualität des Klassengesprächs stehen Aktivitäten der Lehrperson, die auf eine metakognitive Förderung der Lernenden abzielen. Metakognitive Förderung steht dabei für eine Reihe von Maßnahmen der Lehrperson, die dazu beitragen, bei Lernenden Wissen über kognitive Funktionen im Allgemeinen und über das eigene Lernen im Speziellen aufzubauen sowie Fähigkeiten der Planung, Steuerung, Regulation und Bewertung weiterzuentwickeln (vgl. Hasselhorn & Labuhn, 2008). Die Befundlage zur Förderung der Metakognition ist vergleichsweise robust: Maßnahmen, die der metakognitiven Förderung der Lernenden dienen, haben nicht nur das Potenzial, metakognitive Strategien zu befördern, sondern wirken sich darüber hinaus auch auf den Lernerfolg von Schülern aus, insbesondere wenn es sich um systematische Trainings handelt (vgl. z. B. Dignath et al., 2008; Hattie, 2009; Hattie, Biggs & Purdie, 1996; Kramarski & Mevarech, 2003; Veenman, Van HoutWolters & Afflerbach, 2006; Wang, Haertel & Walberg, 1993; Zohar & David, 2008). So erweisen sich z. B. Maßnahmen, die die Lernenden zur Selbstverbalisierung, Selbsterklärung und Selbstbewertung des eigenen Lernprozesses anregen, als überaus erfolgreich (Dunlosky et al., 2013; Hattie, 2009, Chi et al., 1989). Dignath, Büttner und Langfeldt (2008) werteten in ihrer Metaanalyse insgesamt 48 Studien aus, die zwischen 1992 und 2006 publiziert wurden und in denen Grundschüler (bis Klassenstufe 6) im selbstregulierten Lernen systematisch trainiert wurden. Die Trainings intendierten u. a. die Förderung kognitiver, motivationaler und/oder metakognitiver Lernstrategien in den Domänen Lesen,

114 92 Kapitel 4 Unterricht Schreiben oder Mathematik. Die Trainings, die sich auf das Fach Mathematik bezogen, erzielten eine mittlere Effektstärke von d = 1.0, was einem starken Effekt entspricht (Lesen/Schreiben: d = 0.44). Für mathematische Leistungen erwiesen sich insbesondere solche Trainings als wirksam, bei denen metakognitive und kognitive (d = 1.03) oder metakognitive und motivationale Strategien (d = 1.23) kombiniert erarbeitet und vermittelt wurden. In einer der von Dignath et al. (2008) einbezogenen Studien wurden Mathematiklehrpersonen der Klassenstufen 3 8 darin trainiert, ihre Schüler in besonderer Weise metakognitiv zu fördern (CardelleElawar, 1995). So regten die Lehrpersonen die Schüler durch die Modellierung des erwünschten Verhaltens immer wieder dazu an, sich selbst zu fragen, worin die Frage bzw. das Problem bei der jeweiligen Aufgabe besteht, ob alle für die Problemlösung erforderlichen Informationen zur Verfügung stehen, welche Lösungsschritte und welche arithmetischen Operationen ausgeführt werden sollen. Außerdem wurden die Lernenden am Schluss einer Unterrichtseinheit aufgefordert, zu reflektieren, was sie gelernt und was sie über sich in der Auseinandersetzung mit der Bearbeitung des mathematischen Problems erfahren haben. Der Vergleich mit einer Kontrollgruppe von Schülern, die traditionell unterrichtet wurden, ergab, dass die metakognitiv geförderten Lernenden langfristig betrachtet höhere Leistungszuwächse erzielten, dem Fach Mathematik eine höhere Bedeutung beimaßen und ein höheres mathematikbezogenes Interesse entwickelten als die Lernenden der Kontrollgruppe. Veenman et al. (2006) verweisen nach Durchsicht des Forschungsstands auf drei Bedingungen, die metakognitive Förderung im Unterricht erfolgreich machen. Zum einen sollte die metakognitive Förderung in den Fachunterricht integriert, also nicht separat betrieben werden, zweitens sollten die Lernenden über den Nutzen metakognitiver Aktivitäten informiert werden und drittens sollte ein ausführliches und längeres Training stattfinden Unterstützendes Unterrichtsklima In der Schul und Unterrichtsforschung zählt der Klimabegriff zu den undeutlichsten Konstrukten überhaupt (Gruehn, 2000). So kann Klima zum einen die emotionale Grundtönung der LehrerSchülerBeziehung, zum anderen die Grundorientierungen und Werthaltungen der am Schulleben beteiligten Personen oder die von den Lernenden wahrgenommene Lernumwelt meinen (Eder, 2001). Als wahrgenommene Lernumwelt kann Klima wiederum die Wahrnehmungen der einzelnen Schüler oder die Wahrnehmungen einer ganzen Klasse repräsentieren. Im ersten Fall spricht man vom individuellen Klima, im zweiten Fall vom geteilten oder kollektiven Klima. In neueren Arbeiten wird das unterstützende Unterrichtsklima v. a. über die kollektive Wahrnehmung einer Lerngruppe erfasst, dabei jedoch über recht unterschiedliche Facetten operationalisiert. Hierzu zählen u. a. der gegenseitige wertschätzende Umgang von Lehrperson und Schülern, das Interesse der Lehrperson für die Belange der Schüler, der konstruktive und geduldige Umgang der Lehrperson mit Fehlern, ihre Empathie und Fürsorge sowie ein gutes Verhältnis der Schüler untereinander. Teilweise werden mit einem unterstützenden Unterrichtsklima auch ein schülerorientierter Unterricht, Freiheitsspielräume und Merkmale wie higher order thinking oder encouraging learning (Cornelius White, 2007) assoziiert, die allerdings eher die kognitive Aktivierung als das Klima des Unterrichts erfassen dürften. Die uneinheitliche Konzeptualisierung des Begriffs Klima findet auch in inkonsistenten Forschungsergebnissen ihren Niederschlag. Ein erster Blick in die englischsprachige Literatur offenbart nur scheinbar ein relativ einheitliches Bild: Darin findet man häufig Hinweise darauf, dass ein gutes Unterrichtsklima eine zentrale Voraussetzung für effektives Lernen sei (z. B. Brophy, 2000; CorneliusWhite, 2007; Fraser, 1994). Berücksichtigt man aber jene Studien, in denen mit dem Klima die Beziehungsqualität zwischen Lehrenden und Lernenden erfasst wurde und die den Einfluss der kollektiven Wahrnehmung auf den Lernzuwachs mehrebenenanalytisch untersuchten, so lassen sich Befunde für direkte Effekte der affektiven Qualität der LehrerSchülerBeziehung auf den Lernerfolg der Lernenden kaum absichern (Campbell et al., 2004; Gruehn, 2000; Helmke, 2011; Kunter & Voss, 2011). Auch aus theoretischer Sicht lassen sich eher indirekte Effekte des Unterrichtsklimas auf den Lernerfolg annehmen: In Klassen mit einem positiv ausgeprägten Klima, das von gegenseitiger Wertschätzung und Respekt geprägt ist, fühlen sich die Lernenden wohler. Sie gehen gerne in die Schule, haben positivere Beziehungen zu Mitlernenden und zu ihrer Lehrperson, erleben sich stärker sozial eingebunden und dazugehörig, strengen sich mehr an und entwickeln eine höhere Motivation für das Lernen. Das aktive Engagement und die höhere Motivation wirken sich dann wiederum positiv auf den Lernerfolg aus. Für diesen indirekten Effekt des Unterrichtsklimas auf den Lernerfolg über das Erleben sozialer Eingebundenheit, das aktivere Engagement und eine höhere Lernmotivation sprechen vergleichsweise viele empirische Befunde (z. B. Furrer & Skinner, 2003; Osterman, 2000). Darüber hinaus belegen Studien, dass ein wertschätzender Umgang miteinander, eine warme und fürsorgliche Atmosphäre sowie ein motivational und emotional unterstützendes Lehrerverhalten das Engagement und die Anstrengungsbereitschaft, das Verhalten im Unterricht, die Motivation, das Selbstkonzept, die Selbstwirksamkeit,

115 4.2 Merkmale und Merkmalskonfigurationen erfolgreichen Unterrichts 93 4 die Lernfreude, das Selbstbestimmungserleben und die Zielorientierungen der Lernenden fördern können (Ames & Archer, 1988; Den Brok, Brekelmans & Wubbels, 2004; Furrer & Skinner, 2003; Reeve, 2002; Gabriel, 2013; Goodenow, 1993; Kunter & Voss, 2011; Opdenakker, Maulana & Den Bronk, 2012; Ryan, Stiller, & Lynch, 1994; Turner et al., 1998; Wentzel, 1997; Wubbels & Brekelmans, 2005). Die Qualität der LehrerSchülerBeziehung hat demzufolge das Potenzial, die affektivmotivationale Entwicklung der Lernenden zu fördern und darüber auch den Lernerfolg zu beeinflussen. Zu beachten ist jedoch, dass die Schaffung eines guten Unterrichtsklimas nicht nur von der Lehrperson, sondern auch von der Klassenzusammensetzung abhängig ist Innere Differenzierung, Individualisierung und Scaffolding als Formen adaptiven Unterrichts Maßnahmen zur inneren Differenzierung des Unterrichts und zur Individualisierung des Lernens werden als zentrale Strategien für eine adaptive Unterrichtsgestaltung angesehen, die im Zuge aktueller Forderungen nach einer verstärkten individuellen Förderung und einem konstruktiven Umgang mit Heterogenität an Relevanz gewinnen. Während die Lehrperson in Phasen innerer Differenzierung Gruppen von Schülern unterschiedliche Aufgaben, unterschiedliche Aufgabenmengen und/oder unterschiedliche Lernzeitkontingente zuweist und/oder ihnen unterschiedliche Unterstützungsangebote gewährt, verfolgen Maßnahmen der Individualisierung den Anspruch, die Lernangebote und bedingungen an die Voraussetzungen einzelner Schüler anzupassen. Als Kriterien zur Bildung von Schülergruppen werden häufig die Leistungen, die Interessen oder soziale Präferenzen der Schüler herangezogen. Maßnahmen der Differenzierung und Individualisierung verfolgen gleichermaßen das Ziel, Schüler mit unterschiedlichen Lernvoraussetzungen in ihrem Lernprozess wirkungsvoll zu fördern und zu unterstützen und dazu beizutragen, dass alle Schüler bestimmte Mindestziele erreichen. Kognitive Zielvariablen Weitreichende Formen der Individualisierung, wie z. B. offene Unterrichtsformen, sind im Hinblick auf die Lernleistungen von Schülern offenbar nicht per se wirksamer als lehrergelenkte Formen des Unterrichtens ( Abschn ). Ältere amerikanische Studien, die die Effekte längerfristig angelegter Differenzierungs und Individualisierungsprogramme (z. B. den JoplinPlan, Slavin, 1987 oder das mastery learning Abschn ) untersuchten, kamen überwiegend zu positiven Befunden einer an die Lernvoraussetzungen der Schüler angepassten Instruktion. Der JoplinPlan sah die Bildung von leistungshomogenen Gruppen in einem Fach (z. B. im Lesen) bei gleichzeitiger Beibehaltung der leistungsheterogenen Klassenverbände vor. Hierzu wurden mehrere Klassenverbände (z. B. alle Klassen der Jahrgänge 3 5) für den Leseunterricht aufgelöst. Aus allen Schülern der betreffenden Jahrgänge wurden dann nur für den Leseunterricht leistungshomogene Schülergruppen gebildet, die unterschiedliche Materialien und Lesetexte erhielten. Der Übergang in das nächste Leseniveau erfolgte ähnlich wie beim mastery learning, sobald man das Ziel des Niveaus erreicht hatte. Der übrige Unterricht war von dieser Form der Differenzierung nicht betroffen. Die zu dieser Form der Differenzierung vorliegenden Ergebnisse älterer Studien zeigen insgesamt positive Effekte (Gutiérrez & Slavin, 1992; Mosteller, Light & Sachs, 1996; Slavin, 1987). Auch weniger weitreichende Formen der Binnendifferenzierung waren Gegenstand bisheriger Forschung. Sie belegen in der Summe Vorteile des binnendifferenzierenden Unterrichts, bei dem innerhalb des Klassenverbands zeitweise leistungshomogene Gruppen gebildet werden (Slavin, 1987; Kulik & Kulik, 1992; Puzio & Colby, 2010). Die entsprechenden Effekte fallen insgesamt jedoch schwächer aus als bei aufwändig konzipierten Maßnahmen wie dem JoplinPlan. Annehmen lässt sich, dass Maßnahmen der Differenzierung und Individualisierung vor allem dann wirksam sind, wenn sie mit einer regelmäßigen und lernbegleitenden Diagnostik, bei der die Lernstände und die Lernlücken fortlaufend erfasst werden, mit spezifischer Unterstützung und adaptivem Feedback sowie mit Maßnahmen der gezielten Förderung von Lernstrategien und selbstgesteuertem Lernen gekoppelt werden (vgl. Reis et al., 2011; auch Klieme & Warwas, 2011). Eine aktuell erprobte und untersuchte Form der Differenzierung, bei der Schüler selbst entscheiden können, ob sie instruktionale Hilfen in Anspruch nehmen, ist das Konzept der gestuften Lernhilfen. Dabei handelt es sich um von der Lehrperson strukturierte, aufeinander aufbauende Lösungshinweise in Form von Hilfekärtchen zu Lernaufgaben mit eindeutigen Lösungen, auf die die Lernenden nach Wunsch zurückgreifen können. Die bislang hierzu vorliegenden Studien offenbaren gegenüber der Konfrontation mit herkömmlichen Lösungsbeispielen und gegenüber lehrergelenktem Unterricht Vorteile im motivationalen und kognitiven Bereich (SchmidtWeigand, FrankeBraun & Hänze, 2008; SchmidtWeigand, Hänze & Wodzinski, 2009, 2012), allerdings ist noch offen, ob dieses Prinzip der Kombination strukturierter Lehrerhinweise mit Selbstdifferenzierungselementen auch für komplexere Aufgaben und für nicht naturwissenschaftliche Fächer ähnlich wirksam ist. Im Zusammenhang mit einer adaptiven Lehrerunterstützung einzelner Schüler wird in der aktuellen Dis

116 94 Kapitel 4 Unterricht kussion immer häufiger auch auf die Notwendigkeit eines angemessenen Scaffoldings ( Abschn ) verwiesen. Bei der Durchsicht der Literatur fällt zunächst auf, dass Scaffolding teilweise sehr unterschiedlich konzeptualisiert wird. Versucht man einen gemeinsamen Kern dieser Konzeptualisierungen auszumachen, so lassen sich die folgenden Kernmerkmale identifizieren: a) eine fortlaufende prozessbegleitende Diagnostik der Lern und Verstehensprozesse des einzelnen Schülers oder der Schülergruppe (ongoing diagnosis), b) eine am Lernstand und an den Lernvoraussetzungen des einzelnen Schülers oder der Schülergruppe ausgerichtete und kalibrierte Unterstützung der Lehrperson (adaptivity and calibrated support) und c) die schrittweise Ausblendung der Lehrerunterstützung in enger Verbindung mit einer zunehmenden Kontrolle des eigenen Lernprozesses durch den Lernenden (fading) (van de Pol, Volman & Beishuizen, 2010; Puntambekar & Hübscher, 2005). Theoretisch wird vor allem auf soziokonstruktivistische Theorien des Wissenserwerbs und auf das Konzept der Zone der nächsten Entwicklung nach Vygotsky ( Abschn , Abschn ) Bezug genommen, indem die Bedeutung der sozialen Umwelt und einer entsprechenden Unterstützung für die kognitive Entwicklung des Lernenden herausgestellt wird. Die erwähnten Kernelemente verdeutlichen, dass Scaffolding kein eng umgrenztes Lehrerverhalten oder Unterrichtsmerkmal darstellt, sondern eine breite Palette von Verhaltensweisen umfasst, die u. a. Anteile von formativem Assessment 1, Feedback und kognitiver Strukturierung beinhalten und diagnostische und fachdidaktische Kompetenzen der Lehrperson voraussetzen dürften (vgl. Kapitel Kunter & Pohlmann). Bei der Operationalisierung von Scaffolding werden primär Lehreraktivitäten in den Blick genommen. Hierzu zählen z. B. das gezielte Nachfragen, das Stellen diagnostischer Fragen und Aufgaben, welche Auskunft über das Verständnis oder ggf. vorhandene Misskonzepte geben können, gezielte Beobachtungen von SchülerSchülerIn 1 Unter formativem Assessment werden in der Regel Strategien der Lehrperson (standardisierte Tests, informelle Tests, Gespräche, Beobachtungen) zur fortgesetzten, lernprozessbezogenen Diagnostik verstanden, die dazu dienen, Lernstände und Verstehensprozesse der Lernenden offen zu legen und hieraus Impulse (z. B. in Form entsprechender Feedbackmaßnahmen der Lehrperson) zur Förderung der weiteren Entwicklung der Lernenden abzuleiten (Maier, 2010). Der Forschungsstand zum formativem Assessment ist insgesamt noch dünn und fällt uneinheitlich aus (Bennett, 2011; Dunn & Mulvenon, 2009; Maier, 2010; Rakoczy, 2011). Nach einer aktuellen Metaanalyse hat formatives Assessment im Unterschied zu früheren optimistischeren Einschätzungen (Black & Wiliam, 1998) nur schwache positive Effekte auf das Lernen von Schülern (Kingston & Nash, 2011). teraktionen, LehrerSchülerGespräche, die Konfrontation mit gegenteiligen Meinungen oder Argumenten sowie die Fokussierung der Schüleraufmerksamkeit auf relevante Aspekte des Unterrichtsgegenstands. Im weitesten Sinne sind damit Strukturierungshilfen beschrieben, die die Funktion eines kognitiven Lerngerüsts erfüllen und relevante Aspekte der Aufgabe oder des Problems hervorheben (Einsiedler & Hardy, 2010; Klieme & Warwas, 2011; Kleickmann, Vehmeyer & Möller, 2010; Krammer, 2009; Wood, Bruner & Ross, 1976). Obgleich die vorliegende Literatur zum Scaffolding umfangreich ist, liegen auch aufgrund der Komplexität dieses Merkmals nur wenige kontrollierte Studien vor, die die Wirkungen von Scaffolding oder einzelner Facetten überprüfen. In einem aktuellen Forschungsüberblick gelangen van de Pol, Volman und Beishuizen (2010) nach der Durchsicht der wenigen vorliegenden Studien zu einer optimistischen Einschätzung hinsichtlich der Wirkungen auf kognitive und metakognitive Leistungen von Schülern, kritisieren aber gleichzeitig die uneinheitliche Messung des Konstrukts und mahnen zudem einen stärkeren Theoriebezug der Studien an. Maßnahmen der Differenzierung und Individualisierung wird auch eine hohe Bedeutung für die Verringerung von Leistungsunterschieden in Klassen zugeschrieben. Diese Annahmen finden in der Forschung bislang jedoch keine Bestätigung. Zwar gelingt es in einigen Studien, Klassen zu identifizieren, in denen eine überdurchschnittliche Leistungsförderung mit gleichzeitiger Verringerung der Leistungsunterschiede einhergeht. Diese Befunde sind insbesondere vor dem Hintergrund der aktuellen Debatte über inklusionsförderlichen Unterricht relevant. Zur Frage, durch welche (potenziell gemeinsamen) Merkmale sich Unterricht in leistungsförderlichen und ausgleichenden Klassen auszeichnet und welche Rolle hierbei Differenzierungsmaßnahmen spielen, liegen allerdings keine aktuellen Studien vor (vgl. Baumert, Roeder, Sang & Schmitz, 1986; Einsiedler & Treinies 1997; Weinert & Helmke, 1996). Mehrheitlich zeigen sich zudem eher Schereneffekte, d. h., die Leistungskurven von schwächeren und stärkeren Schülern gehen, zumindest unter den herrschenden schulischen und unterrichtlichen Bedingungen, im Zeitverlauf eher auseinander als zusammen. Motivationalaffektive Zielvariablen Die Forschung zu Effekten von innerer Differenzierung, Individualisierung und Scaffolding auf affektivmotivationale Variablen ist insgesamt dünn und uneinheitlich. Betrachtet man die Leistungsmotivation als abhängige Variable, so zeigen ältere Studien zum offenen Unterricht eher negative Effekte. Demnach wird die Leistungsmotivation eher durch einen traditionellen, lehrergesteuerten Unterricht als durch einen offenen Unterricht gefördert

117 4.2 Merkmale und Merkmalskonfigurationen erfolgreichen Unterrichts 95 4 (Giaconia & Hedges, 1982). Ein etwas anderes Bild ergibt sich für die Förderung des fachbezogenen Interesses und für Facetten intrinsischer Motivation: Insbesondere für das Selbstbestimmungserleben und die Förderung von Interesse scheinen Unterrichtsformen mit Freiheitsspielräumen positive Effekte zu haben (Grolnick & Ryan, 1987; Hartinger, 2005). Fokussiert man das akademische Selbstkonzept als abhängige Variable, zeigen ältere Studien zum offenen Unterricht in der Summe nur sehr schwache positive Effekte (Giaconia & Hedges, 1982). Auch binnendifferenzierende Maßnahmen (Bildung von Gruppen vs. Klassenunterricht) haben vergleichbar schwache Effekte auf das akademische Selbstkonzept (Lou et al., 1996). Krätzschmar (2010) konnte keine signifikanten Unterschiede in der Entwicklung der akademischen Selbstkonzepte in Englisch, Mathematik und im Lesen zwischen Sekundarstufenschülern ausmachen, die a) in einem eher lehrerzentrierten Unterricht, b) in einem individualisierteren Unterricht mit oder c) ohne Altersmischung lernten. Häufig wird berichtet, dass die Koppelung zwischen fachlicher Leistung und akademischem Selbstkonzept schwächer ausfällt, wenn sich der Unterricht durch Freiheitsgrade auszeichnet (Rosenholtz & Rosenholtz, 1981; Rosenholtz & Simpson 1984a, b; Kammermeyer & Martschinke, 2003; Renkl, Helmke & Schrader, 1997): In Klassen mit höheren Freiheitsgraden scheint das akademische Selbstkonzept damit weniger eng an die tatsächlichen Leistungen gebunden zu sein als in Klassen mit geringeren Freiheitsgraden. Insgesamt scheinen die Effekte von Maßnahmen der Binnendifferenzierung und Individualisierung auf affektivmotivationale Variablen von Lernenden im Grundschulalter etwas stärker ausgeprägt zu sein als auf ältere Lernende. Erklärbar ist dies u. a. mit der mit zunehmendem Alter höheren entwicklungsbedingten Stabilität affektivmotivationaler Persönlichkeitsmerkmale, die dem Einfluss der Unterrichtsgestaltung in der Sekundarstufe engere Grenzen setzt als in der Grundschule. In der deutschen SCHOLASTIKStudie ergab sich z. B., dass Freiheitsgrade im Unterricht die Lernfreude von Grundschülern positiv beeinflussen können (vgl. Helmke, 1997). Auch die Forschungslage zum Einfluss von Scaffolding auf affektivmotivationale Aspekte des Lernprozesses ist dünn. Die wenigen Studien lassen die Annahme zu, dass Scaffolding positive Einflüsse auf Emotion und Motivation von Schülern haben kann (zsf. van de Pol et al., 2010) Zusammenfassung und Einbettung der Befunde Lange Zeit ging man in der Unterrichtsforschung von einer prinzipiellen Unvereinbarkeit leistungs und motivationsförderlichen Unterrichts aus. Die hier dargestellten Befunde verdeutlichen jedoch, dass Merkmale, die das Lernen befördern, auch die affektivmotivationale Entwicklung von Schülern positiv beeinflussen können. Dies wird auch durch Ergebnisse sog. Optimalklassenstudien gestützt. Sie untersuchen, durch welche Merkmale sich jene Klassen auszeichnen, die vergleichsweise hohe Zuwächse im kognitiven und affektivmotivationalen Bereich erzielen. Diese Positivklassen zeichnen sich durch eine effektive Klassenführung, eine intensive Lernzeitnutzung, ein eher mäßiges Interaktionstempo, durch hohe inhaltliche Klarheit und individuelle Unterstützung der Lernenden aus (Gruehn, 1995; Helmke & Schrader, 1990; Weinert & Helmke, 1996). Auch umfassende domänenspezifische Förderprogramme, die häufig mit Ergänzungen und Veränderungen im Curriculum einhergehen, zeigen positive Effekte auf kognitive und motivationale Variablen von Lernenden (zsf. Hattie, 2009). Darüber hinaus zeigte sich jedoch, dass die Merkmalsprofile der Optimalklassen vergleichsweise breit streuen, d. h. den Königsweg bzw. das Muster erfolgreichen Unterrichts gibt es nicht. Erfolgreicher Unterricht lässt sich offenbar unterschiedlich, wenngleich nicht beliebig realisieren. Die dargestellten Merkmale lernwirksamen und motivationsförderlichen Unterrichts lassen sich zu mehreren übergeordneten Dimensionen von Unterrichtsqualität verdichten: 1. Zeit zum Lernen durch eine effektive Klassenführung und eine deutliche Strukturiertheit des Unterrichts: Eine effektive Unterrichts und Klassenführung und ein gut strukturierter Unterricht tragen dazu bei, dass ein hohes Ausmaß an Lerngelegenheiten zur Verfügung steht und für die Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand genutzt werden kann. Eine effektive Klassenführung und eine deutliche Strukturiertheit des Unterrichts sind somit wichtige Voraussetzungen für eine intensive Be und Verarbeitung der Unterrichtsinhalte und für das Erleben eigener Wirksamkeit und Kompetenz auf Seiten der Lernenden. 2. Kognitiv anspruchsvolle und vertiefte Auseinandersetzung mit zentralen Informationen, Ideen und Konzepten: a) Merkmale wie die kognitive Aktivierung und die metakognitive Förderung der Lernenden, die Bereitstellung informativen Feedbacks sowie die kognitionspsychologisch verstandene Strukturiertheit des Unterrichts beschreiben einen Unterricht, in dem die Lernenden zu einer vertieften Verarbeitung der Unterrichtsinhalte, zu einer Verknüpfung neuer Informationen mit bereits bestehendem Wissen und damit zu einer Erweiterung bestehender kognitiver Strukturen angeregt werden.

118 96 Kapitel 4 Unterricht b) Fachlich anspruchsvolles Lernen setzt aber auch voraus, dass die Lehrperson fachlich zentrale Konzepte, Ideen und Prinzipien zum Gegenstand des Unterrichts macht und diese inhaltlich relevanten Lerngelegenheiten in kohärenter Weise arrangiert. Dieses Merkmal des Unterrichts dürfte wesentlich von Planungsentscheidungen der Lehrperson beeinflusst sein. Im Unterricht spiegelt es sich in der inhaltlichen Klarheit und fachlichen Kohärenz des Unterrichts, in der Behandlung fachlich relevanter und zentraler Konzepte und Prinzipien sowie in der Beachtung zentraler Bedingungen sinnvollen Übens wider. Diese Merkmale tragen dazu bei, dass der Lernende seine Aufmerksamkeit auf wichtige und relevante Aspekte des Inhalts richtet, kennzeichnende Eigenschaften des Gegenstands oder Prinzips erkennt, das zu lernende Konzept oder Prinzip diskriminiert und das zu erwerbende Wissen mit seinem Vorwissen vernetzt. Ob die Auswahl und Behandlung fachlich relevanter Konzepte und Ideen, deren inhaltlich und strukturell klare Erarbeitung und deren kognitiv anregende Verarbeitung empirisch betrachtet eine Basisdimension von Unterrichtsqualität abbilden oder möglicherweise doch mehrere Dimensionen repräsentieren, ist bislang offen. 3. Unterstützendes Unterrichtsklima: Eine vertiefte inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Unterrichtsgegenstand erfordert ein hohes Engagement der Lernenden. Eine positiv ausgeprägte LehrerSchülerBeziehung und ein unterstützendes Unterrichtsklima sind wichtige Voraussetzungen für dieses Engagement der Lernenden, für das Erleben sozialer Eingebundenheit und die Förderung der Motivation und beeinflussen hierüber auch die kognitive Verarbeitung des Unterrichtsinhalts. Anknüpfend an konstruktivistische und motivationspsychologische Perspektiven auf unterrichtliches Lernen und die dargestellten Befunde der Unterrichtsforschung lassen sich die vermuteten Wirkungen dieser Basisdimensionen guten Unterrichts vereinfacht und verkürzt im folgenden theoretischen Modell (. Abb. 4.4) zusammenfassen (vgl. auch Klieme, Lipowsky, Rakoczy & Ratzka, 2006; Klieme, Pauli & Reusser, 2009). Dabei wird zwischen den verdichteten Basisdimensionen auf der Angebotsseite, den angenommenen Wirkmechanismen dieser Basisdimensionen auf der Nutzungsebene und der Wirkungsebene unterschieden. Lernwirksamer und motivationsförderlicher Unterricht zeichnet sich demnach durch die kognitiv aktivierende Behandlung fachlich zentraler Inhalte, durch eine effektive Klassenführung mit wenigen Unterrichtsstörungen und durch ein positiv geprägtes Unterrichtsklima aus. Während die kognitiv aktivierende Behandlung fachlich zentraler Inhalte eine vertiefte kognitive Auseinandersetzung relevanter Konzepte und Inhalte nach sich zieht und sich darüber auf den Aufbau von Wissen und die Entwicklung von Verständnis auswirken sollte, stellt die effektive Klassenführung eine grundlegende Voraussetzung dafür dar, dass die Lernenden die zur Verfügung stehende Lernzeit aktiv (ontask) nutzen, was sich wiederum positiv auf den Lernerfolg, über das Erleben eigener Kompetenz aber auch positiv auf die Motivation der Lernenden auswirken sollte. Ein positiv gefärbtes Unterrichtsklima trägt dazu bei, dass sich die Lernenden für ihr Lernen engagieren und anstrengen, was sich über motivationale Aspekte des Lernens auch auf den Lernerfolg auswirken kann Grenzen Bei dem hier vorgenommenen variablenzentrierten Review des Forschungsstands ist Folgendes zu beachten: 1. Zwischen den dargestellten Merkmalen guten Unterrichts ergeben sich teilweise inhaltliche Überschneidungen. Zum Teil ist auch von ähnlichen Wirkmechanismen auszugehen. Dies lässt sich z. B. exemplarisch am kooperativen Lernen und an der kognitiven Aktivierung zeigen, die sich beide auf die Theorien Piagets und Vygotskys stützen. Diese Überschneidungen bedeuten auch, dass sich die Effekte mehrerer Merkmale nicht einfach addieren lassen. 2. Guter Unterricht lässt sich somit nicht zwangsläufig an der Anzahl der überdurchschnittlich ausgeprägten Merkmale festmachen. Die Optimalklassenstudien identifizierten in der Regel mehrere Konfigurationen von Merkmalsausprägungen erfolgreicher Klassen. Unterricht kann demnach auf verschiedene Weisen erfolgreich durchgeführt und gestaltet werden. 3. Die dargestellten Merkmale unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Komplexität und hinsichtlich ihres Inferenzgrades. Dies lässt sich exemplarisch an den Merkmalen Feedback und kognitive Aktivierung zeigen. Beim Feedback handelt es um ein vergleichsweise eng umgrenztes und gut beobachtbares Merkmal von Unterricht, während die kognitive Aktivierung aus unterschiedlichen Facetten besteht, demzufolge eine höhere Komplexität aufweist, in der Regel über eine Reihe von Indikatoren erfasst wird und schwieriger zu messen ist als z. B. Feedback oder die beiden anderen Basisdimensionen von Unterrichtsqualität (vgl. Praetorius et al., accepted). 4. Die für diesen Beitrag herangezogenen Studien beziehen sich auf unterschiedliche curriculare Kontexte, betrachten unterschiedliche abhängige Variablen und Lerner unterschiedlichen Alters. Bei entsprechender

119 4.2 Merkmale und Merkmalskonfigurationen erfolgreichen Unterrichts Abb. 4.4 Basisdimensionen guten Unterrichts und deren angenommene Wirkungen (Modifiziert nach Klieme et al., 2006; Klieme et al., 2009; mit freundlicher Genehmigung des Waxmann Verlags) Differenzierung dürften sich Abweichungen von dieser zusammenfassenden Darstellung ergeben. 5. Aktuelle Forschungsergebnisse verweisen darauf, dass durch den Einbezug domänenspezifischer und curricularer Merkmale noch bedeutsamere Effekte des Unterrichts zu erwarten sind (DrollingerVetter, 2011; Hattie, 2009; Seidel & Shavelson, 2007). So zeigen beispielsweise domänenspezifische Schülertrainings (z. B. im Lesen oder in der Mathematik) in der Regel erhebliche Effekte auf den Lernerfolg der Schüler (Hattie, 2009). Diese waren jedoch nicht Gegenstand dieses Kapitels. Fazit Im Mittelpunkt dieses Kapitels stand die Frage, welche Merkmale einen lernwirksamen und motivationsförderlichen Unterricht charakterisieren und wie sich entsprechende Effekte theoretisch erklären lassen. Den Ergebnissen der herangezogenen Studien zufolge zeichnet sich ein lernwirksamer und motivationsförderlicher Unterricht durch ein ausreichendes Maß an Lerngelegenheiten und eine intensiv genutzte Lernzeit mit wenig Unterrichtsstörungen und unterbrechungen, durch eine deutliche Strukturierung des Unterrichtsverlaufs, durch die Behandlung inhaltlich relevanter Konzepte, Aufgaben und Kernideen, eine hohe inhaltliche Klarheit bei der Darstellung und Bearbeitung des Unterrichtsgegenstands, durch fachliche Kohärenz, durch die kognitive Aktivierung und durch den intensiven fachlichen Austausch der Lernenden, durch inhaltsbezogene Rückmeldungen seitens der Lehrperson, durch variantenreiche, herausfordernde und zum Nachdenken anregende, vermischte und verteilte Übungsphasen und Wiederholungen sowie durch ein von gegenseitiger Wertschätzung geprägtes Unterrichtsklima aus. Diese Merkmale sind nicht notwendigerweise an bestimmte Unterrichtsformen oder methoden gebunden, sondern lassen sich grundsätzlich in Formen direkter und indirekter Instruktion verwirklichen. Die angeführten theoretischen Erklärungen für die berichteten Effekte der dargestellten Unterrichtsmerkmale können nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine konsistente Theorie des Unterrichts, die die Spezifität der einzelnen Unterrichtsfächer ausreichend berücksichtigt und empirische Befunde unterschiedlicher Disziplinen einbezieht, noch aussteht. Verständnisfragen 1. Was versteht man unter dem AngebotsNutzungsModell? 2. Wie lassen sich positive Effekte kooperativen Lernens von Lernenden theoretisch erklären? 3. Erläutern Sie, inwieweit erfolgversprechendes Lehrerfeedback vom fachlichen und fachdidaktischen Wissen der Lehrperson abhängig sein dürfte. 4. Erläutern Sie die Unterschiede zwischen kognitiver Aktivierung und inhaltlicher Klarheit. 5. Was versteht man unter den drei Basisdimensionen von Unterrichtsqualität? 6. Vergleichen Sie den STAD und JIGSAWAnsatz zum kooperativen Lernen. 7. Erläutern Sie, warum konstruktivistische Theorien des Wissenserwerbs nur bedingt geeignet sind, bestimmte Unterrichtsformen zu legitimieren. 8. Was versteht man unter direkter und indirekter Instruktion?

120 98 Kapitel 4 Unterricht Vertiefende Literatur Hasselhorn, M. & Gold, A. (2013). Pädagogische Psychologie. Erfolgreiches Lehren und Lernen (3. Aufl.). Stuttgart: Kohlhammer. Hattie, J. (2009). Visible learning. A synthesis of over 800 metaanalyses relating to achievement. London: Routledge. Helmke, A. (2012). Unterrichtsqualität und Lehrerprofessionalität. Diagnose, Evaluation und Verbesserung des Unterrichts (4. Aufl.). Seelze: Kallmeyer. Klauer, K. J. & Leutner, D. (2012). Lehren und Lernen. Einführung in die Instruktionspsychologie (2. Aufl.) Weinheim: Beltz. Wellenreuther, M. (2009). Forschungsbasierte Schulpädagogik. Anleitung zur Nutzung empirischer Forschung für die Schulpraxis. Baltmannsweiler: Schneider. Literatur Aebli, H. (1976). Grundformen des Lehrens. Eine Allgemeine Didaktik auf kognitionspsychologischer Grundlage. Stuttgart: Klett. Aebli, H. (1983). Zwölf Grundformen des Lehrens. Eine Allgemeine Didaktik auf psychologischer Grundlage. Stuttgart: Klett Cotta. 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128 107 5 Klassenführung Tina Seidel 5.1 Klassenführung als zentrales Thema der Unterrichtsforschung Begriffsklärung Der Klassiker: Kounins Techniken der Klassenführung Disziplinierungsmaßnahmen Allgegenwärtigkeit und Überlappung Reibungslosigkeit und Schwung Gruppenmobilisierung Abwechslung und Herausforderung Klassenführung als Umgang mit Störungen Klassenführung als Management von Lernzeit Klassenführung als Begleitung von Lernprozessen bei Schülern Klassenführung als trainierbare Fähigkeit von Lehrenden 118 Literatur 119 E. Wild, J. Möller (Hrsg.), Pädagogische Psychologie, SpringerLehrbuch, DOI / _5, SpringerVerlag Berlin Heidelberg 2015

129 108 Kapitel 5 Klassenführung Lehrer klagen häufig darüber, dass es im Unterricht an Disziplin mangelt und die Schüler nicht zu bändigen sind. Die Lernenden klagen ebenfalls: darüber, dass die Lehrer schlecht vorbereitet sind, der Unterricht chaotisch organisiert ist und man sich durch den Lärm der anderen gestört fühlt. Neben den Klagen gibt es aber auch positive Beispiele: Klassenzimmer, aus denen ein dezenter Lärmpegel dringt, der auf eine konzentrierte Arbeitsatmosphäre hinweist; Klassenzimmer, in denen Lehrende durch die einzelnen Arbeitsgruppen gehen, Hilfestellungen geben, Schüler sich gegenseitig unterstützen und in denen offensichtlich alle wissen, wohin die (Lern)Reise geht. Das folgende Kapitel behandelt Grundlagen der Klassenführung. Dabei wird die Klassenführung als Komponente der Unterrichtsqualität eingebettet und das Syndrom der Klassenführung in seinen einzelnen Komponenten vorgestellt. Die Grundlagen der Klassenführung werden anhand von Beispielen aus den Forschungsarbeiten von Jacob S. Kounin erläutert. Abschließend werden drei Komponenten der Klassenführung herausgestellt: Umgang mit Störungen, Management von Lernzeit und Begleitung von Lernprozessen (. Abb. 5.1). 5.1 Klassenführung als zentrales Thema der Unterrichtsforschung Lehrer, vor allem aber auch Lehramtstudierende und Berufsanfänger wünschen sich oft mehr Informationen über einen angemessenen Umgang mit Störungen im Unterricht und zur Führung einer Klasse. Die nachfolgenden Überlegungen lassen das besondere Interesse an diesen Themen verständlich werden und erklären, warum Klassenführung seit jeher ein zentrales Forschungsthema der Pädagogischen Psychologie ist: Beim Unterricht handelt es sich in erster Linie um ein komplexes Phänomen (Doyle, 1986). Unterricht zeichnet sich durch eine große Anzahl an Ereignissen aus, die miteinander vernetzt sind und sich wechselseitig beeinflussen. Ereignisse im Unterricht passieren unmittelbar und schnell, sie sind nur schwer vorhersehbar und haben häufig einen unerwarteten Verlauf. Außerdem kennzeichnet sich Unterricht durch die gemeinsame Geschichte der Klasse und der Lehrperson. Einzelne Ereignisse können also nicht als voneinander unabhängig und losgelöst betrachtet werden. Unterricht besteht aus Aushandlungsprozessen, bei denen unterschiedliche Ziele, Einstellungen, Interessen und Kognitionen der Lernenden und Lehrenden aufeinandertreffen (Shuell, 1996). Die Rolle der Lehrenden besteht darin, extrinsische Zielstellungen (aus Sicht des Lehrplans, der Lehrenden) an die Schüler heranzutragen und den Unterricht so zu gestalten,.. Abb. 5.1 dass extrinsische Motivationslagen internalisiert und in eigene Ziele integriert werden ( Kap. 7). Gleichzeitig können Lehrende das Lernen ihrer Schüler nicht einfach anschalten. Ihre Aufgabe ist es, eine strukturierte Lernumgebung vorzubereiten und die Wahrscheinlichkeit für Lernen zu erhöhen (Prenzel, 1995). Unterricht zeichnet sich durch soziale Gruppenprozesse aus. Mit dieser sozialen Situation umzugehen und heterogene Gruppen unterschiedlichen Alters zu leiten und zu begleiten, stellt für viele eine Herausforderung dar (Kounin, 2006). Dementsprechend schließt sich die Diskussion an, ob man für den Umgang mit dieser sozialen Situation geschaffen bzw. geeignet ist oder ob man sich diese Kompetenzen im Verlauf der Ausbildung aneignen kann. Unterricht ist eingebettet in den institutionellen Kontext von Schule und die an der Schule und im Bildungssystem vorherrschenden Ziele und Erwartungen. Für den Unterricht bedeutet dies, dass Lehrer nicht losgelöst von diesem Kontext agieren können und von ihnen erwartet wird, dass sie Ziele in einer bestimmten Zeit erreichen. Anfänger im Lehrberuf haben oft die Vorstellung, dass eine gelungene Klassenführung eine Art Voraussetzung für das eigentliche Geschäft des Unterrichtens darstellt (Brophy & Good, 1986). Aus wissenschaftlicher Sicht ist Klassenführung dagegen als ein Syndrom zu verstehen, das eine Reihe verschiedener Unterrichtsmerkmale einschließt und integraler Teil des Prozesses des Unterrichtens ist. In den nachfolgenden Ausführungen wird deshalb der Begriff der Klassenführung als ein besonderer Aspekt des Unterrichts herausgestellt. Im Zusammenhang mit den Ausführungen im Kapitel Unterricht ordnet sich die Klassenführung zu großen Anteilen in die Dimension der Strukturiertheit von Unterricht ein, etwa in Bezug auf die Festlegung von Regeln, Erwartungen und Normen ( Abschn. 4.2).

130 5.3 Der Klassiker: Kounins Techniken der Klassenführung Einschränkend ist anzumerken, dass sich die Ausführungen zur Klassenführung in diesem Kapitel auf Lernende ohne gravierende Störungsbilder konzentrieren, wie sie beispielsweise bei Lern und Verhaltensstörungen auftreten ( Kap. 16, Kap. 17, Kap. 18). Für diese Fragen bedürfte es einer erweiterten Darstellung und Diskussion pädagogischpsychologischer Interventionsmaßnahmen, die den Rahmen dieses Kapitels übersteigen. 5.2 Begriffsklärung Der Begriff der Klassenführung lenkt den Blick zunächst auf jene Maßnahmen, mit deren Hilfe Lehrende für Disziplin sorgen, einen reibungslosen Ablauf des Unterrichts gewährleisten, mit störenden Schülern umgehen, Regeln aufstellen, Konflikte lösen ( Abschn. 4.2). Da es hier im Kern um den Umgang mit unerwünschten Verhaltensweisen von Schülern geht, werden Begriffe wie Disziplin, Regelklarheit, und Strukturgebung bedeutsam, die auch in der erziehungspsychologischen Literatur (ausführlich dazu Abschn. 10.2) im Zentrum stehen. Zieht man eine Parallele von der Führung im Klassenzimmer zum elterlichen Erziehungsstil (Helmke, 2012), dann ist hier wie da ein autoritatives Erziehungsverhalten zielführend. Dieses zeichnet sich dadurch aus, dass zwar Normen und Werte vorgegeben, diese aber gemeinsam mit den Kindern bzw. Schülern ausgehandelt werden. Ziel ist es, die Kinder von der Notwendigkeit der Normen und Werte zu überzeugen. Eine weitere Facette von Klassenführung hebt auf Unterrichtsstrategien ab, die dazu beitragen, dass sich Lernende möglichst zeitintensiv mit den Lerninhalten auseinandersetzen (Helmke & Weinert, 1997). Es geht darum, die Lerninhalte vorzustrukturieren und den Ablauf einer Stunde so zu gestalten, dass die Schüler wesentliche Lehrziele als Lernziele nachvollziehen und integrieren können. Kurz gefasst dient Klassenführung somit der Herbeiführung positiven und erwünschten Verhaltens durch eine maximale Bereitstellung von aktiver Lernzeit ( Abschn. 4.1). Dass hierbei der (Förderung der) Lernmotivation von Lernenden eine wichtige Rolle zukommt, wird aus der folgenden Definition Weinerts deutlich. Nach Weinert (1996; S. 124) ist es die zentrale Funktion von Klassenführung,» die Schüler einer Klasse zu motivieren, sich möglichst lange und intensiv auf die erforderlichen Lernaktivitäten zu konzentrieren, und als Voraussetzung dafür den Unterricht möglichst störungsarm zu gestalten oder auftretende Störungen schnell und undramatisch beenden zu können. Die wichtigste Voraussetzung für wirkungsvolles und erfolgreiches Lernen ist das Ausmaß der aktiven Lernzeit, das heißt der Zeit, in der sich die einzelnen Schüler mit den zu lernenden Inhalten aktiv, engagiert und konstruktiv auseinandersetzen. Je mehr die Unterrichtszeit für die Reduktion störender Aktivitäten verbraucht bzw. verschwendet wird, desto weniger aktive Lernzeit steht zur Verfügung. Je häufiger einzelne Schüler im Unterricht anwesend und zugleich geistig abwesend sind, umso weniger können sie lernen. Der Klassenführung kommt deshalb eine Schlüsselfunktion im Unterricht zu. Ein weiterer Aspekt der Klassenführung betrifft die Unterstützung der individuellen Lernaktivitäten der Schüler (Shuell, 1996). Zentral ist dabei, wie Lehrende mit Schülern interagieren, wie sie Rückmeldungen an die Lernenden geben, wie sie das Lernen der Schüler überwachen und regulierend begleiten. Das Ziel ist es, erwünschtes Verhalten zu fördern und zu unterstützen. Diese Komponente von Klassenführung steht im Zentrum der von der Bildungsdirektion Zürich (2006) vorgeschlagenen Definition. Definition Klassenführung ist alles, was Lehrpersonen mittels Aktivitäten und Haltungen zur Steuerung der Interaktionen in der Klasse beitragen, wobei ihnen bewusst ist, dass die Klasse mehr ist als die Summe der einzelnen Schüler und dass sich die individuellen und die sozialen Lernprozesse gegenseitig beeinflussen. Ziel ist ein Klassenklima, welches gute Lehr und Lernprozesse ermöglicht, die Entfaltung und den Schutz jedes Einzelnen gewährleistet, den Schülern ermöglicht, an gemeinschaftsbildenden Aktivitäten zu lernen und die Motivation der Schüler stärkt, sich zugunsten der Gemeinschaft einzusetzen (Bildungsdirektion Kanton Zürich, 2006, S. 1). 5.3 Der Klassiker: Kounins Techniken der Klassenführung Unter den Forschungsarbeiten zur Klassenführung gelten die Beiträge von Jacob S. Kounin (1976, 2006) als wegweisend. Ausgangspunkt für das Forschungsprogramm stellte ein Zwischenfall in der Hochschullehre dar: Ein Student las während der Vorlesung offensichtlich Zeitung. Der Forscher hatte den Studenten daraufhin öffentlich gemaßregelt. In der Folge verhielten sich die anderen Studierenden, die von der Maßregelung überhaupt nicht betroffen waren, deutlich anders: Sie starrten auf ihre Unterlagen, waren zurückhaltend und trauten sich kaum, offen an einem Gespräch mit dem Dozenten teilzunehmen. Kounin interpretierte diese pädagogische Situation als Welleneffekt, den er nicht antizipiert und beabsichtigt hatte. Das in

131 110 Kapitel 5 Klassenführung Folge entstandene Forschungsprogramm zur Klassenführung von Kounin stellt einen der wichtigsten Beiträge der Pädagogischen Psychologie in der Unterrichtsforschung dar und besitzt immer noch eine hohe Aktualität. Gleichzeitig ist es ein Beispiel dafür, wie Forschung einen wesentlichen Praxisbezug aufweist und von vielen Pädagogen konkret umgesetzt werden kann. Aus diesem Grund wird dem Klassiker im Folgenden besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Aus forschungsmethodischer Sicht sind die Arbeiten von Kounin (2006) von besonderer Qualität und erfüllen viele Kriterien, die aktuell für die Bildungsforschung eingefordert werden (Raudenbush, 2005; Seidel & Shavelson, 2007). Kounin setzt z. B. verschiedene methodische Zugänge ein: Beobachtungen von pädagogischen Interaktionen bei unterschiedlichen Zielgruppen, Durchführung experimenteller Untersuchungen, Befragung von Schülern mittels Fragebogen und Interviews, Durchführung von Videoaufzeichnungen und deren systematische Auswertung mittels differenzierter Kategoriensysteme. Darüber hinaus untersucht er unterschiedliche Zielpopulationen: Interaktionen zwischen Lehrenden und Lernenden im Vorschulbereich, in der Schule und in der Hochschule. Die Untersuchungen von Kounin verweisen auf acht Lehrerstilvariablen, die sich in fünf Merkmalsbereiche einer effektiven Klassenführung aufteilen: Merkmalsbereiche einer effektiven Klassenführung (nach Kounin, 1976, 2006) 1. Disziplinierung: Fähigkeit des Lehrenden, bei Störungen durch Lernende auf eine klare, feste und nicht zu harte Weise zu reagieren. 2. Allgegenwärtigkeit und Überlappung: Fähigkeit des Lehrenden, den Schülern zu verdeutlichen, dass man über die Situation im Klassenzimmer stets informiert ist und ggf. einschreiten wird; sowie die Fähigkeit, bei gleichzeitig auftretenden Problemen die Aufmerksamkeit simultan auf mehrere Dinge richten zu können. 3. Reibungslosigkeit und Schwung: Fähigkeit des Lehrenden, für einen flüssigen Unterrichtsverlauf zu sorgen und speziell in Übergangsphasen für eine fortgesetzte Auseinandersetzung mit den Lerninhalten zu sorgen. 4. Gruppenmobilisierung: Fähigkeit des Lehrenden, sich auf die Gruppe als Ganzes zu konzentrieren; gleichzeitig aber auch die Fähigkeit, den einzelnen Schüler individuell zu unterstützen. 5. Abwechslung und Herausforderung: Fähigkeit des Lehrenden, die Lernaktivitäten (insbesondere in Stillarbeitsphasen) so zu gestalten, dass sie als abwechslungsreich und herausfordernd erlebt werden. Wesentlich in den Forschungsergebnissen von Kounin war die Erkenntnis, dass nicht die Art der Disziplinierungsmaßnahmen der Lehrenden bei Störungen entscheidend für eine effektive Klassenführung ist, sondern die Art und Weise, wie Lehrer den Unterricht organisieren, den Unterrichtsprozess überwachen und durch die Art der Aufgabenstellungen für eine kognitiv aktivierende Lernumgebung sorgen. Die acht Lehrstilvariablen in den fünf Merkmalsbereichen werden im Folgenden anhand von Fallbeispielen näher erläutert Disziplinierungsmaßnahmen Der Ausgangspunkt für Kounin war die Frage, wie Lehrende mit Störungen im Unterricht umgehen und ob die Art und Weise, wie Lehrer für Disziplin sorgen, messbare Auswirkungen auf das Verhalten der Schüler in einer Klasse hat. In Bezug auf die Häufigkeit von Störungen im Unterricht wurde zunächst festgestellt (Kounin, 2006): Unterhaltungen (30 %), Lärm, Gelächter und laute Unterhaltung (25 %), sachfremde Orientierung (17,2 %), Kaugummikauen (6,8 %) gelten als häufigste Störungen. Weitere bezogen sich auf Zuspätkommen, Vergessen von Hausarbeiten oder benötigten Arbeitsmitteln und unerlaubtes Verlassen des Platzes. Auch wenn sich diese Verhaltensweisen in der Art und Verteilung bis heute verändert haben dürften, geben die Häufigkeiten doch einen Einblick in relativ typische Formen von störenden Verhaltensweisen im Unterricht. Drei Dimensionen unterschied Kounin in Bezug auf Disziplinierungsmaßnahmen: Klarheit Festigkeit Härte Klarheit beinhaltet die Menge der Informationen, die ein Lehrender in Bezug auf seine Disziplinierung gibt. Die Informationen können variieren zwischen einer einfachen Benennung ( Lass das! ) bis zur Benennung eines konkreten Fehlverhaltens ( Du sollst nicht mit deinem Nachbarn sprechen! ) bzw. durch Aufzeigen des Weges zur Einstellung des Fehlverhaltens ( Bitte sieh nach vorne! ) oder durch Angabe eines konkreten Gruppenstandards ( In der Regel sagen wir bitte, wenn wir etwas haben möchten! ). Je mehr konkrete Informationen gegeben werden, desto höher ist die Klarheit einer Disziplinierungsmaßnahme. Festigkeit bezieht sich auf das Ausmaß, mit dem Lehrende die Ernsthaftigkeit ihrer Disziplinierung zum Ausdruck bringen. Ein beiläufiges Lass das ist ein Ausdruck für eine geringe Festigkeit in der Disziplinierung. Eine hohe Festigkeit ist dadurch gekennzeichnet, dass der Leh

132 5.3 Der Klassiker: Kounins Techniken der Klassenführung Lernenden vermittelt, dass man genau weiß, was im Klassenzimmer vorgeht. Beispiel.. Abb. 5.2 Festigkeit des Lehrers aus Schülerperspektive: Den Einzelnen sehen und alle im Blick behalten ( bjupp/fotolia.com) rende nachdrängt und den fokussierten Schüler ansieht, bis das störende Verhalten eingestellt wird (. Abb. 5.2). Als Härte bezeichnet Kounin Disziplinierungen, in denen Lehrende Aggressionen zum Ausdruck bringen (z. B. Zorn, Gereiztheit). Dies können böse Blicke sein oder Bemerkungen, in denen Strafen angedroht oder tatsächlich erteilt werden. Die empirischen Untersuchungen von Kounin zeigten: Bei experimentellen Untersuchungen, in denen sich Lehrende unter zwei Bedingungen bei Disziplinierungsmaßnahmen unterschiedlich verhalten, ließ sich ein Welleneffekt bei den Studierenden nachweisen. Dozenten mit harten Disziplinierungsmaßnahmen wurden von den Studierenden negativ bewertet, während ein konstruktiver Umgang eines Dozenten positive Wirkungen entfaltete. Nachfolgeuntersuchungen unter Feldbedingungen in der Schule (Beobachtungen im Klassenzimmer und Videoanalysen) konnten diese Befunde allerdings nicht mehr bestätigen. Unter diesen ökologischen Bedingungen zeigte sich vielmehr, dass die Art der Disziplinierungsmaßnahme keinen systematischen Effekt auf das Verhalten der Schüler hatte. In Folge wurden deshalb vier zentrale Merkmalsbereiche für effektive Klassenführung entwickelt und über Videoanalysen empirisch gesichert (Kounin, 2006). Der Lehrer führt mit einer Gruppe im Lesekreis Lautübungen durch. Johnny, der einer Stillarbeitsgruppe angehört, dreht sich um und flüstert Jimmy etwas zu. Der Lehrer blickt auf und sagt: Johnny, lass die Unterhaltung und beschäftige dich mit deinen Additionsaufgaben!. Diese Zurechtweisung wurde nun nach ihrer Klarheit, Festigkeit und Härte bewertet. Aber sie waren für das Verhalten der Kinder gleichgültig. Gab es bei diesem Zurechtweisungsfall sonst noch etwas, was über den Führungserfolg entscheiden konnte? Wir spulten das [Video] Band zurück und ließen es dann noch einmal durchlaufen. Dabei wurden wir gewahr, dass in einem anderen Teil des Zimmers zwei Jungen sich Papierflugzeuge zuwarfen. Dies war vor und während der Zeit im Gange, als der Lehrer Johnny für sein Reden zurechtwies. Ist dieser Sachverhalt von Bedeutung? Nehmen wir ein anderes Beispiel: Der Lehrer ist gerade damit beschäftigt, der ganzen Klasse Additionsregeln beizubringen, indem er die Kinder der Reihe nach Aufgaben an der Tafel lösen läßt. Mary beugt sich zum rechten Nachbartisch hinüber und flüstert mit Jane. Beide kichern. Der Lehrer sagt: Mary und Jane, lasst das! Diese Zurechtweisung wurde ebenfalls auf verschiedene Qualitäten hin untersucht, von denen keine sich als relevant für das Schülerverhalten erwies. Wieder spulten wir das [Video] Band zurück und ließen es noch einmal durchlaufen. Dabei stellten wir fest, dass etwa 45 Sekunden früher Lucy und John, die mit Jane zusammen an einem Tisch saßen, miteinander zu flüstern begannen. Robert sah ihnen zu und ließ sich gleichfalls in die Unterhaltung ein. Dann kicherte Jane und sagte etwas zu John. Daraufhin beugte Mary sich vor und flüsterte Jane etwas zu. An dieser Stelle wies der Lehrer Mary und Jane zurecht. Ist die Tatsache, dass Mary sich erst spät in diese Kette von Gesprächen und Gekicher einreihte, irgendwie von Bedeutung? (Kounin, 2006, S. 89f) Allgegenwärtigkeit und Überlappung Allgegenwärtigkeit Allgegenwärtigkeit bedeutet die Fähigkeit des Lehrenden, den Schülern mitzuteilen, dass er über ihr Tun stets informiert ist. Sprichwörtlich bedeutet die Allgegenwärtigkeit, dass ein Lehrender Augen im Hinterkopf hat bzw. den Die Ausführungen von Kounin verdeutlichen sehr anschaulich das Prinzip der Allgegenwärtigkeit. Klassenführung im Sinne der Allgegenwärtigkeit vollzieht sich über die Art und Weise, wie ein Lehrender sein Wissen über den Zustand in der Klasse vermittelt, zu welchem Zeitpunkt er in das Geschehen eingreift und ob die richtige Person (bzw. das richtige Objekt) fokussiert wird. Die oben genannten Beispiele beschreiben Situationen, in denen Lehrende ihr

133 112 Kapitel 5 Klassenführung Wissen über die gesamte Situation im Klassenzimmer nicht vermittelt haben, ein zu spätes Eingreifen erfolgte und die falsche Personengruppe fokussiert wurde. Die empirischen Befunde der Videoanalysen zeigen einen systematischen Zusammenhang zwischen der Allgegenwärtigkeit von Lehrenden und dem Führungserfolg. Eine hohe Allgegenwärtigkeit korreliert positiv mit dem Mitarbeitsverhalten sowie der Rate an ausbleibendem Fehlverhalten aufseiten der Schüler. Die Allgegenwärtigkeit ist somit förderlich für die Mitarbeit und hemmend in Bezug auf das Fehlverhalten der Lernenden. Überlappung Überlappung bezeichnet die Fähigkeit eines Lehrenden, die Aufmerksamkeit simultan auf mehrere Dinge richten zu können. Situationen der Überlappung ergeben sich oft im Zuge von Disziplinierungsmaßnahmen sowie bei unvorhergesehenen Schülerverhaltensweisen. Beispiel Der Lehrer arbeitet mit einer Lesegruppe, und Mary liest gerade vor. John und Richard, beide dem Stillarbeitsbereich zugeteilt, unterhalten sich vernehmlich. Der Lehrer schaut zu ihnen und sagt: Mary, lies weiter, ich höre dir zu, und fast gleichzeitig John und Richard, ich höre euch reden. Dreht euch jetzt um und macht eure Arbeit!. Im anderen Fall ist der Lehrer ebenfalls mit einer Lesegruppe beschäftigt, und Betty liest laut. Gary und Lee, beide von der Stillarbeitsgruppe, rangeln spielerisch miteinander. Der Lehrer schaut zu ihnen und sagt ärgerlich: Schluß mit dem Unfug! Aber auf der Stelle! Lee, du bist noch nicht fertig mit deinen Aufgaben. Mach sie jetzt sofort, und zwar richtig! Und Gary, du genauso! Darauf geht er zum Lesekreis zurück, nimmt sein Buch wieder auf, setzt sich auf seinen Stuhl und sagt ruhig: So, nun wollen wir unsere Geschichte weiterlesen. (Kounin, 2006, S. 93) Das Beispiel verdeutlicht, wie unterschiedlich die beiden Lehrer mit den simultan auftretenden Ereignissen umgehen. Der erste Lehrer vermittelt Mary, dass er ganz bei der Sache ist. Gleichzeitig geht er auf das störende Verhalten der beiden anderen Schüler ein, kurz und bündig, um sich dann dem Lesekreis wieder zuzuwenden. Der zweite Lehrer unterbricht die Aktivität im Lesekreis und stürzt sich förmlich auf das störende Verhalten der beiden Schüler. Die empirischen Ergebnisse zeigen einen positiven Zusammenhang zwischen Überlappung und der Mitarbeit der Schüler. Bei positiver Überlappung tritt weniger Fehlverhalten aufseiten der Lernenden auf. Dies trifft insbesondere auf Übungs und Stillarbeitsphasen zu Reibungslosigkeit und Schwung Beim Unterrichten müssen Lehrende eine Vielzahl von Aktivitäten initiieren, beobachten und aufrechterhalten. Die Dimensionen von Reibungslosigkeit und Schwung fokussieren dabei die Fähigkeit eines Lehrenden, für einen flüssigen Unterrichtsverlauf zu sorgen und speziell in Übergangsphasen für eine fortgesetzte Auseinandersetzung mit den Lerninhalten zu sorgen. Beispiel Fräulein Smith arbeitet mit der Gruppe der Rockets im Lesekreis, während die anderen Gruppen an ihren Plätzen still arbeiten. Mary hat soeben ihren Lesevortrag beendet. Die Lehrerin sagt: Schön, Mary. Und damit sind wir am Ende unserer Geschichte angelangt. Geht nun an eure Plätze zurück und macht eure Stillarbeit fertig. Sie schließt ihr Buch, schaut sich etwa drei Sekunden lang im Zimmer um und sagt dann: So, jetzt dürfen die Bluebirds zum Lesekreis vorkommen. Fräulein Jones beschäftigt sich mit den Brownies im Lesekreis, während die anderen Gruppen an ihren Plätzen stillarbeiten. John hat gerade zu Ende gelesen. Die Lehrerin schließt ihr Buch und sagt: Gut, John. Geht nun alle an eure Plätze zurück und macht eure Aufgaben fertig. Und sie fügt sofort hinzu: Cubs, jetzt seid ihr an der Reihe, bitte kommt vor zum Lesekreis. (Kounin, 2006, S. 102) Im ersten Beispiel wird deutlich, dass die Lehrerin sich am Ende des Lesekreises der ersten Gruppe zuerst ein Bild über die Klassensituation verschafft, bevor sie die nächste Gruppe zu sich bittet. Im zweiten Beispiel benennt die Lehrerin eine zweite Gruppe, ohne sich vorher über die momentane Beschäftigung der Cubs zu informieren. Damit riskiert sie, dass diese unerwartet aus ihren bisherigen Aktivitäten herausgerissen werden. Reibungslosigkeit und Schwung bezieht sich aber nicht nur auf Übergangsphasen im Unterricht. Auch während einer Aktivität ist es von Bedeutung, eine thematische Entschlossenheit zu wahren. Reibungslosigkeit und Schwung lassen sich empirisch vor allem über negative Indikatoren, bei Kounin als Sprunghaftigkeit bezeichnet, belegen. Dazu zählen Reizabhängigkeit (sich ablenken lassen von einzelnen Reizen), Unvermitteltheiten, thematische Inkonsequenzen, Verkürzungen, thematische Unentschlossenheit, Überproblematisierungen, Fragmentierungen von Gruppen und Handlungseinheiten. Die empirischen Befunde von Kounin verweisen wiederum auf einen positiven Zusammenhang zwischen Reibungslosigkeit/Schwung und Mitarbeit bzw. Ausbleiben von Fehlverhalten aufseiten der Schüler. Die Vermeidung

134 5.3 Der Klassiker: Kounins Techniken der Klassenführung von Verhaltungsweisen, die einen flüssigen Ablauf des Unterrichts verhindern, ist eine der wichtigsten Determinanten für effektive Klassenführung Gruppenmobilisierung Die Gruppenmobilisierung bezieht sich auf die Fähigkeit eines Lehrenden, sich auf die Klasse als Ganzes zu konzentrieren und die einzelnen Schüler bei der Stange zu halten. Merkmale für positive Gruppenmobilisierung sind: alle Methoden, die vor dem Aufrufen eines Schülers Spannung erzeugen: Pausieren, Sichumschauen, um die Lernenden vor dem Aufruf zu sammeln; Verfahren, bei denen die Schüler in Ungewissheit darüber bleiben, wer als nächstes aufgerufen wird; häufiges Aufrufen möglichst vieler verschiedener Schüler; Aufforderungen an die Lernenden sich zu melden, bevor der Aufruf ergeht; Handlungen, die den nicht aufgerufenen Lernenden zu verstehen geben, dass sie ebenfalls im Fokus der Aufmerksamkeit stehen; Einbeziehung neuer, ungewöhnlicher Materialien. Beispiel Zehn Kinder haben als Lesegruppe in einem Halbkreis Platz genommen, Fräulein Smith sitzt vor ihnen und hält Schautafeln in der Hand. Auf jeder der Tafeln steht ein Wort. Die Lehrerin verkündet: Heute wollen wir immer ein Wort lesen und dann versuchen, ein anderes Wort zu finden, das sich darauf reimen lässt. Fangen wir bei Richard an und gehen dann im Kreis herum. Fräulein Smith dreht sich zu Richard, der am rechten Ende des Halbkreises sitzt, hält ihm eine Papptafel entgegen und fragt: Wie heißt dieses Wort, Richard? Richard antwortet: Nest. Die Lehrerin: Richtig. Nenne mir nun ein Wort, das sich auf Nest reimt! Rest. Sehr schön, erwidert die Lehrerin. Sie wendet sich zu Mary, die links neben Richard sitzt, und zeigt ihr eine andere Tafel: Nun, Mary, wie heißt dieses Wort? Drachen, sagt Mary. Richtig, bestätigt die Lehrerin. Und nun sag mir ein Wort, das sich auf Drachen reimt! Machen, antwortet Mary. Die Lehrerin sagt: Sehr schön, nimmt wieder eine andere Tafel, beugt sich damit zu Ruth hinüber, die links neben Mary sitzt und fragt: Ruth, kannst du mir sagen, wie dieses Wort heißt? Sonne, antwortet Ruth. Die Lehrerin fährt mit der Befragung fort, bis jedes Kind ein Wort gelesen und ein Reimwort genannt hat. Sehen wir uns eine andere Lehrerin an, die die gleiche Übung durchführt. Fräulein Jones sitzt vor der Lesegruppe. Sie hält einen Stapel Pappkarten in der Hand und fragt: Wer kann mir das nächste Wort lesen? Sie macht eine Pause, hält eine Karte hoch, schaut gespannt in die Runde und sagt dann: John. John antwortet: Buch. Die Lehrerin: Gut. Wer kann mir nun ein Wort nennen, das ganz ähnlich klingt? Wieder macht sie eine Pause, schaut sich um und ruft Mary auf. Kuchen, sagt Mary. Darauf fragt die Lehrerin: Wer findet ein Wort, das sich auf Kuchen reimt? Sie blickt umher und ruft Richard auf, der mit Suchen antwortet. (Kounin, 2006, S. 117) Die beiden Bespiele verdeutlichen wiederum einen unterschiedlichen Umgang der beiden Lehrerinnen mit einer vergleichbaren Situation. Während die erste Lehrerin ein starres Schema anwendet und die Schüler nach vorgefertigten Karten der Reihe nach aufruft, wandert der Blick der Lehrerin im zweiten Beispiel jedes Mal durch die Gruppe. Gleichzeitig erzeugt sie Spannung, bevor sie einzelne Schüler aufruft und gibt ihnen die Möglichkeit, sich selbst für einzelne Karten zu entscheiden. Die Auswertungen von Kounin belegen auch für die Dimension der Gruppenmobilisierung einen positiven Zusammenhang zur Mitarbeit und zu ausbleibendem Fehlverhalten. Wenn es Lehrenden gelingt, die Schüler zu mobilisieren, erreichen sie eine aktive Mitarbeit und ein geringes Fehlverhalten Abwechslung und Herausforderung Abwechslung und Herausforderung stellen eine Dimension der Klassenführung dar, bei der die Lernaktivitäten (insbesondere in Stillarbeitsphasen) so gestaltet sind, dass sie als abwechslungsreich und herausfordernd erlebt werden. Dadurch sollen sich Schüler konzentriert und kognitiv aktiv mit den Lerninhalten auseinandersetzen können. Indikatoren für Abwechslung und Herausforderung sind Abwechslung in Art und Umfang der erforderlichen intellektuellen Tätigkeit, in der Darbietungsweise des Lehrers, den Arbeitsmitteln, der Gruppenanordnung, den Lernaktivitäten und den einbezogenen Standorten im Klassenzimmer. In den empirischen Untersuchungen zeigte sich folgendes Bild: Konzentriert man sich auf die reinen schulspezifischen Aktivitäten, lässt sich ein positiver Zusammenhang zwischen Abwechslung und Herausforderung und dem Verhalten der Schüler feststellen. Der Zusammenhang ist besonders bei Stillarbeitsphasen und im Grundschulunterricht deutlich (Kounin, 2006). Die Dimensionen für effektive Klassenführung von Kounin (1976, 2006) stellen bis heute die theoretische und empirische Grundlage für weiterführende Forschungsar

135 114 Kapitel 5 Klassenführung Exkurs Videoanalysen in der Unterrichtsforschung Die Forschungsarbeiten von Kounin (1976, 2006) stellen ein Beispiel für die besonderen Vorteile von Videostudien in der Unterrichtsforschung dar. Über die Aufzeichnung von Interaktionen zwischen Lehrenden und Lernenden im Unterricht können einzelne Sequenzen wiederholt und aus unterschiedlichen Perspektiven analysiert werden. Als Kounin beispielsweise feststellte, dass nicht die Art der Disziplinierungsmaßnahme entscheidend für das Verhalten der Schüler war, konnte das Videomaterial erneut unter den Perspektiven von Allgegenwärtigkeit und Überlappung, Reibungslosigkeit und Schwung, Gruppenmobilisierung, Abwechslung und Herausforderung analysiert werden. Durch die Anwendung von Videoanalysen ist es möglich, sowohl die Häufigkeiten bestimmter Verhaltensweisen im Unterricht zu messen (quantifizierendes Vorgehen), als auch über beiten dar. Allerdings wird in aktuellen Studien häufiger auf Fragebogenverfahren (bei Schülern) oder Schätzverfahren (Einschätzungen von Videoaufzeichnungen mittels Fragebogen) zurückgegriffen. Zudem werden Daten zunehmend mehrebenenanalytisch ausgewertet. Auf diese Weise können die Merkmale auf verschiedenen Aggregatebenen (z. B. individuelle und Klassenebene) berücksichtigt und eine Vielzahl von Einflussfaktoren kontrolliert werden. Leider fehlt in den aktuellen Studien häufig das Moment der konkreten Beschreibung von Verhaltensweisen von Lehrenden durch Videoanalysen ( Exkurs Videoanalysen in der Unterrichtsforschung ). Im Folgenden werden nun aktuelle Ansätze und Studien zur Klassenführung vorgestellt. Diese werden nach drei Facetten von Klassenführung gegliedert: Klassenführung als Umgang mit Störungen, Klassenführung als Management von Lernzeit und Klassenführung als Begleitung von Lernprozessen bei Schülern. 5.4 Klassenführung als Umgang mit Störungen Fallanalysen Situationen im Unterricht differenziert zu beschreiben (qualitatives Vorgehen). Aus methodischer Sicht gelten folgende Grundlagen der Beobachtung (Seidel & Prenzel, 2010): Überlegungen zur Art der Beobachtung (z. B. teilnehmend oder nicht teilnehmend), Wahl der Analyseeinheit (z. B. feste Zeitsegmente oder spezifische Ereignisse), Entwicklung verschiedener Arten von Kodierverfahren (z. B. Zeichensysteme, Kategoriensysteme, Schätzverfahren), Sicherstellung der Güte der Beobachtungsverfahren (z. B. in der Prüfung von Objektivität, Validität und Reliabilität), Wahl geeigneter statistischer Analyseverfahren (z. B. Analyse der Häufigkeiten bestimmter Verhaltensweisen, Zeitreihenanalysen, Skalierung von Unterrichtsfaktoren). Videostudien liefern auch heute einen bedeutsamen Beitrag zur pädagogischpsychologischen Forschung (Seidel, 2011). Mit den TIMSSVideostudien erfolgte erstmals die Umsetzung einer international vergleichenden Unterrichtsstudie (Stigler, Gonzales, Kawanaka, Knoll, & Serrano, 1999), die technisch wie methodisch die Standards für eine Reihe deutschsprachiger Videostudien im Mathematik, Englisch, und Physikunterricht setzte. Die Ergebnisse von Videoanalysen münden heute meist in mehrebenenanalytische Verfahren ein, bei denen Variablen auf der Unterrichtsebene (ermittelt über Videoanalysen) mit Variablen auf der Ebene der Schüler (z. B. ermittelt über Fragebogen und Tests) gekoppelt werden. Klassenführung mit einem Schwerpunkt auf Umgang mit Störungen bzw. Vermeiden von Störungen ist eng mit dem englischen Begriff des classroom management verbunden (Doyle, 1986; Emmer & Stough, 2001). Klassenmanagement versteht sich in diesem Sinne als das Herstellen und Aufrechterhalten von Ordnungsstrukturen im Klassenzimmer. Ziel ist es, den Unterricht möglichst störungsarm zu halten. Als Kriterium für effektives Klassenmanagement wird dementsprechend ein geringes Störungsausmaß herangezogen, meist gemessen über die Wahrnehmung der Schüler einer Klasse. Betrachtet man Klassenführung als Umgang mit Störungen spielt die Einführung von Regelsystemen eine besondere Rolle (. Abb. 5.3). Im Gegensatz zu Kounin, der auf Disziplinierungsmaßnahmen im engeren Sinne fokussierte und hierfür keine nennenswerten Effekte auf das Schülerverhalten fand, belegen aktuelle Studien durchaus moderate Einflüsse. Effektives Klassenmanagement zeichnet sich dadurch aus, dass Regeln und Unterrichtsabläufe gleich zu Beginn des Schuljahres in der Klasse etabliert werden. Es besteht außerdem darin, dass Lehrpersonen ihre Erwartungen deutlich kommunizieren, systematisch das Verhalten der Schüler beobachten und regelmäßig Feedback geben (Emmer, Evertson & Anderson, 1980; Evertson & Harris, 1992). In einer Studie von Schönbächler (2006) wurde untersucht, in welchen Bereichen Regeln im Klassenzimmer aus der Wahrnehmung der Lehrenden und Lernenden etabliert werden. Sie befragte 923 Schüler sowie deren Lehrpersonen dazu, welches die drei wichtigsten Regeln im Klassenzimmer sind. Die Antworten aller Befragten wurden in vier Bereiche kategorisiert: Material/Eigentum, Ordnung/Ruhe, soziale Interaktion und Zuverlässigkeit. Die deskriptiven Auswertungen der Antworten von Lehrpersonen und Schüler zeigen einen Schwerpunkt der wich

136 5.5 Klassenführung als Management von Lernzeit tigsten Regeln im Bereich der Ordnung/Ruhe (Lehrende: 46,0 %, Lernende: 61,6 % aller genannten Regeln) und der sozialen Interaktionen (Lehrende: 48,4 %, Lernende: 31,5 %). Gleichzeitig wird deutlich, dass die Lehrenden aus ihrer Perspektive einen Schwerpunkt auf den Bereich der Regeln für soziale Interaktionen legen, während dies bei den Lernenden vor allem im Bereich der Regeln zu Ordnung und Ruhe wahrgenommen wird. Klassenführung im Sinne des Umgangs mit störenden Verhaltensweisen der Lernenden und der Etablierung eines Regelsystems muss allerdings als eine flexible Organisationsform des Unterrichts und nicht als ein starres Verhaltenssystem betrachtet werden. Effektives Klassenmanagement ist dementsprechend dadurch charakterisiert, dass Lehrende sowohl Regeln setzen als auch flexibel mit ihnen umgehen und situationsspezifisch agieren und reagieren. Neuenschwander (2006) konnte vor dem Hintergrund des Konzepts einer souveränen Klassenführung, die sich durch Regelklarheit und Flexibilität/Adaptivität (d. h. flexible Anpassung des Verhaltens an die jeweilige Situation im Klassenzimmer) kennzeichnet, feststellen, dass eine souveräne Klassenführung positive Effekte auf die Mathematikleistung bei Schülern der 6. Jahrgangsstufe zeigt. Bei einer souveränen Klassenführung nahmen die Schüler bei ihren Lehrpersonen eine hohe Erklärungs und Kommunikationskompetenz wahr. Außerdem akzeptierten die Schüler ihre Lehrpersonen bei dieser Qualität der Klassenführung mehr als bei einer rigiden und wenig angepassten Klassenführung. In weiteren Studien wird das Resultat einer effektiven Klassenführung das Ausmaß eines störungsarmen Unterrichts als Indikator für effektive Klassenführung verwendet. Auch hier lassen sich systematisch positive Effekte auf kognitive und motivationalaffektive Lernergebnisse der Schüler zeigen. In einer deutschschweizerischen Videostudie zur Qualität des Mathematikunterrichts (Rakoczy, 2007; Rakoczy et al., 2007) wurde festgestellt, dass ein störungsarmer Unterricht eng mit einem positiven Kompetenzerleben aufseiten der Lernenden verbunden ist. Darüber hinaus berichten die Schüler aus störungsarmen Klassenzimmern eine hohe Intensität an kognitiven Aktivitäten und positiven emotionalen Erfahrungen ( Abschn. 4.2). Kunter und Kollegen (Kunter, 2005; Kunter, Baumert, & Köller, 2007) berichten ähnliche Befunde. Sie zeigen, dass sich ein geringes Ausmaß an Störungen positiv auf die erlebte Herausforderung im Mathematikunterricht auswirkt. Klieme & Rakoczy (2003) stellen auf der Schulebene fest, dass eine hohe Disziplin in Schulen mit hohen Leistungen (gemessen über die Lesekompetenz) einhergeht. Bei allen Studien wird der Befund in der Art interpretiert, dass eine hohe Disziplin und störungsarmer Unterricht eine Voraussetzung für erfolgreiches Lernen in der Klasse ist... Abb. 5.3 Man kann nicht alles sehen der Umgang mit Störungen erfordert die Einführung eines Regelsystems ( photos.com) 5.5 Klassenführung als Management von Lernzeit Klassenführung als Form des Managements von Lernzeit legt den Schwerpunkt auf eine maximale Bereitstellung von Zeit für eine aktive Auseinandersetzung mit Lerninhalten (Helmke & Weinert, 1997). Natürlich ist Klassenführung als Management von Lernzeit wiederum eng mit dem Konzept des Umgangs mit Störungen verbunden. Aus der Perspektive der Forschenden wird hier allerdings der Schwerpunkt bereits auf vorausschauende Handlungsweisen der Lehrenden gelegt, um durch die Organisation des Unterrichtsablaufs für eine optimale Nutzung der Unterrichtszeit zu sorgen. Darüber hinaus bedeutet Management von Lernzeit, dass Lehrende den Unterricht möglichst klar vorstrukturieren und durch klare Zielstellungen für einen reibungslosen Ablauf des Unterrichts sorgen. In der SCHOLASTIKStudie (Helmke & Weinert, 1997) wurden zur Erfassung der Klassenführung Videoaufzeichnungen des Unterrichts analysiert sowie die Einschätzungen der Schüler mittels Fragebogen berücksichtigt. Die Befunde verweisen auf einen positiven Effekt der Klassen

137 116 Kapitel 5 Klassenführung Abb. 5.4 Das Ziel: Ein Klima, das gute Lehr und Lernprozesse ermöglicht ( photos.com) führung auf das Lernen der Schüler. Es zeigt sich ein systematischer Zusammenhang zwischen der Bereitstellung von Lernzeit und der von den Schülern empfundenen Aufmerksamkeit. Eine hohe Ausschöpfung der Lernzeit wirkt sich darüber hinaus positiv auf die Leistungsentwicklung im Fach Mathematik aus. Aus der Perspektive der Schüler haben ein effektives Management und eine hohe Zielorientierung (d. h. eine Orientierung des Unterrichts an den Lehr und Lernzielen der Unterrichtseinheit) einen positiven Effekt auf die Einstellungen gegenüber Mathematik, auf das fachspezifische Selbstkonzept in Mathematik sowie auf die Leistungsentwicklung im Verlauf des Schuljahres. Eine zweite Facette von Klassenführung als Management von Lernzeit hebt auf die Organisation des Unterrichts ab. Dazu zählen die Wahl der Methoden, die strukturierte und kohärente Darbietung des Wissens und eine Orientierung des Unterrichts entlang der Lehrund Lernziele. Mit Blick auf diese Aspekte stellt Mayr (2006) fest, dass erfolgreiche Lehrpersonen sich von weniger erfolgreichen Lehrpersonen (gemessen über den Grad des Abschaltens, Unruhe, Aggression und Regelverletzung aus Sicht der Lernenden) darin unterscheiden, dass sie bedeutsame Lernziele vermitteln, der Unterricht strukturiert ist, klare Arbeitsanweisungen bestehen, der Unterricht als interessant wahrgenommen wird und sie zudem eine hohe Fachkompetenz aufweisen (. Abb. 5.4). Seidel, Rimmele & Prenzel (2005) untersuchen die Klarheit und Transparenz des Unterrichts (ermittelt über Videoanalysen von Unterrichtsaufzeichnungen) und zeigen einen positiven Effekt eines zielorientierten Unterrichts auf die Wahrnehmung von inhaltlicher Relevanz, Instruktionsqualität, Autonomieunterstützung und Kompetenzunterstützung aufseiten der Schüler. In einem zielorientierten Unterricht erleben sich die Schüler intrinsisch motiviert und führen tiefer gehende Lernaktivitäten aus. Darüber hinaus zeigt sich ein positiver Effekt der Zielorientierung auf die Lernentwicklung im Verlauf eines Schuljahres. Insgesamt lässt sich festhalten, dass das Management von Lernzeit in der Regel substanzielle Effekte auf das Lernen der Schüler zeigt. Dies belegt eine Reihe von Metaanalysen (Seidel & Shavelson, 2007) sowie eine Vielzahl an Studien aus dem deutschsprachigen und internationalen Raum. 5.6 Klassenführung als Begleitung von Lernprozessen bei Schülern In aktuellen Modellen des Lehrens und Lernens wird Unterricht von den Lernprozessen der Schüler aus gedacht (Seidel, 2011). Dementsprechend orientiert sich Unterricht an den für Lernen notwendigen Prozessen: der Klärung von Zielen, der Orientierung hin zu den Zielen, der Ausführung von Lernaktivitäten, der Evaluation von Lernergebnissen und der Begleitung und Überwachung von Lernprozessen (Bolhuis, 2003). Unterricht stellt in diesem Sinn eine vorstrukturierte Lernumgebung dar, die eine möglichst intensive kognitive Auseinandersetzung mit den Lerninhalten und eine intrinsische Lernmotivation begünstigen soll. Werden die individuellen Lernprozesse der Schüler unterstützt, bauen sie reichhaltige, flexible und vernetzte Wissensstrukturen auf und erreichen ein vertieftes Verständnis von Lerninhalten. Kennzeichnend für diese Auffassung der Gestaltung von Lernumgebungen ist zudem, dass Klassenführung verstärkt aus einer prozessorientierten Perspektive betrachtet wird. Interaktionen zwischen Lehrenden und Lernenden werden aus einer interaktionistischen bzw. auch systemischen Sichtweise heraus analysiert. Zentral sind die Aushandlungsprozesse zwischen Lehrenden und Lernenden. Die Rolle der Lehrenden besteht darin, extrinsische Zielstellungen an die Lernenden heranzutragen und den Unterricht so zu gestalten, dass extrinsische Motivationslagen internalisiert und in eigene Ziele integriert werden können (Prenzel, 1995). Wenn Schüler erfolgreich Lehrziele als eigene Lernziele internalisieren, wächst die Chance, dass sie sich intrinsisch motiviert und verständnisorientiert mit Lerninhalten auseinandersetzen. Tun sie dies nicht, dominieren Formen externaler Lernmotivation bzw. Amotivation. Amotivation und externale Lernmotivation wiederum führen u. a. dazu, den Unterricht passiv zu verfolgen bzw. sich nicht auf die Lerninhalte zu konzentrieren und dann häufiger den Unterricht zu stören. Die Folge einer möglichst lang andauernden und intensiven Auseinandersetzung der Schüler mit Lerninhalten ist nach dieser Auffassung ein Klassenklima, das durch Konzentration, Herausforderung, und gegenseitige Wertschätzung gekennzeichnet ist. Dementsprechend wird

138 5.6 Klassenführung als Begleitung von Lernprozessen bei Schülern Exkurs Effekte distaler und proximaler Variablen zur Messung von Klassenführung In einer Metaanalyse von Seidel & Shavelson (2007) wurden empirische Studien der letzten zehn Jahre ( ) in Hinblick auf Effekte des Unterrichts auf das Lernen von Schülern untersucht. Als Grundlage für die Klassifikation des Unterrichts diente ein prozessorientiertes Modell des Lehrens und Lernens. Im prozessorientierten Modell wurden Unterrichtsvariablen identifiziert, welche den Rahmen für die Ausführung von Lernaktivitäten bereitstellen (z. B. Organisation des Lernens, Management von Lernzeit, sozialer Kontext in der Klasse) und distal die Ausführung von Lernaktivitäten beeinflussen, die Ausführung von Lernaktivitäten durch die Klärung von Zielen, der Begleitung des Lernens und der Evaluation der Lernergebnisse mittelbar unterstützen und die konkret die Ausführung von Lernaktivitäten initiieren und proximal auszuführende Lernprozesse beeinflussen. Die zentralen Befunde der Metaanalyse in Bezug auf Klassenführung sind: Effekte der Klassenführung sind multikriterial und betreffen kognitive wie motivationalaffektive Komponenten des Lernens. Je proximaler Unterrichtskomponenten die Ausführung von Lernakti vitäten unterstützen, desto größer der Effekt des Unterrichts auf das Lernen der Schüler; je distaler, desto geringer die Effekte. Klassenführung als störungsarme Organisation des Unterrichts wird als distal zur konkreten Ausführung von Lernaktivitäten betrachtet und erzielt dementsprechend relativ geringe Effekte auf das Lernen der Schüler. Klassenführung im Sinne des Managements von Lernzeit und als Begleitung des Lernens unterstützt die Ausführung von Lernaktivitäten mittelbar. Hier werden moderate Effekte auf das Lernen der Schüler festgestellt. Die Stärke der Effekte auf das Lernen hängt stark vom gewählten Forschungsdesign ab. Wird Klassenführung im Rahmen von SurveyStudien mittels Fragebogenverfahren erfasst, sind die Effektstärken gering. Erfolgt die Untersuchung von Klassenführung mittels (quasi)experimenteller Forschungsdesigns oder auf der Basis von Videoanalysen, erreichen die Studien moderate Effektstärken. Domänenspezifische Aspekte des Unterrichts (z. B. mathematisches Problemlösen, naturwissenschaftliches Experimentieren) stellen solche Unterrichtskomponenten dar, die im Vergleich proximal die Ausführung von Lernaktivitäten beeinflussen. Dementsprechend sind die erzielten Effekte auf das Lernen hier am größten (moderate bis starke Effekte). Klassenführung mit dem Ziel versehen, eine Situation zu erzeugen, die gute Lehr und Lernprozesse ermöglicht, die Entfaltung der Schüler unterstützt und es den Lernenden ermöglicht, kooperativ zu lernen und motiviert an Lerninhalte heranzugehen (Bildungsdirektion Kanton Zürich, 2006). Betrachtet man Kounins (2006) Ausführungen zur Klassenführung, zeigt sich, dass diese Ideen bereits in den frühen Arbeiten vertreten waren. Allerdings noch unter Begriffen wie Schwung oder Gruppenmobilisierung. Aktuelle Begriffe umfassen dagegen Verhaltensweisen der Lehrpersonen, die in den Bereichen Regulation, Monitoring, Begleitung, Rückmeldung und Unterstützung angesiedelt sind. Betrachtet man Klassenführung unter der Perspektive der Lernbegleitung reihen sich eine Vielzahl von Studien in das Syndrom der Klassenführung ein. Vor allem die Qualität der Interaktion zwischen Lehrenden und Lernenden in der Begleitung, Unterstützung und Rückmeldung von Lernprozessen sowie das Klima innerhalb einer Klassengemeinschaft werden für die Klassenführung von Bedeutung ( Exkurs Effekte distaler und proximaler Variablen zur Messung von Klassenführung ). Turner & Patrick (2004) beschreiben den Aushandlungsprozess zwischen Lehrenden und Lernenden, deren Überzeugungen und Zielorientierungen und die Auswirkungen der Qualität der Interaktionen zwischen Lehrenden und Lernenden auf das Verhalten von Schülern. Sie zeigen, wie das Verhalten von Schülern von der Qualität der Interaktionen zwischen ihnen und den jeweiligen Lehrern abhängt. Das Verhalten von Schülern im Unterricht ändert sich deutlich, wenn sie im Zuge des Jahrgangsstufenwechsels auf neue Lehrer treffen. Verfolgen Lehrer das Ziel, dass die Lernenden vorwiegend ein Verständnis für Lerninhalte erwerben sollen (Lernzielorientierung), zeigen die Schüler ein Verhalten, das auf ein starkes kognitives Engagement deutet. Bestanden die Ziele der Lehrenden und Lernenden darin, Leistung zu demonstrieren (Leistungszielorientierung), war das Verhalten der Schüler sehr wechselhaft und zum Teil störend. Ähnliche Befunde in Bezug auf die Unterstützung selbstregulierten Lernens in Abhängigkeit der Erwartungen und Zielorientierung der Lehrenden berichten Perry, VandeKamp, Mercer & Nordby (2002). Die Kongruenz bzw. Friktion zwischen Erwartungen und Handlungen der Lehrenden und Lernenden spielt also eine zentrale Rolle für das Gelingen von Aushandlungsprozessen im Unterricht (Vermunt & Verloop, 1999). Ein weiteres Beispiel für Effekte der Qualität der Interaktionen zwischen Lehrenden und Lernenden auf die Lernmotivation, die kognitiven Lernaktivitäten und die Entwicklung von Interesse zeigen die Analysen von Seidel, Prenzel & Rimmele (2003) sowie von Seidel (2003). Werden die Interaktionen in der Klasse stark von der Lehrperson dominiert, entstehen für die Lernenden keine Freiräume für eigenständiges Denken und keine Internalisierung von Lernzielen. Dementsprechend erleben

139 118 Kapitel 5 Klassenführung sich Schüler in eng geführten Interaktionen nicht in ihrer Autonomie und ihrer Kompetenz unterstützt und sind in Folge amotiviert bzw. external motiviert. Im Verlauf eines Schuljahres entsteht so ein deutlicher Abfall des Interesses an dem entsprechenden Schulfach. Ähnliche Zusammenhänge werden von Rakoczy (2007) berichtet: Wertschätzende Beziehungen zwischen Lehrenden und Lernenden im Unterricht hängen eng mit der von den individuellen Schülern wahrgenommenen Autonomie zusammen. Die Bedeutsamkeit der Wahrnehmung von Autonomie, Kompetenz und sozialer Eingebundenheit für intrinsische Lernmotivation im Unterricht untermauern eine Reihe weiterer deutschsprachiger Untersuchungen (Seidel, 2011). Auf der Ebene der Schule zeigen sich ebenfalls konsistente Befunde zur Bedeutung der Unterstützung durch die Lehrpersonen. Lernende, die sich von ihren Lehrern unterstützt fühlen, haben positivere Einstellungen gegenüber Schule und Unterricht als Lernende aus Schulen mit geringer Unterstützung (Hascher, 2004). In Bezug auf störungsarmen Unterricht zeigt sich, dass erfolgreiche Lehrpersonen positive und wertschätzende Beziehungen mit ihren Schülern aufbauen (Mayr, 2006). 5.7 Klassenführung als trainierbare Fähigkeit von Lehrenden Die bisherigen Ausführungen haben sich darauf konzentriert, die Verhaltensweisen von Lehrenden bei der Klassenführung zu beschreiben, und zu untersuchen, inwieweit Unterschiede im Verhalten die Lernergebnisse beeinflussen. Im Zusammenhang mit der Klassenführung stellt sich aber auch die Frage, unter welchen Bedingungen diese Fähigkeiten erlernbar bzw. trainierbar sind. Grundsätzlich geht man davon aus, dass pädagogischpsychologische Kompetenzen erlernbar sind (Voss, Kunter & Baumert, 2011). Aus diesem Grund wird das Wissen um Klassenführung auch in der universitären Ausbildung vermittelt und z. T. die entsprechenden Handlungsfähigkeiten vermittelt. Ein prominentes Beispiel stellt in diesem Zusammenhang das Incredible Years Teacher Classroom Management Training (IY TCM) dar (WebsterStratton et al., 2011). Im IY TCM werden Lehrpersonen zusammen mit Eltern und weiteren Erziehern darin geschult, ihre Führungskompetenzen zu trainieren und zu optimieren. Die Trainings beinhalten Elemente wie effektives Verhaltensmanagement, proaktives Unterrichten, positive Lehrer SchülerBeziehungen, LehrerElternKollaboration sowie Möglichkeiten der Unterstützung der emotionalen Regulation und des Erwerbs sozialer Fähigkeiten von Kindern und Jugendlichen. Das Programm wurde vielfach positiv evaluiert und unter anderem auch erfolgreich in das universitäre Studium integriert (Snyder et al., 2011). Neben diesen Trainings zum Erwerb von Handlungsfertigkeiten wird aber auch die Fähigkeit zur Analyse von Klassensituationen geschult. Dazu werden beispielsweise videobasierte Instrumente entwickelt, anhand derer Studierende ihre Analysefähigkeiten zum Thema Klassenführung trainieren können (Gold, Förster & Holodynski, 2013). Fazit Bei der Klassenführung handelt es sich um ein Syndrom, das verschiedene Unterrichtsmerkmale bündelt. Zentral ist dabei die Auffassung, Lernumgebungen so zu gestalten, dass Lernen störungsarm abläuft, die vorgegebene Lernzeit maximal ausgeschöpft wird und die Lehrenden die Lernprozesse optimal begleiten und unterstützen. Die empirische Befundlage zur Relevanz dieser Elemente zeichnet ein eindeutiges Bild: Störungsarmer Unterricht hat in der Regel positive Wirkungen auf kognitive, aber auch motivationalaffektive Komponenten des Lernens. Die optimale Nutzung von Unterrichtszeit durch die Organisation und Strukturierung des Unterrichts hängt wiederum eng mit der Qualität der Lernprozesse, aber auch der längerfristigen Lernentwicklungen (vor allem im kognitiven Bereich) zusammen. Die Qualität der Begleitung und Unterstützung der Lernprozesse fördern vor allem motivationalaffektive Komponenten des Lernens bei Schülern. Der Umgang mit Störungen stellt in gewisser Weise eine Voraussetzung für erfolgreiches Lernen dar; die optimale Ausschöpfung der zur Verfügung stehenden Zeit die Grundlagen für die Ausführung von Lernaktivitäten; die Begleitung des Lernens betrifft die Unterstützung qualitativ hochwertiger Lernprozesse. Verständnisfragen 1. Was sind die fünf Merkmalsbereiche einer effektiven Klassenführung nach dem Klassiker Kounin (1976)? 2. In welche Bereiche lässt sich Klassenführung auf der Basis des heutigen Forschungsstandes einteilen? 3. Was bedeutet Klassenmanagement? 4. Was versteht man unter aktiver Lernzeit? 5. Was bedeutet Lernbegleitung? Vertiefende Literatur Doyle, W. (1986). Classroom organization and management. In M. C. Wittrock (Ed.), Handbook of Research on Teaching (pp ). New York: Macmillan. Kounin, J. S. (2006). Techniken der Klassenführung (Original der deutschen Ausgabe, 1976). Münster: Waxmann.

140 Literatur Seidel, T., & Shavelson, R. J. (2007). Teaching effectiveness research in the past decade: Role of theory and research design in disentangling metaanalysis results. Review of Educational Research, 77, Literatur Bildungsdirektion Kanton Zürich (2006). Klassenführung. Bolhuis, S. (2003). Towards process oriented teaching for self directed lifelong learning: a multidimensional perspective. Learning and Instruction, 13(3), Brophy, J., & Good, T. L. (1986). Teacher behavior and student achievement. In M. C. Wittrock (Hrsg.), Handbook of research and teaching (S ). New York: Macmillan. Doyle, W. (1986). Classroom organization and management. In M. C. Wittrock (Hrsg.), Handbook of research on teaching (S ). New York: Macmillan. Emmer, E. T., Evertson, C. M., & Anderson, L. M. (1980). Effective classroom management at the beginning of the school year. The. Elementary School Journal, 80(5), Emmer, E. T., & Stough, L. M. (2001). Classroom management: A critical part of educational psychology, with implications for teacher education. Educational Psychologist, 36, Evertson, C. M., & Harris, A. H. (1992). What we know about managing classrooms. Educational Leadership, 49(7), Gold, B., Förster, S., & Holodynski, M. (2013). Evaluation eines videobasierten Trainingsseminars zur Förderung der professionellen Wahrnehmung von Klassenführung im Grundschulunterrich. Zeitschrift für Pädagogische Psychologie, 27, Hascher, T. (2004). Wohlbefinden in der Schule. Münster: Waxmann. Helmke, A. (2012). Unterrichtsqualität und Lehrerprofessionalität. Diagnose, Evaluation und Verbesserung des Unterrichts (4. Aufl.). Seelze: Klett Kallmeyer. Schule weiterentwickeln Unterricht verbessern. Orientierungsband Helmke, A., & Weinert, F. E. (1997). Unterrichtsqualität und Leistungsentwicklung: Ergebnisse aus dem SCHOLASTIK Projekt. In F. E. Weinert, & A. Helmke (Hrsg.), Entwicklung im Grundschulalter (S ). Weinheim: Psychologie Verlagsunion. Klieme, E., & Rakoczy, K. (2003). Unterrichtsqualität aus Schülerperspektive: Kulturspezifische Profile, regionale Unterschiede und Zusammenhänge mit Effekten von Unterricht. In J. Baumert, C. Artelt, & E. Klieme et al. (Hrsg.), PISA 2000 Ein differenzierter Blick auf die Länder der Bundesrepublik Deutschland (S ). Opladen: Leske + Budrich. Kounin, J. S. (2006). Techniken der Klassenführung. Münster: Waxmann. Original der deutschen Ausgabe, 1976 Kunter, M. (2005). Multiple Ziele im Mathematikunterricht. Münster: Waxmann. Kunter, M., Baumert, J., & Köller, O. (2007). Effective classroom management and the development of subject related interest. Learning and Instruction, 17, Mayr, J. (2006). Klassenführung auf der Sekundarstufe II: Strategien und Muster erfolgreichen Lehrerhandelns. Schweizerische Zeitschrift für Bildungswissenschaften, 28(2), Neuenschwander, M. P. (2006). Überprüfung einer Typologie der Klassenführung. Schweizerische Zeitschrift für Bildungswissenschaften, 28(2), Perry, N. E., VandeKamp, K. O., Mercer, L. K., & Nordby, C. J. (2002). Investigating teacher student interactions that foster self regulated learning. Educational Psychologist, 37(1), Prenzel, M. (1995). Zum Lernen bewegen. Unterstützung von Lernmotivation durch Lehre. Blick in die Wissenschaft, 4(7), Rakoczy, K. (2007). Motivationsunterstützung im Mathematikunterricht. Münster: Waxmann. Rakoczy, K., Klieme, E., DrollingerVetter, B., Lipowsky, F., Pauli, C., & Reusser, K. (2007). Structure as quality feature in mathematics instruction. In M. Prenzel (Hrsg.), Studies on the educational quality of schools. The final report on the DFG Priority Programme (S ). Münster: Waxmann. Raudenbush, S. W. (2005). Learning from attempts to improve schooling: the contribution of methodological diversity. Educational Researcher, 34(5), Schönbächler, M.T. (2006). Inhalte von Regeln und Klassenmanagement. Schweizerische Zeitschrift für Bildungswissenschaften, 28(2), Seidel, T. (2003). Lehr Lernskripts im Unterricht. Münster: Waxmann. Seidel, T. (2011). Lehrerhandeln im Unterricht. In E. Terhart, H. Bennewitz, & M. Rothland (Hrsg.), Handbuch der Forschung zum Lehrerberuf (S ). Münster: Waxmann. Seidel, T., & Prenzel, M. (2010). Beobachtungsverfahren: Vom Datenmaterial zur Datenanalyse. In B. Holling, & B. Schmitz (Hrsg.), Handbuch der Psychologischen Methoden und Evaluation (S ). Göttingen: Hogrefe. Seidel, T., Prenzel, M., & Rimmele, R. (2003). Gelegenheitsstrukturen beim Klassengespräch und ihre Bedeutung für die Lernmotivation Videoanalysen in Kombination mit Schülerselbsteinschätzungen. Unterrichtswissenschaft, 31(2), Seidel, T., Rimmele, R., & Prenzel, M. (2005). Clarity and coherence of lesson goals as a scaffold for student learning. Learning and Instruction, 15(6), Seidel, T., & Shavelson, R. J. (2007). 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141 121 6 Medien Holger Horz 6.1 Entwicklung der Medien und Medienforschung Entwicklung der Medien Entwicklung der Medienforschung Lernmedien Texte und Hypertexte Bilder, Animationen und Filme Multimedia Einsatz medialer Präsentationen Medien in Bildungskontexten Formen des Lehrens und Lernens mit Medien Neue Medien in der Schule Neue Medien in der Hochschule Neue Medien in der beruflichen Fortbildung Medien in außerinstitutionellen Kontexten Musik und Radio Fernsehen Computer und Internet 144 Literatur 147 E. Wild, J. Möller (Hrsg.), Pädagogische Psychologie, SpringerLehrbuch, DOI / _6, SpringerVerlag Berlin Heidelberg 2015

142 122 Kapitel 6 Medien In der heutigen sog. Mediengesellschaft prägen Medientechnologien das Lernen und Arbeiten sowie das Freizeitverhalten der Menschen in einem größeren Ausmaß als je zuvor. Aufgrund sowohl der stetig zunehmenden sozialen Bedeutung von Medien als auch wegen ihrer rasanten technologischen Fortentwicklung gilt es, den Einfluss von Medien auf Menschen empirisch zu erfassen, um Hinweise auf einen sinnvollen und erfolgreichen Umgang mit Medien in den verschiedensten Lebenssituationen geben zu können. Auf einen kurzen Überblick über die Entwicklung der Medien und Medienforschung folgen in Abschn. 6.2 die wichtigsten Befunde und Theorien zur Rezeption text und bildbasierter Lernmedien. Nach der separaten Betrachtung des Lernens mit Texten und Bildern steht in Abschn. 6.3 das Lernen mit multimedialen Lernumgebungen aus kognitionspsychologischer Perspektive im Mittelpunkt der Betrachtung. Abschließend werden in diesem Abschnitt einige wichtige Tipps zur medienbasierten Unterrichtsgestaltung referiert, wobei der Schwerpunkt auf dem Einsatz computerbasierter, multimedialer Medien in unterschiedlichen Bildungskontexten liegt. In Abschn. 6.4 werden die wichtigsten Fakten zur Mediennutzung in außerinstitutionellen Kontexten erläutert, wobei sowohl das Mediennutzungsverhalten als auch die Frage zum Einfluss der Medien auf das menschliche Verhalten thematisiert werden (. Abb. 6.1). 6.1 Entwicklung der Medien und Medienforschung Entwicklung der Medien Unter dem Begriff Medien werden umgangssprachlich vor allem technologiebasierte Informationsträger und vermittler wie z. B. Computer, Fernseher, Radio etc. verstanden. Jedoch sind auch nichttechnologische Medien wie Gebärden, Sprache, Laute, Schrift und Bilder als Medien zu bezeichnen. Definition Medien vermitteln Zeichen (z. B. Sprachlaute, Buchstaben, Bilder) zwischen Subjekten und/oder Objekten mit dem Ziel der Informationsübertragung. Entsprechend den verschiedenen medialen Innovationen können vier Stufen der Medienentwicklung unterschieden werden. Die primäre Medienkultur umfasst die Epoche bis 1450, in der allein personengebundene Medien (z. B. Sprache) oder Medien, die einzeln hergestellt werden (Briefe, Schriften, gemalte Bilder), benutzt wurden. Die hier eingesetzten Medien werden als primäre Medien bezeichnet und kommen ohne technische Vervielfältigungsmethoden aus... Abb. 6.1 ( Dmitriy Shironosov/iStock/Thinkstock) In der Phase der technikbasierten Medienkultur, die mit der Erfindung des Buchdrucks begann, wurden in zunehmendem Maße Medien entwickelt, die eine höhere Verbreitung durch Vervielfältigungstechniken erbrachten. Hierzu zählen die sekundären Medien, bei denen einer der Kommunizierenden technische Hilfsmittel zur medialen Informationsvermittlung einsetzt (z. B. Zeitung). Ebenso verbreiteten sich in dieser Epoche die sog. tertiären Medien, für deren Gebrauch alle miteinander Kommunizierenden technische Hilfsmittel einsetzen müssen (z. B. Radio, Fernsehen). Die Datenvermittlung in den Informationsprozessen erfolgt bei sekundären und tertiären Medien in analoger Form. In der Mitte des 20. Jahrhunderts setzte die Entwicklung der quartären Medien ein, die auf computer und netzwerkbasierten Informationsvermittlungsprozessen beruhen, in denen digitale Daten übermittelt werden (z. B. , Internet), weswegen dies den Beginn der digitalen Medienkultur markiert Entwicklung der Medienforschung Die psychologische Erforschung von Medien und deren Wirkung setzte erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein. Die frühen medienpsychologischen Arbeiten beschäftigten sich mit den Zusammenhängen zwischen Mediennutzungsverhalten und den individuellen Merkmalen ihrer Nutzer (Trepte, 2004). Bereits der Beginn der wissenschaftlichen Erforschung von Medien war von einer deutlichen Skepsis gegenüber den Massenmedien und ihrem gesellschaftlichen Einfluss geprägt (Peters & Simonson, 2004; Exkurs Ist die Glaubwürdigkeit einer Informationsquelle letztlich irrelevant? ). Der kulturelle Medienpessimismus, der bis heute (z. B. Spitzer, 2005, 2012) vor allem in populärwissenschaftlichen Büchern zur Mediennutzung postuliert wird, ist dabei empirisch kaum abgesichert und theoretisch nur wenig begründet,

143 6.2 Lernmedien Exkurs Ist die Glaubwürdigkeit einer Informationsquelle letztlich irrelevant? Aus heutiger Sicht von besonderer Bedeutung sind die frühen medienpsychologischen Untersuchungen von Carl Hovland und Kollegen (Hovland & Weis, 1951; Hovland, 1959) zur Wirksamkeit von Medien in Abhängigkeit von der Glaubwürdigkeit einer Informationsquelle. So konnte ein sog. SleeperEffekt nachgewiesen werden: Die wahrgenommenen Glaubwürdigkeitseinschätzungen einer als glaubwürdig und einer als unglaubwürdig dargestellten Kommunikationsquelle nähern sich umso mehr einander an, je mehr Zeit seit der Informationsaufnahme vergangen ist. Es konnte aber auch gezeigt werden, dass die Angleichung der Glaubwürdigkeit verschiedener Informationsquellen rückgängig gemacht werden kann, wenn man die (Un) Glaubwürdigkeit der jeweiligen Quelle den Rezipienten erneut in Erinnerung ruft. erklärt aber, warum in der wissenschaftlichen Literatur bis heute das Gefahrenpotenzial insbesondere der Massenmedien betont wird. Erst in den 1960er und 1970er Jahren nahm die Zahl der wissenschaftlichen Publikationen, in denen Medienphänomene primär durch Rückgriff auf psychologische Theorien und Methoden untersucht wurden, zu. Insbesondere die Forschung zu Einflüssen des Fernsehens setzte die Tradition einer deutlichen Medienskepsis fort. So wurde der Fernsehkonsum von Kindern in den 1960er Jahren für zahlreiche psychovegetative Störungen verantwortlich gemacht und in Verbindung mit einer vermeintlich zunehmenden Aggressivität von Kindern gebracht ( Exkurs Historische Forschung zu aggressivem Verhalten durch Fernsehkonsum ). In den 1970er Jahren setzte auch die medienpsychologische Forschung zu Fragen der MenschComputerInteraktion ein. Kein anderes Medium führte zu einem solch deutlichen Anstieg der Forschungsaktivitäten im Bereich der Medienpsychologie wie die rasche Verbreitung der Computer insbesondere der Personal Computer. Neuere medienpsychologische Arbeiten fokussieren den Einsatz von Medien in Lern und Arbeitssettings, als Mittler in globalisierten Kommunikationskontexten und als Unterhaltungswerkzeuge. Aus pädagogischpsychologischer Sicht stehen heute insbesondere die Fragestellungen zur Gestaltung von Lernmedien, Einsatzszenarien von Medien in Lernkontexten im wissenschaftlichen Fokus. Weiterhin werden Fähigkeiten, die für einen kompetenten Umgang mit Medien erworben werden müssen, sowie die vermeintlichen und tatsächlichen (Gefahren)Potenziale von Medien in zahlreichen Forschungsprojekten thematisiert. Nachfolgend werden analoge und computerbasierte Lernmedien thematisiert. Exkurs Historische Forschung zu aggressivem Verhalten durch Fernsehkonsum Albert Bandura (1965; Bandura, Ross & Ross, 1963) zeigte Vorschulkindern in einem Experiment einen Film, in dem ein Erwachsener mit verschiedenen Gegenständen spielte und gegenüber einer Puppe in Kindgröße verschiedene aggressive Verhaltensweisen (z. B. schlagen, beschimpfen) zeigte. Bandura variierte das Ende des Films, indem (a) eine zweite Person hinzukommt, die den Erwachsenen mit Süßigkeiten belohnt, (b) diese zweite Person den aggressiven Erwachsenen bestraft und (c) keine Person oder weitere Handlung zu sehen ist (Kontrollgruppe). Anschließend sollten die Kinder in einem Nebenraum mit denselben Spielzeugen wie der Erwachsene im Film spielen. Darunter war auch die Puppe, mit der im Film aggressiv umgegangen wurde. Dabei ahmten die Kinder auch das im Film beobachtete aggressive Verhalten gegenüber der Puppe nach, wobei die Kinder, welche die Bestrafung des Erwachsenen im Film betrachteten, weniger aggressives Verhalten zeigten, als die Kinder der beiden anderen Gruppen, die sich im Verhalten kaum unterschieden. Gerade weil sich die Kinder der Kontrollgruppe ähnlich aggressiv verhielten wie die Kinder der Gruppe, in der der Erwachsene im Film belohnt wurde, folgerte man, dass Gewalt in Film und Fernsehen ein Modellverhalten für Kinder darstellt. Studien der 1970er Jahre konnten jedoch nachweisen, dass das Betrachten von aggressiven Inhalten im Fernsehen nicht kausal zu langfristig aggressiverem Verhalten führt. Vielmehr beeinflusst u. a. das Familienklima (Schneewind, 1978), inwiefern Kinder langfristig aggressives Verhalten zeigen. Eine detailliertere Darstellung zu Auswirkungen des Konsums gewalthaltiger Medien erfolgt in einem Exkurs in Abschn Lernmedien Lernmedien werden mit dem Ziel eingesetzt, kognitive Prozesse bei den Rezipienten auszulösen, die zu einer langfristigen Anpassung bestehender Wissensstrukturen führen (Adaption), in die neue Informationen integriert werden (Assimilation) bzw. die den Aufbau neuer Wissensstrukturen (Akkomodation) bedingen. Weiterhin können Medien zur Automatisierung und Schematisierung des Wissens beitragen. Bei der hier am Lernbegriff des kognitiven Entwicklungsmodells Piagets (2003) ausgerichteten Darstellung des medienbasierten Lernens ist zusätzlich zu berücksichtigen, dass die Verarbeitung neuer Information und die aktive Verknüpfung mit bestehenden Wissensstrukturen im Arbeitsgedächtnis stattfinden. Jedoch ist die Verarbeitungskapazität des Arbeitsgedächtnisses begrenzt (Baddeley, 1992). Aus der begrenzten Kapazität des Arbeitsgedächtnisses ergibt sich die Notwendigkeit, den medienbasierten Lernprozess so zu gestalten, dass keine Überlastung des Arbeitsgedächtnisses auftritt ( Abschn ). Weiterhin sollten bei der instruktionalen Gestaltung von Lernmedien

144 124 Kapitel 6 Medien (Instructional Design) die kognitiven, motivationalen und emotionalen Anforderungen des Lernens mit Medien soweit als möglich berücksichtigt werden, damit Lernziele möglichst effizient erreicht werden können. Lernmedien werden üblicherweise anhand ihrer medialen Repräsentationsform ( Medialität), ihrer Kodierungsform ( Kodalität) und anhand der Sinnesmodalität, die zur Verarbeitung einer Information benötigt wird ( Modalität), unterschieden. So kann z. B. ein geschriebener Text in Buchform vorliegen oder mittels eines Computerbildschirms präsentiert werden (Unterschied in der Medialität). Während geschriebene Texte durch Buchstaben erzeugt werden, basieren gesprochene Texte auf Lauten (Unterschied in der Kodalität). Dadurch müssen geschrieben Texte in der Regel mittels des visuellen Systems, gehörte Texte hingegen mittels des auditiven Systems (Unterschied in der Modalität) rezipiert werden Texte und Hypertexte Texte sowohl in geschriebener als auch in gesprochener Form (z. B. Audiofile, Unterrichtsvortrag) gelten weiterhin als Leitmedium (Schnotz, 2006) in Lehr und Lernsituationen. Texte stellen eine zusammenhängende Informationsressource in geschriebener Sprache dar, die aus per Konventionen festgelegten Symbolen (Phoneme, Silben, Worten, Sätzen) besteht. In Abhängigkeit von der Kultur bestehen sehr unterschiedliche Formen, wie diese Konventionen umgesetzt werden, was z. B. durch unterschiedliche Alphabete deutlich wird. Während Texte seit Jahrhunderten genutzt werden, um Informationen zu vermitteln und zu archivieren, stellen Hypertexte eine vergleichsweise neue Form der Textrepräsentation dar. Insbesondere durch die stark angestiegene Verbreitung von Computern als Lernmedien werden Hypertexte in zunehmender Zahl als Lernmedien eingesetzt, da sie in computergestützten Lernumgebungen einfacher realisiert werden können als in anderen Medien. Ein sehr bekanntes Beispiel für ein solches Hypertext/HypermediaAngebot im Internet ist Wikipedia. Definition Hypertexte stellen eine spezifische Form von Texten dar, weil sie Textteile mittels spezifischer Verknüpfungen (Hyperlinks) in meist nichtlinearer Form präsentieren. Dadurch entsteht eine netzwerkartige Struktur zwischen den einzelnen Teilen eines Hypertexts. Werden nicht nur Texte, sondern verschiedene Medien (Bilder, Texte, Animationen etc.) miteinander durch Hyperlinks verknüpft, spricht man von Hypermedia. Hypertexte erlauben höhere Freiheitsgrade beim Lernen als konventionelle Texte in ihrer Gestaltung. So können Redundanzen vermieden werden, indem Hyperlinks zu Textteilen an die Stellen gesetzt werden, an denen in konventionellen Texten in der Regel redundante Textabschnitte verwendet werden. Vielfach wird vermutet, dass die netzwerkartige Darstellung von Informationen in Hypertexten einen Lernvorteil an sich darstellt, weil in kognitivistischen Modellen des Langzeitgedächtnis auch von einem netzwerkartigen Aufbau der Wissensrepräsentationen (Anderson, 2001) ausgegangen wird. Diese kognitive Plausibilitätshypothese (Schulmeister, 1997) hat sich jedoch empirisch nicht bestätigt (Rouet & Levonen, 1996). Lernen mit Texten und Hypertexten Um Texte und Hypertexte als Lernmedien nicht nur mündlich, sondern auch schriftlich adäquat nutzen zu können, ist es für die Lernenden notwendig, über eine adäquate Lesekompetenz zu verfügen. Definition Als Lesekompetenz ( Kap. 16 und Kap. 17) wird die Fähigkeit bezeichnet, sachrichtig Informationen aus schriftlichen Texten entnehmen zu können (van Dijk & Kintsch, 1983; Richter & Christmann, 2002). Die Lesekompetenz setzt sich aus hierarchisch geordneten Teilfähigkeiten zusammen. Diese Teilfähigkeiten umfassen hierarchieniedrige basale Wahrnehmungsund Identifikationsprozesse (z. B. Buchstaben und Wortidentifikation beim Lesen einer Zeitung). Zudem werden hierarchiehohe Prozesse zum Aufbau interner mentaler Repräsentationen benötigt (z. B. Verstehen eines Zeitungsartikels, der über Wahlergebnisse berichtet) sowie zur Interpretation und Evaluation der Textinformationen (z. B. Bewertung eines Wahlergebnisses, über das man in der Zeitung gelesen hat, auf dem Hintergrund der eigenen Vorkenntnisse über Wahlsystem, bisherige Machtverhältnisse etc.). Um einen Text zu lesen, müssen folgende perzeptuelle und kognitive Verarbeitungsprozesse durchgeführt werden: Zunächst werden einzelne Buchstaben visuell wahrgenommen und zu Worten zusammengesetzt. Auf diese Weise entsteht eine mentale Textoberflächenrepräsentation. Diese ermöglicht dem Lernenden eine wörtliche Widergabe des Textes, allerdings entsteht auf dieser Ebene des Leseprozesses noch kein Verständnis des Textes. Für ein inhaltliches Verständnis eines Textes ist der Aufbau eines propositionalen Modells nötig (van Dijk & Kintsch; 1983). In einem propositionalem Modell wird der Text nicht mehr wörtlich, sondern

145 6.2 Lernmedien nur durch miteinander verknüpfte Sinneinheiten (Propositionen) repräsentiert (z. B. der Begriff Demokratie ist bei den meisten Menschen verbunden mit Sinneinheiten wie Wahlen, Wahlfreiheit, Parlament etc.). Neben der eher abstrakten Repräsentation in einem propositionalen Modell, wird der Textinhalt auch in einem mentalen Modell repräsentiert. Das mentale Modell besteht aus einer analogen und realitätsnahen kognitiven Repräsentation der Inhalte eines Textes (auch Abschn ). Mentale Modelle sind subjektive Strukturen, welche die reale Welt im Arbeitsgedächtnis abbilden (JohnsonLaird, 1983). Setzt man die vorherigen Beispiele fort, so wäre das mentale Modell, das beim Lesen eines Zeitungsartikels über eine Wahl entsteht, angereichert mit subjektiven Erinnerungen, ob man die Partei präferiert, die gewann, die bildlichen Erinnerungen an das Aussehen der im Artikel erwähnten Politiker usw. Ein für das Verständnis eines Textes zentrales Merkmal ist der Grad der Textkohärenz. In der Regel bestehen Texte aus Sätzen, die aufeinander bezogen sind, um einen Inhalt kohärent zu beschreiben. Dabei kann man zwischen der lokalen und globalen Textkohärenz unterscheiden. Während sich die lokale Textkohärenz allein auf den thematischen Zusammenhang zwischen zwei Sätzen bezieht, bezeichnet die globale Textkohärenz den thematischen Zusammenhang aller Sätze eines Textes in Bezug auf dessen Thema. Das Verständnis eines Textes ist einfacher, wenn eine hohe lokale und insbesondere eine hohe globale Textkohärenz vorliegen und wenn die Themen eines Textes kontinuierlich aufeinander aufgebaut werden (Schnotz, 1994). Beim Lernen mit Hypertexten ergeben sich zusätzliche Anforderungen an die Leser, die bei der Lektüre konventioneller Texte nicht auftreten. Schwieriger als in einem konventionellen Text ist das gezielte Auffinden von Informationen. Letzteres beansprucht dabei umso mehr kognitive Ressourcen, je komplexer das Netzwerk verschiedener Textteile in einem Hypertext wird. Individuelle Faktoren des Lernens mit Texten und Hypertexten Erwerb der Schriftsprache. Grundlegende Voraussetzung zum Verständnis von mündlich dargebotenen Texten ist die Kenntnis der wesentlichen Konventionen einer Sprache. Um schriftliche Texte verstehen zu können, ist darüber hinaus die Beherrschung der Schriftsprache ( Alphabetisierung ) nötig. Der Erwerb einer Schriftsprache erfolgt in jahrelangen meist institutionalisierten Lernprozessen. Dabei ist es auch in technisch und sozial hochentwickelten Kulturen keineswegs selbstverständlich, dass die Alphabetisierung bei allen Angehörigen einer Kultur gelingt. Auch in technisch und sozial hoch entwickelten Gesellschaften verfügen relevante Minderheiten nicht über die Fähigkeit, schriftliche Texte ausreichend zu verstehen oder zu produzieren, ohne dass gesundheitliche Gründe (z. B. hirnorganisch bedingte intellektuelle Defizite) dem erfolgreichen Erwerb einer Schriftsprache im Weg stehen. So sind in Deutschland knapp 2 % der Bevölkerung echte Analphabeten, jedoch müssen ca. 14 % der Bevölkerung als funktionale Analphabeten eingestuft werden (Grotlüschen & Riekmann, 2012). Definition Der Begriff funktionaler Analphabetismus bezeichnet die unzureichend entwickelte Fähigkeit, die schriftbasierte Sprache in sozial adäquater Weise zu verstehen und Texte zu produzieren. So können Menschen, die als funktionale Analphabeten einzustufen sind, zwar meist ihren Namen schreiben und einzelne Worte erkennen, sind jedoch nicht in der Lage, längere Texte zu verstehen ( Abschn. 16.1). Vorwissen und Lesefähigkeit. Das Lernen mit Texten und Hypertexten wird von zahlreichen individuellen Faktoren beeinflusst (Artelt, Stanat, Schneider & Schiefele, 2001; Richter & Christmann, 2002; Abschn. 17.5; Abschn. 16.1). So sind bei Schülern einer Klasse erhebliche Unterschiede in der allgemeinen Lesefähigkeit, in der Lesegeschwindigkeit sowie in den für das Lesen relevanten Teilprozessen wie z. B. Geschwindigkeit des Zugriffs auf den Wortschatz, Wortschatzumfang, Textverständnis und Inferenzbildung (Schlussfolgerungen, die über den gelesenen Inhalt hinausgehen) zu beobachten. Insbesondere das thematische Vorwissen und die Lesefähigkeit können das Lernen mit (Hyper)Texten beeinflussen (u. a. Richter, Naumann, Brunner & Christmann, 2005; Naumann, Richter, Flender, Christmann & Groeben, 2007). So verringert ein geringes inhaltliches Vorwissen die Effizienz des Aufbaus propositionaler und mentaler Modelle während des Lernens mit Texten. Zudem ist die Interpretation und Evaluation von Texten nur eingeschränkt möglich, wenn Lernende über geringes inhaltliches Vorwissen verfügen oder basale Leseprozesse nicht vollständig automatisiert sind. Die Fähigkeit im Umgang mit computerbasierten Hypertexten beeinflusst den Lernerfolg mit diesem Medium in entscheidender Weise. So kann eine erhebliche Desorientierung von Lernenden bei der Bearbeitung von komplexen Hypertexten auftreten, die als LostinHyperspace Phänomen bekannt ist (Conklin, 1987). Lernende mit geringer Erfahrung im Umgang mit computerbasierten Lernmedien erreichen beim Lernen mit Hypertexten meist

146 126 Kapitel 6 Medien einen weitaus geringeren Lernerfolg als Personen mit höherer Expertise in diesem Bereich (z. B. Horz, 2004). Zusätzlich beeinflusst das thematische Vorwissen die Rezeption von Hypertexten (u. a. Last, O Donnell & Kelly, 2001), da Lernende mit höherem thematischem Vorwissen weniger Orientierungsprobleme in Hypertexten aufweisen. Gestaltung von Texten und Hypertexten Der erfolgreiche Einsatz von (Hyper)Texten als Lernmedien hängt von ihrer Gestaltung ab. Die Qualität der Gestaltung wird durch eine Vielzahl von Oberflächenmerkmalen wie Schriftart und Schriftgröße, aber auch von inhaltlichen Merkmalen wie Wort und Satzlänge, Textkomplexität und ordnung, Prägnanz und motivierende Textgestaltung bedingt. Während für Oberflächenmerkmale empirisch gut gesicherte Standards existieren (Ballstaedt, 1997), ist die Bestimmung der inhaltlichen Qualität eines Textes weitaus schwieriger. Eine gebräuchliche Sammlung von Kriterien zur inhaltlichen Textgestaltung stellt bis heute das Hamburger Verständlichkeitskonzept dar (Langer, Schulz von Thun & Tausch, 1974). In diesem Konzept werden vier Dimensionen der Verständlichkeit von Texten genannt, die faktorenanalytisch anhand von Expertenurteilen ermittelt wurden ( Übersicht). Diese vier Dimensionen der Textverständlichkeit sind weitgehend unkorreliert. So ist es möglich, dass ein Text eine hohe Ausprägung auf einer Dimension aufweist, während er auf einer anderen Dimension nur gering ausgeprägt ist. Der Hamburger Verständlichkeitsansatz wird sowohl wegen seiner atheoretischen Herleitung, die allein auf Expertenurteilen basiert, als auch wegen der für die Praxis unzureichenden Spezifizierung der Verständlichkeitsdimensionen kritisiert (Groeben, 1982). Weiterhin konnte empirisch gezeigt werden, dass die Verständlichkeit eines Textes insbesondere von der inhaltlichen und gedanklichen Strukturierung abhängt (Christmann & Groeben, 1999). Trotz dieser Kritik ist das Hamburger Verständlichkeitskonzept aufgrund seiner klaren Gestaltungsregeln zur Erstellung von Texten von hohem praktischem Nutzen. Darüber hinaus mangelt es in diesem Bereich an ähnlich praktikablen Gestaltungsempfehlungen. Dimensionen des Hamburger Verständlichkeitskonzepts 1. Sprachliche Einfachheit: Ein Text sollte kurze, einfache Formulierungen verwenden. Wenn möglich, sollten geläufige, konkretanschauliche Wörter genutzt werden. Fremdworte sollten nur sparsam eingesetzt und erklärt werden. 2. Gliederung/Ordnung: Ein Text sollte eine klar erkennbare äußere Gliederung haben (z. B. inhaltlich aufeinander bezogene Teile werden unter einer Überschrift dargestellt, Wesentliches ist hervorgehoben etc.). Zudem sollte eine logische innere Ordnung vorhanden sein, in der Informationen aufeinander bezogen dargestellt werden, sodass ein roter Faden im Textaufbau erkennbar wird. 3. Kürze/Prägnanz: Texte sollten sich auf notwendige Formulierungen beschränken und keine weitschweifigen und/oder redundanten Darstellungen enthalten. 4. Zusätzliche Stimulanz: Ein Text sollte den Leser motivieren, ihn vollständig zu rezipieren. Dazu sollte ein Text ein mittleres Maß an Stimulanz enthalten, das durch anschauliche Darstellungen, originelle Formulierungen, direkte Ansprache des Lesers etc. erreicht werden kann Bilder, Animationen und Filme Bilder haben als Lernmedien eine lange Tradition. Heute werden unterschiedlichste Formen statischer und bewegter Bilder (Animationen, Filme) für eine Vielzahl instruktionaler Funktionen eingesetzt. Neben der genannten Unterscheidung zwischen statischen und bewegten Bildern wurde eine Reihe unterschiedlicher Kategorisierungssysteme entwickelt, um Bildtypen unterscheiden zu können. Den meisten dieser Kategorisierungen ist gemein, dass sie die Bilder nach dem Grad der realitätsgetreuen Darstellung unterscheiden. So zeichnen sich Fotografien und realistische Zeichnungen durch eine hohe Realitätsnähe aus. Skizzen und vereinfachte Abbildungen enthalten meist wenig detaillierte, reduzierte Abbildungen zentraler Elemente des abgebildeten Objekts. Schemata und logische Bilder repräsentieren nur noch einzelne Elemente eines Objekts oder einen Sachverhalt in abstrakter Form (. Abb. 6.2). Unter den verschiedenen Abbildungsformen, die in Lernmedien eingesetzt werden, sind die logischen Bilder hervorzuheben. Definition Logische Bilder stellen Zusammenhänge zwischen Merkmalen eines Objekts oder Sachverhalts dar, wobei mit Ausnahme der Isotypendiagramme keine Ähnlichkeit mit dem eigentlichen Objekt oder Sachverhalt besteht.

147 6.2 Lernmedien Abb. 6.2 Abbildungen von Hasen mit zunehmender Realitätsnähe Schematisches Bild Realistische Abbilder Vereinfachte Abbildung Realistische Abbildung Fotografie Niedrig Realismus der Abbildung Hoch Logisches Bild Abstrakte Darstellung ohne realistische Abbildungselemente Normierte Ohrenlänge Hasen Kaninchen Gewicht Ziel von logischen Bildern ist die Veranschaulichung abstrakter Sachverhalte. Die bekanntesten Typen logischer Bilder sind Kreis, Balken, Säulen, Kurven, Linien, Punkte, Streu und Isotypendiagramme (. Abb. 6.3; Ballstaedt, 1997). Lernen mit Bildern, Animationen und Filmen Verarbeitung von Bildern Aus instruktionaler Sicht können Bilder in Lernumgebungen sehr verschiedene lernförderliche Funktionen haben. Werden Bilder allein aus ästhetischdekorativen Gründen eingesetzt, ist davon auszugehen, dass sie den Lernprozess behindern, da sie bei der Informationsverarbeitung einer Lernumgebung kognitive Ressourcen des Arbeitsgedächtnisses beanspruchen, ohne lernrelevante kognitive Prozesse auszulösen oder zu erleichtern. Daher werden dekorative Bilder in Lernumgebungen auch als seductive details bezeichnet (Levin, Anglin, Carney, 1987; Harp & Mayer, 1998). Ein Beispiel für eine Lernumgebung mit zahlreichen seductive details stellt die Sesamstraße dar. Es konnte gezeigt werden, dass Kinder sich überwiegend die dekorativen Elemente der Sendungen merkten und nur in geringem Maße die zu lernenden Informationen behielten (Fisch, 2004). Inwiefern aber seductive details eine motivationsstützende Funktion haben, die Kinder animiert, sich überhaupt mit Lerninhalten aus Lernumgebungen wie der Sesamstraße befassen, ist bisher nicht eindeutig geklärt. Sicher ist jedoch, dass informative Bilder (z. B. Grafiken, Diagramme etc.), die nicht primär aus dekorativen Gründen in eine Lernumgebung integriert sind, den Lernprozess auf unterschiedliche Weise fördern können ( Übersicht). Die kognitive Verarbeitung von Bildern erfolgt zunächst in Form präattentiver Prozesse. Hierunter fasst man visuelle Routinen zusammen, die automatisiert entlang von Wahrnehmungsgesetzen (z. B. Gesetz der guten Gestalt ) ablaufen und kaum bewusst gesteuert oder vom Vorwissen der Lernenden beeinflusst werden. Durch präattentive Prozesse nehmen wir ein Bild in seiner Gesamtheit wahr. Für eine vertiefte Verarbeitung eines Bildes müssen dann attentive Prozesse folgen, in denen Elemente eines Bildes einer bewussten und zielgerichteten Analyse unterzogen werden. Dabei ergeben sich aus dem Bildformat (z. B. realistisches Foto vs. logische Abbildung) unterschiedliche Anforderungen an das Vorwissen der Rezipienten, da sie mit kulturellen Konventionen hinsichtlich der Darstellungsformen und ihrer Bedeutung vertraut sein müssen, um ein Bild adäquat zu interpretieren. So stellt z. B. in einem Kreisdiagramm der gesamte Kreis in der Regel 100 % der betreffenden Gesamtmenge dar und jeder Sektor entspricht in seiner relativen Größe dem Anteil einer Kategorie an der Gesamtmenge. Dabei ist zu bedenken, dass Bilder nicht in all ihren Details analog mental repräsentiert werden, sondern die mentale Repräsentation von Bildern bei den Lernenden anhand von mentalen Modellen erfolgt, wie dies auch bei der Verarbeitung von Texten geschieht ( Abschn ). Das heißt, ähnlich wie bei Texten werden nur die wichtigsten Bedeutungseinheiten von Bildern mental repräsentiert.

148 128 Kapitel 6 Medien a c b d e.. Abb. 6.3a f Beispiele logischer Bilder. a Säulendiagramm, b Balkendiagramm, c Punktediagramm, d Liniendiagramm, e Kreisdiagramm, f Isotypendiagramm Für den Lernprozess förderliche Merkmale informativer Bilder Interpretationserleichterung: Bilder können Inhalte veranschaulichen, konkretisieren und so deren Verständnis erleichtern. Motivation: Bilder können das Interesse der Lernenden wecken oder während des Lernens aufrechterhalten. Orientierung und Strukturierung: Komplexe Inhalte und Inhaltsstrukturen können durch Bilder einfacher auf einen Blick dargestellt werden. Vertiefte Enkodierung: Bilder können die Behaltensleistung und Verarbeitungstiefe von Lernmaterialien verbessern ( Abschn ). f Verarbeitung von Filmen und Animationen Weit verbreitet ist die Annahme, dass bewegte Bilder wie Animationen und Filme das Lernen in größerem Maße fördern als statische Bilder, da sie Informationen in einer Art und Weise darbieten, die der Alltagswahrnehmung in höherem Maße entspricht als statische Bilder oder Texte. Eine Metaanalyse von Höffler und Leutner (2007) zeigte eine durchschnittliche Überlegenheit von Animationen hinsichtlich des Lernerfolgs gegenüber statischen Darstellungen. Aktuelle Forschungsarbeiten deuten zugleich darauf hin, dass die Effektivität des Lernens mit Animationen und Filmen sowohl von deren Gestaltung abhängt als auch von zentralen Lernermerkmalen (Lowe & Schnotz, 2008; Höffler & Leutner, 2007). Animationen und Filme sind als Lernmedien dann von besonderem Nutzen, wenn die Lernenden ein dynamisches ( animiertes ) mentales Modell erstellen sollen und die Animation diese dynamisierte mentale Repräsentation unterstützt. Allerdings kann eine Animation oder ein Film auch zu einer mangelhaften Repräsentation führen, da die dargebotenen bewegten

149 6.2 Lernmedien Bilder im Unterschied zu statischen Bildern flüchtig sind. Daher müssen Lernende bei Filmen und Animationen im Arbeitsgedächtnis über eine längere Zeitspanne hinweg aktuelle Bilder fortlaufend mit zuvor gesehenen Bildern integrieren, was eher zu einer Überlastung des Arbeitsgedächtnisses führen kann, als die Rezeption von statischen Bildern (vgl. auch SplitattentionEffekt, Abschn. 2.3). Zwar können sich Filme und Animationen aus motivationaler Sicht als günstige Lernmedien erweisen, wobei jedoch die positive motivationale Wirkung von Filmen und Animationen nicht unbedingt zu einem höheren Lernerfolg führt. So wird das Betrachten von Filmen im Vergleich zum Lesen eines Textes als einfach durch die Lernenden empfunden und das Betrachten von Filmen macht den Lernenden vergleichsweise mehr Spaß als z. B. die Bearbeitung textbasierter Lernmedien. Es ist jedoch zu beachten, dass dies dazu führen kann, dass sich Lernende weniger anstrengen, die Inhalte eines Films mental zu bearbeiten und mit ihrem Vorwissen zu verknüpfen als beim Lesen eines Textes ( TelevisioniseasyEffekt ; Salomon, 1984). Individuelle Faktoren Attentive Prozesse sind in hohem Maße abhängig vom Vorwissen der Lernenden. Lange Zeit war man der Überzeugung, dass der Lernerfolg mit dem Realismusgrad eines Bildes oder einer Filmsequenz ansteigt ( Realismusthese ). Diese Annahme konnte jedoch durch Dwyer (1978) widerlegt werden, indem er nachwies, dass Lernende mit geringerem Vorwissen durch abstrahierte Zeichnungen mehr lernten als durch realitätsgetreue Bilder. Ebenso ist ein erhebliches Maß an Vorwissen notwendig, um logische Bilder und Piktogramme sachrichtig zu interpretieren. Ist man mit den kulturellen Konventionen nicht oder nur unzureichend vertraut, unter deren Annahme ein logisches Bild oder Piktogramm erstellt wurde, bleibt ein Bild meist unverständlich oder wird falsch interpretiert. Nicht nur das Verständnis von Bildern, sondern auch die Nutzung von Filmen und Animationen muss erlernt werden. So sind z. B. Kinder im Grundschulalter durch filmische Erzähltechniken wie Rückblenden oder raschen Szenenwechseln überfordert. Es gibt auch einzelne Hinweise darauf, dass Fernsehen bei Kindern die Fantasie weniger anregt, als wenn sie Geschichten erzählt bekommen. Jedoch ist die Schlussfolgerung, dass Filme, Fernsehen oder interaktive Medien eine ungünstigere kognitive Entwicklung bedingen, in dieser Form nicht haltbar ( Abschn und Abschn. 6.4). Gestaltung von Bildern, Animationen und Filmen Grundsätzlich gilt für Bilder in Lernumgebungen, dass Bildelemente an sich klar erkennbar und gut differenzierbar sein sollten. Hierfür ist eine Darstellungsperspektive zu wählen, die möglichst alle relevanten Bildelemente erkennen lässt. Ebenso sind eine angemessene Detailliertheit sowie die Auswahl eines realitätsnahen Darstellungskontextes von Bedeutung. Für logische Bilder gilt darüber hinaus, dass die gewählte Repräsentationsform den darzustellenden Inhalt möglichst exakt wiedergibt und die Interpretation der zentralen Sachverhalte möglichst durch das gewählte Format eines logischen Bildes unterstützt werden sollte. Weiterhin sollte nach Schnotz (2006) der Aufbau logischer Bilder so gewählt sein, dass die Syntax, Semantik und Pragmatik der Gestaltung optimiert sind. Die Gestaltungssyntax beschreibt die Beziehungen der Bildelemente zueinander. So sind in logischen Bildern Elemente, die zusammengehören, als solche kenntlich zu machen. Dies kann z. B. durch die Farbgebung, die Nutzung unterschiedlicher Texturen, Umrahmungen, Legenden etc. erfolgen. Um die Bedeutung der einzelnen Bildelemente zu verdeutlichen, bedarf es einer klaren Gestaltungssemantik. So werden z. B. unterschiedliche Objektmengen durch entsprechende proportionale Größendarstellungen in logischen Bildern dargestellt, wohingegen unterschiedliche qualitative Merkmale vor allem durch verschiedene Formen oder Farben repräsentiert werden. Letztlich ist bei logischen Abbildungen darauf zu achten, dass die Darstellungsform ein sachrichtiges Erkennen der dargestellten Inhalte unterstützt (Gestaltungspragmatik). So sollten die Rezipienten nicht zur Annahme falscher Schlussfolgerungen durch die Gestaltung eines logischen Bildes verleitet werden, indem z. B. Achsen unterbrochen, nicht beim Nullpunkt angesetzt oder Proportionen in unzulässiger Weise dargestellt werden. Falsche Schlussfolgerungen können auch entstehen, wenn relationale Unterschiede durch Vergrößerung von Flächen dargestellt werden, statt richtigerweise durch Längen (. Abb. 6.4) Multimedia Die Begriff Multimedia wurde durch die rasche Verbreitung des Computers als Lernmedium in den 90er Jahren populär. Dabei sind im eigentlichen Sinne keineswegs nur digitale (Lern)Medien als multi medial zu bezeichnen, wenn sie verschiedene Medien beinhalten, sondern z. B. nahezu alle Lehrbücher, Lehrfilme oder Unterrichtsformen sind multimedial, da in ihnen Medien unterschiedlicher Kodierungsformen enthalten sind, die z. T. auch verschiedene Sinnesmodalitäten ansprechen. Wenn man aber die Interaktivität von Medien als ein Kennzeichen von Multimedia mit einbezieht, kennzeichnet dieser Begriff insbesondere computergestützte Lernmedien.

150 130 Kapitel 6 Medien Abb. 6.4 Beispiele für Grafiken mit Fehlern in der Gestaltungssemantik und pragmatik. In den beiden oberen Abbildungen wirken die abgebildeten Unterschiede trotz identischer Daten in der rechten Abbildung größer, da die Ordinate erst bei einem Wert vom 20 beginnt. In der unteren Abbildung werden die Flächen der Objekte proportional vergrößert statt richtigerweise nur deren Höhe Definition Multimediale Informationsressourcen enthalten Informationen, die mittels verschiedener Kodierungsformen wie z. B. Bilder und Texte (Multikodalität) dargestellt und meist mittels verschiedener Sinnesmodalitäten rezipiert werden (z. B. Texte in gedruckter Form durch die Augen und in gesprochener Form durch das Ohr; Multimodalität). Lernen mit Multimedia Vielfach empirisch belegt ist, dass das Lernen mit multimedialen Lernumgebungen im Vergleich zu rein textuellen Lernumgebungen einen höheren Lernerfolg erbringt ( MultimediaPrinzip ). Häufig wird der Lernvorteil multimedialer Lernumgebungen anhand der Theorie der dualen Kodierung (Paivio, 1986) erklärt. Die Theorie der dualen Kodierung geht davon aus, dass die Informationsverarbeitung im kognitiven System des Menschen in zwei unterschiedlichen, aber interagierenden Untersystemen einem verbalen und einem piktorialen System erfolgt. Weiterhin wird angenommen, dass beide Untersysteme in ihrer Verarbeitungskapazität begrenzt sind, miteinander interagieren, aber auch unabhängig voneinander aktiv sein können. Werden aufeinander bezogene verbale und piktoriale Inhalte gelernt, so wird der Lerninhalt in beiden Systemen verarbeitet und gespeichert, was zu einer doppelten Kodierung und damit zu einem höheren Lernerfolg führt. Einschränkend ist anzumerken, dass entsprechend Paivios Theorie dieser Lernvorteil nur für Inhalte existiert, für die im Gedächtnis sowohl eine abstraktverbale (in Form symbolischer Codes ) als auch eine konkretbildhafte mentale Repräsentation (in Form analoger Codes ) besteht. So dürfte der Begriff Brot im Gedächtnis der meisten Menschen bildhaft und abstrakt kodiert sein, wohingegen für den Begriff Wahrheit vermutlich die wenigsten Menschen über eine konkretbildhafte Repräsentation in ihrem Gedächtnis verfügen. Mayer (1997, 2001) entwickelte ausgehend von der Theorie der dualen Kodierung eine kognitive Theorie des multimedialen Lernens. Mayers Theorie bezieht sich zudem auf das Modell des Arbeitsgedächtnisses von Baddeley (1986,. Abb. 6.5), in dem postuliert wird, dass das Arbeitsgedächtnis aus einer zentralen Exekutive, einer phonologischen Schleife, einem visuellräumlichen Notizblock und einem episodischen Speichersystem besteht. Die Speichersysteme weisen sowohl eine inhaltliche als auch zeitlich begrenzte Informationsverarbeitungskapazität auf. In der phonologischen Schleife werden gehörte und/oder gelesene (!) Informationen verarbeitet. Dieses System ist mit einem Wiederholungsmechanismus ausgestattet, der die phonologischen Informationen vor einem raschen Zerfall schützt. Im visuellräumliche Notizblock werden visuelle und räumliche Informationen in skizzenhafter Form zwischengespeichert. Im episodischen Speicher einer späteren Weiterentwicklung des Arbeitsgedächtnismodells durch Baddeley, der in der Theorie Mayers ursprünglich noch nicht berücksichtigt war werden phonologische, visuelle und räumliche Informationen zwischenzeitlich integriert. Mayer übernimmt die Annahme eines auditivverbalen und eines visuellpiktorialen Kanals der Informationsverarbeitung in seine Theorie. Multimediale Informationen werden in separaten visuellbildhaften und auditivverbalen Kanälen verarbeitet und erst im Arbeitsgedächtnis

151 6.2 Lernmedien Abb. 6.5 Modell des Arbeitsgedächtnisses. (Modifiziert nach Baddeley, Adapted by permission from Macmillan Publishers Ltd: Nature Reviews Neuroscience, copyright 2003).. Abb. 6.6 Modellhafte Darstellung der kognitiven Theorie des multimedialen Lernens zusammen mit Informationen aus dem Langzeitgedächtnis integriert (. Abb. 6.6). Sein Modell wird durch zahlreiche empirische Forschungsbefunde gestützt. Allerdings geht Mayers Modell davon aus, dass die vorhandenen multimedialen Informationsangebote auch immer tatsächlich genutzt werden und dass Bilder den Wissenserwerb grundsätzlich fördern. Beides muss jedoch nicht notwendigerweise immer eintreten. Folglich kann kritisch gegenüber dem Modell von Mayer eingewendet werden, dass nicht immer alle Informationsquellen einer multimedialen Informationsressource genutzt werden und Bilder mit Texten nicht immer lernförderlicher sein müssen als Texte allein. Diese Überlegungen berücksichtigt Schnotz in seinem integrativen Modell des Text und Bildverstehens. Analog zu dem Modell von Mayer geht das integrative Modell des Text und Bildverstehens davon aus, dass auf der Wahrnehmungsebene zwischen verschiedenen Sinneskanälen (z. B. einem auditiven und einem visuellen Kanal) und auf der kognitiven Ebene zwischen verschiedenen Repräsentationskanälen (einem deskriptionalen und einem depiktionalen Kanal) unterschieden werden kann (Schnotz & Bannert, 2003; Schnotz, 2005). Gemäß dem Modell des integrativen Text und Bildverstehens werden durch auditive bzw. visuelle Wahrnehmungsprozesse eine Text bzw. eine Bildoberflächenrepräsentation des betreffenden Lernmaterials generiert. Anschließend wird durch bedeutungsgenerierende kognitive Prozesse aus den auditiv und visuell wahrgenommenen verbalen Informationen eine mentale Repräsentation gebildet, die aus konzeptuellen Sinneinheiten (Propositionen; Abschn ) besteht. Aus den bildbasierten Informationen hingegen wird ein mentales Modell konstruiert, das Struktur und Funktionseigenschaften besitzt, die denen des dargestellten Inhalts entsprechen und damit diesen Inhalt repräsentieren. Durch schemageleitete Modellkonstruktions und Modellinspektionsprozesse interagieren diese beiden mentalen Repräsentationen kontinuierlich miteinander. So bilden sie eine kohärente mentale Repräsentation der rezipierten Informationen, wobei die beteiligten Repräsentationen gegenseitig zu ihrer Elaboration beitragen (. Abb. 6.7). Aus der Perspektive des Modells des integrativen Textund Bildverstehens ist die Hauptursache für den Lernvorteil multimedialer Lehrangebote darin zu sehen, dass verbale und piktoriale Informationen bei ihrer integrativen Verarbeitung gemeinsam zur Konstruktion eines mentalen Modells beitragen. Allerdings besteht auch die Möglichkeit, dass sich Lernende im Rahmen eines multimedialen

152 132 Kapitel 6 Medien Modellkonstruktion Abb. 6.7 Modell des integrativen Text und Bildverstehens. (Modifiziert nach Schnotz & Bannert, 2003, with permission from Elsevier, & Schnotz, 2005, with permission from Cambridge University Press) Informationsangebots auf eine Informationsquelle konzentrieren und die andere ignorieren, indem beispielsweise das Verstehen des Texts durch das Verstehen des Bildes ersetzt wird und umgekehrt. Zudem kann ein Bild aufgrund seiner Visualisierungsstruktur die intendierte Anwendung des gelernten Wissens hemmen (Schnotz & Bannert, 2003), wodurch eine multimediale Repräsentation (z. B. Lernprogramm) eines Inhalts im Vergleich zu einer monomedialen Lernumgebung (z. B. Text) auch zu einer schlechteren Lernleistung führen kann. Sowohl die Konsequenzen des Ignorierens eines Mediums in einer multimedialen Lernumgebung als auch die Möglichkeit, dass monomediale Lernumgebungen in ihrer Lernwirksamkeit multimedialen Lernumgebungen unter bestimmten Bedingungen überlegen sein können, können anhand des Modells des integrativen Text und Bildverstehens, jedoch nicht anhand des Modells von Mayer erklärt werden. Individuelle Faktoren Individuelle Faktoren beeinflussen den erfolgreichen Einsatz multimedialer Lernumgebungen entscheidend. So ist das Lernen mit multimedialen Lernumgebungen besonders dann vorteilhaft, wenn Lernende ein eher geringes thematisches Vorwissen besitzen und über (ausreichend) hohe visuellräumliche Fähigkeiten verfügen (Mayer, 2001). Jedoch bringt ein geringeres thematisches Vorwissen auch die Gefahr einer rasch eintretenden Überforderung der Lernenden im Umgang mit komplexen Lernumgebungen mit sich, weil Lernende mit geringem Vorwissen im Vergleich zu solchen mit höherem Vorwissen ein höheres Maß an kognitiven Ressourcen zur Bearbeitung eines Themas benötigen. Solch eine kognitive Überlastung kann insbesondere dann in komplexen Lernumgebungen auftreten, wenn diese zahlreiche Unterstützungsfunktionen (Glossar, Hilfen, elaborierte Beispiele etc.) enthalten, zu deren adäquater Nutzung aber auch kognitive Ressourcen in nicht unerheblichem Maße benötigt werden (Horz, Winter & Fries, 2009; Horz, 2012). Es ist leicht nachzuvollziehen, dass die Fähigkeit räumlich getrennte Informationen zu integrieren, notwendig ist, um erfolgreich mit multimedialen Lernumgebungen zu lernen, da hier Informationen räumlich verteilt angeboten werden (Plass, Chun, Mayer, & Leutner, 2003). Weniger plausibel scheint zunächst, dass ein hohes Vorwissen für

153 6.2 Lernmedien das Lernen mit Multimedia nachteilig sein kann. Lernende mit hohem thematischem Vorwissen bekommen in multimedialen Lernumgebungen Inhalte mehrfach dargeboten, über die sie (vermeintlich) bereits in ihren Wissensstrukturen größtenteils verfügen. Dadurch elaborieren sie die verschiedenen Inhaltsquellen einer multimedialen Lernumgebung wesentlich weniger und übersehen so eventuell auch für sie neue Informationen in den verschiedenen Medien einer multimedialen Lernumgebung ( expertise reversal effect ; Kalyuga, Ayres, Chandler & Sweller, 2003). Weil das Lernen mit multimedialen Lernumgebungen häufig computerbasiert erfolgt, wird verschiedentlich angenommen, dass die Multimedialisierung des Lernens zu einer systematischen Benachteiligung von Frauen und Mädchen führt, da Frauen und Mädchen über geringere computerbezogene Fähigkeiten sowie negativere motivationale und emotionale Voraussetzungen beim computergestützten Lernen verfügen. Zwar existieren vielfältige Befunde zu computerbezogenen Geschlechtsunterschieden, jedoch konnte bereits Whitley (1997) in einer Metaanalyse nachweisen, dass es sich dabei um in ihrer Effektstärke kleine Unterschiede handelt. Zudem variieren diese computerbezogenen Geschlechtsunterschiede kulturabhängig. So gibt es Befunde aus China und Südostasien, die im Unterschied zu Arbeiten aus dem europäischen und amerikanischen Raum zeigen, dass hier Frauen über bessere computerbezogene Voraussetzungen verfügen. Dennoch ist zu beachten, dass auch aktuell weiterhin signifikante Unterschiede im computerbezogenen Verhalten als auch im computerbezogenen Wissen bestehen (u. a. Dickhäuser & StiensmeinerPelster, 2002; Horz, 2004), die aber in jüngeren Kohorten bereits geringer auszufallen scheinen (PISAKonsortium Deutschland, 2007). Gestaltung von Multimedia Nachfolgend werden Effekte der Gestaltung multimedialer Lernumgebungen dargestellt (Mayer, 2005). Die dargestellten Effekte sind alle in experimentellen Untersuchungen belegt worden und basieren theoretisch auf der Cognitive Load Theory ( Exkurs Cognitive Load Theory ; Sweller, van Merriënboer & Paas, 1998). SplitAttentionEffekt. Wenn in multimedialen Lernumgebungen schriftliche Texte zusammen mit statischen und/ oder dynamischen Bildern dargeboten werden, müssen die Lernenden ihre Aufmerksamkeit notwendigerweise zwischen der textuellen und bildlichen Information aufteilen. Das heißt, das Auge muss zwischen beiden Informationsquellen wechseln. Dies führt zu einem Split AttentionEffekt, welcher den Lernerfolg verringert. Ein SplitAttentionEffekt tritt insbesondere dann auf, wenn Animationen oder Filme zusammen mit schriftlichem Text dargeboten werden, da in diesem Fall aufgrund der Exkurs Cognitive Load Theory Die Cognitive Load Theory postuliert, dass beim Lernen im Arbeitsgedächtnis drei verschiedene kognitive Belastungen auftreten. Die intrinsische Belastung ( intrinsic load ) wird durch die Lerninhalte selbst bedingt (z. B. eine Lernumgebung erklärt das Prinzip der Kernspaltung zur Erzeugung von Atomstrom). Die extrinsische Belastung ( extraneous load ) entsteht durch die kognitive Verarbeitung von Gestaltungselementen einer Lernumgebung, die irrelevante Informationen enthalten (in der Lernumgebung zum Atomstrom sind Bilder der wichtigsten Physiker enthalten, die zur Erforschung der Kernspaltung beitrugen, z. B. Otto Hahn). Weiterhin ist die lernbezogene Belastung ( germane load ) zu berücksichtigen, die durch die kognitiven Prozesse der Lernenden entsteht, die ein Verstehen und Behalten der zu lernenden Informationen ermöglichen (Weiterführung des Beispiels Atomstrom : Es wird mit Eselsbrücken gelernt, die helfen, sich die unterschiedlichen Zerfallsarten bei der Kernspaltung zu merken). begrenzten Informationsaufnahme und Verarbeitungskapazität des kognitiven Systems entweder Teile der Animation bzw. des Films oder Teile des Textes ignoriert werden müssen, da diese nur flüchtig präsentiert werden. Daher sollten Texte in multimedialen Lernumgebungen insbesondere bei Animationen und Filmen in gesprochener Form dargeboten werden. Temporale und räumliche Kontiguitätseffekte. Wenn die räumliche und/oder zeitliche Distanz zwischen aufeinander bezogenen Informationen in multimedialen Lernumgebungen groß (niedrige Kontiguität der Medien) ist, kann sich dies negativ auf den Wissenserwerb auswirken. Die negativen Phänomene niedriger Kontiguität können verringert werden, wenn Texte und Abbildungen räumlich und zeitlich möglichst nahe beieinander präsentiert werden, da so die Suchprozesse zwischen den Informationsquellen verkürzt werden. So erzielen Lernende bessere Ergebnisse, wenn Texte und Bilder physisch integriert anstatt getrennt dargeboten werden. Daher kann man die Empfehlung geben, dass die räumliche Distanz zwischen illustrierten Textstellen und zugehörigen statischen oder animierten Bildern gering gehalten werden sollte. Modalitätseffekt. Wenn Texte in gesprochener Form anstelle von schriftlich integrierten Texten in eine Lernumgebung eingebunden werden, stellt sich ein höherer Lernerfolg ein (Modalitätseffekt). Werden Texte auditiv mit instruktionalen Bildern dargeboten, kann die gesamte Kapazität des auditiven Kanals der Textverarbeitung gewidmet werden, während die gesamte Kapazität des visuellen Kanals für die Bildverarbeitung genutzt werden kann. Auf diese Weise kann ein Maximum an gleichzeitiger

154 134 Kapitel 6 Medien Verfügbarkeit von verbaler und piktorialer Informationen im Arbeitsgedächtnis erreicht werden. Augenscheinlich entsteht der Modalitätseffekt schlicht durch Vermeidung eines SplitAttentionEffekts, jedoch zeigten Mayer und Moreno (1998), dass selbst dann bessere Lernergebnisse im Vergleich zu einer inhaltsgleichen Lernumgebung erzielt werden, in der die Texte schriftlich präsentiert werden, wenn ein auditiver Text und Animationen nacheinander dargeboten werden (und somit keine SplitAttentionSituation vorliegt). Mayer und Moreno (1998) nehmen daher an, dass die Nutzung des verbalen sowie des piktorialen Kanals beim multimedialen Lernen zu einer erhöhten Nutzung der Speicherkapazität des Arbeitsgedächtnisses führt. Allerdings ist diese Interpretation umstritten (Rummer, Schweppe, Fürstenberg, Seufert & Brünken, 2010; Schüler, Scheiter, Rummer & Gerjets, 2012). Effekte der individuellen Verarbeitungssteuerung. Folgt man den bisherigen Empfehlungen, sollten instruktionale Bilder immer mit auditiv statt visuell präsentiertem Text kombiniert werden. Dies gilt aber nicht in allen Fällen. Wichtigster Kritikpunkt ist, dass der SplitAttention Effekt bei der Kombination von schriftlichen Texten mit statischen Bildern nur in sehr geringem Maße auftritt und nur dann, wenn die Lernzeit deutlich begrenzt ist. Zudem ist zu bedenken, dass ein schriftlicher Text eine bessere Steuerung der Informationsaufnahme erlaubt. Bei schriftlich dargebotenem Text können Satz oder Textteile bei Verständnisschwierigkeiten neu gelesen werden, während gesprochener Text für die Lernenden in der Regel nur flüchtig dargeboten wird. Es ist zu vermuten, dass die Kontrollvorteile einer schriftlichen Darbietung besonders bei schwierigen Texten eine wichtige Rolle spielen. Weitere Maßnahmen zur Reduzierung der kognitiven Belastung. Um die Lernwirksamkeit multimedialer Lernumgebungen zu verbessern, ist im Allgemeinen die Regel zu beachten, dass die extrinsische Belastung einer Lernumgebung soweit als möglich reduziert werden sollte. Auf diese Weise stehen kognitive Kapazitäten für die Verarbeitung der Lerninhalte (intrinsische Belastung) und für lernbezogene Aktivitäten (lernbezogene Belastung) zur Verfügung. Zur Verringerung der kognitiven Belastung in multimedialen Lernumgebungen nennen Mayer und Moreno (2003) diverse Möglichkeiten, die weiter unten aufgeführt sind Einsatz medialer Präsentationen Die zuvor dargestellten Gestaltungskriterien für Text und Bild fokussieren die aus pädagogischpsychologischer und medienpsychologischer Sicht bedeutsame Fragestellung, wie Texte und Bilder grundsätzlich gestaltet sein sollten, um den Lernprozess zu optimieren. Diese grundlegende Frage der Lernmediengestaltung steht aber in der Unterrichtspraxis oft weniger im Mittelpunkt des Interesses als die Frage, unter welchen Umständen es sinnvoll ist, mit Tafel, Flipchart, elektronischen Folien etc. zu arbeiten oder wie diese konkret einzusetzen sind und wie ein adäquater Medienwechsel während einer Unterrichtseinheit durchgeführt wird. Zu den praktischen Fragen des Medieneinsatzes im Unterricht existiert eine sehr umfangreiche und ausführliche Ratgeberliteratur sowohl in gedruckter Form (z. B. zur Präsentation: Hey, 2008; Dollinger, 2003; z. B. zur Gestaltung schriftlicher Materialien: Reinmann, 2012) als auch im Internet (z. B. Bei der Auswahl von Ratgeberliteratur zu Fragen des Medieneinsatzes im Unterricht, zur Gestaltung von Lerntexten etc. sollte man darauf achten, dass sich das jeweilige Werk an neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen des Lehrens und Lernens orientiert, was in diesem Bereich oft nur in geringem Maße der Fall ist. Richtlinien zum Medieneinsatz aus der Perspektive der Lehrperson Einfachheit und Erfahrung. Grundsätzlich ist anzumerken, dass Medien im Unterricht in ihrer Handhabung einfach einzusetzen sein sollten, damit die Lehrenden keine erheblichen kognitiven Ressourcen auf den Medieneinsatz verwenden müssen. Dementsprechend sollten Lehrpersonen darauf achten, dass sie Medien einsetzen, mit deren Anwendung sie ausreichend vertraut sind. Jedoch sollen hier (zukünftige) Lehrpersonen ausdrücklich ermutigt werden, mediale Innovationen im Unterricht zu erproben. Neue Technologien oder Einsatzszenarien sollten dann eingesetzt werden, wenn der Lerninhalt nur geringe inhaltliche Anforderungen an die Lehrperson stellt bzw. die Lehrperson mit den Lehrinhalten sehr gut vertraut ist. Vorbereitung und didaktische Planung. Allgemein bekannt ist, dass im Unterrichtsablauf hemmende Probleme wie technische Schwierigkeiten beim Einsatz von Projektionstechniken ( Beamer funktioniert nicht ) umso häufiger auftreten, je mehr technikbasierte Lehrmedien eingesetzt werden, weswegen Lehrende häufig weiterhin auf analoge Medien zurückgreifen ( Abschn ). Als Leitlinie kann gelten, dass der Medieneinsatz nicht primär an den technischen Möglichkeiten orientiert sein, sondern die Entscheidung für ein Lehrmedium vor allem aus didaktischen Erwägungen erfolgen sollte (z. B. Horz et al., 2003). Medienbezogene Kompetenzen. Abhängig davon über welche personellen Kapazitäten und medienbezogenen Kompetenzen die Lehrperson verfügt, können die Lerninhalte durch unterschiedliche Medien aufbereitet und kombiniert werden. Dazu muss meist als Basis des mul

155 6.2 Lernmedien timedialen Lehr/Lernsettings eine digitale Lernplattform (wie Moodle, OLAT etc.) eingesetzt werden, um den Lernenden die vielfältigen Lernmaterialien, Kommunikationsund Kooperationsformen anbieten zu können. Um solche Plattformen effektiv nutzen zu können, müssen Lehrende und Lernende über die notwendigen Nutzungskompetenzen entsprechend ihrer Rollen im Lernsetting verfügen. Dies setzt in der Regel eine zumindest kurze Schulung für die Nutzung einer Lernplattform voraus. Weiterhin sollte man basale Regeln der virtuellen Kommunikation ( Netiquette ; für eine erste Übersicht: wiki/netiquette) kennen, um erfolgreich in sozialen Netzwerken oder mittels anderer elektronischer Kommunikationsformen (z. B. TelekonferenzTools wie Skype, ) zu agieren. Richtlinien zum Medieneinsatz aus der Perspektive des Lernmediums Didaktische Gestaltung von Lernmedien. Die didaktische Gestaltung der Lernmedien kann nur bedingt alle situativen und einzigartigen Ereignisse explizit berücksichtigen (z. B. spontane Konflikte unter Schülern, zeitlichräumliche Einschränkungen wie z. B. durch einen Raumwechsel). Doch sollte die didaktische Planung stets multikriterial (z. B. kognitive und motivationale Voraussetzungen, Vorwissen, Gruppenzusammensetzung, Zusammenarbeitsformen, Lernziele und zu entwickelnde Kompetenzen, zeitliches Setting, sekundäre Kompetenzen, soziale Ziele etc.) erfolgen. Dabei sollte i. d. R. ein breites Spektrum relevanter und planbarer Kriterien im didaktischen Design berücksichtigt werden, um unter anderem die Maßnahmen zur Aktivierung der Lernenden, die Kommunikationsereignisse zwischen Lehrenden und Lernenden oder Lernenden untereinander zu planen. Zur strukturierten didaktischen Planung sollten theoretisch fundierte und empirisch geprüfte didaktische Modelle herangezogen werden. Auch die Gestaltung der Lehrmaterialien sollte im didaktischen Planungsprozess konsistent zu den anderen Unterrichtselementen umgesetzt werden. Dabei ist zu beachten, dass je größer die Zahl der relevanten Kriterien im didaktischen Planungsprozess ist, desto bedeutsamer wird eine klare Hierarchisierung der Planungskriterien untereinander. Zur langfristigen Entwicklung von Lehrmaterialien und Lehr und Lernsettings im Sinne eines Qualitätsmanagements ist zudem die Evaluation der eigenen Lehrmaterialien unerlässlich. Ein besonderer Aspekt der didaktischen Planung ist die an die Voraussetzungen der Lernenden adaptierte Gestaltung von Lehr/Lernsettings. Hier führt die adaptive didaktische Gestaltung in der Regel zu unterschiedlich schwierigen und medialisierten Formen von Lernmaterialien. Während z. B. Lernende mit geringem Vorwissen anhand einfach formulierter Texte mit erklärenden Bil dern erfolgreicher lernen als mit komplexen, bilderlosen Texten (zsf. Horz & Schnotz, 2010), kann bei Lernenden mit hohem Vorwissen ein umgekehrter Effekt auftreten ( Expertise reversal effect, Kalyuga, Ayres, Chandler & Swellwe, 2003; Abschn ). Bei Personen mit hohem Vorwissen kann ein sowohl inhaltlich als auch sprachlich komplexer Text ohne ergänzende, rasch zu verstehende Bilder zu einer höheren Elaboration eines Textes führen als didaktisch möglichst einfach und rasch verständliche Lernmaterialien. Texte. Texte, ob in gesprochener Form im Frontalunterricht oder in gedruckter Form in Büchern oder als Online Texte in hypermedialen Lernumgebungen, stellen das Leitmedium in Lernprozessen dar. Daher sollte der Gestaltung von Lehrtexten in der Unterrichtsvorbereitung sowie der Planung von Lernumgebungen bzw. der Vorbereitung von Unterrichtsvorträgen das Hauptaugenmerk gelten. Um Texte erfolgreich als Lernmedien einsetzen zu können, sollten sie wie alle Lernmedien auch aus didaktischer Perspektive hinsichtlich ihrer Gestaltung (s. o.), aber auch hinsichtlich ihrer Nutzung in Verbindung mit anderen Lernmedien optimiert werden. Hierzu kann man Texte (s. o.) wie auch alle anderen Lernmedien nach makro und mikrodidaktischen Prinzipien gestalten (zur detaillierten Planung s. z. B. Reinmann, 2012) und das Ergebnis nach eigenen Zielkriterien (z. B. Lernerfolg) empirisch überprüfen. Statische Bilder, bewegte Bilder und Multimedia. Durch computerbasierte Lehr und Lernsettings können heute statische und bewegte Bilder (Animationen, Filme) sehr viel rascher erstellt, modifiziert und zu Lehrzwecken eingesetzt werden. Insbesondere instruktionale Bilder helfen komplexe Zusammenhänge darzustellen und individuelle Lernprozesse zu unterstützen ( Abschn ). Jedoch sollte beachtet werden, dass Bilder meist nicht alleine als Lehr und Lernmedien ausreichen, sondern in Verbindung mit gesprochenen oder gehörten Texten präsentiert werden, sodass es sich dann um ein multimediales Lernarrangement handelt. Dabei ist zu beachten, dass die parallele kognitive Verarbeitung mehrerer, aufeinander bezogener Informationsquellen rascher eine kognitive Überlastung der Lernenden bedingt. Dementsprechend sollten die nachfolgenden Regeln zur Reduktion der kognitiven Belastung in multimedialen Lernumgebungen beachtet werden (nach Mayer & Moreno, 2003): OffLoading: Wenn der visuelle Kanal durch die Darbietung schriftlicher textueller und bildhafter Informationen überlastet ist, sollte den Lernenden der Text stattdessen in auditiver Form angeboten werden (vgl. Modalitätseffekt) oder Bilder vereinfacht werden.

156 Kapitel 6 Medien Pretraining und Segmenting: Wenn sowohl der auditive als auch der visuelle Kanal durch intrinsische kognitive Prozesse gleichzeitig überlastet sind, kann diese Überlastung durch ein inhaltliches und/ oder medienbezogenes Vorabtraining der Lernenden reduziert werden ( pretraining ). Solche Trainings sind jedoch meist nur mit einem hohen Aufwand zu realisieren. Alternativ kann die Lernumgebung in kleinere Einheiten unterteilt werden ( segmenting ). Weeding und Signaling: Wenn eine kognitive Überlastung durch extrinsische Belastungen auftritt (z. B. zu viele Zusatzinformationen, Fallbeispiele), kann entweder jedwedes Zusatzmaterial entfernt werden ( weeding ), das nicht unbedingt notwendig zum Verständnis der eigentlichen Lerninhalte ist, oder aber man kann durch Signalisierungstechniken (z. B. farbliche Kodierungen oder Unterstreichungen; signaling ) die zentralen Elemente einer Lernumgebung hervorheben, um so die essenziellen Elemente zu verdeutlichen. Aligning und Eliminating: Tritt eine Überlastung einer der beiden Wahrnehmungskanäle aufgrund einer zu hohen intrinsischen Belastung auf, kann man entweder die Lernumgebung restrukturieren ( aligning ) und in einer einfacheren Strukturierung neu ordnen oder aber man entfernt ( eliminating ) ähnlich wie beim Weeding der Zusatzmaterialien (redundante) Lerninhalte. Synchronizing und Individualizing: Wenn die mentale Integration der multimedialen Informationen zu einer Überlastung der kognitiven Kapazitäten im Arbeitsgedächtnis führt, kann diese Überlastung durch eine verbesserte Synchronisation der einzelnen Medien überwunden werden ( synchronizing ), wenn keine optimale Kontiguität vorliegt. Alternativ kann man versuchen, die Inhalte und Gestaltung der Lernumgebung an das Vorwissen und die visuellen räumlichen Fähigkeiten der Lernenden anzupassen ( individualizing ). Letzteres ist in der Praxis meist ebenfalls mit einem erheblichen Zusatzaufwand für die Autoren multimedialer Lernumgebungen verbunden. Sonstige Lernmedien. Bisher existieren nur wenige Arbeiten, die sich aus medialer Sicht mit dem Einsatz weiterer Lernmedien (z. B. zerlegbare Modelle, Geruchsproben, Materialproben, Werkstoffe) im Unterricht systematisch beschäftigen. Generell können derartige Lehrmedien helfen, Unterrichtsthemen anschaulicher und verständlicher zu präsentieren. Dabei sollte aber beachtet werden, dass allein die möglichst anschauliche Gestaltung eines Themas durch ergänzende Objekte und die damit meist induktiven Denkprozesse (ein Fallbeispiel wird präsentiert und soll auf andere Situationen übertragen werden) nicht allein den Lernerfolg garantiert. Um den Transfer des erworbenen Wissens auf andere Fragestellungen zu unterstützen, sollten neben anschaulichen Lernmedien auch Lernmedien eingesetzt werden, die das Abstraktionsvermögen und deduktive Denkprozesse (Anwendung eines Gesetzes auf diverse Einzelfälle) unterstützen. Richtlinien zum Medieneinsatz aus der Perspektive des einzusetzenden technischen Geräts Digitale Präsentationsmedien. Die Präsentationsrichtlinien für die Gestaltung von digitalen Folien (z. B. mittels Powerpoint) stimmen weitgehend mit denen von Overheadfolien (s. u.) überein. Jedoch sollten vor einer Präsentation unbedingt die lokalen technischen Gegebenheiten gründlich getestet werden, da der Einsatz digitaler Folien im Vergleich zu Overheadfolien technisch deutlich komplexere Anforderungen stellt, aufgrund des notwendigen Einsatzes eines Computers und eines Beamers (sowie ggf. zusätzlich von Fernbedienungen). Der wesentliche Vorteil an computerbasierten Präsentationen ist, dass man mittels Computer und Beamer verschiedene Medien (AudioDateien, Filme, Bilder etc.) innerhalb einer Lernumgebung einbinden kann, für die man ansonsten verschiedene Wiedergabegeräte benötigen würde. Zudem können digitale Präsentationen original und kostengünstig an die Lernenden via Lernplattformen verteilt werden, wohingegen Overheadfolien allenfalls als Papierausdrucke an Lernende weitergegeben werden können. Insbesondere ist bei digitalen Präsentationen zu beachten, dass die Zahl der eingesetzten Folien nicht zu groß wird, damit sich kein Daumenkino Eindruck bei den Zuhörern einstellt. Um die Zahl der digitalen Folien zu begrenzen, kann man auch andere Präsentationsmedien einsetzen. Beispielsweise kann eine Tafel oder ein Overheadprojektor parallel zur digitalen Präsentation genutzt werden, um Informationen wie Gliederungen und Übersichten darzustellen, die während der gesamten Präsentationsdauer von Nutzen sein können. Besonders zu erwähnen, sind die zunehmend in Bildungsinstitutionen verbreiteten elektronischer Whiteboards als Lehrmedien. Es handelt sich dabei um berührungssensitive Bildschirme in der Größe einer Tafel, die analog zu konventionellen Tafeln genutzt werden können, aber auch die integrative Nutzung computerbasierter Materialien (digitale Folien, Filme, InternetApplikationen etc.) ermöglichen. Um eine professionelle Nutzung dieses komplexen und multipotenten Lehrmediums zu erzielen, sind eine ausführliche Einweisung, stete Nutzung und Bereitstellung kontinuierlicher Fortbildungsmaßnahmen für Lehrkräfte unerlässlich (Hilbert, Fabriz, Imhof & Hargesheimer, 2012). Anderenfalls werden diese Geräte hinsichtlich ihrer potenziellen Funktionalitäten nur in kleinen Teilen analog zu konventionellen Tafeln und Beamern genutzt.

157 6.3 Medien in Bildungskontexten Lernplattformen. In den vergangenen Jahren haben Lernplattformen ( Abschn ) in allen Bereichen institutionalisierter und informeller Lehr und Lernsettings große Verbreitung gefunden. Der wichtigste Vorteil von Lernplattformen ist die internetbasierte Bereitstellung von Funktionen, die es ermöglichen, orts und zeitunabhängig (zusätzliche) Lehrmaterialien anzubieten, Kommunikationsprozesse in Lerngruppen oder zwischen Lehrenden und Lernenden herzustellen sowie eigenständige Lernprozesse durch Denkwerkzeuge (Mindmaps, Wikis etc.) zu unterstützen. Die große Vielfalt der technischen Möglichkeiten in Lernplattformen führt aber dazu, dass sich viele Lehrpersonen bei der Nutzung von Lernplattformen überfordert fühlen. Daher sollten Lernplattformen so gestaltet sein, dass sie hinsichtlich der Komplexität der Bedienung den Kompetenzen der Lehrenden und Lernenden anpassen. Verfügt eine Lernplattform zudem über ein möglichst intuitives Design, erleichtert dies ebenfalls die Nutzung auch durch wenig computerkompetente Personen erheblich. Um Lernplattformen adaptiv an die Nutzervorkenntnisse und möglichst intuitiv zu gestalten, sind Templates (vorgefertigte Masken, die nur eine Auswahl von Funktionen bereitstellen) erforderlich, die durch versierte Administratoren von Lernplattformen bereitgestellt werden sollten. Da Lehren und Lernen meist zyklische Prozesse sind, kann man in zukünftigen Lehr und Lernzyklen die Komplexität der Funktionen einer Lernplattform in der Regel sukzessive erhöhen. Je länger und intensiver eine Lernplattform genutzt wird, desto höher kann in der Regel deren Komplexität sein, da die Nutzer durch einen längerfristigen Gebrauch mit immer mehr Funktionen vertraut werden. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass Ausbildungsinstitutionen (Schulen, Hochschulen) sich möglichst auf eine Lernplattform beschränken und nicht mehrere Lernplattformen parallel nutzen. Wenn in einer Ausbildungsinstitution mehrere Lernplattformen genutzt werden, wird der Prozess der Kompetenzsteigerung im Umgang mit einer Lernplattform erheblich verlangsamt, wenn nicht gar verhindert. Overheadprojektor. Overheadprojektoren erlauben im Unterschied zu Tafelanschrieben, dass die Lehrkraft den Zuhörern während der Medienpräsentation und bearbeitung zugewandt bleiben und vorbereitete Visualisierungen präsentieren kann. Für den Einsatz von Overheadprojektoren ist es wichtig, vor dem Unterricht die Projektionsgegebenheiten zu überprüfen (Sonneneinfall, Projektionsfläche, Positionierung der Lehrkraft, Einstellen der Schärfe etc.). Sowohl für Tafelanschriebe als auch Darstellungen mittels Overheadprojektoren gilt, dass eine Mindestschriftgröße verwandt werden sollte, die auch von den hinteren Zuhörerplätzen von normalsichtigen Zuhörern leicht gelesen werden kann. Diese Mindestschriftgröße kann aufgrund der Projektionsgegebenheiten stark variieren, weswegen auch dieser Aspekt vor dem Unterricht erprobt werden sollte. Tafel und Flipchart. Tafel und Flipchart (DINA1Papierblöcke, die an einem Ständer befestigt sind) erlauben die Darstellung spontan angefertigter handschriftlicher Annotationen oder aber die Darstellung vorbereiteter Elemente, die an der Tafel oder dem Flipchart befestigt werden. Tafeln und Flipcharts sind vergleichsweise einfach zu handhaben und technisch wenig aufwendig. Flipcharts besitzen ein höheres grafisches Potenzial als Tafeln, da z. B. Farben intensiver und Formen detaillierter dargestellt werden können. Zudem können Inhalte in umfangreichem Maße auf Flipcharts vorbereitet und auch wiederverwendet werden, wohingegen Tafelanschriebe in der Regel für jede Unterrichtseinheit neu erstellt werden müssen. Video und Dia. Mittels Videos (BlueRayDisc, DVD, CD, Kassettenabspielgeräten mit Fernseher und/oder Projektoren) und Dias (Geräten zur statischen Bildprojektion) lassen sich alle Arten von statischen und dynamischen Bildern in qualitativ hochwertiger Form präsentieren. Meist ist die Bildqualität der Medien, die mittels Video und Diaprojektoren wiedergegeben werden, etwas höher als von vergleichbaren computerbasierten Wiedergabetechniken. Jedoch sollte man sich auch beim Einsatz dieser Geräte vorab sowohl mit den Projektions als auch den Wiedergabegeräten vertraut gemacht haben. Anzumerken bleibt, dass Videos sich insbesondere eignen, Lernende mit einem Thema erstmalig vertraut zu machen und Interesse zu wecken. 6.3 Medien in Bildungskontexten Seit den 1990er Jahren hat eine rasche Verbreitung Neuer Medien gemeint sind Medien, die auf Computer und Netzwerktechniken basieren in allen Bildungsbereichen stattgefunden. Grund dafür ist, dass in dieser Zeit die Mehrheit der Bildungsinstitutionen (Schule, Universität, Fortbildungsinstitutionen) flächendeckend Zugang zu technischen Innovationen wie ausreichend leistungsstarken Computer und Internet erhielten. Jedoch fällt die technische Qualität der Ausstattung wie auch die Intensität der Nutzung von computerbasierten Medien in den jeweiligen Bildungsinstitutionen sehr unterschiedlich aus. Daher haben computerbasierte Medien in den verschiedenen Bildungskontexten derzeit einen sehr unterschiedlichen Stellenwert für die Lehre und das Lernen.

158 138 Kapitel 6 Medien Formen des Lehrens und Lernens mit Medien Medien werden in nahezu allen heutigen Lehr und Lernsettings eingesetzt. Berücksichtigt man die Veränderungen der Lehr und Lernsettings durch Neue Medien, so lassen sich heute die folgenden drei grundlegenden Kategorien des medienbasierten Lehrens und Lernens unterscheiden: 1. Analoge Formen. Hierunter werden alle Formen der Präsenzlehre als auch des medienbasierten Lehrens und Lernens aufgefasst, bei denen keine Computer oder elektronischen Netzwerke genutzt werden. So ist z. B. der Frontalunterricht per Präsenzvortrag mit Overheadfolien, die Gruppenarbeit mit Peers und Arbeitsplättern ebenso wie das Lesen eines Lehrbuchs dieser Kategorie zuzuordnen. 2. Digitale Formen. Insgesamt haben sich vier Arten digitalen Lehrens und Lernens entwickelt, die meist in Form thematisch abgrenzbarer Einheiten (Module) realisiert werden. Gängigerweise lassen sich folgende Varianten unterscheiden: a) Als originär digitale (Lehr/Lern)Module werden Lernumgebungen bezeichnet, die meist mittels EditorenTools direkt digital erstellt wurden. Aus didaktischer Sicht umfassen diese Module zahlreiche, meist an konstruktivistischen Ansätzen des problembasierten Lernens ( Abschn ) orientierte, interaktive, multi und hypermediale Lernumgebungen in Form von Trainings, Simulationen, fallbasierten Beispielen, Mikrowelten etc. Beispiele für derartige Module sind internetbasierte Lernprogramme, Flugsimulatoren, Lernspiele usw. Zahlreiche Beispiele findet man unter b) Als digitalisierte Präsenzlehre werden (Lehr/Lern) Module bezeichnet, die aus der digitalen Aufzeichnung von Präsenzlehrveranstaltung entstehen oder bei denen Lehrveranstaltungen wie Seminare, Vorträge und Vorlesungen mittels Computern und elektronischer Netze (z. B. Internet) an verschiedene Orte übertragen werden (Teleteaching). Vorlesungsaufzeichnungen kann man an zahlreichen Hochschulen erhalten wie z. B. unter c) Als LernmanagementSystem (oft auch als Lernplattform oder ContentManagementSystem bezeichnet) fungiert eine Software, die dazu genutzt wird, Lerninhalte über ein institutionsinternes Intranet oder das Internet für die Lernenden bereitzustellen. Weiterhin unterstützen LernmanagementSysteme das Lernen mit den bereitgestellten Inhalten. Meist werden auch Werkzeuge (Tools) für das kooperative Arbeiten (Chat Tools, Agentensysteme, Foren etc.) und eine Nutzer verwaltung in LernmanagementSystemen bereitgestellt. Häufig können auch (teil)virtuelle Kurse durch Lernplattformen administriert werden. Verschiedene Lernplattformen unterstützen die Möglichkeit elektronische Prüfungen durchzuführen und erleichtern mittels integrierter Editoren die Erstellung von digitalen Lernmaterialien, ohne Programmierkenntnisse zu benötigen. Einen ersten Eindruck über ein Open Source Lernmanagementsystem (kostenfreie Nutzung möglich) kann man unter erhalten. d) In computer und netzwerkunterstützten Kooperationen und Kollaborationen können Lehrende mit Lernenden digital vermittelt (z. B. Teletutoring, E Coaching), Lernende untereinander in offener Form (ComputerSupported Collaboration) oder anhand von Kooperationsskripten (ComputerSupported Cooperation) zusammenarbeiten. Es existieren zahlreiche Tools, die entweder rein textbasiert, mit Audio und teilweise Bildsignal und/oder virtuellen Agenten eine Zusammenarbeit ermöglichen. Eine Übersicht von Tools zur internetbasierten Kooperation und Kollaboration findet man unter tools2.htm. 3. Blended Learning. Der Begriff Blended Learning ( vermischtes Lernen ) bezeichnet Lehr und Lernformen, in denen verschiedene analoge und digitale Medien und Methoden eingesetzt werden, um Synergieeffekte hinsichtlich der Vorteile der verschiedenen Lehr und Lernformen zu verstärken und die Nachteile einzelner Lehr und Lernformen zu reduzieren. In einer sehr breit gefassten Definition umfasst der Begriff Blended Learning alle Mischformen unterschiedlicher Lehr und Lernmethoden. Heute ist der Begriff Blended Learning jedoch gebräuchlich, um Mischformen analogen und digitalen Lehrens und Lernens zu bezeichnen Neue Medien in der Schule Gerade durch die Verbreitung von Computern in allen Lebensbereichen hat eine Medialisierung des Alltags, aber auch des Lehrens und Lernens in Ausbildungsinstitutionen wie der Schule stattgefunden. Medien sind daher in der Schule aus zweifacher Sicht von Bedeutung. Zum einen erweitern sie das Spektrum der Lehr und Lernmethoden in erheblicher Weise, zum anderen müssen Schülerinnen und Schüler in der Schule einen Grad an Medienkompetenz erwerben, der sie zu einem adäquaten Umgang mit Medien in unserer Gesellschaft befähigt. Dass die Schule der Aufgabe zur Vermittlung der Medienkompetenz insbesondere im Bereich computer und internetgestützter

159 6.3 Medien in Bildungskontexten Medien gerade in Deutschland nur bedingt nachkommt, zeigen internationale Bildungsstudien, in denen deutlich wird, dass hierzulande der Einsatz von Computern als Lehr und Lernmedien in der Schule im internationalen Vergleich stark unterdurchschnittlich ist. So nutzen nur 31 % der deutschen Schüler Computer in der Schule im Vergleich zum OECDDurchschnitt von 56 % aller Schüler (PISAKonsortium Deutschland, 2007). Insbesondere in Grund und Hauptschulen ist die Ausstattung mit Computern defizitär, da hier nur ein Viertel bis ein Drittel aller Schulen mit aktuellen und funktionsfähigen Computern ausgestattet ist, was zumindest in der Hälfte aller Gymnasien der Fall ist. Zudem nutzen weniger als die Hälfte aller Hauptschüler überhaupt Computer im Unterricht (Gymnasium 65 %) bzw. es erhalten nur 37 % aller Hauptschüler EDVUnterricht im Gegensatz zu 49 % aller Schüler an Gymnasien (CHIP, 2008). Definition Die Medienkompetenz setzt sich nach Baacke (1997) aus vier Dimensionen zusammen: Medienkunde, Medienkritik, Mediennutzung und Mediengestaltung. Als Medienkunde wird das Wissen über Medien bezeichnet sowie die Kompetenz, Geräte zum Einsatz von Medien auch zu nutzen (z. B. Computer bedienen zu können). Die Fähigkeit zur Medienkritik soll eine Person in die Lage versetzen, eine angemessene (gesellschaftliche) Bewertung von Medien und mit Medien verbundenen Prozessen durchzuführen sowie sein Wissen über Medien auf die eigene Mediennutzung anzuwenden. Als Mediennutzung bezeichnet man die Fähigkeit zum interaktiven Umgang mit Medien und zur Rezeption von Medien. Schließlich wird die Erstellung medienbasierter Inhalte durch die Fähigkeiten der Mediengestaltung einer Person bestimmt. Noch bevor computerbasierte Medien in Schulen als reguläres Lernmedium Einzug gehalten haben, wurden bereits erste Stimmen laut, die den Nutzen des Computers als Lehr und Lernmedium grundsätzlich in Zweifel ziehen. Dabei ist zu bedenken, dass nahezu jede mediale Innovation im Bildungsbereich zunächst skeptisch betrachtet wurde, wie der Exkurs Antiker Medienpessimismus zeigt. Neben der defizitären technischen Ausstattung dürften unzureichende Kenntnisse im Umgang mit computerbasierten Medien der Lehrenden ein Grund für die vergleichsweise geringe Nutzung von Computern an Schulen sein (Bofinger, 2007). Daher verwundert es nicht, dass Lehrende computerbasierte Medien nur in geringem Maße angemessen in den Unterricht einbinden, wie Bofinger (2007) in einer bayrischen Studie unter Beteili Exkurs Antiker Medienpessimismus Diese Erfindung [die Schrift und damit das Lesen] wird nämlich den Seelen der Lernenden vielmehr Vergessenheit einflößen, weil sie das Gedächtnis vernachlässigen werden; denn im Vertrauen auf die Schrift werden sie sich nur äußerlich vermittels fremder Zeichen, nicht aber innerlich aus sich selbst erinnern. Nicht also für das Gedächtnis, sondern nur für die Erinnerung hast du ein Mittel erfunden, und von der Weisheit bringst du deinen Lehrlingen nur den Schein bei, nicht aber sie selbst. Zitat aus: Phaidros, Platon, v. Chr. (Stephanus, 2008) gung von rund Lehrenden nachweist. Im Jahr 2006 gaben nur 21 % der Lehrenden (2002: 17 %) in Schulen an, digitale Medien im Fachunterricht oft oder sehr oft zu nutzen. Betrachtet man die Ursachen für den geringen Einsatz computerbasierter Medien in Schulen, so ist festzustellen, dass Lehrende einen zu geringen Mehrwert computerbasierter Medien im Unterricht beklagen und angeben, dass andere Methoden zur Inhaltsvermittlung geeigneter seien als Neue Medien. Weiterhin geben Lehrende als Gründe für die geringe Mediennutzung an, dass sie allgemein eine zu hohe Arbeitsbelastung hätten, um Unterricht vorzubereiten, in dem computerbasierte Medien integriert sind. Um den Medieneinsatz im Unterricht zu verbessern, wünschen zwei Drittel aller Lehrenden kleinere Klassen. Diesem Anliegen folgen Wünsche nach Fortbildung im Umgang mit Software und Technik sowie nach Bereitstellung von BestPractice Beispielen, um den Unterrichtseinsatz von Medien zu verbessern und zu steigern. Fragt man nach der Einbindung von medienpädagogischen Zielen in den Unterricht, so geben nur 8 % der Lehrkräfte an, diese häufiger im Fachunterricht zu berücksichtigen. Zusammenfassend kann man daher folgern, dass der defizitäre Medieneinsatz in Deutschland sowohl auf die technischen Rahmenbedingungen als auch auf die mangelhafte Vorbereitung der Lehrenden auf den Einsatz computerbasierter Medien in den Unterricht zurückgeführt werden kann. Schüler scheinen dagegen trotz bestehender Geschlechtsunterschiede über ausreichende Expertise in der Nutzung von Computern insgesamt zu verfügen ( Abschn ) Neue Medien in der Hochschule Der Einsatz Neuer Medien hat zum einen die Lehre und das Lernen in konventionellen Hochschulen wie Universitäten und Fachhochschulen nachhaltig beeinflusst, aber auch einen neuen Hochschultypus hervorgebracht, die virtuelle Hochschule.

160 140 Kapitel 6 Medien Konventionelle Hochschulen Gerade im Hochschulbereich waren die Innovationen des digitalen Lehrens und Lernens zunächst durch die Entwicklung neuer technischer Applikationen geleitet, da diese häufig an Hochschulen entwickelt wurden. Typischerweise wurden erst nach der Entwicklung einer Applikation die spezifischen didaktischen Einsatzmöglichkeiten der jeweiligen Technik erforscht und auf ihre Effektivität hin untersucht (z. B. Horz, Fries & Hofer, 2003). Das heißt, meist wurde eine Technik entwickelt, von deren Einsatzmöglichkeiten man nur sehr vage Vorstellungen hatte. Daher wurden neu entwickelte Techniken unsachgemäß in der Lehre eingesetzt, insbesondere wenn man nicht ausreichend die didaktische Funktion einer Technik berücksichtigte. Trotz dieser zunächst eher problematischen try outs in der Hochschullehre haben Neue Medien hier den höchsten Verbreitungsgrad verglichen mit Schulen oder anderen institutionalisierten Ausbildungsgängen in der Erwachsenenbildung. Es lassen sich im Unterschied zur Schule zahlreiche Formen digitalisierter Lehre und BlendedLearning Szenarien ( Abschn ) an den meisten Hochschulen finden. Grund dafür sind die häufig genannten Vorteile Neuer Medien in der Hochschullehre. Vorteile Neuer Medien Selbstbestimmtes Lernen bezüglich des Lerntempos Selbstbestimmtes Lernen bezüglich des Lernwegs Zeitunabhängiges Lehren und Lernen Ortsunabhängiges Lehren und Lernen Neben diesen Vorteilen werden aber im Unterschied zu analogen Lehr und Lernformen häufig auch Probleme genannt, die die Vorteile eines sinnvollen Medieneinsatzes unterminieren können. Probleme Neuer Medien Zunehmende soziale Isolierung der Lernenden und zunehmende Anonymität zwischen Lehrenden und Lernenden Kognitive Überlastung der Lernenden aufgrund eines komplexen Instruktionsdesign Kognitive Überlastung der Lernenden aufgrund hoher Selbstregulationsanforderungen ( Kap. 3; Abschn. 17.4). Aus instruktionaler Sicht liegt eine weitere Stärke der Neuen Medien in den flexiblen medialen Gestaltungsmöglichkeiten multimedialer Lernumgebungen. Diese Multimedialisierung des Lehrens und Lernens anhand von digitalen Modulen bedarf jedoch der Berücksichtigung spezifischer Instruktionsdesigns ( Abschn ). Es reicht nicht aus, dass Neue Medien in der Hochschule didaktisch sinnvoll gestaltet werden, damit Lehren und Lernen verbessert wird. Zusätzlich zur didaktischen Optimierung müssen auch die organisationalen Rahmenbedingungen adäquat gestaltet sein. Die organisatorischen Rahmenbedingungen müssen in Verbindung mit anderen digitalen Modulen oder weiteren analogen Lehr und Lernformen einen effizienten und lernwirksamen Aufbau des Lehrens und Lernens in umfassenderen, teilweise langfristigen Ausbildungssettings wie der Hochschule erlauben. Die mangelhafte organisationale Einbindung zeigt sich z. B. in der bis heute problematischen Anerkennung von Lernleistungen, die anhand von digitalen Modulen erbracht wurden oder in der unsicheren inhaltlichen und technischen Pflege erstellter Module, die dadurch sehr rasch als veraltet wahrgenommen werden. Dies führte dazu, dass die Mehrzahl der digitalen Module kaum in nachhaltiger Weise genutzt wird. Um die Effizienz von digitalen LehrLernAngeboten mittels neuer Medien an der Hochschule zu steigern und so den didaktischen Nutzen als auch den ökonomischen Mehrwert zu erhöhen, kann man Nutzungszyklen kreieren, welche die konventionelle Lehre an Universitäten mit Neuen Medien verbinden. Ein Beispiel hierfür ist der Nutzungszyklus digitalisierter Präsenzlehre. Man kann eine TeleteachingVeranstaltung (eine Präsenzlehrveranstaltung, die interaktiv via Internet an mehrere Orte übertragen wird) oder konventionelle Veranstaltungen digital aufzeichnen. Insbesondere im Falle einer TeleteachingVeranstaltung ist das Aufzeichnen sinnvoll, da man ohnehin digitale Datenströme zur Übertragung erzeugt. Die digitale Veranstaltungsaufzeichnung (VAZ) kann von den Studierenden als eine Art didaktisch optimiertes, digitales Veranstaltungsskript genutzt werden. Später kann die Veranstaltungsaufzeichnung für weitere BlendedLearningVeranstaltungen eingesetzt werden (z. B. aufgezeichnete Vorlesung mit begleitendem Präsenztutorium). Wenn eine Veranstaltung erneut im Präsenzmodus dargeboten wird, kann man die Veranstaltungsaufzeichnung gezielt editieren, indem man mangelhafte Stellen in der Präsenzveranstaltung überarbeitet, nochmals aufzeichnet und dann die aufgezeichneten Passagen in die bestehende VAZ einfügt. Auf diese Weise entsteht ein Nutzungszyklus (. Abb. 6.8) mit hoher Nachhaltigkeit. Aktuell werden sogenannte Massive Open Online Courses (MOOC) als innovative Lehrform etabliert, in denen konventionelle Universitäten mehrheitlich kostenfreie Onlinekurse anbieten. Diese Onlinekurse sind häufig mit dem Präsenzangebot der Lehrenden verknüpft. In MOOC werden sowohl Vorlesungsaufzeichnungen als auch Präsenzübertragungen sowie diverse Mischformen (OnlinePräsenzübertragung von Vorlesungen, Vorle

161 6.3 Medien in Bildungskontexten Abb. 6.8 Nutzungszyklus digitalisierter Präsenzlehre. (Modifiziert nach Horz et al., 2003, Bildrechte: British Telecom) sungsaufzeichnungen, OnlineTutorien etc.) eingesetzt. Möglicherweise werden MOOC die bisher weniger erfolgreichen virtuellen Hochschulen verdrängen. Als virtuelle Hochschule bezeichnet man eigenständige Organisationen, die heute ähnlich wie Fernuniversitäten ein Studieren ohne Präsenzlehre meist auf Basis von Lernmanagementsystemen und dazugehörigen digitalen Lehr/Lernmodulen sowie KommunikationsTools ermöglichen. Betrachtet man das Angebot virtueller Universitäten aus inhaltlicher Sicht, so stellt man fest, dass im Vergleich zu konventionellen Hochschulen ein eher kleines Angebot an Studienmöglichkeiten besteht. MOOC haben daher das Potenzial, die Brücke zwischen der konventionellen Hochschullehre und den Vorteilen virtuellen Studierens zu schlagen Neue Medien in der beruflichen Fortbildung Während in Schulen das Lehren und Lernen mit Neuen Medien immer noch mit zahlreichen Schwierigkeiten be haftet ist, kann der Einsatz neuer Medien in der betrieblichen Weiterbildung ähnlich wie in den Hochschulen positiv bewertet werden, wenn man dessen wachsende Verbreitung der Beurteilung zu Grunde legt. Dabei ist aber zu beachten, dass die Situation an Berufsschulen eher der Situation an regulären Schulen entspricht. Sicherlich sind die Potenziale des Lehrens und Lernens mit computerbasierten Medien in der betrieblichen Weiterbildung bei Weitem noch nicht ausgeschöpft, da z. B. computerbasierte Medien in der betrieblichen Fortbildung von den Fortzubildenden vielfach skeptisch betrachtet werden. So wird gerade die Möglichkeit, sich mit Kollegen während Fortbildungen persönlich auszutauschen, als Vorteil konventioneller Fortbildungsangebote betrachtet ebenso wie die Möglichkeit, sich in Distanz zum Arbeitsplatz weiterzubilden. Gerade die Reduktion der Abwesenheitszeiten am Arbeitsplatz wird jedoch seitens der Unternehmen als ein Vorteil von Fortbildungsangeboten mit computerbasierten Medien (z. B. durch Selbstlernprogramme oder betriebseigene Lernmanagementsysteme) genannt. Ebenso begrüßen viele Arbeitgeber die zeitliche

162 142 Kapitel 6 Medien 1.. Abb. 6.9 Dauer der Mediennutzung in Deutschland (2005) Flexibilisierung der Fortbildung mittels computerbasierter Medien, da die betriebliche Fortbildung mittels digitaler Lernmodule in Phasen geringeren Arbeitsaufkommens durchgeführt werden kann. 6.4 Medien in außerinstitutionellen Kontexten Medien sind aus pädagogischpsychologischer Sicht nicht nur als Träger von Informationen in institutionalisierten Lernprozessen relevant. So haben Medien in unserer Gesellschaft auch zentrale Bedeutung, um sich über nahezu alle Lebensbereiche mittels Fernsehnachrichten, Wikipedia, Ratgeber, Fachzeitschriften usw. zu informieren. Zudem spielen Medien eine zentrale Rolle im Freizeitverhalten, ermöglichen Lernprozesse in nicht institutionalisierten Lernsettings und helfen Medienkompetenz zu entwickeln und diese Kompetenz in positiver Weise zu erleben. Dementsprechend bemühen sich z. B. Museen in besonderer Weise darum, Bildungsinhalte gerade auch in der Freizeit von Menschen zu vermitteln. Derartige Formen informellen Lernens betonen hierbei positive Zusammenhänge zwischen einer angemessenen kontextuellen Einbettung der Lerninhalte, einer höheren intrinsischen, weil selbstbestimmteren Bildungsmotivation im Vergleich zu institutionalisierten Bildungskontexten mit dem Ziel einer vertieften mentalen Verankerung des Wissens. So werden Lernformen durch die Medialisierung aller Lebensbereiche (und nicht nur der schulischen und beruflichen) zunehmend bedeutsam, in denen das Freizeitverhalten mit Lernkontexten verbunden wird. Sie werden vor allem durch digitale Medien gefördert, weil auf diese Weise Informationen durch die Lernenden selbstgesteuert in großer Zahl orts und zeitunabhängig genutzt werden können und auch in didaktisch vielfacher und häufig auch ästhetisch ansprechender Weise vermittelt werden (Krüger & Vogt, 2007). Um an diesen medialen Angeboten angemessen partizipieren zu können, ist, wie bereits zuvor dargestellt, auch die Vermittlung von Medienkompetenz eine originär pädagogische Aufgabe Abschn Ein kompetenter Umgang mit Medien ist umso wichtiger, wenn man bedenkt, dass Erwachsene in Deutschland zurzeit täglich mehr als 8 Stunden Medien konsumieren (. Abb. 6.9). Dabei werden Medien hauptsächlich zur Unterhaltung und zur Information genutzt. Die weit verbreitete Annahme, dass vor allem Kinder und Jugendliche Medien in ausufernder Weise konsumieren, ist falsch. Kinder verbringen deutlich weniger Zeit mit dem Fernsehen als Erwachsene (ein Drittel bis zur Hälfte;. Abb. 6.12). Vielmehr geben Kinder zwischen 6 und 13 Jahren als eine ihrer liebsten Freizeitaktivitäten an, dass sie draußen spielen oder Freunde treffen. Fernsehen wird erst an dritter Stelle von rund 30 % der Kinder genannt (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest, 2005) Musik und Radio Unterhaltungsmedien werden in sehr unterschiedlichen Kontexten genutzt. Betrachtet man die Mediennutzung im Tagesverlauf (. Abb. 6.10), so zeigt sich, dass Radio hauptsächlich tagsüber gehört wird, das Fernsehen nachmittags und im stark zunehmenden Maße am Abend genutzt wird. Am Morgen wird mehr gelesen als zu anderen Zeiten des Tages. Tonträger werden hingegen eher am Abend genutzt. Anhand dieser unterschiedlichen Nutzungszeiten verdeutlicht sich, dass Medien situationsspezifisch genutzt werden.

163 6.4 Medien in außerinstitutionellen Kontexten Abb Mediennutzung im Tagesverlauf in Deutschland (2005) Musik und Radio Die Gründe, warum Menschen Musik hören, sind sehr vielfältig. Neben der Verfügbarkeit von Musik, die sich durch Internetangebote potenziell enorm gesteigert hat, spielen Gewohnheiten, situative Komponenten (allein, mit Freunden etc.) sowie die aktuelle Gestimmtheit eine ausschlaggebende Rolle. Die Auswahl der Musikrichtung hängt neben den langfristigen Gewohnheiten von situativen Musikpräferenzen ab. Grundsätzlich wird als das zentrale Motiv der Radiound Musikrezeption die Regulation der eigenen Stimmung gesehen (MoodManagementTheorie). Dabei kann man einerseits die Musikauswahl durch das Isoprinzip und andererseits durch das Kompensationsprinzip erklären (Schramm, 2004). Das Isoprinzip postuliert, dass Menschen stimmungskongruente Musik hören wollen. Jedoch scheint dies im Falle einer eher traurigen Stimmung nur auf einen Teil der Menschen zuzutreffen. Das Kompensationsprinzip hingegen besagt, dass es Situationen gibt, wie das Musikhören während einer uninteressanten Tätigkeit (z. B. Arbeiten im Haushalt), in denen Menschen Musik bevorzugen, die hilft, Monotonie zu vermeiden. An dieser Stelle soll aber nicht unerwähnt bleiben, dass der Einsatz von Musik während des Lernens zwar kompensatorisch motiviert sein mag, bisherige Forschungsergebnisse zeigen jedoch eher eine den Lernerfolg hemmende Wirkung von Hintergrundmusik während des Lernens (Mayer & Moreno, 2003; Brünken, Plass & Leutner, 2004). Hingegen ist die Wirkung von Hintergrundmusik in anderen Kontexten (z. B. bei der Arbeit, in Geschäften etc.) nicht nachweisbar oder allenfalls als gering anzusehen (Behne, 1999). Die Rezeption von Musik und Informationen sind auch die zentralen Gründe für den Radiokonsum. Hier zeigt sich aber, dass Radiokonsum eine eher für Berufstätige typische Beschäftigung ist, der sie während der Arbeit oder auf den Wegen von und zur Arbeit nachgehen. Dies führt dazu, dass Radio vor allem tagsüber von den Menschen zwischen 20 und 70 Jahren gehört wird, während ältere Menschen, aber insbesondere Kinder und Jugendliche einen deutlich geringeren Radiokonsum aufweisen (. Abb. 6.11) Fernsehen Betrachtet man die Dauer des täglichen Fernsehkonsums, so zeigt sich, dass es vor allem ältere Menschen und Personen mit einem niedrigen Bildungsabschluss sind, die über einen besonders hohen Fernsehkonsum berichten (. Abb. 6.12; Exkurs Auswirkungen intensiven Fernsehkonsums und gewalthaltiger Medieninhalte ). Eine bekannte Erklärung für den Konsum von Fernsehen und anderen Medien ist der UsesandGratifications Ansatz (Vogel, Suckfüll & Gleich, 2007). In diesem Ansatz wird angenommen, dass Menschen die Art und Weise des Medienkonsums aufgrund des erwarteten Nutzens und der (angenommenen) Bedürfnisbefriedigung wählen. Es wird

164 144 Kapitel 6 Medien 1.. Abb Dauer des Radiokonsums nach Altersgruppen in Deutschland (2007) Abb Sehdauer in Deutschland nach Alter, Geschlecht und Bildungsstand (2007) Unter allen Unterhaltungsmedien haben computer und internetbasierte Medien in den letzten 10 Jahren ihre Reichweite in etwa verzehnfacht (. Abb. 6.13). So sind inzwischen etwa zwei Drittel der Bevölkerung Deutschlands der Gruppe der Onlinenutzer zuzurechen. Dabei werden computer und internetbasierte Medien von einem Großteil der erwachsenen Nutzer sowohl zu arbeitsbezogeaber verschiedentlich kritisiert, dass sich Menschen nicht immer dem erwarteten Nutzen bewusst seien und die Wahl des Medienkonsums eher selten durch aktive volitionale Entscheidungsprozesse geleitet sei. Im Unterschied zum UsesandGratificationsAnsatz besagt die Theorie der selektiven Zuwendung (Vogel et al., 2007), dass Menschen die Medien wählen, die ihrem eigenen Standpunkt inhaltlich nahestehen. Hierbei spielen vor allem politische, moralische und weitere normative Einstellungen eine gewichtige Rolle. Dabei verstärkt die selektive Medienauswahl und wahrnehmung langfristig die eigenen Standpunkte und führt zu einer Gewohnheitsbildung, indem Menschen mit der Zeit eine Kanaltreue entwickeln. Zudem zielt die Gestaltung des Fernsehprogramms darauf ab, diese Kanaltreue zu unterstützen, indem Zuschauer über verschiedene Sendungen hinweg (z. B. durch Moderationstechniken wie die Vorschau auf kommende Sendungen während einer Sendung) gebunden werden (Vererbungseffekt; Schramm & Hasebrink, 2004). Insgesamt betrachtet geht dieser Ansatz somit davon aus, dass die Wahl des Medieninhalts primär nicht volitional gesteuert ist. Auch die MoodManagementTheorie (Zillmann, 1988) postuliert eine wenig volitional gesteuerte Wahl der Medieninhalte. Sie nimmt an, dass Menschen danach streben, ihre Stimmungslage zu optimieren, indem positive Stimmungen beibehalten, negative Stimmungen reduziert oder ganz vermieden werden Computer und Internet

165 6.4 Medien in außerinstitutionellen Kontexten Exkurs Auswirkungen intensiven Fernsehkonsums und gewalthaltiger Medieninhalte Über die Auswirkungen des Fernsehkonsums gibt es eine lang anhaltende Kontroverse ( Abschn , Exkurs). Während für Erwachsene bisher kaum Befunde zu den Folgen des Fernsehkonsums vorliegen, wird in verschiedenen Arbeiten vermutet, dass die soziale und emotionale Entwicklung sowie die Sprach und Lesefertigkeiten von Kindern durch einen hohen Fernsehkonsum beeinträchtigt werden. Allerdings wirkt sich der Fernsehkonsum je nach Alter, Geschlecht, Intelligenz und sozialem Hintergrund der Kinder unterschiedlich aus (Ennemoser, Schiffer, Reinsch & Schneider, 2003). Nachgewiesen ist, dass Kinder mit hohem Fernsehkonsum eine schwächere Sprach und Leseleistungen aufweisen, wobei zu fragen ist, inwiefern diese Kinder aufgrund ihrer Lese und Sprachdefizite das leichtere Medium Fernsehen als Freizeitbeschäftigung bevorzugen (Ennemoser & Schneider, 2007; Ennemoser et al., 2003). Betrachtet man die Auswirkungen des Konsums gewalthaltiger Inhalte in Filmen und Spielen durch Fernsehen, Computer, Spielekonsolen und das Internet, zeigt sich, dass nach der Betrachtung gewalttätiger Inhalte die Rezipienten solcher Inhalte kurzzeitig ein höheres Erregungspotenzial aufweisen, welches sich aber rasch wieder auf das normale Niveau vor dem Medienkonsum einstellt. Zudem werden gewalthaltige Inhalte nicht von allen Rezipienten in gleicher Weise interpretiert, sondern in vielfältiger Weise verarbeitet. Beispielsweise kann das Betrachten eines gewalthaltigen Inhalts als Teil eines Initiationsritus unter Jugendlichen wahrgenommen werden ( Mutprobe ) und nicht als Aufforderung zur realen Gewalttätigkeit. Jedoch ist die häufig als Begründung für den Nutzen von gewalthaltigen Inhalten angeführte KatharsisHypothese empirisch klar widerlegt. Gemäß dieser Hypothese senkt das Betrachten gewalthaltiger Inhalte die eigene Gewaltbereitschaft, indem die eigenen Aggressionen stellvertretend durch das Betrachten gewalthaltiger Inhalte ausgelebt werden können (u. a. Bushman & Huesmann, 2001). Betrachtet man die kurzzeitigen Folgen gewalthaltiger Medien, so zeigen sich höhere Dispositionen zu aggressiven und geringere zu prosozialen Verhaltensweisen. Damit verbunden ist eine stärkere Erregung der Rezipienten sowie eine verstärkte Wahrnehmung der Umwelt als feindlich sowie vermehrt Emotionen, die mit Aggressionen verbunden sind (Anderson & Bushman, 2001). Insbesondere Kinder im Vorschulalter reagieren in stärkerem Maße mit aggressivem Verhalten nach dem Konsum gewalthaltiger Medien im Vergleich zu Kindern im Schulalter bzw. frühen Erwachsenenalter (Bushman & Huesmann, 2001). Auch wurden bei Jungen im Vergleich zu Mädchen stärkere Reaktionen auf in Medien beobachtete Gewalt registriert. Im Unterschied zum gut untersuchten Bereich der kurzfristigen Auswirkungen von gewalthaltigen Medien existieren weitaus weniger Langzeitstudien. Insbesondere fehlen Daten zu Auswirkungen gewalthaltiger Inhalte bei erwachsenen Medienkonsumenten. Die wenigen, meist korrelativen Befunde zeigen zusammenfassend, dass ein Zusammenhang zwischen hohem Fernsehkonsum in der Kindheit (durchschnittlich mehr als 2 Stunden täglich, insbesondere mit regelmäßigem Konsum realistischer Gewaltdarstellungen) und erhöhter alltäglicher Aggression sowie einer verringerten Empathie existiert (Bushman & Huesmann, 2006; Anderson, 2004). Jedoch sind solche negativen Auswirkungen eher als Teil einer komplexen Entwicklungskonstellation zu sehen und nicht allein durch das Fernsehen verursacht. So führen in Verbindung mit dem Fernsehkonsum zahlreiche psychische (z. B. geringe Empathie, starke Erregbarkeit, fehlende soziale Kompetenz) und vor allem soziale Faktoren (z. B. geringe und wenig einfühlsame Betreuung durch Eltern, geringes Einkommen, geringe soziale Eingebundenheit) zu negativen Konsequenzen für das aktuelle und langfristige Verhalten der Rezipienten. Fasst man die bestehenden empirischen Befunde zusammen, ist von einem geringen bis mäßigen Einfluss des Medienkonsums auf die Befindlichkeit und die psychosoziale Entwicklung der Rezipienten auszugehen, denn der Medienkonsum stellt dabei nur einen unter mehreren teils gewichtigeren Faktoren dar, wobei jedoch vor allem jüngere Kinder stärker durch Medien beeinflusst werden. (. Abb. 6.14). Während die unter 30Jährigen zu weit über 90 % Onlineangebote nutzen, sinkt diese Rate mit zunehmendem Alter ab. Bei den Menschen im Rentenalter nutzen nur noch ein Viertel aller Personen Onlineangebote. Computer und internetbasierte Medien können die Funktionen aller anderen Unterhaltungsmedien in vergleichbarer Weise erfüllen, da etwa Radio und Musikprogramme oder Musikdateien gehört bzw. Onlinezeitungen gelesen werden können. Nutzt man den Computer zur Wiedergabe der zuvor genannten Medien, dann können die Nutzungsmotive, Auswirkungen und Risiken des Medienkonsums von computerbasierten Medien mit denen des Musik, Radio und Fernsehkonsums gleichgesetzt werden. Eine Besonderheit hingegen stellt die Interaktivität des Computers und des Internets dar, was sich insbesondere an computer und internetbasierten Spielen vernen Aufgaben als auch zur Unterhaltung eingesetzt. Jedoch überwiegt bei Kindern und Jugendlichen die Nutzung von Computern und Internet zu Unterhaltungszwecken (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest, 2005). Bemerkenswert ist, dass trotz der im internationalen Vergleich geringen Nutzung von Computern in der Schule ( Abschn ) Kinder und Jugendliche ab 10 Jahren dennoch in großer Breite Erfahrungen im Umgang mit Computern besitzen, da rund 92 % der Schüler privat einen Zugang zu Computern haben und sogar 43 % der 10 bis 19Jährigen über einen eigenen Computer verfügen (CHIP, 2008). Betrachtet man die Onlinenutzung nach Altersgruppen, so zeigt sich deutlich, dass computer und internetbasierte Medien im Gegensatz zum Fernsehen Medien sind, die von vergleichsweise jungen Menschen genutzt werden

166 146 Kapitel 6 Medien 1.. Abb Entwicklung der Onlinenutzung in Deutschland bis Abb Onlinenutzung in Deutschland nach Gebiet, Geschlecht und Altersklassen in Deutschland (2007) deutlichen lässt. Mittels Computern und Internet können Menschen mit anderen Spielern oder dem Computer selbst interagieren. Gerade die Nutzung von computer und internetbasierten Spielen hat zu einer sehr kontroversen Debatte hinsichtlich der Motive und der Auswirkungen dieser Spiele geführt. Gerade die Interaktivität computerbasierter Spiele sowie die Individualisierungsmöglichkeiten von Computerspielen (z. B. durch die individuelle Gestaltung der Spielfigur) kann zu einem höheren Selbstwirksamkeitserleben führen, was die Nutzer als besonders positiv erleben und sie stark motiviert, ein Spiel fortzuführen. Zudem trägt die hohe Belohnungsrate in Computerspielen dazu bei, dass eine hohe Selbstwirksamkeit erlebt wird (Klimmt, 2004). Die Bindung an ein Spiel wird zusätzlich durch das Zusammenspiel mit anderen Spielen in sog. massively multiplayer online roleplaying games (MMORPG) verstärkt, weil hier langfristige soziale Beziehungen zu anderen Spielern aufgebaut werden. Diese sozialen Beziehungen zwi schen Spielern werden zum Teil durch das Spielgeschehen selbst notwendig, um weitere Fortschritte im Spielablauf zu erzielen. Insbesondere die in Einzelfällen zeitlich sehr extreme Nutzung von Computerspielen (über 40 Stunden pro Woche) von Kindern und Jugendlichen, hat erhebliche Kritik hervorgerufen. Neben der Debatte, inwiefern Computerspiele mit gewalttätigen Inhalten aggressiv machen (zu dieser Debatte Abschn ), werden der intensiven Nutzung von Computer und Internet als Unterhaltungsmedien Folgen wie zunehmende soziale Isolierung, Verlust sozialer Kompetenz, mangelhaftes Lern und Leistungsverhalten, höhere Delinquenz und schlechtere körperliche Gesundheit zugeschrieben. Zwar gibt es einige empirische Evidenz für diese Kritikpunkte, dennoch erscheint manche Kritik (z. B. BildschirmMedien machen dick, faul und gewalttätig ; Spitzer, 2005) an computerbasierten Unterhaltungsmedien überzogen. Zudem muss man fragen, inwiefern ein Verbot für Kinder und Jugendliche im Umgang mit Computern

167 Literatur und dem Internet langfristig sogar schädlich sein kann, da Kinder und Jugendliche in diesem Falle wohl keine zeitgemäße Medienkompetenz erwerben können. Völlig unstrittig hingegen ist, dass es entscheidend für die Vermeidung negativer Folgen der Computer und Internetnutzung bei Kindern und Jugendlichen ist, dass Eltern den Medienkonsum ihrer Kinder begleiteten und in Verbindung mit den Schulen die Medienkompetenz ihrer Kinder fördern. Vertiefende Literatur Batinic, B. & Appel, M. (Hrsg.). (2008). Medienpsychologie. Heidelberg: Springer. Issing, L. J. & Klimsa, P. (Hrsg.). (2009). OnlineLernen. München: Oldenbourg. Mangold, R., Vorderer, P. & Bente, G. (Hrsg.). (2004). Lehrbuch der Medienpsychologie. Göttingen: Hogrefe. Mayer, R. E. (Ed.). (2005). The Cambridge Handbook of Multimedia Learning. Cambridge: Cambridge University Press. Fazit Das heutige Lehren und Lernen ist ohne Medien nicht mehr vorstellbar. Insbesondere Neue Medien haben zu einem enormen Anwachsen der Lehr und Lernformen geführt. Um medienbasiertes Lehren und Lernen effizient zu gestalten, ist das Verständnis der kognitiven Prozesse bei der Rezeption von Texten, statischen sowie animierten Bildern und multimedialen Lernumgebungen von Bedeutung, da Lernen in Abhängigkeit vom Medium unterschiedliche kognitive Kompetenzen voraussetzt. Weiterhin ist zu bedenken, dass insbesondere das Vorwissen einen starken Einfluss auf medienbasierte Lernprozesse ausübt. Betrachtet man den Einsatz von Medien in institutionalisierten Bildungskontexten, zeigt sich, dass in der Schule das Lernen mit Neuen Medien bisher erst in geringerem Maße integriert ist als an Hochschulen und in der beruflichen Fortbildung. Letztlich sind Medien aus pädagogischpsychologischer Sicht auch als Unterhaltungsmedien von Relevanz, da Medien unseren Alltag und insbesondere unser Freizeitverhalten erheblich bestimmen. Deswegen sind auch die Gründe für das individuelle Medienkonsumverhalten als auch die Auswirkungen des Medienkonsums insbesondere auf die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen von Bedeutung. Um negative Einflüsse von Medien zu vermeiden und ein kompetentes Mediennutzungsverhalten zu erlernen, ist der angeleitete Erwerb von Medienkompetenz entscheidend. Verständnisfragen 1. Welche Rolle spielen die lokale und globale die Textkohärenz beim Lesen eines Textes? 2. Wie kann der Lernvorteil multimedialer Medien im Vergleich zum Lernen mit Texten erklärt werden? Unter welchen Bedingungen tritt der Lernvorteil multimedialer Medien auf? 3. Wie weit ist die Integration der sog. Neue Medien in institutionellen Bildungskontexten fortgeschritten? 4. Was sind die Unterschiede zwischen den verschiedenen Ansätzen zur Erklärung des Medienkonsums? 5. Führt der Konsum gewalthaltiger Medien zu einer höheren realen Gewalttätigkeit der Medienkonsumenten? Literatur Anderson, J. R. (2001). 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170 151 III Motivieren Kapitel 7 Motivation 153 Ulrich Schiefele, Ellen Schaffner Kapitel 8 Selbstkonzept 177 Jens Möller, Ulrich Trautwein Kapitel 9 Emotionen 201 Anne C. Frenzel, Thomas Götz, Reinhard Pekrun

171 153 7 Motivation Ulrich Schiefele, Ellen Schaffner 7.1 Unterschiedliche Motivationsformen und merkmale Extrinsische und intrinsische Motivation Dispositionale Motivationsmerkmale Bedeutung der Motivation für Lernen und Leistung Leistungsmotivation Zielorientierung Intrinsische vs. extrinsische Motivation Interesse Entwicklung und Förderung motivationaler Merkmale Leistungsmotivation und Zielorientierung Interesse und intrinsische Motivation 168 Literatur 171 E. Wild, J. Möller (Hrsg.), Pädagogische Psychologie, SpringerLehrbuch, DOI / _7, SpringerVerlag Berlin Heidelberg 2015

172 154 Kapitel 7 Motivation Motivationale Merkmale und Prozesse werden in der Pädagogischen Psychologie vor allem auf das Lernen bezogen. Der besondere Stellenwert der Motivation für das Lernverhalten und die Leistung ist dabei durch zahlreiche empirische Studien belegt worden ( Abschn. 7.2). Diese Studien zeigen, dass bestimmte Formen der Lernmotivation den Lernerfolg unabhängig von kognitiven Lernvoraussetzungen, wie z. B. der Intelligenz, begünstigen, wohingegen andere Motivationsformen den Lernerfolg beeinträchtigen können. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Motivation die Lernleistung nicht nur auf einem relativ direkten Weg (z. B. über Aspekte der Informationsverarbeitung) beeinflussen kann. Es gibt darüber hinaus Hinweise auf verschiedene indirekte Auswirkungen von Motivation. Die Motivation beeinflusst nicht nur bildungsbezogene Entscheidungen wie Kurs und Studienfachwahlen, sondern auch lernbezogene Verhaltensweisen wie die investierte Lernzeit. Die Bedeutung der Motivation ergibt sich nicht nur aus ihrer leistungsförderlichen Wirkung. Vielmehr sind hoch motivierte Lerner bzw. Schüler auch deshalb wünschenswert, weil der Unterricht mit motivierten Schülern konfliktfreier, reibungsloser und effizienter abläuft. Die daraus resultierende Erhöhung von Lernzeit und Erlebensqualität kann wiederum den Lernerfolg begünstigen. Schließlich sind Motivation und (vor allem) Interesse wichtig, weil sie dafür sorgen, dass Schüler auch langfristig danach streben, sich mit bestimmten Fächern auseinanderzusetzen (z. B. in Studium und Beruf). In Übereinstimmung mit dieser Sichtweise hat die neuere, konstruktivistische Instruktionsforschung ( Kap. 4) motivationale Variablen zunehmend als wichtige Kriterien erfolgreichen Unterrichts berücksichtigt (. Abb. 7.1). 7.1 Unterschiedliche Motivationsformen und merkmale.. Abb. 7.1 Motivation gilt als zentrales Konstrukt der Verhaltenserklärung. Insbesondere die Zielrichtung (was eine Person tut), die Ausdauer (wie lange eine Person etwas tut) und die Intensität (wie sehr sich eine Person bei einer Tätigkeit konzentriert bzw. anstrengt) werden als motivationsabhängige Verhaltensmerkmale angesehen (z. B. Rheinberg & Vollmeyer, 2012; Schunk, Pintrich & Meece, 2008). Die Motivation einer Schülerin sollte somit einen Einfluss darauf haben, ob sie am Nachmittag für eine Prüfung lernt statt z. B. ihre Freunde zu treffen (Zielrichtung), wie viel Zeit sie in die Prüfungsvorbereitung investiert (Ausdauer) und wie sehr sie sich beim Lernen anstrengt (Intensität). Neben diesen klassischen Aspekten des Verhaltens können weitere motivationsabhängige Verhaltensmerkmale angenommen werden. Beim Lernen ist hier insbesondere die Art und Weise des Lernverhaltens in Betracht zu ziehen. So ist z. B. nachgewiesen worden, dass sich abhängig von der motivationalen Ausgangslage die Strategien unterscheiden, mit denen Schüler lernen (Schiefele & Schreyer, 1994; Wild, 2000). Definition Nach Rheinberg & Vollmeyer (2012, S. 15) kann die Motivation als eine aktivierende Ausrichtung des momentanen Lebensvollzugs auf einen positiv bewerteten Zielzustand definiert werden. Die Definition von Rheinbergs & Vollmeyer (2012) betont die energetisierende Funktion der Motivation sowie die Tatsache, dass sie einen aktuellen bzw. vorübergehenden Zustand darstellt. Motivation wird jedoch auch als habituelles Merkmal operationalisiert und erforscht. In der Regel werden die Versuchspersonen dabei gefragt, wie häufig eine bestimmte aktuelle Motivation in einem längeren Zeitraum (z. B. innerhalb des letzten Jahres) bei ihnen aufgetreten ist. Eine habituelle Motivation ist folglich durch ihr wiederholtes bzw. gewohnheitsmäßiges Auftreten gekennzeichnet (Pekrun, 1988). Demnach zeichnet sich ein Schüler mit einer hohen habituellen Lernmotivation dadurch aus, dass er häufig und in vielen Situationen zum Lernen motiviert ist. Die bisher behandelte allgemeine Definition der Motivation ist hinsichtlich ihres Erklärungswerts des Lernverhaltens und der Lernleistung allerdings begrenzt. So hat sich in der pädagogischpsychologischen Forschung die Unterscheidung verschiedener Motivationsformen durch

173 7.1 Unterschiedliche Motivationsformen und merkmale gesetzt, die das Lernverhalten im Sinne der allgemeinen Definition zwar gleichermaßen energetisieren, gleichzeitig aber z. B. die Verwendung verschiedener (reproduktions vs. verständnisorientierter) Lernstrategien nach sich ziehen und den Lernerfolg entsprechend unterschiedlich beeinflussen können (Schiefele & Schreyer, 1994; Wild, 2000). Als zentral ist in diesem Zusammenhang die Unterscheidung zwischen intrinsischer und extrinsischer Motivation hervorzuheben Extrinsische und intrinsische Motivation Lernmotivation wird als Absicht verstanden, spezifische Inhalte oder Fertigkeiten zu lernen, um damit bestimmte Ziele bzw. Zielzustände zu erreichen. Diese allgemeine Begriffsbestimmung lässt offen, welche Ziele jeweils im Einzelnen verfolgt werden. Es können zwei übergeordnete Kategorien von Zielen unterschieden werden: die Konsequenzen, die auf eine Handlung folgen (z. B. soziale Anerkennung), und die Erlebenszustände, die bereits während der Handlungsausführung eintreten (z. B. Anregung, Kompetenzgefühle). Im ersten Fall liegen die angestrebten Zielzustände außerhalb der Handlung und man spricht deshalb von extrinsischer Lernmotivation. Im zweiten Fall liegen die angestrebten Zielzustände innerhalb der Handlung und die entsprechende Lernmotivation ist intrinsischer Natur. In der Forschung wurden die extrinsische und intrinsische Lernmotivation häufig als habituelle Merkmale operationalisiert (Schiefele, 1996). Definition Unter extrinsischer Lernmotivation versteht man die Absicht, eine Lernhandlung durchzuführen, weil damit positive Konsequenzen herbeigeführt oder negative Konsequenzen vermieden werden. Intrinsische Lernmotivation bezeichnet die Absicht, eine bestimmte Lernhandlung durchzuführen, weil die Handlung selbst von positiven Erlebenszuständen begleitet wird (Schiefele, 1996). Die bisherige Forschung gibt Hinweise darauf, dass sich extrinsische und intrinsische Lernmotivation nicht ausschließen, sondern z. B. gleichermaßen hoch ausgeprägt sein können (z. B. Amabile et al., 1994; Buff, 2001). Dies ist aus theoretischen Gründen nicht verwunderlich, denn Lernen ist neben intrinsischen Anreizen meist auch mit handlungsexternen Konsequenzen verbunden (z. B. soziale Anerkennung, Erreichen von Ausbildungszielen). Dennoch lassen sich die Effekte intrinsischer und extrinsischer Motivation separat voneinander untersuchen, z. B. indem man eine der beiden Motivationsformen experimentell induziert (Schaffner & Schiefele, 2007) oder den Effekt der jeweils anderen Motivationsform bei der Vorhersage eines Kriteriums (z. B. der Lernleistung) statistisch kontrolliert. Extrinsische Motivation Im Bereich schulischen Lernens können gute Leistungen als das wichtigste Handlungsergebnis aufgefasst werden. Damit in Übereinstimmung existiert zur Leistungsmotivation bzw. zur leistungsbezogenen Lernmotivation eine große Zahl von Forschungsarbeiten (Brunstein & Heckhausen, 2006; Wigfield, Eccles, Schiefele, Roeser & Davis Kean, 2006). Definition Die leistungsbezogene Lernmotivation äußert sich in der Absicht, eine Lernhandlung durchzuführen, um später im Rahmen einer Leistungssituation (z. B. in einer Prüfung) eine gute Leistung erbringen zu können. Dabei ist zu beachten, dass gute Leistungen nicht um ihrer selbst willen angestrebt werden (vgl. Heckhausen, 1989), sondern weil sie positive Konsequenzen für die Selbstbewertung (z. B. Stolz), die Fremdbewertung (z. B. soziale Anerkennung durch den Lehrer) und die Annäherung an Oberziele (z. B. Ausüben eines bestimmten Berufs) nach sich ziehen. Die leistungsbezogene Lernmotivation richtet sich also auf Sachverhalte, die prinzipiell außerhalb der Lernhandlung liegen bzw. auf sie folgen. Sie stellt daher eine Form der extrinsischen Lernmotivation dar (auch Schneider, 1996). Neben der leistungsbezogenen Lernmotivation lassen sich weitere Formen extrinsischer Lernmotivation unterscheiden. Denn auch wenn die Leistung im schulischen Kontext stark betont wird, zielt nicht jede Lernhandlung notwendig auf das Erreichen einer guten Leistung ab. Lernhandlungen können auch direkt auf Selbstbewertung, Fremdbewertung und die Annäherung an Oberziele gerichtet sein. Beispielsweise ist denkbar, dass ein Schüler seine Hausaufgaben vor allem deshalb sorgfältig bearbeitet, weil er von seinen Eltern dafür Lob erhält. Neben dieser auf Fremdbewertung zielenden sozialen Lernmotivation erscheint auch die Annahme einer selbstbewertungsbasierten und einer an Oberzielen orientierten Lernmotivation sinnvoll (z. B. Wenn ich es schaffe, diesen komplizierten Text durchzuarbeiten, bin ich stolz auf mich, Ich arbeite diesen komplizierten Text durch, weil ich das darin enthaltene Wissen später einmal brauchen kann ). Solche Facetten der Lernmotivation wurden allerdings nur selten empirisch untersucht (z. B. Covington, 1992; Hayamizu & Weiner, 1991; Pekrun, 1983).

174 156 Kapitel 7 Motivation Eine wichtige Differenzierung der leistungsbezogenen Lernmotivation ergibt sich aus dem Konzept der Bezugsnormen von Rheinberg (1980; Rheinberg & Fries, 2010). Rheinberg unterscheidet bei der Leistungsbeurteilung zwischen einer individuellen, einer sozialen und einer sachlichen Bezugsnorm. Im Falle der individuellen Bezugsnorm ist der zu erreichende Gütemaßstab durch die eigene frühere Leistung des Lerners bestimmt, bei der sozialen Bezugsnorm dagegen durch das Leistungsniveau einer bestimmten Bezugsgruppe (z. B. der Schulklasse) und bei der sachlichen Bezugsnorm durch ein aus sachlichen (z. B. curricularen) Erwägungen abgeleitetes Leistungsbzw. Lernziel. Man kann daher unterschiedliche Formen der leistungsbezogenen Lernmotivation differenzieren, je nachdem, ob gute Leistungen im Vergleich mit der eigenen früheren Leistung (individuelle Bezugsnorm), im Vergleich zu anderen Personen (soziale Bezugsnorm) oder im Vergleich mit einem sachlichen Kriterium (sachliche Bezugsnorm) angestrebt werden. Die leistungsbezogene Lernmotivation, die sich an individuellen Vergleichsmaßstäben orientiert und Leistungssteigerung anstrebt, deckt sich am ehesten mit der klassischen Leistungsmotivationstheorie (z. B. Atkinson, 1957). Diese Form der Motivation kann daher als Leistungsmotivation im engeren Sinne oder als kompetenzbezogene Leistungsmotivation bezeichnet werden. Wenn die handelnde Person jedoch danach strebt, soziale Bezugsnormen zu übertreffen, dann kann man von wettbewerbsbezogener Leistungsmotivation sprechen. Zusammenfassend ergibt sich demnach die folgende Differenzierung verschiedener Formen von extrinsischer Lernmotivation. Zum einen lassen sich zwei Formen der leistungsbezogenen Lernmotivation unterscheiden, wobei in einem Fall der individuelle Kompetenzgewinn und im anderen Fall das überlegene Abschneiden im Vergleich mit anderen im Vordergrund steht. Zum anderen lassen sich die soziale, die selbstbewertungsbasierte und die oberzielorientierte Lernmotivation voneinander abgrenzen. Prototypisch betrachtet kann man demnach Schüler unterscheiden, die beim Lernen vor allem danach streben, von wichtigen Bezugspersonen gelobt bzw. anerkannt zu werden, auf die Ergebnisse ihrer Lernhandlungen mit positiver Selbstbewertung zu reagieren (z. B. Stolz, Freude) und/oder wichtige persönliche Ziele (z. B. ein bestimmtes Ausbildungsniveau) zu erreichen. Empirische Befunde zu Komponenten der extrinsischen Lernmotivation Bisher erfolgte die Differenzierung verschiedener Formen extrinsischer Lernmotivation auf einer theoretischen Ebene über die Gründe, die bei der Initiierung von Lernaktivitäten (v. a. im schulischen Kontext) eine Rolle spielen. Doch lässt sich die vorgenommene Differenzierung extrinsischer Lernmotivation auch empirisch bestätigen? Unterscheiden die Probanden (meist Schüler oder Studierende) tatsächlich zwischen den verschiedenen Formen extrinsischer Lernmotivation, wie z. B. der leistungsbezogenen und der sozialen Lernmotivation? Zur Beantwortung dieser Fragen kann auf Studien zurückgegriffen werden, in denen Instrumente zur Erfassung der habituellen (extrinsischen und intrinsischen) Lernmotivation eingesetzt wurden (Schiefele, 1996). Diese Instrumente sehen vor, dass die Probanden nach dem Ausmaß befragt werden, in dem sie verschiedene Formen der Lernmotivation üblicherweise zeigen (z. B. Ich lerne vor allem deshalb, um von anderen gelobt zu werden ). Eine Analyse einschlägiger Fragebogen (z. B. Amabile, Hill, Hennessey & Tighe, 1994; Gottfried, 1986; Harter, 1981; Vallerand et al., 1992, 1993) ergab für die habituelle extrinsische Lernmotivation die Unterscheidung sechs verschiedener Komponenten ( Übersicht). Die in der Übersicht enthaltene leistungsbezogene Lernmotivation geht über die im vorangegangenen Abschnitt getroffene Differenzierung hinaus. Dort wurde die an individuellen Bezugsnormen orientierte leistungsbezogene Lernmotivation als kompetenzbezogene Lernmotivation charakterisiert und von der an sozialen Bezugsnormen orientierten, wettbewerbsbezogenen Lernmotivation unterschieden. Die Inhaltsanalyse einschlägiger Instrumente legt jedoch zusätzlich eine auf Leistungsrückmeldung zielende Form der Lernmotivation nahe, bei der weder die Kompetenzerweiterung noch der Wettbewerb im Vordergrund stehen (Amabile et al., 1994). Eine entsprechend motivierte Person lernt vor allem, um in einer Leistungs oder Testsituation ein gutes Resultat bzw. eine positive Bewertung ihrer Leistung (insbesondere im Sinne von Noten, nicht im Sinne sozialer Anerkennung) zu erreichen. Die Übersicht zeigt zudem, dass eine rein selbstbewertungsbasierte Lernmotivation bislang nicht in die Forschung einbezogen wurde. Die Aspekte der Fremdbewertung (soziale extrinsische Lernmotivation) und der Annäherung an Oberziele (beruflichmaterielle und beruflich inhaltliche extrinsische Lernmotivation) sind jedoch vertreten. Komponenten der extrinsischen Lernmotivation (ELM) Lernen, um 1. positive Leistungsrückmeldungen (z. B. Noten) zu erhalten (leistungsbezogene ELM), 2. die eigene Kompetenz zu erweitern (kompetenzbezogene ELM), 3. andere zu übertreffen bzw. die eigene überlegene Fähigkeit zu demonstrieren (wettbewerbsbezogene ELM), 4. soziale Anerkennung zu erhalten (soziale ELM),

175 7.1 Unterschiedliche Motivationsformen und merkmale beruflichmaterielle Ziele zu erreichen (Prestige, Gehalt; beruflichmaterielle ELM), 6. eine angestrebte berufliche Tätigkeit ausüben zu können (beruflichinhaltliche ELM). Intrinsische Motivation Als zentrales Merkmal der intrinsischen Motivation wurde bereits festgehalten, dass positive Erlebnisqualitäten eine Handlung begleiten und maßgeblich dafür sind, dass eine Person die entsprechende Handlung initiiert und ausführt. Das Konstrukt der intrinsischen Motivation entwickelte sich im Zusammenhang mit Versuchen, eine motivationale Basis des Explorations und Neugierverhaltens zu finden (Deci & Moller, 2005; Deci & Ryan, 1985; Schiefele & Streblow, 2005). Behavioristische Theorien stießen hier an ihre Grenzen, da diese Verhaltensweisen ohne einen äußeren Anreiz (wie z. B. eine Belohnung) erfolgen. Während der Begriff intrinsische Motivation zunächst nur ausdrücken sollte, dass das Individuum über eine ihm eigene Motivationsquelle verfügt, die nicht auf primäre Triebe oder externe Verstärkung zurückgeführt werden kann, bemühten sich die in der Folge entwickelten Theorien zur intrinsischen Motivation um eine Spezifikation der handlungsbegleitenden Erlebnisqualitäten, durch die ein bestimmtes Verhalten (z. B. Lernen) einen eigenen Anreiz erhält. Dabei kann die nachfolgend behandelte Selbstbestimmungstheorie von Deci und Ryan (1985, 2002b) als bedeutsamste moderne Theorie der intrinsischen Motivation gelten. Kompetenz, Selbstbestimmung und soziale Bezogenheit Deci und Ryan (1985, 2002) vertreten die Auffassung, dass Menschen über ein angeborenes Bedürfnis verfügen, sich effektiv und kompetent mit ihrer Umwelt auseinanderzusetzen (vgl. White, 1959). Wird dieses Bedürfnis beim Handeln (z. B. der Erledigung der Hausaufgaben) erfüllt, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass intrinsische Motivation auftritt und die Handlung eine positive Erlebnisqualität erhält. Deci und Ryan betonen allerdings auch, dass die Annahme eines Kompetenzbedürfnisses nicht ausreicht, um intrinsisch motiviertes Verhalten zu erklären. Es gibt zahlreiche Handlungen, die zwar kompetenzmotiviert sind, aber dennoch nicht um ihrer selbst willen durchgeführt werden. Eine Schülerin kann sich beim Lernen von Vokabeln z. B. durchaus kompetent fühlen, ohne dass eine intrinsische Motivation vorliegt. Die Autoren postulieren daher eine weitere wesentliche Bedingung für das Eintreten intrinsischer Motivation: Eine Person muss sich frei von äußerem Druck bzw. als selbstbestimmt handelnd erleben. Wie bezüglich des Kompetenzerlebens gehen die Autoren auch in diesem Fall davon aus, dass alle Menschen Autonomie als etwas Positives erleben, weil ihnen ein psychologisches Bedürfnis nach Selbstbestimmung angeboren ist (vgl. decharms, 1968). Deci und Ryan verweisen schließlich noch auf die Bedeutung eines dritten Grundbedürfnisses, dem Bedürfnis nach sozialer Bezogenheit. Dieses Bedürfnis manifestiert sich u. a. in dem Ziel, vertrauensvolle und unterstützende Beziehungen zu anderen Menschen aufzubauen. Die soziale Bezogenheit kann nicht nur erklären, warum soziale Anerkennung einen so wichtigen extrinischen Anreiz darstellt, sondern sie bedingt auch die Entwicklung von Interessen (indem z. B. das Hobby eines engen Freundes übernommen wird) und das Entstehen von intrinsischer Motivation (indem z. B. Tätigkeiten, die Kooperation mit anderen ermöglichen, intrinsische Anreize erhalten). Die psychologischen Grundbedürfnisse nach Kompetenz, Selbstbestimmung und sozialer Bezogenheit bilden nach Deci und Ryan (1985, 2002) die gemeinsame Grundlage für das Auftreten intrinsisch motivierten Verhaltens. Sie sind gewissermaßen als Nährstoffe zu verstehen, die für eine gesunde Entwicklung wesentlich sind (Deci & Moller, 2005). Folglich ist zu erwarten, dass Kontextfaktoren, die zur Befriedigung der Grundbedürfnisse beitragen, nicht nur die intrinsische Motivation, sondern auch die psychische Gesundheit fördern. Dagegen sollten Kontextfaktoren, die die Grundbedürfnisse einschränken, negative Konsequenzen für die intrinsische Motivation und zumindest längerfristig auch für die psychische Gesundheit nach sich ziehen. Weil die subjektiven Wahrnehmungen von Kompetenz und Selbstbestimmung bei einer Tätigkeit (z. B. dem Lernen) nach Deci und Ryan positiven Erlebniswert besitzen, können sie dazu führen, dass eine Tätigkeit auch ohne äußere Motivierung initiiert und durchgeführt wird. Es handelt sich demnach um handlungsimmanente Anreize, die beispielsweise auch zur Erklärung des Explorations und Neugierverhaltens herangezogen werden können (s. oben). Als weitere handlungsimmanente Anreize kommen auch das FlowErleben (s. unten) und bestimmte handlungsbegleitende Emotionen (z. B. Freude, situationales Interesse) infrage. Wenngleich das Postulat der Bedürfnisse nach Kompetenz, Selbstbestimmung und sozialer Bezogenheit eine hohe Plausibilität besitzt, ist ein direkter Nachweis ihrer Existenz schwierig. Die Forschungsstrategie von Deci und Ryan (1985, 2002) bestand zunächst darin, den Nachweis zu erbringen, dass Beeinträchtigungen der Selbstbestimmung durch externe Kontrolle (z. B. angekündigte Belohnungen) zur Reduzierung von intrinsischer Motivation führen. Dieser Unterminierungseffekt tritt allerdings nur unter bestimmten Bedingungen auf (z. B. muss eine angekündigte Belohnung während der Handlung bewusst sein;

176 158 Kapitel 7 Motivation vgl. Schiefele & Streblow, 2005). In weiteren Studien zeigten Deci und Ryan (1985, 2002), dass die Wahrnehmung von Kompetenz, Selbstbestimmung und sozialer Bezogenheit positiv mit der intrinsischen Lernmotivation und Aspekten der psychischen Gesundheit zusammenhängt. Tätigkeits und gegenstandszentrierte Lernmotivation Die intrinsische Lernmotivation richtet sich also auf positive Erlebenszustände, die während der Ausführung einer Handlung eintreten. Dabei kann die Frage gestellt werden, ob die beim Lernen auftretenden Erlebenszustände eher auf den Charakter der Lernhandlung selbst zurückgehen oder eher durch den Gegenstand der Lernhandlung bedingt sind (Schiefele, 1996; Schiefele & Streblow, 2005). Im ersten Fall spricht man von einer tätigkeitszentrierten intrinsischen Lernmotivation. Sie tritt ein, wenn ein Lerner unabhängig vom Lerngegenstand bestimmte Handlungsformen (z. B. Gruppenarbeit, praktisches Experimentieren) bevorzugt. Im zweiten Fall spricht man von einer gegenstandszentrierten intrinsischen Lernmotivation. Diese kennzeichnet einen Lerner, der sich unabhängig von der jeweils durchgeführten Tätigkeitsform für bestimmte Inhalte interessiert und deshalb positive Gefühle während des Lernens erlebt. Individuelle Interessen des Lerners stellen daher eine wichtige Bedingung des Auftretens intrinsischer Lernmotivation dar. Die Unterscheidung einer gegenstands und tätigkeitszentrierten intrinsischen Lernmotivation stimmt mit den Befunden der oben erwähnten Studien überein, in denen die habituelle extrinsische und intrinsische Lernmotivation erfasst worden ist (z. B. Amabile et al., 1994). Neben den bereits berichteten Komponenten der extrinsischen Lernmotivation wurden in diesen Studien zwei Komponenten der intrinsischen Lernmotivation differenziert (Schiefele, 1996): Lernen aus Interesse und Neugier (gegenstandszentriert) und Freude am Lernen (tätigkeitszentriert). Allerdings erwiesen sich die beiden Komponenten empirisch (bzw. faktorenanalytisch) als nicht trennbar, d. h. die intrinsische Lernmotivation kann im Gegensatz zur extrinsischen Lernmotivation als einheitliches Merkmal aufgefasst werden. Dies deutet darauf hin, dass Gegenstand und Tätigkeit aus der Sicht der Lerner zumindest in motivationaler Hinsicht eine Einheit bilden. FlowErleben Die von Csikszentmihalyi (1985, 1990; Csikszentmihalyi, Abuhamdeh & Nakamura, 2005) entwickelte FlowTheorie ergänzt die Sichtweise der Selbstbestimmungstheorie. Csikszentmihalyi konnte zeigen, dass Personen, die eine offenbar intrinsisch motivierte Tätigkeit ausüben, ein charakteristisches Erleben zeigen, dass er als Flow bezeichnet hat. Das Erleben von Flow beinhaltet im Kern ein vollkommenes Aufgehen in der Tätigkeit (Absorbiertsein). Weitere Aspekte dieses Erlebens sind die Selbstvergessenheit, das Verschmelzen von Handlung und Bewusstsein und das Gefühl von Kontrolle. Aus den Forschungsarbeiten von Csikszentmihalyi ist zu schließen, dass das FlowErleben neben den von Deci und Ryan (1985, 2002) postulierten Kompetenz und Selbstbestimmungsgefühlen einen zentralen Anreiz intrinsisch motivierter Tätigkeiten darstellt. Die subjektive Passung von Fähigkeit und Handlungsanforderung stellt dabei die wichtigste Bedingung des FlowErlebens dar. Flow wird vor allem dann erlebt, wenn die handelnde Person weder unter noch überfordert ist. Damit wird die Nähe zur Selbstbestimmungstheorie deutlich, denn eine optimale Passung von Fähigkeit und Handlungsanforderung müsste theoretisch auch mit einem hohen Kompetenzerleben einhergehen (Rheinberg, 2006; Schiefele & Streblow, 2005). Grundbedürfnisse, Internalisierung und extrinsische Motivation Eine wichtige Differenzierung der Theorie von Deci und Ryan (1985, 2002) betrifft die Unterscheidung verschiedener Internalisierungsstufen der extrinsischen Motivation im Rahmen der Theorie der organismischen Integration. Mit Hilfe dieser Differenzierung lassen sich einerseits Formen der extrinsischen Motivation identifizieren, die der psychischen Gesundheit nicht abträglich sind. Andererseits trägt die erweiterte Theorie der Tatsache Rechnung, dass extrinsisch motivierte Handlungen (z. B. Prüfungsvorbereitung zu einem langweiligen Thema) dem Bedürfnis nach Kompetenz, Selbstbestimmung und sozialer Bezogenheit dienlich sein können auch wenn sie keinen Eigenanreiz besitzen. Die extrinsische Motivation einer Handlung schließt die Erfüllung der psychologischen Grundbedürfnisse also nicht prinzipiell aus. In der Theorie der organismischen Integration gehen Deci und Ryan davon aus, dass bei der Sozialisation eines Kindes extrinsische Motivationsprozesse unerlässlich sind. Diese betreffen insbesondere die Übernahme von Normen, Einstellungen und Handlungszielen im Rahmen von Internalisierungsprozessen. Diese Prozesse werden prinzipiell von den gleichen Bedürfnissen getragen wie die intrinsische Motivation. Demzufolge ermöglicht die Internalisierung gesellschaftlicher Normen z. B., dass sich das Individuum bei sozial erwünschten Verhaltensweisen (z. B. der Erledigung von Hausaufgaben) selbstbestimmt erlebt und von anderen Personen (z. B. dem Klassenlehrer) sozial anerkannt wird. Längerfristig erleichtert die Internalisierung von Handlungsnormen (z. B. der geltenden Regeln innerhalb des Klassenzimmers) auch das Wirksamkeitserleben beim Lernen und unterstützt somit die Kompetenzentwicklung des Individuums. Würde ein Schüler demgegenüber extern vorgegebene Handlungsziele

177 7.1 Unterschiedliche Motivationsformen und merkmale Tab. 7.1 Differenzierung extrinsischer und intrinsischer Motivation. (Adaptiert nach Deci & Ryan, 2002) Extrinsische Motivation Intrinsische Motivation Externale Regulation Introjizierte Regulation Identifizierte Regulation Integrierte Regulation Intrinsische Regulation Handeln aufgrund von äußerem Druck (Belohnung, Bestrafung) Internalisierung eines Handlungsziels ohne Identifizierung Identifizierung mit einem Handlungsziel, aber vorhandene Konflikte mit anderen Zielen Identifizierung mit einem Handlungsziel ohne Konflikte mit anderen Zielen Handeln aufgrund von handlungsbegleitenden Anreizen fremdbestimmt selbstbestimmt überwiegend zurückweisen, wäre die Erfüllung der drei grundlegenden Bedürfnisse erheblich erschwert. Deci und Ryan unterscheiden drei Stufen der Internalisierung, die auch als Formen der Verhaltensregulation (Fremd vs. Selbstbestimmung) beschrieben werden (. Tab. 7.1). Daneben existiert eine Vorstufe der externalen Regulation. Auf dieser Ebene der Entwicklung hat noch keine Internalisierung stattgefunden. Das bedeutet, der Handelnde verfolgt noch kein eigenständiges Ziel, sein Handeln wird allein durch externe Belohnungen bzw. Bestrafungen reguliert. Die erste Stufe der Internalisierung, die introjizierte Regulation, kennzeichnet Personen, die ein eigenständiges Handlungsziel verfolgen, mit dem sie sich jedoch nicht identifizieren. Diese Personen handeln nur aufgrund von innerem Druck, z. B. um ein schlechtes Gewissen zu vermeiden oder weil es von anderen Personen erwartet wird. Auf der Ebene der identifizierten Regulation werden die ursprünglich externalen Handlungsziele als persönlich wichtige Zielsetzungen akzeptiert. Die Stufe der integrierten Regulation wird schließlich erreicht, wenn die Person sich nicht nur mit einem bestimmten Handlungsziel (z. B. einer höheren beruflichen Position) identifiziert, sondern dieses auch ohne Konflikte mit anderen Zielen (z. B. Ausüben eines Hobbys) in ihr Selbst integriert hat. Die vier Stufen der Regulation repräsentieren Formen der extrinsischen Motivation, die sich vor allem durch das Maß an erlebter Autonomie unterscheiden. Mit zunehmender Internalisierung werden die von außen an die Person herangetragenen Ziele verstärkt in das Selbstbild integriert. Dabei können die externale und die introjizierte extrinsische Motivation als fremdbestimmt gelten, die identifizierte und integrierte Regulation dagegen als selbstbestimmt. Die Formen selbstbestimmter extrinsischer Motivation unterscheiden sich von der intrinsischen Motivation durch das Fehlen intrinsischer (bzw. handlungsimmanenter) Anreize. Die Stufen von der externalen hin zur integrierten Regulation können als Entwicklungsphasen verstanden werden, die jedoch nicht notwendig alle durchlaufen werden. So ist es z. B. möglich, die persönliche Relevanz eines neuen Handlungsziels im Sinne der identifizierten Regulation unmittelbar zu erkennen, ohne die Stufen der externalen und introjizierten Regulation zu durchlaufen. Demgegenüber kann es auch zu einer Stagnation auf einer niedrigen Internalisierungsstufe kommen, z. B. wenn die Umwelt den Internalisierungsprozess nicht ausreichend unterstützt und die persönliche Bedeutung eines Handlungsziels nicht vermitteln kann. Folglich sind die Regulationsstufen auch geeignet, um qualitative Unterschiede in der Verhaltensregulation zwischen Personen zu kennzeichnen. So wird z. B. in dem Selbstregulationsfragebogen von Ryan und Connell (1989a, 1989b) das Ausmaß erfragt, in dem Schüler Lernaktivitäten durchführen, a) weil es von anderen erwartet wird oder um Schwierigkeiten zu vermeiden (external), b) um sich nicht schlecht zu fühlen oder damit Lehrer und Mitschüler eine gute Meinung über die eigene Person haben (introjiziert) oder c) weil ihnen die Durchführung der Aktivität sehr wichtig ist bzw. um mehr zu verstehen und Neues zu lernen (identifiziert). Die integrierte Regulation wurde nicht berücksichtigt, weil sie empirisch nicht von der identifizierten Regulation abgegrenzt werden konnte (auch Vallerand et al., 1992, 1993). Es fällt einerseits auf, dass die externale und die introjizierte Regulation im Sinne der sozialen extrinsischen Lernmotivation (s. oben Übersicht) aufgefasst werden. Andererseits wird die identifizierte Regulation weitgehend mit der kompetenzbezogenen Lernmotivation gleichgesetzt. Offenkundig bedürfen diese Bezüge zwischen den von Deci und Ryan (1985, 2002) unterschiedenen Regulationsformen und den von anderen Autoren unterschiedenen Formen extrinsischer Lernmotivation noch weiterer Aufklärung Dispositionale Motivationsmerkmale Als dispositionale Motivationsmerkmale werden im Folgenden das Leistungsmotiv, die Zielorientierungen und

178 160 Kapitel 7 Motivation das Interesse betrachtet. Während habituelle Motivationsmerkmale lediglich beschreiben, dass bestimmte Motivationen wiederholt auftreten, ohne dafür eine Ursache zu benennen, sind dispositionale Motivationsmerkmale durch eine benennbare psychische Struktur (in der Regel eine mentale Repräsentation auf Gedächtnisebene) gekennzeichnet (Pekrun, 1988). So basiert das Interesse eines Schülers an einem Wissensbereich darauf, dass er diesen Bereich mit positiven Emotionen und einer persönlichen Relevanz verbindet und diese Verbindung in seinem Gedächtnissystem repräsentiert ist (z. B. Schiefele, 1996, 2009). Da die entsprechende mentale Repräsentation relativ dauerhaft in der Person des Schülers verankert ist, kann sie das Auftreten habitueller und aktueller Motivationsformen beeinflussen. Die dispositionalen Motivationsmerkmale nehmen folglich kausal betrachtet eine vorrangige Position gegenüber den aktuellen und habituellen Motivationsformen ein. Die an dieser Stelle behandelten dispositionalen Motivationsmerkmale können als besonders bedeutsame Determinanten für das Auftreten aktueller Lernmotivation in einer konkreten Situation gelten. Daneben spielen jedoch auch situative Faktoren (z. B. Ankündigung positiver Handlungsfolgen) sowie das Selbstkonzept ( Kap. 8) eine Rolle. Leistungsmotiv Motive sind nach Rheinberg & Vollmeyer (2012) als zeitlich stabile Bewertungsvorlieben aufzufassen, d. h. als überdauernde Präferenzen für das Erleben spezifischer Zustände. Der Hinweis auf die Stabilität rechtfertigt es, Motive als Bedingungen der jeweils aktuellen Motivation aufzufassen und den dispositionalen Motivationsmerkmalen zuzuordnen. Definition Während Leistungsmotivation relativ eindeutig als das Streben nach Erreichen oder Übertreffen individueller oder sozialer Gütemaßstäbe definiert werden kann (z. B. Heckhausen, 1989), besteht Konsens darüber, das Leistungsmotiv in ein Annäherungsmotiv ( Hoffnung auf Erfolg ) und ein Vermeidungsmotiv ( Furcht vor Misserfolg ) zu unterteilen (Brunstein & Heckhausen, 2006; Elliot & Thrash, 2002; McClelland, 1987). Die Erforschung des Leistungsmotivs erfolgte vielfach über den Einsatz projektiver Motivmessverfahren (z. B. Heckhausen, 1963; McClelland, 1980), die jedoch u. a. aufgrund unzureichender Gütekriterien und dem Vorgehen bei der inhaltlichen Auswertung kritisiert wurden (z. B. Schiefele, 1996). Weil projektive Verfahren darüber hinaus relativ aufwändig sind, wurden in der Forschung zunehmend auch Fragebogen zur Messung der Komponenten des Leistungsmotivs eingesetzt (z. B. Hermans, Petermann & Zielinski, 1978; Gjesme & Nygard, 1970). Allerdings zeichnen sich diese Instrumente durch eine Heterogenität der erfassten Komponenten aus, die nicht in allen Fällen als zentrale Motivbestandteile zu akzeptieren sind (z. B. Ausdauer und Fleiß, die eher Folgen des Leistungsmotivs darstellen; Hermans et al., 1978). Interessanterweise konnte wiederholt festgestellt werden, dass die mit projektiven Verfahren und mit Fragebogen gemessenen Motive kaum miteinander korrelieren, durch unterschiedliche Situationen angeregt werden und divergente Effekte aufweisen (Brunstein, 2003, 2006). Dies hat McClelland, Koestner und Weinberger (1989) dazu veranlasst, ein Modell vorzuschlagen, in dem zwei Arten von Motiven unterschieden werden, nämlich implizite und explizite Motive. Implizite Motive entziehen sich weitgehend der Introspektion, da sie früh gelernte Präferenzen für bestimmte Anreize (z. B. Leistungsmotiv: Herausforderung durch schwierige Aufgaben) darstellen. Sie sind deshalb nur indirekt bzw. durch projektive Verfahren messbar. Explizite Motive stellen bewusste Selbstzuschreibungen einer Person dar und können daher gut mit Fragebogenverfahren erfasst werden. Empirisch ließ sich zeigen, dass implizite und explizite Maße des Leistungsmotivs teilweise zu unterschiedlichen Ergebnissen in Leistungssituationen führen. So wirken z. B. bei Personen mit hohem implizitem Leistungsmotiv Rückmeldungen nach der individuellen Bezugsnorm leistungssteigernd, während Personen mit hohem expliziten Leistungsmotiv stärker auf Rückmeldungen nach der sozialen Bezugsnorm ansprechen (Brunstein & Hoyer, 2002; Brunstein & Schmitt, 2004). Zur Vorhersage von Zielorientierungen (s. unten) leisteten implizite und explizite Motivmaße in einer Studie von Trash und Elliot (2002) allerdings sehr ähnliche Beiträge. Zielorientierung In den letzten 20 Jahren hat sich die Zielorientierung ( goal orientation ) als ein zentrales motivationales Konstrukt in der Pädagogischen Psychologie etabliert (z. B. Dweck, 1991; Elliot, 1999; Kaplan & Maehr, 2007; Spinath & Schöne, 2003). Die Theorie der Zielorientierung ist als Weiterentwicklung der Leistungsmotivationsforschung zu verstehen. Von besonderer Bedeutung sind dabei die Arbeiten von Dweck (1986, 1991) und Nicholls (1984, 1989), die in etwa zur gleichen Zeit ähnliche Konzeptionen vorgelegt haben. Zielorientierungen werden einerseits als dauerhaft im Gedächtnis repräsentierte Zielüberzeugungen verstanden (z. B. Ich strebe an, bessere Studienleistungen als andere Studierende zu erreichen ), die somit dispositionalen Charakter besitzen (Elliot, 2005). Andererseits

179 7.1 Unterschiedliche Motivationsformen und merkmale können Zielorientierungen auch situativ erzeugt werden (z. B. durch die Ankündigung sozialer Vergleiche in einer Leistungssituation) und dann zu einer entsprechenden aktuellen Motivation führen (z. B. aktuelle wettbewerbsbezogene Lernmotivation). Die Theorie von Nicholls Nach Nicholls (1984, 1989) liegt dem Leistungsverhalten das Ziel zugrunde, ein hohes Fähigkeitsniveau zu entwickeln bzw. sich und anderen zu demonstrieren. In Abhängigkeit von der Art der Bezugsnorm (s. oben) kann es jedoch zwei unterschiedliche Konzepte von Fähigkeit geben. Wenn Fähigkeit unter Bezugnahme auf die eigenen früheren Leistungen oder das bisherige Wissensniveau beurteilt wird (individuelle Bezugsnorm), dann bedeutet Fähigkeit einen Zuwachs an Bewältigung, d. h., man beurteilt sich als fähig, wenn man Dinge tun kann, die man vorher nicht konnte. Wenn Fähigkeit dagegen unter Bezug auf die Leistungen anderer Personen beurteilt wird (soziale Bezugsnorm), dann bedeutet Fähigkeit, dass man bei gleicher oder geringerer Anstrengung die gleiche oder eine höhere Leistung bringt als andere Personen. Nicholls (1989) postuliert, dass Personen (z. B. Schüler) in Abhängigkeit von den beiden Fähigkeitskonzeptionen entsprechende Zielorientierungen entwickeln. Dabei soll die intraindividuelle Fähigkeitskonzeption mit einer Aufgabenorientierung ( task orientation ) und die interindividuelle Fähigkeitskonzeption mit einer IchOrientierung ( ego orientation ) korrespondieren. Definition Die aufgabenorientierte Person strebt danach, ihre Fähigkeit dadurch zu demonstrieren, dass sie bestimmte Aufgaben bzw. Probleme bewältigen kann. Die Ichorientierte Person ist nicht damit zufrieden, dass sie bestimmte Kompetenzen erworben hat. Ihr geht es darum, ihre überlegene Fähigkeit im Vergleich mit anderen Personen zu zeigen. Nach Nicholls (1989) bedeutet Erfolg für die beiden Personengruppen Unterschiedliches. Der aufgabenorientierte Lerner betrachtet die Erweiterung seiner Kompetenz als Erfolg. Der Ichorientierte Lerner erlebt sich dagegen als erfolgreich, wenn er andere übertreffen kann. Die Zielorientierungen lassen sich eindeutig auf die zuvor behandelten Definitionen der Leistungsmotivation beziehen (s. oben). So ist die Aufgabenorientierung mit der kompetenzbezogenen Leistungsmotivation weitestgehend deckungsgleich, die IchOrientierung korrespondiert mit der wettbewerbsbezogenen Leistungsmotivation. Nicholls (1989) nimmt an, dass die aufgabenorientierte Person im Prozess des Lernens bzw. Kompetenzerwerbs dazu tendiert, intrinsisch motiviert zu sein, d. h., diesen Prozess unabhängig von seinen Folgen als etwas in sich Interessantes oder Wertvolles zu betrachten. Dagegen erlebt die Ichorientierte Person die Phase des Kompetenzerwerbs als Mittel zur Demonstration ihrer Fähigkeit. Aufgabenorientierung ist jedoch nicht mit intrinsischer Lernmotivation gleichzusetzen. Sie kann in einer gegebenen Situation auch vorhanden sein, ohne dass intrinsische Motivation auftritt. Zu erwarten ist jedoch eine positive Korrelation zwischen Aufgabenorientierung und intrinsischer Lernmotivation. Dieser Zusammenhang konnte empirisch bestätigt werden ( Abschn ). Die Theorie von Dweck Im Gegensatz zu Nicholls geht Dweck (1986, 1991; Elliott & Dweck, 1988) von der Frage aus, wie unangepasstes Bewältigungshandeln (schnelles Aufgeben bei Hindernissen, Vermeiden schwieriger Aufgaben) bei Schülern erklärt werden kann. Da niedrige Intelligenz in den Studien von Dweck als Ursache ausgeschlossen werden konnte, präferiert die Autorin eine motivationale Erklärung. Dies führt zur Annahme, dass hilflosigkeits und bewältigungsorientierte Schüler unterschiedliche Ziele haben. Dweck postuliert, dass hilflose Schüler sich vor allem an Leistungszielen ( performance goals ) und bewältigungsorientierte Schüler vor allem an Lernzielen ( learning goals ) orientieren. Das Verfolgen von Lernzielen bedeutet, dass vornehmlich danach gestrebt wird, die vorhandene Kompetenz zu erweitern. Lernziele entsprechen somit der Aufgabenorientierung bei Nicholls. Das Verfolgen von Leistungszielen bedeutet nach Dweck, dass positive Bewertungen der eigenen Kompetenz angestrebt und negative Bewertungen vermieden werden. Hier offenbart sich somit ein wesentlicher Unterschied zwischen den Konzeptionen von Nicholls und Dweck. Während die IchOrientierung das Anstreben von Überlegenheit im sozialen Vergleich beinhaltet, wird bezüglich der Leistungszielorientierung eine stärkere Differenzierung nahegelegt (vgl. Grant & Dweck, 2003). So kann eine positive Bewertung der eigenen Kompetenz aufgrund unterschiedlicher Kriterien erfolgen, wie beispielsweise einem individuellen Kompetenzzuwachs, dem Lob eines Lehrers oder dem positiven Abschneiden im sozialen Vergleich. In der Forschung der letzten zwei Jahrzehnte wurde jedoch die Unterscheidung von IchOrientierung sensu Nicholls und Leistungszielorientierung sensu Dweck nicht explizit berücksichtigt. Vielmehr finden sich in der Literatur leicht variierende Operationalisierungen der Leistungszielorientierung (die sich als Begriff durchgesetzt hat), mal mit stärkerer (z. B. Roedel, Schraw & Plake, 1994) und mal mit schwächerer Betonung des Strebens nach Überlegenheit im sozialen Vergleich (z. B. Spinath, StiensmeierPelster, Schöne & Dickhäuser, 2002).

180 162 Kapitel 7 Motivation Integration und Weiterentwicklung durch Elliot Elliot (1999; Elliot & Harackiewicz, 1996) hat die Ansätze von Nicholls (1984, 1989) und Dweck (1986, 1991) weiterentwickelt. Anstelle von Aufgaben bzw. Lernzielorientierung spricht er von Bewältigungszielen ( mastery goals ) und anstelle von IchOrientierung in Übereinstimmung mit Dweck von Leistungszielen ( performance goals ), wobei Letztere ganz im Sinne von Nicholls wettbewerbsorientiert gemeint sind (Streben nach Überlegenheit). Über die bisherigen Ansätze hinausgehend unterscheidet Elliot bei den Leistungszielen eine Annäherungs und eine Vermeidungskomponente. Damit ergibt sich eine klare Parallele zur Leistungsmotivforschung und der Unterscheidung eines Erfolgs und eines Misserfolgsmotivs (s. oben). Definition Von einem Annäherungsleistungsziel wird gesprochen, wenn es darum geht, die eigene Kompetenz im Vergleich mit anderen Personen zu demonstrieren. Dagegen bedeutet das Verfolgen eines Vermeidungsleistungsziels, dass die Person versucht, ihre vermeintlich unterlegene Kompetenz gegenüber anderen Personen zu verbergen. Beim Annäherungsleistungsziel wird ein positives Ereignis (Demonstration überlegener Kompetenz) angestrebt, beim Vermeidungsleistungsziel soll ein negatives Ereignis (Auftreten unterlegener Kompetenz) vermieden werden. Darüber hinaus schlug Elliot (1999; Elliot & McGregor, 2001) vor, die AnnäherungsVermeidungsDichotomie auch auf Bewältigungsziele anzuwenden. Lerner mit einem Annäherungsbewältigungsziel versuchen so viel Wissen wie möglich zu erwerben, während Lerner mit einem Vermeidungsbewältigungsziel eher danach streben, ihr bereits verfügbares Wissen bzw. Können nicht zu verlieren oder einen neuen Lernstoff nicht misszuverstehen. Sowohl die Befunde von Elliot und McGregor (2001) als auch von Pastor, Barron, Miller und Davis (2007) stützen das VierFaktorenmodell der Zielorientierung und zeigen insbesondere, dass die Annahme einer Vermeidungsbewältigungsorientierung empirisch sinnvoll ist. Zu Beginn der Forschung zu Zielorientierungen war eine dichotome Konzeption vorherrschend, nämlich die Unterscheidung zwischen Lern und Leistungszielorientierung. Dabei wurde eine normative Auffassung vertreten, wonach die Lernzielorientierung zu positiven bzw. adaptiven Auswirkungen im Schul bzw. Leistungskontext führt, die Leistungszielorientierung dagegen negative Effekte nach sich zieht (Pintrich, 2000; auch Harackiewicz, Barron, Pintrich, Elliot & Thrash, 2002). Im Zuge der Differenzierung der Zielorientierungen in eine Annäherungs und Vermeidungskomponente wurde jedoch deutlich, dass negative Auswirkungen vor allem der Vermeidungsleistungszielorientierung zuzuschreiben sind. Pintrich (2000) und Harackiewicz, Barron, Pintrich et al. (2002) postulierten daher auf der Basis empirischer Befunde eine revidierte Zielorientierungstheorie, in der Annäherungsleistungszielen auch eine adaptive Funktion zukommt und das Verfolgen multipler Ziele (insbesondere von Lern und Annäherungsleistungszielen) zu einer optimalen Motivation mit den meisten positiven Konsequenzen führt ( Abschn ). Interesse In der Interessenforschung wird zwischen dem überdauernden individuellen Interesse und dem situationsspezifisch auftretenden situationalen Interesse unterschieden (Krapp, 2010; Schiefele, 1996, 2009). Definition Das individuelle Interesse kann als relativ dauerhaftes, dispositionales Merkmal einer Person verstanden werden, das sich in der Auseinandersetzung mit einem Gegenstandsbereich (z. B. Schulfach) entwickelt und als mehr oder weniger starke Wertschätzung dieses Bereichs zum Ausdruck kommt. Das situationale Interesse bezeichnet dagegen den durch äußere Umstände (z. B. einen spannenden Vortrag) hervorgerufenen Zustand des Interessiertseins, der u. a. durch eine erhöhte Aufmerksamkeit und Gefühle der Neugier und Faszination gekennzeichnet ist. In ähnlicher Weise wie das oben erwähnte Kompetenzerleben (oder das FlowErleben) stellt das situationale Interesse einen handlungsbegleitenden, emotionalen Zustand dar. Insofern kann das Erleben situationalen Interesses als relevante Quelle von intrinsischer Lernmotivation aufgefasst werden. Aktuelle Ansätze der Interessenforschung (Hidi, Renninger & Krapp, 2004; Krapp, 2010; Schiefele, 2009) interpretieren Interesse als eine spezifische Beziehung zwischen einer Person und einem Gegenstand. Dies wird insbesondere in der PersonObjektTheorie des Interesses von Krapp (2005, 2010) hervorgehoben. Die Betonung dieses Aspekts soll verdeutlichen, dass sich Interesse immer auf einen Gegenstand bezieht und durch die Auseinandersetzung mit diesem entwickelt.

181 7.2 Bedeutung der Motivation für Lernen und Leistung Definition Das individuelle Interesse einer Person an einem Gegenstand setzt sich aus gefühls und wertbezogenen Valenzüberzeugungen zusammen. Von gefühlsbezogenen Valenzüberzeugungen spricht man, wenn ein Sachverhalt für eine Person mit positiven Gefühlen verbunden ist. Von wertbezogenen Valenzüberzeugungen ist die Rede, wenn einem Sachverhalt Attribute im Sinne persönlicher Bedeutsamkeit bzw. Wichtigkeit zugeschrieben werden. Die Art und Zahl der unterscheidbaren gefühlsbezogenen Valenzen wurde bislang nicht eingehend untersucht. Meist werden Gefühlszustände erfragt, die plausiblerweise als interessentypisch gelten, wie z. B. Gefühle des Absorbiertseins (bzw. Flow ), der Freude, der Neugier, der Anregung, der Faszination oder des Beteiligtseins. In ähnlicher Weise können auch verschiedene Gründe für die persönliche Bedeutsamkeit eines Gegenstands differenziert werden. Persönliche Bedeutsamkeit kann z. B. entstehen, weil die Beschäftigung mit dem Interessengegenstand als wichtig für die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit, als Beitrag zur Selbstverwirklichung oder als identitätsstiftend gesehen wird. Ein Sachverhalt kann sowohl aus extrinsischen bzw. instrumentellen als auch aus intrinsischen Gründen positive Gefühle auslösen oder bedeutsam sein. Eine extrinsische Valenzüberzeugung liegt z. B. vor, wenn ein Student eine hohe Wertschätzung des Fachs Mathematik zeigt, weil die Beherrschung mathematischen Wissens für den von ihm angestrebten Beruf zentral ist. Zur Charakterisierung von Interesse kommen definitionsgemäß jedoch nur intrinsische Gründe infrage (z. B. das Erleben von Flow beim Lösen mathematischer Probleme). Dies bedeutet, dass die auf einen Gegenstand bezogenen intrinsischen Valenzen, die das Vorhandensein von Interesse indizieren, unabhängig von den Beziehungen des Gegenstands zu anderen Sachverhalten bestehen müssen. Natürlich ist dabei denkbar, dass eine Person Interesse an einem Gegenstand hat und gleichzeitig auf diesen Gegenstand bezogene extrinsische Valenzüberzeugungen aufweist. 7.2 Bedeutung der Motivation für Lernen und Leistung In der Vergangenheit wurden Zusammenhänge zwischen Motivation und Lernen bzw. Leistung vor allem in Bezug auf die folgenden Konstrukte erforscht: Leistungsmotivation bzw. motiv, Zielorientierung, intrinsische vs. extrinsische Motivation und Interesse. In den einzelnen Studien hat man unterschiedliche Indikatoren von Lernen und Leistung zugrunde gelegt, z. B. Schulnoten, standardisierte Leistungstests (z. B. zur Messung der Kompetenz in Mathematik) sowie Ergebnisse einzelner Klausuren oder textbezogener Verstehenstests. Die Lernindikatoren reichen also von kumulativen Leistungen, die während eines längeren Zeitraums entstanden sind, bis hin zu Lernergebnissen bei konkreten, zeitlich begrenzten Lernaufgaben Leistungsmotivation Die Leistungsmotivationsforschung hat sich vor allem darauf konzentriert, die Auswirkungen des (impliziten und expliziten) Leistungsmotivs auf eine Reihe von leistungsbezogenen Verhaltensmerkmalen zu untersuchen (Brunstein & Heckhausen, 2006), insbesondere auf die Anstrengung (z. B. operationalisiert als Mengenleistung bei Additionsaufgaben), die Ausdauer und die Bevorzugung herausfordernder Aufgaben. Während dabei zahlreiche positive Befunde zu verzeichnen sind, die die Bedeutsamkeit des Leistungsmotivs unterstreichen, ergibt sich bezüglich des Zusammenhangs von Leistungsmotiv und Leistungsergebnissen eine weniger eindeutige Befundlage. Das Leistungsmotiv ist für das Leistungsergebnis bei der Bearbeitung einer Aufgabe folglich nicht generell prädiktiv. Der Stand der Forschung lässt auch keine Vorhersage zu, unter welchen Voraussetzungen bzw. bei welcher Art von Aufgaben ein positiver Effekt des Leistungsmotivs auf das Leistungsergebnis zu erwarten ist. Hierzu müssten zunächst Erkenntnisse gewonnen werden, aus denen hervorgeht, über welche spezifischen Prozesse bei der Aufgabenbearbeitung das Leistungsmotiv einen Effekt auf das Leistungsergebnis entfaltet (Brunstein & Heckhausen, 2006). Allerdings liegen Befunde vor, die hinsichtlich der Effekte des Leistungsmotivs auf Leistungen im schulischen Kontext aufschlussreich sind. Leistungsmotiv und Schulleistung Einige ältere Befunde legen nahe, dass nur dann ein signifikanter Zusammenhang zwischen Leistungsmotiv und Schulleistung zu erwarten ist, wenn eine optimale Anregung des Leistungsmotivs z. B. durch herausfordernde Aufgaben erfolgt (s. auch McClelland, 1980). Als herausfordernd gelten dabei Aufgaben, die mit einer gewissen Anstrengung lösbar sind also ein etwa mittleres Schwierigkeitsniveau aufweisen. So fand man für fähigkeitshomogene Klassen (für deren Schüler angenommen werden kann, dass der Unterricht in der Regel ein mittleres Schwierigkeitsniveau aufweist) eine positivere Leistungsentwicklung erfolgsmotivierter Schüler gegenüber misserfolgsmotivierten Schülern (O Connor, Atkinson & Horner, 1966).

182 164 Kapitel 7 Motivation Die neuere Forschung konzentriert sich stärker auf die Unterscheidung von implizitem und explizitem Leistungsmotiv. Dabei hat sich insbesondere gezeigt, dass das implizite Leistungsmotiv vor allem in Situationen vorhersagestark ist, in denen das Leistungsverhalten eigeninitiativ (z. B. ohne situative Notwendigkeit) und spontan auftritt. Dagegen ist das explizite Leistungsmotiv eher für solches Leistungsverhalten prädiktiv, das durch eine Situation bzw. andere Personen eingefordert wird (z. B. in einer Prüfung). Es überrascht daher nicht, dass das explizite Leistungsmotiv besser als das implizite Leistungsmotiv schulische Leistungen vorhersagen kann. Bei beruflichen Leistungen verhält es sich umgekehrt, denn im Rahmen einer beruflichen Laufbahn besteht zumindest potenziell ein größerer Spielraum für spontane und selbstinitiierte Lern und Leistungsaktivitäten (Brunstein, 2006). Darüber hinaus gibt es Hinweise (s. Brunstein & Hoyer, 2002), dass das implizite Leistungsmotiv dann wirksam wird, wenn es um die Verbesserung der eigenen Leistungsfähigkeit bzw. Kompetenz geht (individuelle Bezugsnorm), während sich das explizite Leistungsmotiv eher in sozialen Vergleichssituationen auswirkt (soziale Bezugsnorm). Daraus folgt, dass das implizite Leistungsmotiv auch im Schulkontext immer dann an Bedeutsamkeit gewinnt, wenn die individuelle Leistungsverbesserung im Vordergrund steht und soziale Vergleiche weitgehend irrelevant sind (Brunstein, 2006) Zielorientierung Die Forschung zu Zielorientierungen knüpft unmittelbar an die Leistungsmotivationsforschung an. So geht es auch hier um interindividuelle Unterschiede hinsichtlich der Bewertung von Leistungen unter Berücksichtigung einer Annäherungs und Vermeidungskomponente. Allerdings werden Zielorientierungen als kognitiv repräsentierte und bewusste Merkmale verstanden, sodass sie dem extrinsischen Leistungsmotiv näher stehen als dem intrinsischen. Im Unterschied zur Leistungsmotivationsforschung ist die Forschung zu Zielorientierungen sehr stark auf die Bereiche Lernen und Leistung in der Schule bezogen. Aus diesem Grund existiert eine Fülle empirischer Befunde, die über die Zusammenhänge der Zielorientierungen mit Lern und Schulleistungen Aufschluss geben. Besonders hervorzuheben sind Studien, in denen unterschiedliche Zielorientierungen experimentell induziert und hinsichtlich ihrer Effekte auf das Lernen untersucht wurden (z. B. Bergin, 1995; Graham & Golan, 1991). Diese Studien sind nicht zuletzt deshalb wertvoll, weil sie die theoretisch postulierten Wirkungen der Zielorientierungen auf Lernprozesse und resultate auch in kausaler Hinsicht prüfen können. Lern vs. Leistungsziele Wie Spinath und Schöne (2003) feststellen, belegt sowohl die experimentelle als auch die korrelative Forschung eine Reihe von Vorteilen der Lern gegenüber der Leistungszielorientierung. Diese betreffen günstigere Attributionen für Erfolg und Misserfolg (eigene Anstrengung anstelle von Fähigkeit), positivere Gefühle gegenüber Lern und Leistungsaufgaben, vermehrte intrinsische Motivation und größeres Interesse am Lerngegenstand. Darüber hinaus ergaben sich auch deutliche Effekte auf lernbezogene Prozesse. Lernzielorientierte Lerner beschäftigen sich intensiver mit dem Lernmaterial, wenden adäquatere Verarbeitungsstrategien an und sind ausdauernder (z. B. Ford, Smith, Weissbein, Gully & Salas, 1998; Grant & Dweck, 2003; Lau & Nie, 2008). Zu erwähnen ist dabei, dass Zielorientierungen häufig fachspezifisch erfasst wurden (z. B. Pintrich, 2000) und nicht im Sinne eines übergreifenden Persönlichkeitsmerkmals (z. B. Spinath et al., 2002). Insbesondere in experimentellen Studien konnten bessere Lernleistungen bei Lernzielen gegenüber Leistungszielen belegt werden (s. die Metaanalyse von Utman, 1997). Auch in natürlichen Lern und Leistungssituationen wurden für die Lernzielorientierung häufig positivere Zusammenhänge mit Leistungsmaßen nachgewiesen als für die Leistungszielorientierung (z. B. Köller, 1998a, 1998b; Lau & Nie, 2008; Meece & Holt, 1993). Ausnahmen werden von Spinath und Schöne (2003; auch Midgley, Kaplan & Middleton, 2001) darauf zurückgeführt, dass in diesen Fällen die Rahmenbedingungen eher Leistungsziele nahegelegt haben (z. B. durch eine starke Betonung sozialer Vergleiche; Harackiewicz, Barron, Tauer, Carter & Elliot, 2000). Allerdings ist mit Grant und Dweck (2003) festzustellen, dass gerade neuere Studien keine Effekte der Lernzielorientierung auf Leistung fanden. Diese Befunde stammen jedoch fast ausschließlich aus den Arbeitsgruppen um Elliot und Harackiewicz (s. die Übersicht von Harackiewicz et al., 2002; sowie die neueren Studien von Harackiewicz, Durik, Barron, LinnenbrinkGarcia & Tauer, 2008; und Hullemann, Durik, Schweigert & Harackiewicz, 2008). Im Gegensatz dazu konnten Grant und Dweck (2003) die leistungsförderliche Wirkung von Lernzielen bestätigen. Trotz der bestehenden Inkonsistenzen hinsichtlich der Vorhersage von Leistungen ist die generell positive Wirkung von Lernzielen u. a. aufgrund ihrer konsistent positiven Beziehungen zu Aspekten eines adaptiven Lernverhaltens und der intrinsischen Motivation relativ unumstritten. Im Unterschied dazu war die Einschätzung der Leistungsziele lange Zeit widersprüchlich (Grant & Dweck, 2003; Harackiewicz, Barron, Pintrich et al., 2002; Pintrich, 2000). Erst durch die Unterscheidung von Annäherungs und Vermeidungsleistungszielen ließ sich diese Unstimmigkeit größtenteils auflösen. Es wurde deutlich,

183 7.2 Bedeutung der Motivation für Lernen und Leistung dass sich Vermeidungsleistungsziele auf Lernverhalten und Leistung sowie auf Motivation und emotionales Erleben eher negativ auswirken, während den Annäherungsleistungszielen zumindest eine leistungsförderliche Funktion zugesprochen wird (z. B. Elliot, McGregor & Gable, 1999; Harackiewicz et al., 2000; s. jedoch Ford et al., 1998; Köller, 1998a). In einem Überblick über bisherige Studien zu Zielorientierungen im Studium zeigten Harackiewicz et al. (2002), dass Leistungsziele konsistent positive Beziehungen zu Leistungsmaßen aufweisen, während Lernziele vor allem das Ausmaß an Interesse, intrinsischer Motivation, Anstrengung, Ausdauer und Verarbeitungsqualität vorhersagen (z. B. Barron & Harackiewicz, 2001; Elliot et al., 1999; Harackiewicz, Barron, Tauer & Elliot, 2002). Dies bestätigt sich auch in neueren Studien von Harackiewicz et al. (2008) und Hullemann et al. (2008). Betrachtet man die vorliegenden Studien jedoch genauer, so ist zum einen festzustellen, dass die Korrelationen der Leistungszielorientierung mit Leistungsindikatoren eher niedrig ausfallen (< 0,30 oder < 0,20). Zum anderen ist die Lernzielorientierung vereinzelt durchaus auch positiv mit akademischen Leistungen korreliert (z. B. Elliot et al., 1999, Studie 1; auch Grant & Dweck, 2003). Schließlich zeigen die Studien von Elliot et al. (1999, Studie 2) und Hulleman et al. (2008), dass trotz nicht signifikanter Korrelationen zwischen Lernzielorientierung und Leistung indirekte Effekte der Lernzielorientierung auf die Leistung auftreten können (z. B. vermittelt über Anstrengung und Persistenz). Zusammenfassend ist festzustellen, dass lediglich die Effekte der Zielorientierungen auf das Lernverhalten und einzelne Determinanten erfolgreichen Lernens (Attributionen, intrinsische Motivation, Umgang mit Misserfolg etc.) relativ eindeutig zugunsten der Lernzielorientierung ausfallen. Die Effekte der Zielorientierungen auf die Leistung sind demgegenüber widersprüchlich und bedürfen der weiteren Klärung. Mögliche Ursachen für die bestehenden Widersprüche betreffen insbesondere die abweichenden Operationalisierungen von Lernzielen und Annäherungsleistungszielen (Grant & Dweck, 2003), die Art der jeweils untersuchten Lernleistung (z. B. Bearbeitung eines Textes vs. Schulnote) und die Nichtberücksichtigung von Kontexteinflüssen, die den Effekt der Zielorientierung auf die Leistung eventuell moderieren (Spinath & Schöne, 2003) Intrinsische vs. extrinsische Motivation Studien zum Zusammenhang zwischen intrinsischer Lernmotivation und schulischen Leistungen haben relativ übereinstimmend einen positiven Zusammenhang mit geringer bis mittlerer Ausprägung ergeben (z. B. Gottfried, 1990; Gottfried, Fleming & Gottfried, 2001; Ratelle, Guay, Vallerand, Larose & Senécal, 2007; Vallerand et al., 1993; s. auch die Übersichten von Schiefele & Schreyer, 1994, und Schiefele & Streblow, 2005). Neben der Bedeutung für Schulleistungen belegt die bisherige Forschung, dass die intrinsische Lernmotivation deutlich stärker als die extrinsische Lernmotivation mit solchen Lernstrategien korrespondiert, die eine tiefere Verarbeitung des Lernmaterials beinhalten (z. B. Schiefele & Schreyer, 1994; Walker, Green & Mansell, 2006). Allerdings sollte nicht generell davon ausgegangen werden, dass die extrinsische Lernmotivation ohne besondere Bedeutung für Lernleistungen ist. Beispielsweise fanden Schiefele et al. (2003) sowohl für die leistungs als auch die wettbewerbsbezogene Lernmotivation signifikante Beiträge zur Vorhersage von Studienleistungen. Darüber hinaus sind insbesondere für die Annäherungsleistungszielorientierung ( Abschn ) und die identifizierte extrinsische Motivation positive Zusammenhänge mit Leistung festgestellt worden (z. B. Ratelle et al., 2007; Vallerand et al., 1993). Intrinsische Motivation und Fähigkeitsniveau Interessanterweise scheinen besonders Kinder mit niedrigen Intelligenzwerten von intrinsischer Motivation zu profitieren. In einer Studie von Tzuriel und Klein (1983) wurden Schüler zunächst drei verschiedenen Intelligenzstufen (hoch, mittelmäßig, niedrig) zugeordnet. Im nächsten Schritt führten die Autoren innerhalb der drei Intelligenzgruppen Vergleiche zwischen intrinsisch und extrinsisch motivierten Schülern hinsichtlich ihrer Schulleistungen durch. Dabei zeigte sich in allen drei Gruppen, dass intrinsisch motivierte Schüler bessere Leistungen erzielten als extrinsisch motivierte. Dieser Unterschied war in der Gruppe mit der niedrigsten Intelligenz jedoch am höchsten ausgeprägt. Von den Autoren wird dieses Ergebnis damit erklärt, dass intrinsische Motivation mit der Bevorzugung herausfordernder Aufgaben einhergeht und auf diese Weise zu Leistungssteigerungen führt. Bei weniger intelligenten Schülern könnte die Vermeidung anspruchsvoller Aufgaben besonders groß sein und intrinsische Motivation folglich einen besonderen Vorteil darstellen. Experimentelle Befunde In einer Übersicht experimenteller Arbeiten zum Vergleich von intrinsischer und extrinsischer Motivation konnten Schaffner und Schiefele (2007) feststellen, dass die betrachteten Studien mehrheitlich in der Bedingung mit intrinsischer Instruktion signifikant bessere Textlernleistungen fanden als in der Bedingung mit extrinsischer Instruktion (z. B. Grolnick & Ryan, 1987). Die Anleitungen zur Erzeugung von intrinsischer Motivation betonten die persönliche Relevanz der Lerninhalte, stützten das Gefühl von

184 166 Kapitel 7 Motivation Selbstbestimmung oder Herausforderung und schwächten den Aspekt einer möglichen Bewertung der Lernergebnisse ab. Extrinsische Motivation wurde hingegen begünstigt durch die Ankündigung eines Lerntests, teilweise mit der zusätzlichen Ankündigung der Vergabe von Noten oder Rangplätzen. Ein weiteres sehr wichtiges Ergebnis besteht darin, dass die signifikanten Effekte der Motivationsmanipulation fast durchgängig Lernkriterien betrafen, die sich auf das konzeptuelle Verständnis eines Textes bezogen. Dagegen ergaben sich in der Regel keine Unterschiede in Hinblick auf Faktenfragen und quantitative Maße der Textwiedergabe (Schaffner & Schiefele, 2007). FlowErleben und Leistung Schließlich sei noch erwähnt, dass auch für das Flow Erleben positive Zusammenhänge mit Lernen und Leistung nachweisbar sind (z. B. Schüler, 2007). So konnte Nakamura (1991) zeigen, dass Schüler mit hoher mathematischer Fähigkeit, aber schwachen Leistungen, seltener Flow erleben als gleichermaßen fähige, aber leistungsstarke Schüler. Noch aussagekräftiger sind jene Studien, die signifikante Vorhersagewerte des FlowErlebens für (Studien) Leistungen auch dann erzielten, wenn andere relevante Bedingungsfaktoren (z. B. Leistungsniveau, Vorwissen) kontrolliert wurden (Engeser, Rheinberg, Vollmeyer & Bischoff, 2005) Interesse Interesse und Textlernen Die Bedeutsamkeit des individuellen Interesses für Lernleistungen konnte vielfach belegt werden. Besondere Aufmerksamkeit wurde dem Interessenkonstrukt im Rahmen der Forschung zum Textlernen zuteil (Schiefele, 1996). Sowohl für das situative als auch das individuelle Interesse existieren zahlreiche Belege eines positiven Zusammenhangs mit dem Lernen aus Texten. Diese Arbeiten sind bereits verschiedentlich zusammenfassend dargestellt worden (z. B. Alexander, Kulikowich & Jetton, 1994; Schiefele, 1996, 1999, 2009). Hervorzuheben ist dabei, dass Interesseneffekte auch Bestand haben, wenn relevante kognitive Bedingungsfaktoren (insbesondere Vorwissen und Fähigkeiten) kontrolliert werden. Zudem gibt es Belege dafür, dass Interesse einen größeren Effekt auf Indikatoren tiefergehenden Leseverstehens (z. B. Hauptgedanken erfassen, Anwendungsfragen beantworten) ausübt als auf einfache Lernindikatoren (z. B. Faktenfragen, Zahl reproduzierter Sinneinheiten). In jüngerer Zeit wurde der Einfluss thematischen Interesses auf die Wirkung von Texten untersucht, die eine konzeptuelle Veränderung ( conceptual change ) hervorrufen sollen. Andre und Windschitl (2003) berichten eine Reihe von Studien, in denen zwei Textvarianten (Thema: elektrischer Strom) verglichen wurden: ein traditioneller, erklärender Text und ein Konzeptveränderungstext, der alternative Auffassungen anspricht und auf dieser Grundlage ein korrektes Verständnis fördern möchte. Die Ergebnisse belegen, dass thematisches Interesse signifikant zur Vorhersage konzeptuellen Verstehens beiträgt, und zwar unabhängig von der vorgegebenen Textvariante sowie vom Vorwissen und der verbalen Fähigkeit der Probanden. Die Autoren nehmen an, dass Interesse die Auseinandersetzung mit einem Text erleichtert und eine tiefere Verarbeitung anregt. In einer Studie von Mason, Gava und Boldrin (2008) konnte die besondere Bedeutung thematischen Interesses für die Wirkung von Konzeptveränderungstexten deutlich bestätigt werden. Schulische Interessen, Leistung und Kurswahlen In einer Übersichtsarbeit stellten Schiefele, Krapp und Schreyer (1993) fest, dass die Ausprägung schulfachbezogener Interessen in mittlerem Ausmaß mit den entsprechenden Leistungen bzw. Noten korreliert. Dieser Befund wird auch in einer Reihe neuerer Arbeiten bestätigt, in denen Interesse (auch als enjoyment oder task value bezeichnet) insbesondere zusammen mit Zielorientierungen, Selbstkonzept und Selbstwirksamkeit sowohl bei Schülern als auch Studierenden untersucht wurde (z. B. Barron & Harackiewicz, 2001; Baumert, Schnabel & Lehrke, 1998; Harackiewicz, Barron, Tauer & Elliot, 2002; Marsh, Trautwein, Lüdtke, Köller & Baumert, 2005). Auf der Grundlage von PISADaten konnten Chiu und Xihua (2008) zeigen, dass das Mathematikinteresse in 80 % aller beteiligten Länder auch bei Kontrolle einer Vielzahl von anderen Einflussvariablen (z. B. sozioökonomischer Status, Leistungsniveau, Selbstkonzept) signifikant zur Vorhersage mathematischer Kompetenz beiträgt. Mithilfe von längsschnittlichen Daten belegten Köller, Baumert und Schnabel (2001), dass eine wechselseitige Beeinflussung zwischen Interesse und Leistung wahrscheinlich ist. Sie untersuchten eine große Stichprobe von Gymnasiasten zu drei verschiedenen Zeitpunkten: am Ende der 7. sowie der 10. Klasse und in der Mitte der 12. Klasse. Zu diesen Zeitpunkten wurden u. a. das Interesse am Fach Mathematik und die Mathematikleistung (mithilfe eines standardisierten Tests) erhoben. Zusätzlich wurde registriert, ob sich die Schüler für Mathematik als Leistungskurs entschieden. Strukturgleichungsanalysen ergaben, dass das Interesse in der 7. Klasse keine signifikanten Effekte auf die Leistung in der 10. oder 12. Klasse hatte. Dagegen beeinflusste das Leistungsniveau in der 7. Klasse das Interesse in der 10. Klasse signifikant, d. h. kompetentere Schüler zeigten sich interessierter. Es waren jedoch direkte und indirekte signifikante Effekte des Interesses in der 10. Klasse auf

185 7.3 Entwicklung und Förderung motivationaler Merkmale die Leistung in der 12. Klasse festzustellen. Der indirekte Effekt des Interesses wurde über die Kurswahl vermittelt: Hoch interessierte Schüler wählten deutlich häufiger einen Leistungskurs als die weniger interessierten Schüler. Erwartungsgemäß trugen sowohl die Kurswahl als auch die Leistung in der 10. Klasse signifikant zur Leistung in der 12. Klasse bei. Erstaunlicherweise konnte für das Interesse in der 10. Klasse (über die Leistung in der 10. Klasse und die Kurswahl hinaus) ein signifikanter direkter Effekt auf die Leistung in der 12. Klasse festgestellt werden. Die Ergebnisse der Studie von Köller et al. (2001; auch Baumert et al., 1998; Baumert & Köller, 1998; Köller, 1998a; Marsh et al., 2005) legen nahe, dass in der Sekundarstufe I nur geringe oder gar keine Zusammenhänge zwischen Interesse und Leistung zu beobachten sind (s. jedoch Lau & Nie, 2008; Chiu & Xihua, 2008). Köller et al. (2001) argumentieren dabei, dass in den unteren Schulstufen die Motivation der Schüler vornehmlich durch extrinsische Anreize und Werte (z. B. häufige schriftliche Tests, Verstärkung durch die Eltern) reguliert wird. Folglich sollte das Interesse nur eine marginale Rolle bei der Initiierung und Aufrechterhaltung von Lernaktivitäten spielen. In der Sekundarstufe II nehmen hingegen die Häufigkeit schriftlicher Tests und extrinsischer Anreize ab und die Möglichkeit zur Selbstbestimmung zu. Folglich gewinnt das Interesse einen größeren Einfluss auf die Regulation von Lernaktivitäten. Diese Annahme wird durch den von Köller et al. (2001) gefundenen direkten Effekt des Interesses in der 10. Klasse auf die Leistung in der 12. Klasse bestätigt. Darüber hinaus wählten die interessierten Schüler deutlich häufiger Mathematik als Leistungskurs. Insbesondere der letztgenannte Befund ist in Einklang mit der Forschung zu akademischen Wahlentscheidungen von Eccles (1983, 2005; Wigfield & Eccles, 2000), deren Befunde die Annahme stützen, dass motivationale Merkmale der Lerner sich stärker auf Verhaltensentscheidungen (z. B. Kurswahlen, Studienfachwahlen) als auf die Leistungsgüte auswirken. Die besondere Bedeutung von Interesse für Kurswahlen konnte auch von Schiefele und Csikszentmihalyi (1995), Bong (2001) und Harackiewicz et al. (2008) demonstriert werden. Die beiden erstgenannten Studien belegen dabei die Unabhängigkeit des Interesseneffekts von Fähigkeitsindikatoren und Selbstwirksamkeitsüberzeugungen. 7.3 Entwicklung und Förderung motivationaler Merkmale Die bisher behandelten Motivationsmerkmale wurden in der Forschung auch hinsichtlich ihrer längsschnittlichen Entwicklung betrachtet. Ein wichtiges Forschungsgebiet stellt beispielsweise die Veränderung von intrinsischer Motivation im Verlauf der Schulzeit dar. In den entspre chenden Studien wurden in der Regel auch Merkmale der Schüler oder des Umfelds berücksichtigt, die als motivationsförderliche oder hemmende Bedingungen infrage kommen (z. B. Stipek, 1996; Wigfield et al., 2006) und auf die wir deshalb im Folgenden näher eingehen Leistungsmotivation und Zielorientierung Entwicklungsverläufe Für das Leistungsmotiv und die Zielorientierung liegen relativ wenige Befunde zu Veränderungen während der Schulzeit vor. Empirische Evidenz wurde vor allem im Rahmen von Studien auf der Grundlage des Erwartungs WertModells von Eccles (1983, 2005; Wigfield & Eccles, 2000; Wigfield et al., 2006) gewonnen ( Abschn ). Die Studien von Eccles und Wigfield und anderen Autoren (z. B. Watt, 2004) zeigen bedeutsame Veränderungen für diejenigen Variablen, die als wichtigste Determinanten der Leistungsmotivation gelten (zusammenfassend Wigfield et al., 2006). Sowohl für Einschätzungen der eigenen Fähigkeit und Erfolgserwartungen als auch für fachbezogene Wertüberzeugungen (z. B. persönliche Bedeutsamkeit) konnte eine kontinuierliche Abnahme im Laufe der Schulzeit festgestellt werden. Für diese negative Entwicklung wurden vor allem zwei Gründe angeführt. Zum einen verstehen und interpretieren Kinder mit zunehmendem Alter die evaluativen Rückmeldungen, die sie erhalten, angemessener und nehmen häufiger soziale Vergleiche vor. Auf diese Weise werden die Selbsteinschätzungen realistischer und deshalb auch vergleichsweise negativer. Zum anderen ist zu vermuten, dass die schulische Lernumgebung mit steigender Klassenstufe Leistungsbewertungen immer stärker betont und somit auch den Wettbewerb zwischen den Schülern anregt. Für einen Teil der Schüler führt diese Entwicklung zu niedrigeren fähigkeits und wertbezogenen Überzeugungen. Die Forschung zu Zielorientierungen könnte weiteren Aufschluss zu der Frage geben, ob Formen der Leistungsmotivation sich im Laufe der Schulzeit verändern. Entsprechende Befunde sind jedoch selten (Anderman, Austin & Johnson, 2002). Nach der Theorie von Nicholls (1984, 1989) ist eine zunehmende Entwicklung von der Aufgaben bzw. Lernzielorientierung hin zur Ich bzw. Leistungszielorientierung zu erwarten. Die Ergebnisse von Nicholls belegen, dass jüngere Kinder noch nicht zwischen Anstrengung und Fähigkeit differenzieren können und bei der Beurteilung ihrer Kompetenz eine individuelle Bezugsnorm zugrunde legen. Im Laufe des Jugendalters kommt es zu einem Differenzierungsprozess, der zu einem elaborierten Fähigkeitskonzept (das nun von der Anstrengung abgegrenzt wird) und einer stärkeren Orientierung am sozialen

186 168 Kapitel 7 Motivation Vergleich führt. Die Studien von Köller, Baumert und Rost (1998), Seifert (1995, 1996) sowie Anderman und Midgley (1997) zeigen darüber hinaus, dass erst ab der 5. Klassenstufe mit einer zunehmenden Leistungszielorientierung zu rechnen ist. Fördermaßnahmen Die Untersuchung von Maßnahmen zur Förderung der Leistungsmotivation hat bereits eine sehr lange Tradition (z. B. McClelland & Winter, 1969; Kap. 8 und Kap. 16). Erwähnenswert ist beispielsweise das OriginTraining von decharms (1979), in dem u. a. die Bedeutung selbstbestimmten Verhaltens betont wird. Dadurch rückt das Training von decharms in die Nähe der Ansätze zur Förderung von intrinsischer Motivation und Interesse (s. unten). Im deutschen Sprachraum hat das von Heckhausen (1989) konzipierte Selbstbewertungsmodell des Leistungsmotivs eine entscheidende Rolle für die Entwicklung von Trainingsverfahren gespielt (Rheinberg & Krug, 2005). In diesen Verfahren stehen drei Ansatzpunkte zur Steigerung des Erfolgsmotivs (bzw. zur Verringerung des Misserfolgsmotivs) im Mittelpunkt: das Setzen realistischer (mittelschwerer) Ziele, die Durchführung günstiger Ursachenerklärungen für Erfolg und Misserfolg und der Aufbau einer positiven Selbstbewertungsbilanz. Eine wichtige Weiterentwicklung der Leistungsmotivförderung basiert auf der Erkenntnis, dass eine individuelle Bezugsnormorientierung des Lehrers ähnliche Wirkungen hervorrufen kann wie ein gezieltes Trainingsverfahren (Rheinberg, 1980; Rheinberg & Krug, 2005; Abschn ). Diese Orientierung zeichnet sich dadurch aus, dass der Lehrer die aktuellen Leistungsergebnisse der Schüler im Kontext ihrer früheren Leistungen beurteilt, Aufgaben an das Leistungsniveau der Schüler anpasst und bei der Ursachenzuschreibung den Faktor Anstrengung betont. Eine solche Vorgehensweise entspricht weitgehend einem Unterricht, der im Sinne der Zielorientierungstheorie Bewältigungs bzw. Lernziele in den Vordergrund stellt (z. B. Ames, 1992; Anderman et al., 2001; Lau & Nie, 2008) Interesse und intrinsische Motivation Entwicklungsverläufe Es ist seit Längerem bekannt, dass das Interesse an Schulfächern im Laufe der Schulzeit kontinuierlich abnimmt (Hidi, 2000; Krapp, 2002; Wild & Hofer, 2000). Die Schwächung motivationaler Schülermerkmale zeigt sich jedoch nicht nur bezüglich der Interessen, sondern auch für Einstellungen gegenüber der Schule, aufgabenbezogene Wert überzeugungen und Indikatoren habitueller intrinsischer Motivation (z. B. Anderman & Maehr, 1994; Gottfried, Marcoulides, Gottfried, Oliver & Guerin, 2007; Helmke, 1993; Pekrun, 1993; Wigfield et al., 2006). Die Abnahme schulischer Interessen betrifft insbesondere die naturwissenschaftlichen Fächer (Mathematik, Physik, Chemie). Dabei ist jedoch zu beachten, dass sich nicht für alle Themen eines Faches Interessenabnahmen zeigen (Krapp, 2002). Darüber hinaus beeinflussen Kontextbedingungen, die Schulform und das Geschlecht die Entwicklung von Interessen. Hoffmann, Lehrke und Todt (1985; Hoffmann & Lehrke, 1986) fanden beispielsweise, dass sowohl Mädchen als auch Jungen ein geringes Interesse an Physik äußern, wenn der Unterricht stark wissenschaftlich ausgerichtet ist, d. h. mit starker Betonung der Gültigkeit genereller physikalischer Gesetze. Wenn es dem Lehrer jedoch gelingt, physikalische Prinzipien und Fakten zu praktischen Problemen und dem Alltag der Schüler in Beziehung zu setzen, dann ist das Interesse an Physik bei Jungen und Mädchen hoch ausgeprägt. Es gibt mehrere mögliche Gründe für die Abnahme schulischer Interessen (Baumert & Köller, 1998). Eine Erklärungsmöglichkeit sieht vor, dass eine mangelnde Passung zwischen den schulischen Curricula und den generellen Interessen der Schüler besteht. Vor allem bezüglich des naturwissenschaftlichen Unterrichts wird vermutet, dass eine zu starke Wissenschaftsorientierung zu einer Vernachlässigung der Alltagserfahrungen der Schüler führt. Im Rahmen ihrer StageEnvironmentFitTheorie haben Eccles et al. (1991, 1993) darauf hingewiesen, dass die schulische Lernumwelt zunehmend weniger auf die sich entwickelnden Werte, Bedürfnisse und (außerschulischen) Interessen der Schüler abgestimmt ist. So gerät beispielsweise das mit steigendem Alter zunehmende Bedürfnis nach Selbstbestimmung mit der restriktiven Lernumwelt der Schule bzw. dem stark lehrergesteuerten Unterricht in Konflikt. Zusätzlich wird die Beziehung zu Mitschülern durch die vorherrschende Konkurrenz um gute Noten und die Vernachlässigung kooperativen Lernens belastet (auch Wild & Hofer, 2000). Baumert und Köller (1998) vertreten die Ansicht, dass die Abnahme schulischer Interessen im Verlauf der Sekundarstufe I das Ergebnis eines Differenzierungsprozesses darstellen kann (auch Todt, 1990; Todt & Schreiber, 1998). In der späten Kindheit und frühen Adoleszenz werden sich die Schüler immer mehr ihrer Stärken und Schwächen bewusst. Der Prozess des Vergleichens von Stärken und Schwächen beeinflusst die Entwicklung von Interessen. So belegen empirische Befunde, dass Schüler in den Bereichen stärkeres Interesse zeigen, in denen sie ein höheres Selbstkonzept ihrer Fähigkeit aufweisen (Denissen, Zarrett & Eccles, 2007; Köller, Schnabel & Baumert, 1998, 2000). Darüber hinaus bedingt der Übergang von der

187 7.3 Entwicklung und Förderung motivationaler Merkmale Schule zur beruflichen Ausbildung bzw. zum Arbeitsmarkt, dass die Schüler bestimmte Interessen betonen und vertiefen, während sie andere aufgeben. Damit in Übereinstimmung fanden Köller, Schnabel und Baumert (1998) eine Abnahme der Korrelationen zwischen den verschiedenen Interessenbereichen (z. B. zwischen Deutsch und Mathematik) im Laufe der Zeit. Dies spricht für die Existenz eines Differenzierungsprozesses, der zumindest zum Teil die Reduzierung schulischer Interessen erklären kann (auch Krapp & Lewalter, 2001). In Übereinstimmung mit der verfügbaren Evidenz sind drei unterschiedliche Prozesse der Abnahme von Interessen und intrinsischer Motivation anzunehmen: 1. Bestimmte Unterrichtsmerkmale, wie z. B. die Vernachlässigung der Alltagserfahrungen und Interessen der Schüler, und der restriktive, wenig Raum für Selbstbestimmung bietende Charakter schulischer Lernumwelten behindern die Entfaltung schulfachbezogener Interessen. 2. Die Schüler entwickeln zunehmend stabile außerschulische Interessen, die in Konkurrenz zu den Schulfächern treten. 3. Im Laufe der Schulzeit führt die Wahrnehmung einer hohen Fähigkeit in bestimmten Bereichen (z. B. Schulfächern) zu Interessenschwerpunkten, die wiederum die Aufgabe oder Abwertung anderer Interessenbereiche bedingen. Der letztgenannte Punkt ist nicht zuletzt deshalb bedeutsam, weil er impliziert, dass die generelle Interessenabnahme zumindest teilweise das Ergebnis eines durchaus positiven Prozesses (nämlich der fähigkeitsabhängigen Spezialisierung) darstellt. Um diese Überlegungen zu stützen ist jedoch weitere Forschung notwendig. Fördermaßnahmen Nicht nur die Entwicklungsverläufe von Interessen und habitueller intrinsischer Motivation zeigen starke Parallelen, sondern auch die diskutierten Maßnahmen zur Förderung beider motivationaler Merkmale (z. B. Bergin, 1999; Brophy, 2004; Moschner & Schiefele, 2000; Schiefele & Streblow, 2006; Wild, 2001; Wild & Remy, 2002). Von Bedeutung ist insbesondere die Frage, wie Interesse und intrinsische Motivation nicht nur geweckt, sondern auch relativ dauerhaft aufrechterhalten werden können. Verschiedene Autoren (z. B. Deci & Ryan, 1985, 2002; Krapp, 1998; Schiefele, 2004; Wild & Remy, 2002) haben argumentiert, dass die Erfüllung der in der Selbstbestimmungstheorie postulierten Bedürfnisse nach Kompetenz, Selbstbestimmung und sozialer Bezogenheit eine zentrale Voraussetzung für die Entstehung und Aufrechterhaltung von intrinsischer Lernmotivation und fachlichen Interessen darstellt. Aus spezifisch interessentheoretischer Sicht ist darüber hinaus die Erhöhung der gefühls und wertbezogenen Bedeutsamkeit bzw. Valenz des Lerngegenstands als wichtige Voraussetzung zu nennen (Schiefele, 2004). Somit bieten sich insgesamt die folgenden vier Interventionsbereiche an: Förderung der Kompetenzwahrnehmung Förderung der Selbstbestimmung Förderung der sozialen Bezogenheit Förderung der Bedeutsamkeit des Lerngegenstands. Förderung der Kompetenzwahrnehmung. Jeder der vier Interventionsbereiche umfasst übergeordnete Interventionsziele, die genauer spezifiziert und mit konkreten Interventionsmaßnahmen verbunden werden können (Schiefele, 2004). So lassen sich der Förderung der Kompetenzwahrnehmung die folgenden Interventionsziele zuordnen: positive Rückmeldungen und Bekräftigungen, Förderung aktiver Beteiligung und lebenspraktischer Anwendungen, klare, strukturierte und anschauliche Stoffpräsentation und Unterstützung bei herausfordernden Aufgaben. Das Interventionsziel Förderung aktiver Beteiligung und lebenspraktischer Anwendungen kann beispielsweise konkret durch solche Handlungen gefördert werden, die es erlauben, mit realen und lebensnahen Materialien umzugehen und dabei kognitiv und physisch aktiv zu sein. Dies könnte z. B. beinhalten, dass Schüler im Fach Deutsch eine Kurzgeschichte in ein Theaterstück umwandeln und es dann mit verteilten Rollen spielen. In den naturwissenschaftlichen Fächern besteht die Möglichkeit zum selbstständigen Experimentieren und zum Ausprobieren dabei gewonnener Erkenntnisse anhand realistischer Aufgaben (z. B. Trinkwasseranalyse). Förderung der Selbstbestimmung. Auf die Bedeutung der Selbstbestimmung haben insbesondere Deci und Ryan (1985, 2002) hingewiesen und postuliert, dass intrinsische Motivation und Interesse nur dann entwickelt werden, wenn Schüler über ein ausreichendes Ausmaß an Handlungsspielräumen und Wahlmöglichkeiten verfügen (dazu die Befunde von Reeve, Bolt & Cai, 1999; Tsai, Kunter, Lüdtke, Trautwein & Ryan, 2008). Dafür sind Vorgehensweisen geeignet, die zu mehr Mitbestimmung führen (z. B. bei der Auswahl des Lernstoffs), die relativ große Freiräume ermöglichen (z. B. Projektunterricht), die die Selbstbewertung des eigenen Lernfortschritts zulassen (z. B. durch das Anlegen von Lernkurven auf der Basis von Lerntests) und die es dem Schüler erlauben, selbst Entscheidungen zu treffen und Lösungen für Probleme zu finden. Kunter, Baumert und Köller (2007) konnten demonstrieren, dass auch motivationsunspezifische Maßnahmen im Unterricht das fachliche Interesse der Schüler fördern, wenn die Grundbedürfnisse nach Kompetenz und Autonomie angesprochen werden. Die Autoren untersuchten die

188 170 Kapitel 7 Motivation Auswirkungen von Klassenmanagementstrategien (Klarheit der Regeln und Lehrersteuerung) auf die Entwicklung des Interesses an Mathematik. Sie nahmen an, dass vorstrukturierte und gut organisierte Lernumgebungen das Erleben von Kompetenz und Selbstbestimmung steigern und sich somit auch interessenförderlich auswirken. Die Befunde bestätigen, dass Regelklarheit und Lehrersteuerung positiv zur Vorhersage des Interesses beitragen und dass dieser Effekt durch das Erleben von Kompetenz und Selbstbestimmung vermittelt wird. Förderung sozialer Bezogenheit. Die Annahme eines Bedürfnisses nach sozialer Bezogenheit erklärt nicht nur die besondere Bedeutung sozialer Anerkennung bzw. Zurückweisung als extrinsische Motivationsquelle, sondern auch die Steigerung intrinsischer Motivation durch die Kopplung von Lernhandlungen bzw. gegenständen mit befriedigenden sozialen Kontakten (Deci & Ryan, 1985, 2002). Daher bildet die Förderung sozialer Bezogenheit eine weitere Möglichkeit zur Förderung von intrinsischer Motivation und Interesse. Um dieses Ziel zu erreichen, scheinen insbesondere Formen der Teamarbeit und des kooperativen Lernens geeignet zu sein. Dabei ist darauf zu achten, dass die gemeinsame Arbeit einen intensiven sozialen Austausch erfordert und jeder Schüler die Verantwortung für bestimmte Teilaufgaben übernimmt. Zusätzlich kann das Erleben sozialer Bezogenheit auch durch ein partnerschaftliches LehrerSchülerVerhältnis positiv beeinflusst werden (Schiefele, 2004). Förderung der Bedeutsamkeit des Lerngegenstands. Aus interessentheoretischer Sicht stellt die Förderung der Bedeutsamkeit des Lerngegenstands ein zentrales Interventionsziel dar (Bergin, 1999; Krapp, 1998; Schiefele, 2004). Diesem Ziel lassen sich einige konkrete Maßnahmen zuordnen, so z. B. klare und persönlich bedeutungsvolle Lernziele formulieren (z. B. Mathematik als Grundlage des technischen Fortschritts hervorheben), als Lehrender das eigene Interesse am Stoffgebiet zum Ausdruck bringen (z. B. berichten, warum man sich als Lehrer für sein Fachgebiet entschieden hat) und praktische Anwendungsmöglichkeiten des Lernstoffs hervorheben (z. B. Bedeutung der Chemie für die Themen Ernährung und Gesundheit). Neben den aufgeführten Einzelmaßnahmen (die natürlich auch gebündelt angewendet werden können) existieren auch umfassende und langfristige Programme zur Beeinflussung fachlichen Interesses und intrinsischer Motivation bei Schülern (Moschner & Schiefele, 2000). In einem von Häußler und Hoffmann (2002; auch Hoffmann, 2002; Hoffmann, Häußler & PetersHaft, 1997) durchgeführten Modellprojekt gelang es, die Interessen von Mädchen der 7. Klassenstufe am naturwissenschaftlichen Unterricht positiv zu beeinflussen. Die durchgeführten Maßnahmen beinhalteten z. B. die Einbettung der Inhalte des Physikunterrichts in Kontexte, die Mädchen besonders interessieren, aber im herkömmlichen Physikunterricht vernachlässigt werden. Gleichzeitig war man bemüht, geschlechtsspezifische Dominanzen zu vermeiden und verwendete vor allem solche Kontexte, die an außerschulische Erfahrungsbereiche anknüpfen, die Mädchen und Jungen gleichermaßen zugänglich sind. Darüber hinaus hatten die Schüler die Möglichkeit, aktiv und eigenständig zu lernen, Erfahrungen aus erster Hand zu sammeln und einen Bezug zum Alltag und ihrer Lebenswelt herzustellen. Auch wurden die Bedeutung der Naturwissenschaften für die Gesellschaft und der lebenspraktische Nutzen naturwissenschaftlicher Inhalte immer wieder verdeutlicht. Fazit Der hier vorgelegte Überblick zu Aspekten pädagogischpsychologischer Motivationsansätze verdeutlicht die Existenz relativ vielfältiger motivationaler Merkmale, die zudem in der Regel eine substanzielle Bedeutung für den Lernerfolg in Schule und Studium aufweisen. Es fällt jedoch auf, dass die Beziehungen zwischen den verschiedenen motivationalen Konstrukten nur teilweise als geklärt gelten können. So werden beispielsweise Konstrukte voneinander unterschieden (z. B. das explizite Leistungsmotiv und die Zielorientierungen), die offenkundig starke Überschneidungen aufweisen. Es ergibt sich daher als dringliche Aufgabe für die künftige Forschung, die unterschiedlichen Konzeptionen der Lernmotivation in eine kohärente Rahmentheorie zu integrieren und die Zusammenhänge zwischen ihnen zu klären (z. B. Urhahne, 2008). Eine bessere Integration der Konstruktvielfalt wäre nicht nur aus theoretischen, sondern auch aus praktischen Gründen zu begrüßen, denn eine größere theoretische Klarheit würde die Rezeption motivationaler Theorien durch Lehrer, Erzieher, Weiterbilder und andere Praktiker erleichtern und somit die Wahrscheinlichkeit motivationaler Interventionen in den pädagogischen Anwendungsfeldern erhöhen. Die vorliegenden Befunde zu den Auswirkungen der Motivation auf Lernen und Leistung vermitteln ein insgesamt positives Bild. Ohne Zweifel kommt der Motivation hier eine wichtige Rolle zu, auch jenseits von kognitiven Bedingungsfaktoren. Aber es besteht noch weiterer Klärungsbedarf. Einige Autoren (insbesondere Eccles, 1983, 2005; Wigfield & Eccles, 2000) wiesen darauf hin, dass motivationale Lernermerkmale vor allem ausbildungsbezogene Entscheidungen (z. B. Kurswahlen) beeinflussen. Besonders deutlich konnte dies von Köller et al. (2001) für den Einfluss des Interesses auf die

189 Literatur Leistungskurswahl im Fach Mathematik demonstriert werden. Dagegen wurde der Einfluss der Motivation auf Leistungsindikatoren als geringer eingeschätzt. Allerdings muss hier wiederum nach Motivationsformen (z. B. Lern vs. Leistungszielorientierung) und Leistungsformen (z. B. standardisierte Leistungstests vs. Lernleistung in einer spezifischen Textlernsituation) unterschieden werden. Eine wichtige Aufgabe der künftigen Forschung besteht deshalb darin, mehr systematische und differenzierte Kenntnisse über den Zusammenhang von Motivation und akademischen Leistungen zu gewinnen. Zusätzlich wäre es dabei wichtig, auch die Motivationseffekte auf die den Leistungen zugrunde liegenden Lernprozesse zu untersuchen (Brunstein & Heckhausen, 2006). Ein praktisch besonders bedeutsamer Befund besteht darin, dass insbesondere für die intrinsische Motivation, das Interesse und die Lernzielorientierung im Laufe der Schulzeit signifikante Abnahmen zu beobachten sind. Um diese Abnahmen wirksam zu bekämpfen, kann auf eine Reihe von Interventionsmöglichkeiten zurückgegriffen werden. Dabei haben die obigen Ausführungen gezeigt, dass trotz aller Verschiedenheit der theoretischen Konzeptionen eine relative große Gemeinsamkeit hinsichtlich der Fördermaßnahmen besteht. Insbesondere die Studien zur Steigerung des Leistungsmotivs belegen, dass auch Lernfreude und Interesse geweckt werden, wenn es gelingt, durch herausfordernde Ziele und günstige Attributionsmuster positive Selbstbewertungen in Leistungssituationen zu erreichen (Rheinberg & Krug, 2005; Schiefele & Streblow, 2006). Diese Konvergenz der Effekte von motivationalen Interventionen ist vermutlich darauf zurückzuführen, dass die Bedürfnisse nach Kompetenz und Selbstbestimmung für die Motivation eine dominierende Rolle spielen (decharms, 1979; Deci & Ryan, 1985, 2002). Entsprechend wurde wiederholt festgestellt, dass zumindest die an individuellen Bezugsnormen orientierte Leistungsmotivation (Aufgaben bzw. Lernzielorientierung) mit den Ausprägungen von Interessen und intrinsischer Motivation positiv zusammenhängt. Verständnisfragen 1. Was versteht man unter Lernmotivation und wie unterscheiden sich die intrinsische und die extrinsische Form der Lernmotivation? 2. Welcher Zusammenhang besteht zwischen intrinsischer Motivation und letztgültigen Zielen des Verhaltens? 3. Unter welchen Bedingungen kann auch das implizite Leistungsmotiv zur Vorhersage von Schulleistungen beitragen? 4. Worin unterscheidet sich die Wirkung von Annäherungsleistungszielen und Lernzielen? 5. Inwiefern kann die im Laufe der Schulzeit zu beobachtende Abnahme von Schülerinteressen auch positiv betrachtet werden? Vertiefende Literatur Heckhausen, J. & Heckhausen, H. (Hrsg.). (2006). Motivation und Handeln. Heidelberg. Schunk, D. H., Pintrich, P. R. & Meece, J. L. (2008). 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194 177 8 Selbstkonzept Jens Möller, Ulrich Trautwein 8.1 Schulisches Selbstkonzept Theoretische Wurzeln der pädagogischpsychologischen Selbstkonzeptforschung William James Symbolischer Interaktionismus Gedächtnispsychologische Modelle des Selbstkonzepts Entwicklungspsychologische Arbeiten Sozialpsychologische Selbstkonzeptforschung Struktur, Stabilität und Erfassung des Selbstkonzepts Struktur des Selbstkonzepts: Bereichsspezifität und Hierarchie Stabilität des Selbstkonzepts Erfassung des Selbstkonzepts Determinanten des Selbstkonzepts : Welche Faktoren beeinflussen die Höhe der fachbezogenen Selbstkonzepte? Soziale, dimensionale, temporale und kriteriale Vergleichsinformationen BigFishLittlePond Effekt Internal/ExternalFrameofReferenceModell Geschlecht und Geschlechterstereotype Schulischer Kontext und Selbstkonzeptentwicklung Wirkungen des Selbstkonzepts Selbstkonzept und Leistung Selbstkonzept, Interesse und leistungsthematische Wahlentscheidungen Schulische und außerschulische Interventionsmaßnahmen 196 Literatur 197 E. Wild, J. Möller (Hrsg.), Pädagogische Psychologie, SpringerLehrbuch, DOI / _8, SpringerVerlag Berlin Heidelberg 2015

195 178 Kapitel 8 Selbstkonzept Erzielt ein Fußballspieler über Monate kein Tor, so heißt es häufig, dass es ihm am nötigen Selbstvertrauen fehlt. Ist eine Schülerin überzeugt, dass ihr Mathematik liegt und machen ihr entsprechend die Mathematikstunden viel Spaß, so sagt ihre Lehrkraft möglicherweise, dass die Mathematik ihr sehr wichtig ist, eben ein zentraler Teil ihres Selbstbilds, ihrer Identität. Durchlebt ein Jugendlicher eine Krise, etwa weil wichtige Freundschaften zerbrechen oder er schulischen Misserfolg erlebt, so könnte die Diagnose seiner Umwelt lauten, dass sein Selbstwertgefühl angeknackst ist. So verschieden die drei Beispiele auf den ersten Blick sein mögen, ihnen ist gemein, dass sie das Feld der psychologischen Selbstkonzeptforschung berühren. In diesem Kapitel geht es um schulbezogene und außerschulische Selbstkonzepte. Es soll dargestellt werden, wie sich schulbezogene Selbstkonzepte entwickeln, wodurch sie beeinflusst werden und welche Auswirkungen sie auf das Erleben und Verhalten von Personen haben. Dabei geht es um brisante Fragen: Wie finden Kinder und Jugendliche ihre Identität? Wieso sind die Leistungen der Mitschülerinnen und Mitschüler dafür verantwortlich, ob ich denke, dass ich in Sprachen gut bin? Und wieso drückt meine Note in Deutsch auf mein Selbstvertrauen in Mathematik? Zunächst aber sollen in Abschn. 8.2 kurz die theoretischen Wurzeln der pädagogischpsychologischen Selbstkonzeptforschung beschrieben werden, indem dargestellt wird, wie von James und im symbolischen Interaktionismus über das Selbst gedacht wurde. Zudem werden gedächtnis und entwicklungspsychologische Selbstkonzeptmodelle skizziert und die Kernmerkmale sozialpsychologischer Selbstkonzeptforschung aufgeführt. In Abschn. 8.3 erfolgt eine eingehende Beschreibung von Struktur, Stabilität und Erfassung des Selbstkonzepts, bevor in Abschn. 8.4 die Determinanten des Selbstkonzepts beschrieben werden. In Abschn. 8.5 wird die Bedeutung des Selbstkonzepts für schulische Leistungen und Wahlentscheidungen dargestellt. In Abschn. 8.6 werden abschließend Möglichkeiten der Förderung der Selbstkonzepte vorgestellt (. Abb. 8.1). 8.1 Schulisches Selbstkonzept.. Abb. 8.1 Mit dem Begriff Selbstkonzept werden Einschätzungen und Einstellungen bezüglich ganz unterschiedlicher Aspekte der eigenen Person bezeichnet. Zu diesen Einstellungen und Einschätzungen zählen sowohl globale gefühlsmäßige Bewertungen der eigenen Person ( Was tauge ich eigentlich? ) als auch mehr oder weniger rationale Einschätzungen der eigenen Eigenschaften, Fähigkeiten und Kompetenzen ( Wie schlau/eitel/schnell bin ich? ). Traditionell ist die Forschung zum Selbstkonzept in der Pädagogischen Psychologie und hier insbesondere in Bezug auf Schüler sehr aktiv. Das hat vor allem zwei Gründe: 1. Die Vermittlung eines positiven Selbstbilds gilt als ein wichtiges Erziehungsziel, da das psychische Wohlbefinden von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen von einer positiven Selbstbewertung profitiert. 2. Die Annahme, dass eine positive Bewertung der eigenen Leistungsfähigkeit die tatsächlich gezeigten Leistungen positiv beeinflussen kann, ist empirisch gut gesichert. Das Selbstkonzept hat folgerichtig großes Interesse in der Forschung gefunden; mittlerweile sind mehrere Tausend wissenschaftliche Artikel zum Selbstkonzept veröffentlicht worden. Definition Der Begriff Selbstkonzept wird in der aktuellen pädagogischpsychologischen Forschung verwendet, um die mentale Repräsentation der eigenen Person zu beschreiben. Selbstkonzepte sind Vorstellungen, Einschätzungen und Bewertungen, die die eigene Person betreffen (Moschner, 2001). Diese Selbstbeschreibungen können sich auf einzelne Facetten der Person ( Ich zeige in Mathematik gute Leistungen ) oder auf die gesamte Person ( Ich wünschte, ich wäre jemand anderes ) beziehen. Bei Selbstbeschreibungen in einem bestimmten Bereich (z. B. schulbezogenes Selbstkonzept oder Selbstkonzept des Aussehens) wird von einem bereichsspezifischen Selbstkonzept ( domainspecific selfconcept ) gesprochen.

196 8.2 Theoretische Wurzeln der pädagogischpsychologischen Selbstkonzeptforschung In diesem Beitrag beschäftigen wir uns fast ausschließlich mit schulbezogenen Selbstkonzepten, wie beispielsweise dem mathematischen Selbstkonzept. Globale Bewertungen der eigenen Person, die häufig mit dem Begriff Selbstwertgefühl ( selfesteem bzw. selfworth ) oder globales Selbstkonzept beschrieben werden, berücksichtigen wir dagegen nur am Rande. Ein Fragebogen zum globalen Selbstkonzept oder Selbstwertgefühl würde typischerweise Items wie Im Großen und Ganzen bin ich mit mir zufrieden enthalten. Bereichsspezifische Selbstkonzepte werden dagegen über stärker fokussierte Aussagen erfasst wie In Mathematik bin ich einfach nicht so begabt wie viele meiner Mitschüler (mathematisches Selbstkonzept). Schulbezogene Selbstkonzepte firmieren unter unterschiedlichen Bezeichnungen. Gängig sind im Deutschen insbesondere die Begriffe Fähigkeitsselbstkonzept sowie Selbstkonzept der Begabung. Der Begriff Fähigkeitsselbstkonzept betont etwas stärker den Aspekt des wahrgenommenen Leistungsstands (die Performanz), während im Begriff Selbstkonzept der Begabung auch potenzielle Leistungen (bzw. die Anlagen, die eine Person besitzt) berücksichtigt sind. Beide Konzepte weisen jedoch breite Überlappungen auf und werden von manchen Autoren synonym verwendet. Auch empirisch erscheint eine Trennbarkeit kaum möglich (Marsh, Trautwein, Lüdtke, Baumert & Köller, 2007). Der Begriff Kompetenzüberzeugungen ( competence beliefs ), der ebenfalls gern verwendet wird, ist breiter als der Begriff des Selbstkonzepts. Beispielsweise gehören auch die sog. Selbstwirksamkeitsüberzeugungen ( Exkurs Selbstwirksamkeit ) zu den Kompetenzüberzeugungen. Diskutiert wird, ob Selbstkonzepte rein beschreibende kognitive Repräsentationen eigener Fähigkeiten darstellen oder auch evaluative Komponenten enthalten. Da schulbezogene Fähigkeiten und Fertigkeiten wichtige Konsequenzen haben und diese Konsequenzen von Schülern tagtäglich wahrgenommen werden, darf man wohl getrost davon ausgehen, dass schulbezogene Selbstkonzepte praktisch für alle Schüler auch eine evaluative Komponente besitzen. Vereinfacht gesprochen: Wenn jemand sagt, er sei nicht gut in der Schule, so lässt ihn das nicht kalt. Neben dem Zusammenhang mit der Schulleistung haben insbesondere die genauere theoretische und empirische Bestimmung des Selbstkonzepts, dessen Genese sowie die pädagogisch motivierte Veränderung des Selbstkonzepts den wissenschaftlichen Diskurs bestimmt. Die Fülle an wissenschaftlichen Artikeln hat dazu geführt, dass inzwischen die Bedeutung des Selbstkonzepts sowie zentrale Mechanismen der Genese des Selbstkonzepts gut dokumentiert sind. Ein Lehrbuchkapitel kann und soll nicht die gesamte Komplexität eines so lebendigen Forschungsfeldes wiedergeben. Es muss vereinfachen, ohne zu trivialisieren, und selektiv in der Auswahl der beschriebenen Forschungsergebnisse sein, ohne den Blick ungebührlich zu verengen. Bei der Abfassung dieses Kapitels haben wir dies u. a. zu erreichen versucht, indem wir primär eine pädagogischpsychologische Sichtweise vom Selbstkonzept einnehmen, innerhalb dieses Bereichs jedoch eine Fokussierung auf Einzelphänomene und einzelne Studien vermeiden. 8.2 Theoretische Wurzeln der pädagogischpsychologischen Selbstkonzeptforschung William James In der englischsprachigen Literatur wird meist William James als Begründer der Selbstkonzeptforschung bezeichnet, der am Ende des 19. Jahrhunderts seine einflussreichen Arbeiten vorlegte. James trieb u. a. die Frage um, warum verschiedene Personen mit ähnlichen Fähigkeiten ein ganz unterschiedliches Selbstbild erwerben und entsprechend unterschiedlich zufrieden mit sich sind. Zur Systematisierung des Forschungsfelds führte James eine Differenzierung im Selbst ein, indem er zwischen dem Betrachter ( I ) und dem Betrachteten ( Me ) unterschied. Das I ist die denkende und handelnde Person selbst, es bezeichnet nicht das Selbst als Objekt der Betrachtung, sondern ist gewissermaßen das betrachtende Subjekt, das self as a knower. Das Me stellt dagegen das Objekt der Betrachtung der eigenen Person dar. Das Me entspricht dem Selbstkonzept, dem self as known, oder dem selbstbezogenen Denken, Empfinden und Wissen. Das I betrachtet also das Me. Das self as known stellt die Aspekte einer Person dar, derer sich das self as knower bewusst ist. Das Me wird bei James als hierarchisches und multidimensionales Selbstkonzept konzipiert. Das Me wird aus Erfahrungen konstruiert, es ist das empirical ego (James, 1892/1999). Es setzt sich aus spirituellen, sozialen und materiellen Aspekten zusammen. Die oberste Hierarchieebene bildet das spirituelle Selbst, welches Wissen über eigene Eigenschaften, Fähigkeiten und Einstellungen beinhaltet, the entire collection of my states of consciousness, my psychic faculties and dispositions taken concretely (James, 1892/1999, S. 71). Hier sind in moderner Terminologie fähigkeitsbezogene Selbstkonzepte und schulfachspezifische Interessen anzusiedeln. Das soziale Selbst verstand James dagegen eher als wahrgenommene Fremdwahrnehmung einer Person. Jeder Mensch hat demnach so viele Varianten des sozialen Selbst, wie Personen sich in unterschiedlicher Weise an ihn erinnern. Das soziale Selbst besteht also im Wesentlichen aus Kognitionen darüber, welches Ansehen man bei verschiedenen Personen(gruppen) hat bzw. wie man von ihnen wahrgenommen wird. Das materielle Selbst schließlich umfasst

197 180 Kapitel 8 Selbstkonzept Abb. 8.2 Multidimensionales und hierarchisches Selbstkonzept. (Modifiziert nach Shavelson et al. 1976, copyright 1976 by SAGE Publications. Reprinted by Permission of SAGE Publications.) Wissen über den eigenen Körper, wichtige andere Personen (Familie) und vertraute Gegenstände. Zum Me zählen auch affektive Einstellungen gegenüber der eigenen Person, das sog. selffeeling eines Menschen sich selbst gegenüber, das in unterschiedlichem Ausmaß etwa Stolz und Scham beinhaltet. Im Wesentlichen ist dieses Selbstwertgefühl nach James das Ergebnis von Erfolgen oder Misserfolgen und der Stellung, die ein Mensch in der Welt hat. Hierbei geht es primär um subjektive Interpretationen von Erfolgen und Misserfolgen und nicht um deren objektive Ausprägung. Nach James bestimmt sich das Selbstwertgefühl eines Menschen als Verhältnis von Erfolg und Anspruch. Das Selbstwertgefühl basiert auf Fähigkeiten in einzelnen Domänen. Die Domänen werden je nach persönlicher Wichtigkeit bei der Ausgestaltung des Selbstwertgefühls berücksichtigt. James postulierte Prozesse, nach denen sich das Selbstwertgefühl aus der Summe gewichteter bereichsspezifischer Selbstkonzepte zusammensetzt. Auch wenn die empirisch ausgerichtete Selbstkonzeptforschung manche Vorstellung von James zu revidieren half, bleibt festzuhalten, dass seine Arbeiten die Basis für spätere Selbstkonzeptmodelle, wie etwa das hierarchische Selbstkonzeptmodell von Shavelson, Hubner und Stanton (1976;. Abb. 8.2), lieferten Symbolischer Interaktionismus Selbstkonzepte sind ganz maßgeblich von Interaktionen mit der sozialen Umwelt beeinflusst. Diese Erkenntnis wurde seit Anfang des 20. Jahrhunderts insbesondere von Vertretern des symbolischen Interaktionismus, aber auch von klinischen Psychologen wie Carl Rogers popularisiert. Nach den Annahmen des symbolischen Interaktionismus ist das Selbstkonzept in erster Linie ein Resultat der Fremdwahrnehmungen einer Person durch andere Personen. Das Selbstkonzept ist danach so etwas wie ein Abziehbild der Einstellungen anderer Menschen zu dieser Person, eine Reflexion ihrer wahrgenommenen Wirkung auf andere. Cooley (1902) prägte in diesem Zusammenhang den Begriff des lookingglassself. Andere Personen spiegeln einer Person ihre Einstellungen und Gefühle gegenüber dieser Person wider; in diesem Spiegel sieht sich die Person und konstruiert aus den Fremdwahrnehmungen ihr eigenes Selbstkonzept. Insbesondere Menschen, die einer Person nahestehen, haben nach dieser Konzeption starken Einfluss auf deren Selbstkonzept: In the presence of one whom we feel to be of importance, there is a tendency to enter into and adopt, by sympathy, his judgment of ourself (Cooley, 1902, S. 175). Mead (1934) betonte darüber hinaus, dass nicht nur Individuen, sondern auch soziale Gruppen und deren Normen das Selbstkonzept prägen. Dabei bestimmt die Gesamtheit der sozialen Gruppen, deren Mitglied eine Person ist, deren Selbstbild. Die Person nimmt einen generalisierten Anderen wahr, quasi als Querschnitt aller sozialen Gruppen. Die Einstellung, die dieser generalisierte Andere zu der Person hat, prägt deren Selbstkonzept; die Einstellung der anderen zu einer Person wird dann von dieser übernommen. Das Verdienst der symbolischen Interaktionisten für die Selbstkonzeptforschung besteht in der Betonung der Rolle der sozialen Umwelt für die Selbstkonzeptentwicklung. Diese wird heute nicht mehr angezweifelt, wenn auch nicht alle Postulate des symbolischen Interaktionismus

198 8.2 Theoretische Wurzeln der pädagogischpsychologischen Selbstkonzeptforschung Exkurs Direkte versus indirekte Rückmeldungen Wie kommt es zu den nur moderaten Zusammenhängen zwischen Selbst und Fremdbild? Angeregt von den insgesamt ernüchternden empirischen Befunden hinsichtlich der Übereinstimmung von Selbstbild und Fremdbild nannte Felson (1993) einige Gründe, die zu diesem Befundmuster beitragen könnten. Als eine mögliche Ursache wird die niedrige Kongruenz zwischen Fremdbild und wahrgenommenem Fremdbild gesehen, da zunächst das wahrgenommene Fremdbild in das Selbstbild integriert werden muss. Oft seien die Rückmeldungen von anderen zu Aspekten der eigenen Person aber uneindeutig oder positiv verzerrt: Gesellschaftliche Konventionen würden es in vielen Fällen verbieten, kritische bzw. negative Rückmeldungen zu geben. Es soll gewährleistet werden, dass alle Mitglieder der Gesellschaft ihr Gesicht wahren können ( facework ), was durch gegenseitige Rücksicht gewährleistet wird. Nichtsdestotrotz gab Felson (1993) auch Hinweise darauf, welche Möglichkeiten einem Individuum zur Verfügung stehen, um ein realistisches Selbstbild zu erwerben. Zum einen können in Situationen, in denen negative Rückmeldungen sozial verboten sind, Rückschlüsse aus der Abwesenheit positiver Rückmeldung gezogen werden. Zudem gibt es gewisse Informationskanäle (z. B. enge Freunde und Lebenspartner), von denen man realitätsnahes Feedback erbitten kann. Eine besondere Rolle nehmen nach Felson (1993) institutionalisierte Leistungsrückmeldungen ein, wie man sie in der Schule etwa bei der Zeugnisvergabe oder der Rückgabe von Klassenarbeiten erhält: Sie werden als relativ verlässliches Feedback angesehen. Solche Rückmeldungen werden besonders dann als informativ angesehen, wenn sie Informationen über die relative Position zu anderen beinhalten und damit einen sozialen Vergleich ermöglichen. Felson (1993) nahm somit an, dass ein direkter verbaler Rückmeldeprozess eher die Ausnahme als die Regel ist. Neben den hier aufgeführten indirekten und institutionalisierten Rückmeldungen beschrieb Felson jedoch noch einen weiteren, indirekten Weg zur Selbsteinschätzung, bei dem gemeinsame Standards ( shared standards ) einer Bezugsgruppe eine besonders wichtige Rolle spielen. Nach dieser Annahme kann ein Individuum zu einer Repräsentation der eigenen Reputation kommen, indem es die in der Bezugsgruppe vorherrschenden Standards internalisiert und sich selbst daran misst (Felson, 1993, S. 11): The process can be explained in terms of the socialization of standards, or as the normative effect of reference groups. A normative effect suggests that individuals learn standards from others and then evaluate themselves using these standards. empirisch bestätigt werden konnten. So fallen Übereinstimmungen zwischen Selbst und Fremdeinschätzungen in der Regel niedriger aus als erwartet (Shrauger & Schoeneman, 1979; Exkurs Direkte versus indirekte Rückmeldungen ). Diese Übereinstimmungen zwischen Selbstbild und tatsächlichem Fremdbild sind jedenfalls niedriger als die Übereinstimmungen zwischen dem Selbstbild von Schülern und dem von diesen Schülern selbst wahrgenommenen Fremdbild. Meine Vermutung, was andere Personen über mich denken, ist also auch ein Resultat selektiver Wahrnehmung und Informationsverarbeitung, die von meinem Selbstbild gesteuert wird Gedächtnispsychologische Modelle des Selbstkonzepts Mit der kognitiven Wende in der Psychologie ab den 1970er Jahren setzte ein Siegeszug der Selbstkonzeptforschung ein. Das Selbst wurde als kognitive (Gedächtnis) Struktur modelliert, die durch Informationsaufnahme geformt wird sowie unter bestimmten Umständen selbst die Informationsaufnahme beeinflusst. So konzipierte Filipp (1979) das Selbstkonzept als Wissensstruktur hinsichtlich der eigenen Person. Neben verschiedenen Quellen selbstbezogenen Wissens hat Filipp den Prozess der Aufnahme und Verarbeitung selbstbezogener Informationen untersucht. Sie unterschied dabei vier Phasen, nämlich 1. die Vorbereitungsphase, in der die Diskrimination selbstbezogenen Wissens geschieht, 2. die Aneignungsphase, in der die selbstbezogene Information in ein internes, aktualisiertes Selbstmodell integriert wird, 3. die Speicherungsphase, in der das selbstbezogene Wissen beispielsweise in der Form eines Schemas gespeichert wird, sowie 4. die Erinnerungsphase, in der die selbstbezogenen Informationen abgerufen und handlungsleitend werden können. Ein weiteres Beispiel für die gedächtnispsychologische Tradition sind die Arbeiten von Markus (1977). Sie unterscheidet zwischen überdauernden und situationalen Aspekten des Selbstkonzepts. In der Konzeption von Markus umfassen die stabilen Aspekte des Selbstkonzepts beispielsweise positive oder negative Sichtweisen von Aspekten der eigenen Person, aber auch Wunschvorstellungen der eigenen Person (IdealSelbst). Nach Markus werden vor dem Hintergrund dieser relativ stabilen Aspekte des Selbstkonzepts in konkreten Situationen bestimmte Selbstkonzeptaspekte aktiviert, von Markus als working self bezeichnet. Das working selfconcept wird auf der einen Seite durch die stabilen Aspekte des Selbstkonzepts bestimmt, auf der anderen Seite aber durch aktuelle situative und soziale Einflüsse modifiziert.

199 182 Kapitel 8 Selbstkonzept Nach Markus umfassen die stabilen Aspekte des Selbstkonzepts eine Reihe von verschiedenen Selbstkonzeptfacetten, wie beispielsweise die guten und schlechten Seiten der eigenen Person, das IdealSelbst und das negative Selbst. Gleichzeitig machte Markus darauf aufmerksam, dass in Abhängigkeit von der Situation unterschiedliche Verarbeitungsstrategien auftreten. Der Inhalt des jeweiligen Working SelfConcept ist somit nach Markus nicht nur durch die stabilen Selbstkonzepte bestimmt, sondern auch durch die jeweilige soziale Situation. Als Belege für ihre Vorstellungen führte Markus Ergebnisse aus experimentellen Studien an. So manipulierten beispielsweise Markus und Kunda (1986) das temporäre Selbstkonzept von Studentinnen, indem ihnen suggeriert wurde, sie würden extrem ähnliche ( Ähnlichkeitsbedingung ) bzw. unähnliche ( Einzigartigkeitsbedingung ) Vorlieben aufweisen wie drei gleichzeitig untersuchte Studierende. Markus und Kunda fanden Belege dafür, dass die Untersuchungsteilnehmerinnen in Reaktion auf die experimentelle Manipulation ihr tatsächliches Selbstkonzept veränderten. Hannover (1997) hat diesen Ansatz theoretisch und empirisch weiterentwickelt und insbesondere für die Pädagogische Psychologie nutzbar gemacht (s. auch Kessels & Hannover, 2004) Entwicklungspsychologische Arbeiten In der Entwicklungspsychologie wurde in den vergangenen Jahrzehnten eine Reihe von Modellen zur Genese des Selbstkonzepts erarbeitet. Ein Beispiel für einen entwicklungspsychologisch begründeten Ansatz, der auch für die pädagogischpsychologische Forschung bedeutsam wurde, sind die Beiträge von Harter (z. B. 1998, 1999). Harter entwickelte, aufbauend auf den Arbeiten von James (1892/1999) und Piaget (1960), in mehreren Etappen ein Modell der kognitiven Entwicklung des Selbstkonzepts. Zunächst beschrieb Harter (1983) die Selbstkonzeptentwicklung anhand der Unterscheidung kognitiver Prozesse nach Piaget (1960). Konkretoperationale Selbstbeschreibungen in der früheren Kindheit werden zunehmend abgelöst durch abstrakte Selbstbeschreibungen mit Eigenschaftscharakter. Selbstbeschreibungen von Kindern betreffen häufig beobachtbare Attribute wie Eigentum oder Fähigkeiten; zudem sind die Bewertungen der eigenen Person sehr positiv, soziale Vergleichsinformation ist nicht ausreichend vorhanden bzw. wird noch nicht adäquat genutzt (Ruble & Frey, 1987). Ältere Kinder und Jugendliche können auch negative Eigenschaften in das Selbstkonzept integrieren, außerdem steigt die Bedeutung des leistungsbezogenen und des sozialen Selbstkonzepts. Die einzelnen Selbstkonzepte differenzieren sich aus durch inter und intraindividuelle Vergleichsprozesse. Durch Vergleiche mit Gleichaltrigen werden die Selbstkonzepte zunehmend realistischer und differenzierter. Später erfolgte durch Harter (1998, 1999) eine Reformulierung der Entwicklung des Denkens im Kindes und Jugendalter. Harter beschrieb für sechs Altersstufen vom Säuglingsalter bis zum späten Jugendalter die Struktur und die zentralen Inhalte von Selbstkonzepten sowie deren Übereinstimmung mit der Wirklichkeit. Danach sind die Selbstkonzepte bis weit in die Kindheit hinein ( middle childhood ) stark positiv verzerrt, durch die allmähliche Integration auch negativer Informationen über eigene Fähigkeiten und Eigenschaften in das Selbstbild nimmt die Genauigkeit der Selbsteinschätzungen zu. Mit dieser Entwicklung geht die zunehmende Ausdifferenzierung des eigenen Rollenbildes einher; am Ende der Jugendzeit reflektiert das Selbstkonzept relativ stabile Überzeugungen und Werte Sozialpsychologische Selbstkonzeptforschung In der Sozialpsychologie hat sich eine ausgesprochen lebendige und oftmals faszinierende Forschungsaktivität zum Selbstkonzept entwickelt, in der u. a. beschrieben wird, wie es den meisten Menschen gelingt, ein positives Selbstbild zu erhalten. Es gibt in Hinblick auf die Konzepte, Themen und Methoden viele Überschneidungen mit der pädagogischpsychologischen Selbstkonzeptforschung. Wichtige Unterschiede zwischen der sozialpsychologischen und der pädagogischpsychologischen Forschung bestehen jedoch nach wie vor in zweierlei Hinsicht. Zum einen fokussiert der Großteil der sozialpsychologischen Selbstkonzeptforschung das Selbstwertgefühl ( Exkurs Allgemeines Selbstkonzept als Einstellung: Die Beiträge von Morris Rosenberg ) und ist nur bedingt an bereichsspezifischen Selbstkonzepten interessiert, die in der pädagogischpsychologischen Forschung die Publikationsaktivitäten dominieren. Zum anderen nimmt die sozialpsychologische Forschung in hohem Maße eine Prozessperspektive ein, die zu den oft eher eigenschaftsorientierten Selbstkonzeptmodellen der Pädagogischen Psychologie in deutlichem Kontrast steht. Bezieht man sich auf die oben dargestellte Unterscheidung nach James, so beschränkt sich das pädagogischpsychologische Selbstkonzept in erster Linie auf das Me, während bedeutsame Anteile der sozialpsychologischen Selbstkonzeptforschung eine Präferenz für das I, die aktive Seite des Selbst, haben. Das Selbst fungiert hier als motiviertes, dynamisches System mit handlungsleitender Funktion (Mischel & Morf, 2003). Genannt werden beispielsweise theoretische Annahmen, wonach viele oder alle Menschen Bedürfnisse nach Selbstbewertung ( self

200 8.3 Struktur, Stabilität und Erfassung des Selbstkonzepts evaluation ), Selbstwertsteigerung ( selfenhancement ), Selbstbestätigung ( selfverification ), Selbstwertschutz ( selfdefense ) oder Selbstverbesserung ( selfimprovement ) haben, die in unterschiedlichen Situationen unterschiedlich bedeutsam sind. In schulischen Leistungssituationen scheint das Bedürfnis nach Selbstverbesserung besonders prominent; so verglichen sich die Schüler in der Studie von Möller und Köller (1998) vor allem mit leistungsstärkeren Mitschülern. 8.3 Struktur, Stabilität und Erfassung des Selbstkonzepts Aktuelle pädagogischpsychologische Arbeiten zum Selbstkonzept gehen in der Regel von einer Konzeption aus, bei der das Selbstkonzept in Übereinstimmung mit gedächtnispsychologischen Arbeiten eine kognitive Repräsentation eigener Fähigkeiten und/oder Begabungen darstellt. Versucht man eine Einordnung in die Theorie von James, so steht im Blickpunkt pädagogischpsychologischer Arbeiten meist das Me. Im Einklang mit James wird die Notwendigkeit einer bereichsspezifischen Sicht hervorgehoben ein Mensch kann sich in unterschiedlichen Teilbereichen ganz unterschiedlich wahrnehmen. Die Betonung der sozialen Umwelt als wichtige Determinante des Selbstkonzepts wirkt wie ein Widerhall der frühen Arbeiten des symbolischen Interaktionismus, und aus der Entwicklungspsychologie wurden zentrale Modellvorstellungen zur Genese des Selbstkonzepts adaptiert. Im Folgenden stellen wir zentrale Modelle vor und geben einen kurzen Überblick über Instrumente, mit denen das Selbstkonzept erfasst werden kann Struktur des Selbstkonzepts: Bereichsspezifität und Hierarchie Eine Übersichtsarbeit zum Stand der Selbstkonzeptforschung von Shavelson et al. (1976) wird häufig als Startpunkt der modernen pädagogischpsychologischen Selbstkonzeptforschung bezeichnet. In dieser Arbeit beklagten Shavelson und Mitarbeiter eine fehlende theoretische Tiefe und Stringenz in der Selbstkonzeptforschung und kritisierten, dass die meisten der vorhandenen Messinstrumente auf AdhocBasis konstruiert worden waren. Sie schlugen unter Bezugnahme auf James (1892/1999) vor, das Selbstkonzept mehrdimensional und hierarchisch zu konzipieren. Das von ihnen entwickelte Modell, das heute meist als ShavelsonModell bezeichnet wird, ist in. Abb. 8.2 dargestellt. Eine zentrale Annahme des ShavelsonModells ist die multidimensionale Struktur. Um die Komplexität seiner Erfahrung mit der Umwelt zu reduzieren, organisiert ein Exkurs Allgemeines Selbstkonzept als Einstellung: Die Beiträge von Morris Rosenberg Die Arbeiten von Rosenberg (1965, 1986) hatten einen nachhaltigen Einfluss auf die weitere Forschung zum Selbstwertgefühl. Rosenberg (1965, S. 5f.) konzipierte das Selbstkonzept als Einstellung ( attitude ) einer Person zu sich selbst: In the present study, we conceive of the selfimage as an attitude toward an object. Putting it baldly, there is no qualitative difference in the characteristics of attitudes toward the self and attitudes toward soup, soap, cereal, or suburbia. Er betont, dass diese Perspektive es erlaubt, bei der Erforschung des Selbst die gleichen Instrumente zu verwenden wie in der übrigen Einstellungsforschung. Rosenberg (1965) entwickelte dementsprechend einen ökonomisch einsetzbaren, eindimensionalen und reliablen Fragebogen, die RosenbergSkala. Zehn Items erfragen auf einer 4stufigen Antwortskala generalisierte, affektivevaluative Selbsteinschätzungen. Ein Itembeispiel lautet: At times I think I am no good at all. Dieser Fragebogen zum Selbstwertgefühl wird noch heute als Standardinstrument in unterschiedlichen Forschungskontexten eingesetzt. Die pädagogischpsychologische Forschung hat allerdings gezeigt, dass bereichsspezifische Selbstkonzepte in Hinblick auf schulrelevante Kriteriumsvariablen fast ausnahmslos eine höhere prognostische Validität besitzen (Marsh & Craven, 2006; Trautwein, Lüdtke, Köller & Baumert, 2006). Individuum diese Erfahrungen mithilfe von Kategorien. Eine Einteilung von Erfahrungen in Kategorien bedeutet auch, dass das Selbstkonzept mehrere Facetten hat, d. h. eine multidimensionale Struktur aufweist. In anderen Worten: Personen bauen Überzeugungen darüber auf, in welchen Bereichen sie besonders hohe oder geringe Fähigkeiten und Begabungen haben. Die logisch nächste Frage ist dann, wie viele unterschiedliche Bereiche Menschen unterscheiden, wie viele Dimensionen das Selbstkonzept also umfasst. Shavelson et al. (1976) argumentierten, dass das Kategoriensystem von Schülern auf einer relativ generellen Ebene zumindest die Facetten Schule, soziale Akzeptanz, physische Fähigkeiten sowie emotionales Befinden beinhalte. Innerhalb des Bereichs Schule sollte dann wiederum zwischen dem Selbstkonzept bezüglich unterschiedlicher Fächer unterschieden werden sowie innerhalb der Fächer nach unterschiedlichen Teilfertigkeiten. Shavelson et al. (1976) nahmen darüber hinaus an, dass sich das Selbstkonzept im Laufe der Entwicklung vom Kindes zum Erwachsenenalter zunehmend differenziert. Die Modellvorstellung einer zunehmenden Differenzierung von Selbstkonzepten ist gut mit einer NeoPiaget schen Entwicklungstheorie vereinbar (Harter, 1998, 1999). Kinder erwerben demnach im Austausch mit der sozialen Umwelt und als Antwort auf kognitive Herausforderungen diffe

201 184 Kapitel 8 Selbstkonzept Exkurs Intelligenzanalogie beim ShavelsonModell Die von Shavelson et al. (1976) verwendete Intelligenzanalogie hat den Vorzug der großen Anschaulichkeit. Aus theoretischen und empirischen Gründen mag man sie jedoch durchaus kritisch betrachten. Aus theoretischer Sicht kann kritisiert werden, dass die Intelligenzanalogie in Konflikt mit zentralen Annahmen zur Selbstkonzeptgenese steht. Im gfaktormodell der Intelligenz wird dem gfaktor eine wichtige Rolle bei der Ausprägung bereichsspezifischer Fertigkeiten zugesprochen. Entsprechend müsste man argumentieren, dass das generelle Selbstkonzept die Ausprägungen aller bereichsspezifischen Selbstkonzepte renziertere Konzepte von sich selbst und ihren Fähigkeiten, und zunehmend fällt es ihnen leichter, bei sich selbst relative Stärken und Schwächen zu erkennen. Überprüfen lassen sich diese theoretischen Annahmen, indem man Korrelationsmuster zwischen Selbstkonzeptfacetten betrachtet: Je älter die Kinder bzw. Jugendlichen sind, desto geringer sollten die Korrelationen zwischen unterschiedlichen Selbstkonzeptdomänen ausfallen. In der Tat findet sich einige empirische Stützung für diese Vermutung, zumindest für die relativ frühe Entwicklung. Die Forschungsgruppe um Marsh (Überblick in Marsh & Craven, 1997) hat beispielsweise gezeigt, dass es mit elaborierten Methoden möglich ist, eine Vielzahl von Selbstkonzeptfacetten analytisch zu trennen. So unterscheidet der Akademische Selbstbeschreibungsbogen (ASDQ; Marsh, 1990a) allein im schulischen Bereich 14 fachspezifische Selbstkonzepte sowie ein globales Selbstkonzept schulischer Fähigkeiten. Der multidimensionale Charakter des Selbstkonzepts ist heute allgemein akzeptiert. Darüber hinaus postulierten Shavelson et al. (1976), dass das Selbstkonzept auch eine hierarchische Struktur besitze, an dessen Spitze ein allgemeines Selbstkonzept ( general selfconcept ) stehe. Sie verwiesen hierbei auf Konzepte der Intelligenzforschung, die von einem allgemeinen gfaktor, der gleichsam an der Spitze der Hierarchie steht, und mehreren spezifischeren Subfaktoren ausgehen ( Exkurs Intelligenzanalogie beim ShavelsonModell ). So unterschieden die Autoren beispielsweise zwischen einem schulischen Selbstkonzept und einem nichtschulischen Selbstkonzept, wobei ersteres wiederum in hierarchisch gegliederter Art und Weise in fächerspezifische Facetten aufgeteilt wurde. Die Annahmen zur hierarchischen Struktur des ShavelsonModells wurden über die Zeit zunehmend beeinflusst. Dies widerspricht jedoch der Annahme, dass es wiederholte, situationsspezifische Erfahrungen sind, die das bereichsspezifische Selbstkonzept primär prägen. Auch aus empirischer Warte wird man den Postulaten zur Selbstkonzeptpyramide nur bedingt zustimmen. Marsh und Hattie (1996) unterschieden verschieden strenge Formen der Hierarchie. Eine strenge hierarchische Modellvorstellung würde verlangen, dass in einer (konfirmatorischen oder explorativen) Faktorenanalyse lediglich ein starker globaler Faktor gefunden wird, auf den bereichsspezifische Selbstkonzepte laden. Das andere Extrem und damit ein Hinweis auf eine schwache Hierarchie würde ein multidimensionales Modell darstellen, bei dem sich mehrere bereichsspezifische Faktoren finden ließen, die gar nicht oder nur schwach miteinander korreliert wären. Die Idee einer Hierarchie lässt sich aber auch dann aufrechterhalten, wenn man nur schwache Korrelationen findet. In diesem Falle können Konstrukte auf einer höheren Hierarchieebene (z. B. das allgemeine schulische Selbstkonzept) hierarchieniedrigere Selbstkonzepte (z. B. das mathematische oder verbale Selbstkonzept) nur bedingt erklären. gelockert. Das ursprünglich von Shavelson et al. (1976) postulierte Modell sah in Bezug auf die schulbezogenen Komponenten ein generelles schulisches Selbstkonzept vor, welches eine Art Integration der einzelnen unterrichtsfachspezifischen Selbstkonzepte beispielsweise in Mathematik oder dem muttersprachlichen Unterrichtsfach darstellen sollte. Empirische Untersuchungen ergaben allerdings, dass das verbale Selbstkonzept und das mathematische Selbstkonzept nur unwesentlich, gar nicht oder sogar negativ miteinander korreliert waren. Marsh, Byrne und Shavelson (1988) unterschieden deshalb auf der Ebene globaler schulischer Faktoren zwei weitgehend getrennte schulische Selbstkonzepte. Das verbale Selbstkonzept speist sich aus Selbsteinschätzungen zum muttersprachlichen Unterrichtsfach, zu den Fremdsprachen und Fächern wie Geschichte. Das mathematische Selbstkonzept integriert Selbsteinschätzungen in Fächern wie Mathematik, Physik und Chemie. Tatsächlich lässt sich diese Aufteilung in konfirmatorischen Faktorenanalysen gut bestätigen. Das resultierende, revidierte Modell des schulischen Selbstkonzepts beinhaltet also nicht mehr die von Shavelson angenommene Variante eines hierarchischen Charakters innerhalb der schulischen Domäne, sondern geht von zwei übergeordneten Faktoren aus.. Abb. 8.3 zeigt diese Aufgliederung des schulischen Selbstkonzepts in ein verbales und ein mathematisches Selbstkonzept. Das revidierte Modell wurde zur Grundlage einer Vielzahl von empirischen Untersuchungen, die sich mit den Beziehungen zwischen mathematischen und verbalen Selbstkonzepten einerseits und den zugehörigen mathematischen und verbalen Leistungen andererseits befassten. Sie sind unter dem Stichwort Internal/ExternalFrameof ReferenceModell (I/EModell) bzw. Bezugsrahmenmodell ausführlich beschrieben ( Abschn ).

202 8.3 Struktur, Stabilität und Erfassung des Selbstkonzepts Abb. 8.3 Struktur des schulischen Selbstkonzepts im revidierten Modell. (Modifiziert nach Marsh et al., 1988, 1988 Australian Psychological Society, mit freundlicher Genehmigung von John Wiley and Sons) Stabilität des Selbstkonzepts Verlieren Schüler in einem gewissen Alter die Lust auf die Schule, weil ihr schulisches Selbstkonzept beispielsweise im Verlauf der Pubertät absinkt? Wie stabil sind die Unterschiede zwischen Schülern einer bestimmten Klasse? Und kommt es vor, dass eine Schülerin, die lange Zeit dachte, sie sei in Deutsch viel begabter als in Mathematik, doch noch ihre Meinung ändert und ein Faible für die Mathematik erwirbt? In all diesen Fragen steckt bereits die Frage nach den Determinanten eines hohen oder niedrigen Selbstkonzepts, die erst im nächsten Abschnitt vertieft behandelt wird. Eine erste Antwort erhält man jedoch bereits dann, wenn man nur die sog. Stabilität des Selbstkonzepts betrachtet. Ganz einfach ist die Antwort allerdings nicht, denn man kann verschiedene Formen von Stabilität unterscheiden (Mortimer, Finch & Kumka, 1982): normative Stabilität Mittelwertsstabilität strukturelle Stabilität intraindividuelle Stabilität Konstruktstabilität Je nach verwendeter Stabilitätskonzeption kann man zu ganz unterschiedlichen Aussagen über die Stabilität des Selbstkonzepts gelangen. Normative Stabilität. Mit normativer Stabilität ( normative stability, differential stability oder correlational stability ) ist die Stabilität von interindividuellen Unterschieden in Selbstkonzepten bei mehrmaliger Messung gemeint. Empirisch erfasst wird diese Art der Stabilität in der Regel durch die Korrelation der Werte derselben Personengruppe in zwei Messungen mit demselben Instrument. In dem Maße, in dem sich Rangpositionen zwischen den Messungen verschieben, sinkt die normative Stabilität. Andererseits wird die normative Stabilität durch eine Verschiebung des Mittelwerts zwischen den zwei Messungen nicht notwendigerweise gesenkt. Insgesamt weisen schulbezogene Selbstkonzepte bereits im Grundschulalter beachtliche normative Stabilitäten auf. Marsh, Craven und Debus (1998) berichteten für Zweitklässler eine EinJahresStabilität für die Selbstkonzeptbereiche Mathematik, Lesen und Schule von 0,46 bis 0,64. Mit höherem Alter nimmt die Stabilität nochmals zu. Stabilitätskoeffizienten von 0,70 und höher sind keine Seltenheit (Wigfield et al., 1997). Selbst bei einem Wechsel der Bezugsgruppe, wie er beispielsweise nach dem Ende der Schulzeit erfolgt, finden sich beachtliche Stabilitätskoeffizienten (Marsh et al., 2007). Die berichteten Stabilitätskoeffizienten ähneln den Stabilitäten, die für die zentralen Persönlichkeitseigenschaften im Sinne der BigFiveKonzeption ermittelt werden (Asendorpf & van Aken, 2003). Insgesamt weisen Selbstkonzepte damit eine recht hohe normative Stabilität auf. Wer zu einer bestimmten Zeit ein vergleichsweise hohes Selbstkonzept berichtet hat, berichtet auch noch Jahre später mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit ein vergleichsweise hohes Selbstkonzept. Das schließt situationsspezifische Schwankungen natürlich nicht aus. Mittelwertstabilität. Neben der normativen Stabilität wurde in erster Linie die Mittelwertsstabilität ( level stability ) des Selbstkonzepts untersucht. Unterscheidet sich beispielsweise bei einer Schülergruppe das durchschnittliche schulische Selbstkonzept, das in der 7. Klasse berichtet wurde, nicht von dem, das in der 10. Klasse berichtet wurde, so würde man dies als einen Hinweis auf eine hohe Mittelwertstabilität deuten. Trotz einer hohen Stabilität des Mittelwerts in der Gesamtgruppe kann es jedoch sehr wohl sein, dass das Selbstkonzept einzelner Schüler bzw. von Gruppen von Schülern zu oder abnimmt. Das mittlere physikbezogene Selbstkonzept einer Klasse würde bei

203 186 Kapitel 8 Selbstkonzept Fragebögen zur Erfassung des Selbstkonzepts gibt es in einer großen Zahl. Allerdings handelt es sich häufig um ad hoc konstruierte Instrumente, deren theoretische Einbindung und psychometrische Kennwerte zu wünschen übrig lassen. Im deutschen Sprachraum liegt eine Reihe von standardisierten Fragebögen zur Erfassung des schulbezogenen Selbstkonzepts vor (z. B. Rost & Sparfeldt, 2002; Schöne, Dickhäuser, Spinath & StiensmeierPelster, 2002; Schwanzer et al., 2005), die in Hinblick auf die einbezogenen Domänen und das jeweilige Verständnis von Selbstkonzept gewisse Unterschiede aufweisen. Umstritten ist nach wie vor, ob die affektive ( Ich mag Mathematik ) und die kognitivevaluative Komponente ( Ich bin gut in Mathematik ) des akademischen Selbstkonzepts voneinander getrennt werden sollten. Auf der einen Seite wird argumentiert, dass das Selbstkonzept neben einer kognitivevaluativen auch eine affektive Komponente hat und beide in Selbstkonzeptskalen wie dem Self Description Questionnaire (SDQ) von Marsh (1990b) empirisch kaum zu trennen seien. Demgegenüber fordern andere Autoren eine klare Trennung der beiden Aspekte akademischer Selbstspielsweise dann stabil bleiben, wenn das Selbstkonzept der Jungen steigt, während das der Mädchen sinkt. Insgesamt weisen viele Studien darauf hin, dass es beim Selbstkonzept zu statistisch signifikanten Mittelwertveränderungen kommt. So fand beispielsweise Helmke (1998) in einer Untersuchung mit Grundschulkindern einen deutlichen Rückgang der Mittelwerte beim schulischen Selbstvertrauen zwischen der 1. und 6. Schulklasse. Während Kinder zu Beginn der Schulzeit eine deutliche Überschätzung ihrer eigenen Leistung zeigten, war diese bei Kindern der 6. Klassenstufe nur noch gering ausgeprägt. Worauf ist das Absinken schulischer Selbstkonzepte, das rasch nach Eintritt in die Schule beobachtet werden kann und sich bis in die mittlere Adoleszenz zieht, zurückzuführen? Ist dieses Muster notwendigerweise ein Grund zur Besorgnis? Vermutlich tragen mehrere Faktoren zum Rückgang bereichsspezifischer Selbstkonzepte bei. Problematisch ist, dass die schulischen Strukturen und Rückmeldesysteme unnötigerweise negative Auswirkungen haben; so produzieren beispielsweise Benotungssysteme, die am sozialen Vergleich ( Klassenspiegel ) orientiert sind, in jeder Klasse automatisch Verlierer, während kriteriale Bezugssysteme dies vermeiden können. Das Absinken des Selbstkonzeptniveaus dürfte aber auch ein Beleg für allgemeine Entwicklungsverläufe in Hinsicht auf realistischere Selbstbewertungen sein (Harter, 1998, 1999). Darüber hinaus spiegelt der allgemeine Mittelwertverlauf eine Herausbildung der eigenen Identität nebst notwendiger Interessendifferenzierung wider: Obwohl im Allgemeinen das Selbstkonzept sinkt, haben fast alle Schüler Bereiche, in denen ihr Selbstkonzept stabil bleibt oder sogar ansteigt. Strukturelle Stabilität. Strukturelle Stabilität bzw. Invarianz liegt dann vor, wenn ein Konstrukt über die Zeit hinweg die gleichen Dimensionen und dieselben Verbindungen zwischen diesen Domänen aufweist. Hinsichtlich der strukturellen Stabilität zeigten sich sowohl Belege für eine zunehmende Differenzierung des Selbstkonzepts als auch Hinweise darauf, dass eine solche Differenzierung bereits in der frühen Adoleszenz abgeschlossen ist. So stellte Marsh (1989) die von Shavelson et al. (1976) sowie Harter (1998) formulierte Hypothese infrage, dass sich mit fortschreitendem Alter eine zunehmende Differenzierung des Selbstkonzepts finden lasse. Marsh untersuchte dabei die mittleren Korrelationen zwischen Selbstkonzeptdomänen und stellte fest, dass die Größe dieser Korrelationen bis zur 5. Klasse tatsächlich abnimmt danach jedoch stabil bleibt. Marsh beschränkte deshalb die Annahme einer zunehmenden Differenzierung auf die Altersstufen bis zur 5. Klasse. Intraindividuelle Stabilität. Eine interessante, aber empirisch eher vernachlässigte Variante der Stabilität stellt die intraindividuelle oder ipsative Stabilität dar. Eine hohe ipsative Stabilität ist dann gegeben, wenn bei einem Individuum die Organisation von verschiedenen Selbstkonzeptdomänen über die Jahre hinweg stabil bleibt. Beispielsweise könnte ein Jugendlicher von der 5. bis zur 10. Klasse immer ein hohes mathematisches Selbstkonzept, dafür aber ein niedriges verbales Selbstkonzept und ein mittelhohes Selbstkonzept sportlicher Fähigkeiten haben. Konstruktstabilität. Konstruktstabilität oder inhaltliche Stabilität schließlich liegt dann vor, wenn ein Konstrukt bzw. Item für die Befragten über einen längeren Zeitraum stets dieselbe Bedeutung hat. So mag man sich überlegen, ob das Selbstkonzept Mathematik in der Grundschule und in der gymnasialen Oberstufe eine ähnliche Bedeutung hat geht es doch in der Grundschule um einfache Rechenoperationen, in der gymnasialen Oberstufe dagegen u. a. um Kurvendiskussionen, anspruchsvolle Geometrie sowie Wahrscheinlichkeitstheorie. Im Prinzip ist der Nachweis inhaltlicher Stabilität natürlich Voraussetzung dafür, dass die übrigen Stabilitätsaspekte geprüft werden. Insbesondere bei solchen Konstrukten, bei denen nur geringe Stabilitäten gefunden werden, lässt sich hinterfragen, ob denn wirklich jeweils das Gleiche gemessen wurde. Allerdings: Die inhaltliche Stabilität empirisch zu bestimmen, ist eine komplexe Aufgabe, da idealerweise ein längsschnittliches Design mit einer aufwendigen Konstruktvalidierung kombiniert werden müsste Erfassung des Selbstkonzepts

204 8.4 Determinanten des Selbstkonzepts konzepte. Sie verstehen unter akademischen Selbstkonzepten primär Kompetenzwahrnehmungen ( Ich bin gut in Mathematik ) und rechnen die affektive Komponente eher dem Interesse bzw. der Motivation zu ( Kap. 7). Entsprechend werden Instrumente bevorzugt, deren Items allein die kognitivevaluative Komponente thematisieren. Die meisten Selbstkonzeptinstrumente sind Forschungsinstrumente eine Diagnostik auf Individualebene ist nicht vorgesehen. Eine Ausnahme bilden die SESSKO ( Skalen zur Erfassung des schulischen Selbstkonzepts ) von Schöne et al. (2002; kritisch Sparfeldt, Schilling, Rost & Müller, 2003), die laut Autoren zur Einzelfalldiagnostik geeignet sind und für die Normwerte vorliegen. Allerdings ist fraglich, ob diese Normwerte in Hinblick auf Interventionsbedarf bei zu niedrigem (bzw. zu hohem) Selbstkonzept für sich allein aussagekräftig sind vermutlich müssten für solche Zwecke die tatsächlich gezeigten Leistungen auspartialisiert werden. Neben Fragebogeninstrumenten, die in Hinblick auf die Erfassung von Selbstkonzepten die Methode der Wahl zu sein scheinen, gibt es mittlerweile auch Ansätze zur Erfassung des impliziten Selbstkonzepts (Greenwald & Farnham, 2000). Inwieweit die implizite Erfassung des Selbstkonzepts die Selbstberichtsverfahren sinnvoll ergänzen kann, ist allerdings noch weitgehend ungeklärt. 8.4 Determinanten des Selbstkonzepts : Welche Faktoren beeinflussen die Höhe der fachbezogenen Selbstkonzepte? Selbstkonzepte werden von vielen Faktoren beeinflusst; sie spiegeln nur bedingt einen objektiven Status wider. Ein Schüler, der in einem Mathematikleistungstest zu den besten 10 % seines Jahrgangs gehört, mag trotzdem der Meinung sein, für Mathematik wenig begabt zu sein. Solche Diskrepanzen zwischen objektiver Leistung und subjektiver Selbsteinschätzung wirken auf viele Forscher faszinierend und fördern die wissenschaftliche Produktivität in diesem Feld. Der Kontrast zwischen Objektivität und Subjektivität sowie die multiple Bedingtheit des Selbstkonzepts gehören zu seinen besonders faszinierenden Eigenschaften und sorgen für einen kaum abreißenden Strom von Beiträgen, die die Stabilität und Veränderung des Selbstkonzepts beschreiben. In diesem Abschnitt geben wir zunächst einen Überblick über unterschiedliche Quellen selbstkonzeptrelevanter Informationen. Danach geben wir eine vertiefte Beschreibung von zwei einflussreichen Modellen, die die komplexe Verarbeitung von Vergleichsinformationen beschreiben und gehen auf Geschlechterstereotype sowie den Einfluss von Unterricht ein Soziale, dimensionale, temporale und kriteriale Vergleichsinformationen Es hat sich eingebürgert, als Quellen der Selbstkonzeptgenese zwischen sozialen, dimensionalen, temporalen und kriterialen Vergleichsinformationen zu unterscheiden. Die Verarbeitung und Verwendung sozialer Vergleichsinformation lässt sich bereits im Vorschulalter beobachten und gewinnt in den Folgejahren zunehmend an Bedeutung (Festinger, 1954; Frey & Ruble, 1990). Die besondere Rolle sozialer Vergleiche wird heute nicht mehr infrage gestellt. Temporale Vergleiche beinhalten einen längsschnittlichen Abgleich der eigenen Fähigkeit in einem Bereich zu unterschiedlichen Zeitpunkten. Da die meisten Schüler im Laufe eines Schuljahres Wissen hinzuerwerben, sollte, so Rheinberg (2006), bei Schülern ein temporaler Vergleich in der Regel mit einer günstigen Entwicklung des Selbstkonzepts einhergehen. Dimensionale Vergleiche betreffen den intraindividuellen Vergleich zwischen mehreren Domänen ( Abschn ; zum Überblick Möller & Köller, 2004). Kriteriale Vergleichsinformationen gewinnen Personen schließlich dadurch, dass sie beobachten, ob sie eine bestimmte Leistung gezeigt und damit ein Kriterium erfüllt haben. Spannend, aber auch eine Herausforderung, ist die Tatsache, dass sich die unterschiedlichen Vergleichsinformationen oftmals nicht sauber trennen lassen. Man nehme einmal den Fall an, dass Anna in der letzten Deutscharbeit die Note 3 erhalten hat. Diese Note enthält soziale Vergleichsinformationen (der Notendurchschnitt der Klasse mag beispielsweise 3,2 gewesen sein), aber auch kriteriale Vergleichsinformationen (die Leistung war befriedigend ). Sie erlaubt zudem einen temporalen Vergleich (in der letzten Arbeit hat Anna noch eine 2 erhalten) sowie einen dimensionalen Vergleich (in Mathematik und Englisch steht Anna zwischen 3 und 4). Welche Auswirkungen die Klassenarbeit auf die Veränderung von Annas Deutschselbstkonzept hat, dürfte von der Gewichtung all dieser Vergleichsinformationen abhängen. Für die sozialen, temporalen, dimensionalen und kriterialen Vergleiche und deren Konsequenzen ist es mitentscheidend, welche Ursachen Schüler einem erlebten Misserfolg bzw. Erfolg zuschreiben. Erfolge und Misserfolge wirken sich vor allem dann auf das fachliche Selbstkonzept der Begabung aus, wenn sie internalstabil auf eine vorhandene oder mangelnde Begabung zurückgeführt werden (Möller, 2008). Günstiger sind gerade im Fall von Misserfolg internalvariable Ursachenzuschreibungen etwa auf die eigene mangelnde Anstrengung, denn sie ist variabel und kontrollierbar und verspricht damit Verbesserungsmöglichkeiten. Allerdings ist es bei schulischen Leistungssituationen wie Klassenarbeiten bei andauernden Misser

205 188 Kapitel 8 Selbstkonzept folgen kaum möglich, das eigene Fähigkeitsselbstkonzept gegen die negativen Leistungsrückmeldungen zu schützen. Im Folgenden werden zwei interessante Phänomene vorgestellt, die beide als Bezugsrahmeneffekte bezeichnet werden können. Sowohl der BigFishLittlePondEffekt als auch das I/EModell thematisieren die Zusammenhänge zwischen schulischen Leistungen und fachbezogenen Selbstkonzepten. Bei beiden Phänomenen geht es um die Auswirkungen von Leistungsvergleichen auf die Selbstkonzepte, wobei im ersten Fall der soziale Vergleich im Vordergrund steht, während im zweiten Fall der soziale Vergleich um dimensionale Vergleiche ergänzt wird BigFishLittlePond Effekt Mit welchen anderen Schülern vergleichen Kinder und Jugendliche ihre Leistungen? Den Bezugsrahmen für soziale Vergleiche scheint primär die Schulklasse zu definieren, der man angehört. Hierauf weisen Arbeiten zum sog. BigFishLittlePondEffekt (Marsh, 1987; Köller, 2004) hin, nach dem Schüler definierter Leistungsstärke ein relativ hohes schulisches Selbstkonzept aufweisen, wenn sie sich in sehr leistungsschwachen Klassen befinden. Sie werden zum großen Fisch im kleinen Teich. Hingegen haben Schüler identischer Leistungsstärke niedrigere schulische Selbstkonzepte, wenn sie in leistungsstarken Klassen platziert werden (Schwarzer, Lange & Jerusalem, 1982; im Überblick Köller, 2004). Dieser Effekt ist großenteils über die Leistungsrückmeldungen durch Lehrkräfte vermittelt. In leistungsstarken Klassen bekommen Schüler bei gleichen Leistungen schlechtere Noten als in leistungsschwachen Klassen (Trautwein, Lüdtke, Marsh, Köller & Baumert, 2006). Klassen mit sehr leistungsstarken Schülern bieten zudem mehr Möglichkeiten für soziale Aufwärtsvergleiche mit leistungsstärkeren Mitschülern, die negative Konsequenzen für die selbst eingeschätzten Fähigkeiten haben. Besonders gut kann dieser Bezugsgruppeneffekt beim Übergang von Grundschülern in die Sekundarschule beobachtet werden. Zunächst einmal ist hier eine gewisse Ungerechtigkeit zu vermuten: In leistungsstarken Grundschulklassen sind bessere Leistungen als in leistungsschwächeren Grundschulklassen notwendig, damit ein Schüler eine Gymnasialempfehlung bekommt (Trautwein & Baeriswyl, 2007). Eine Reihe von Untersuchungen belegt, dass Schüler im unteren Leistungsbereich am Ende der Primarstufe vom Wechsel in die Hauptschule im psychosozialen Bereich profitieren. Da der ungünstige Leistungsvergleich mit deutlich leistungsstärkeren Schülern entfällt und die Noten besser ausfallen (Schwarzer et al., 1982), erholt sich auch das leistungsbezogene Selbstkonzept. Als Erklärung können wiederum soziale Vergleichsprozesse herangezogen werden: In der Hauptschule steigen die Gelegenheiten für soziale Abwärtsvergleiche mit schwächeren Mitschülern. Für leistungsstarke Schüler hat der Übergang auf das Gymnasium hinsichtlich ihrer selbst wahrgenommenen Fähigkeiten den entgegengesetzten Effekt. Gehörten sie in der Grundschule noch zu den Besten, so erleben sie auf dem Gymnasium, dass viele Mitschüler in der Leistung ebenbürtig oder besser sind. Auf dem Gymnasium steigen die Gelegenheiten für soziale Aufwärtsvergleiche mit leistungsstärkeren Mitschülern. Zudem fallen die Noten in Klassenarbeiten oder Zeugnissen im Vergleich zur Grundschule schlechter aus. Die sozialen Vergleiche führen hier eher zu einem Absinken fähigkeitsbezogener Selbstkonzepte. Dieser Prozess mündet darin, dass das mittlere schulische Selbstkonzept auf den verschiedenen Schulformen im Laufe der Sekundarstufe I stark konvergiert. Ist der Bezugsgruppeneffekt allein auf das Selbstkonzept begrenzt? Dies ist nicht der Fall. In einer Analyse (Köller, Daniels, Schnabel & Baumert, 2000) der Daten der Third International Mathematics and Science Study (TIMSS) fand sich ebenso wie in Analysen mit Daten aus der PISAStudie (Trautwein et al., 2006) neben den erwarteten Effekten auf das mathematische Selbstkonzept auch ein Bezugsgruppeneffekt auf das Interesse an Mathematik. Bei gleicher Testleistung berichteten Schüler ein höheres Interesse an Mathematik, wenn sie sich in einer vergleichsweise leistungsschwachen Klasse befanden. Vermutlich wirkte hier teilweise das Selbstkonzept als Mediator: Je leistungsschwächer die Bezugsgruppe war, desto höher das Selbstkonzept des einzelnen Schülers (bei Kontrolle der individuellen Leistung), was wiederum zu einem höheren Fachinteresse führen sollte. Zudem konnten Belege dafür gefunden werden, dass sich Bezugsgruppeneffekte auch auf diverse Wahlentscheidungen auswirken; Trautwein, Gerlach und Lüdtke (2008) fanden beispielsweise Hinweise darauf, dass Kinder in ihrer Freizeit weniger stark in Sportvereinen aktiv sind, wenn sie viele sportliche Klassenkameraden haben. Marsh (1991) hat für eine Reihe weiterer Kriteriumsvariablen die Bedeutung von Bezugsgruppeneffekten aufgezeigt. Allerdings gibt es durchaus bedeutsame Unterschiede in der Höhe der Bezugsgruppeneffekte. In den Items vieler Selbstkonzeptinstrumente sind soziale Vergleiche oftmals implizit oder explizit thematisiert, indem beispielsweise nach Leistungen bzw. Noten in einem Fach gefragt wird. Dies scheint eine Gewähr für besonders ausgeprägte Bezugsgruppeneffekte darzustellen. Werden von Schülern Kompetenzeinschätzungen mithilfe von Instrumenten verlangt (Marsh, Trautwein, Lüdtke & Köller, 2008), bei denen der soziale Vergleich eine geringere Rolle spielt (weil beispielsweise ein kriterialer Vergleichsmaßstab verwendet wird), fallen die Referenzgruppeneffekte erwartungsgemäß kleiner aus. Interessanterweise fand sich in der Arbeit von Marsh et al.

206 8.4 Determinanten des Selbstkonzepts (2008) in Hinblick auf die selbst berichtete Anstrengung im Unterricht überhaupt kein Bezugsgruppeneffekt. Es wurde vermutet, dass die Zuweisung leistungsstarker Schüler zu einer besonderen Schule bzw. Schulform neben den negativen Effekten auch positive Effekte auf Selbstkonzepte haben könnte. So könnte das Bewusstsein, einer prestigeträchtigen Schulform wie dem Gymnasium anzugehören, selbstkonzeptsteigernd wirken. Dieser Mechanismus wurde auch als baskinginreflectedglory (Cialdini & Richardson, 1980) bzw. Assimilationseffekt bezeichnet (Marsh, Kong & Hau, 2000; kritisch Wheeler & Suls, 2007). Allerdings ist dieser Prestigeeffekt so er überhaupt gefunden wird in aller Regel deutlich schwächer ausgeprägt als der negative Effekt der ungünstigen sozialen Vergleiche in leistungsstarken Klassen (Trautwein et al., 2006; Trautwein, Lüdtke, Marsh & Nagy, 2009). Bei vergleichbarer Leistungsstärke wird also in der Regel derjenige Schüler eine günstigere Selbstkonzeptentwicklung erleben, der in eine vergleichsweise leistungsschwache Klasse wechselt, als derjenige, der in eine leistungsstarke Klasse platziert wird. Heißt das nun, dass man Eltern generell raten sollte, ihre Kinder in eine leistungsschwächere Gruppe zu schicken, weil sich so ihr Selbstkonzept günstig entwickeln dürfte? Ganz so einfach kann man es sich leider nicht machen, denn in Hinblick auf die Leistungsentwicklung finden sich Hinweise auf ein gegenteiliges Muster (Becker, Lüdtke, Trautwein & Baumert, 2006): Hier profitieren Schüler möglicherweise von der Zugehörigkeit zu einer leistungsstarken Gruppe. Für Eltern, Schüler und Lehrkräfte ergibt sich aus diesen Befunden ein Spannungsfeld: Leistungsstärkere Umgebungen scheinen der Leistungsfähigkeit des Einzelnen zuträglich, beeinträchtigen aber das Selbstkonzept. Umgekehrt fördern leistungsschwächere Umgebungen das Selbstkonzept, wirken aber weniger leistungsfördernd. Als psychologisch begründete Empfehlung ergibt sich daraus, dass soziale Vergleichsprozesse gerade bei schwachen Schülern nicht in den Vordergrund gerückt werden sollten. Diese profitieren eher von längsschnittlichen Vergleichen, mit denen Lehrer ihnen ihre Leistungszuwächse deutlich machen können Internal/External FrameofReferenceModell Wie oben ( Abschn ) bereits erwähnt, zeigte sich in Studien zu bereichsspezifischen Selbstkonzepten ein überraschender Befund: Das akademische Selbstkonzept ließ sich in zwei distinkte Facetten unterteilen, das verbale und das mathematische Selbstkonzept (. Abb. 8.3; z. B. Marsh et al., 1988). Überraschend war dieser Befund insbesondere, weil lange bekannt war, dass verbale und mathematische Leistungen deutlich positiv korreliert sind und man daher entsprechende positive Korrelationen zwischen den Selbstkonzepten erwartete. Das Internal/ ExternalFrameofReferenceModell, kurz: I/EModell von Marsh (1986), gilt als empirisch sehr gut bestätigtes Modell zur Erklärung der Zusammenhänge zwischen fachspezifischen Schulleistungen und fachspezifischen Selbstkonzepten. Auf der Basis hoch positiver Korrelationen zwischen den schulischen Leistungen in mathematischnaturwissenschaftlichen und verbalen Schulfächern nimmt das Modell vier Prozesse an: 1. Schüler wenden zur Beurteilung der eigenen Leistungen einen externalen Bezugsrahmen ( external frame of reference ) an. Sie vergleichen ihre Fachleistungen in den Schulfächern mit den Leistungen ihrer Mitschüler ( Wie gut bin ich in Mathematik im Vergleich zu meinen Mitschülern? ). 2. Diese interindividuellen bzw. sozialen Vergleiche führen dazu, dass Schüler mit guten Leistungen ein hohes Selbstkonzept der Begabung in diesem Fach entwickeln und Schüler mit schwachen Schulleistungen ein niedriges Selbstkonzept. Statistisch ergibt sich daraus eine positive Korrelation zwischen Schulleistungen und Selbstkonzepten innerhalb eines Faches. In Pfadanalysen zeigen sich positive Pfade von der Leistung etwa im muttersprachlichen Unterrichtsfach auf das verbale Selbstkonzept, wie in. Abb. 8.4 dargestellt. 3. Schüler verwenden eine zweite Informationsquelle: Sie nutzen zur Beurteilung der eigenen Leistungen neben dem externalen Bezugsrahmen einen internalen Bezugsrahmen ( internal frame of reference ). Sie vergleichen ihre Leistungen in mathematischnaturwissenschaftlichen Fächern mit ihren eigenen Leistungen in sprachlichen Fächern ( Wie gut bin ich in Mathematik im Vergleich zu meinen Leistungen in Deutsch? ). 4. Diese intraindividuellen bzw. dimensionalen Vergleiche führen dazu, dass beispielsweise Schüler mit guten Leistungen in der mathematischen Domäne ihr Selbstkonzept der Begabung in der verbalen Domäne abwerten und Schüler mit intraindividuell schwachen Leistungen in der mathematischen Domäne ihr Selbstkonzept der Begabung in der verbalen Domäne aufwerten. Der entscheidende Prozess scheint dabei ein Kontrasteffekt zu sein, der in der Theorie dimensionaler Vergleiche (Möller & Marsh, 2013) beschrieben wird: Schüler nehmen die Unterschiede in ihrer eigenen Leistungsfähigkeit übertrieben deutlich wahr alltagssprachlich ausgedrückt überschätzen sie ihre Stärken und unterschätzen ihre Schwächen. In der Folge kontrastieren sich die verbalen und mathematischen Selbstkonzepte. Statistisch ergeben sich daraus in Pfadanalysen negative Pfade von der Leis

207 190 Kapitel 8 Selbstkonzept Abb. 8.4 Das Internal/ExternalFrameofReferenceModell tung etwa in Mathematik auf das verbale Selbstkonzept oder der Leistung etwa in Deutsch auf das mathematische Selbstkonzept, wie in. Abb. 8.4 veranschaulicht. Dabei scheinen dimensionale Vergleiche in der Summe zu höheren Selbstkonzepten beizutragen: Die positiven Effekte dimensionaler Abwärtsvergleiche mit dem schwächeren Fach sind etwas stärker als die negativen Effekte dimensionaler Aufwärtsvergleiche mit dem stärkeren Fach, wie Pohlmann und Möller (2009) in Feldstudien und Experimenten zeigen konnten. Die positiven Effekte der schulischen Leistungen auf die Selbstkonzepte im selben Schulfach sind meist stärker als die negativen Effekte der schulischen Leistungen auf die Selbstkonzepte im anderen Schulfach. Danach wirken soziale Vergleiche stärker als dimensionale Vergleiche. Aber auch die Effekte der dimensionalen Vergleiche sind substanziell, wie die grafische Darstellung in. Abb. 8.5 zeigt. Die Höhe des mathematischen Selbstkonzepts ist zunächst abhängig von der Mathematiknote; das mathematische Selbstkonzept sinkt mit steigender (also schlechterer) Mathematiknote aufgrund sozialer Vergleiche mit Mitschülern. In. Abb. 8.5 ist für Schüler mit den Mathematiknoten 2, 3 und 4 das mathematische Selbstkonzept (SK), getrennt für Schüler mit guten Deutschnoten (1 und 2) bzw. schlechten Deutschnoten (4 und 5) dargestellt. In Abhängigkeit von der Deutschnote zeigen sich Unterschiede in der Höhe des mathematischen Selbstkonzepts der Begabung. Schüler, die in Mathematik die Note 3 ( befriedigend ) und in Deutsch eine schlechtere Note haben, liegen in ihrem mathematischen Selbstkonzept mehr als eine halbe Standardabweichung über den Schülern mit gleicher Mathematik, aber besserer Deutschnote. Somit scheint der dimensionale Vergleich der eigenen Leistungen in den beiden Schulfächern zu unterschiedlichen Selbsteinschätzungen in Mathematik zu führen. Damit verringert sich die Korrelation zwischen mathematischem und verbalem Selbstkonzept ( Exkurs Metaanalyse zum I/EModell )... Abb. 8.5 Mathematisches Selbstkonzept Auch längsschnittlich und experimentell angelegte Studien (im Überblick Möller & Köller, 2004) zeigen Effekte von Leistungsindikatoren auf die Veränderung von akademischen Selbstkonzepten. Bei identischem mathematischem Selbstkonzept zu Beginn von Studien ergeben sich positive Effekte der Mathematikleistungen auf die Veränderung des mathematischen Selbstkonzepts und negative Effekte auf die Veränderung des muttersprachlichen Selbstkonzepts (Köller et al., 1999). Zu ergänzen bleibt, dass sich die Effekte dimensionaler Vergleiche nicht zeigen, wenn andere Personen, wie Lehrer, Mitschüler oder Eltern, die akademischen Selbstkonzepte von Schülern einschätzen. Insbesondere Lehrer überschätzten die Korrelationen zwischen den Schülerselbstkonzepten deutlich (Pohlmann, Möller & Streblow, 2004). Die Kenntnis der Effekte dimensionaler Vergleiche könnte also dazu beitragen, dass Lehrer die Selbstbilder ihrer Schüler besser nachvollziehen können. Pädagogisch bedeutsam ist auch, dass dimensionale Vergleiche Kontrasteffekte auslösen, die zu einer Überschätzung der eigenen Fähigkeiten in den Domänen intraindividueller Stärke und zu einer Unterschätzung der eigenen Fähigkeiten in den intraindividuell eher schwächeren Domänen führen. Damit beeinträchtigen sie die Genauigkeit der Selbsteinschätzungen eigener Fähigkeiten. Dies ist insbesondere für begabte Schüler von Nachteil, die sich möglicherweise vorzeitig zu stark spezialisieren, obwohl sie auch in den Bereichen, die sie selbst als ihre relativen Schwächen erleben, sehr gute Leistungen erzielen könnten. Umgekehrt fand das I/EModell auch bei lernbehinderten Schülern Bestätigung (Möller, Streblow & Pohlmann, 2009). Für diese Personengruppe könnten sich die dimensionalen Vergleiche als Vorteil erweisen, da die recht positive Einschätzung ihrer relativen Stärken dazu führt, dass sich ihr diesbezügliches Selbstkonzept kaum von dem von Regelschülern unterscheidet. Aus entwicklungspsychologischer Perspektive können die mit einer Beeinträchtigung einer realistischen Selbsteinschätzung verbundenen dimensionalen Vergleiche

208 8.4 Determinanten des Selbstkonzepts Exkurs Metaanalyse zum I/EModell In einer Metaanalyse mit Daten von über Personen wurden alle 69 vorhandenen Studien integriert, in denen die Zusammenhänge untersucht wurden, die das I/E Modell beschreibt (Möller, Pohlmann, Köller & Marsh, 2009). Zunächst zeigten sich nahezu ausschließlich deutlich positive Korrelationen zwischen mathematischen und verbalen schulischen Leistungen mit einem Median von Md = 0,63. Wie nach dem I/EModell zu erwarten, sind die Selbstkonzepte niedriger korreliert als die Leistungsmaße (Md = 0,10). Die Leistungen und Selbstkonzepte im selben Fach sind durchweg positiv und substanziell korreliert (für Mathematik Md = 0,47, in der Muttersprache Md = 0,39). Werden die aus der Metaanalyse resultierenden Befunde einer Pfadanalyse unterzogen, ergibt sich das Ergebnismuster aus. Abb Danach sind die Pfade von der Schulleistung im muttersprachlichen Fach auf das mathematische Selbstkonzept ( 0.27) und umgekehrt die Pfade von der Mathematik auf das verbale Selbstkonzept ( 0.21) negativ. Dieses Zusammenhangsmuster gilt übrigens relativ unabhängig vom Alter der Schüler sowohl für Beurteilungen durch Lehrernoten als auch für Ergebnisse aus objektiven Leistungstests. Dass das I/EModell spezifisch für fachbezogene Selbstkonzepte gilt, zeigte sich ebenfalls in der Metaanalyse: Studien, die statt des Selbstkonzepts Selbstwirksamkeitsüberzeugungen ( Exkurs Selbstwirksamkeit ) erfassten, erbrachten theoriekonform keine Bestätigung der Zusammenhänge. Soziale und dimensionale Vergleiche scheinen für die Selbstwirksamkeit von untergeordneter Bedeutung zu sein. durchaus funktional sein. Es gilt als eine zentrale Entwicklungsaufgabe, eine eigene Identität auszubilden und im Laufe der Kindheit und Jugend Übergänge zwischen Schulformen, von der Schule in die berufliche Erstausbildung oder in das Studium zu bewältigen (Havighurst, 1952). Akademische Selbstkonzepte sind Bestandteile der persönlichen Identität; sie beinhalten Wissen über eigene Stärken und Schwächen. Wenn die eigenen Stärken positiv und die eigenen Schwächen negativ verzerrt wahrgenommen werden, wozu die dimensionalen Vergleiche beitragen, mag dies einerseits richtungsweisende Entscheidungen wie Kurswahlen erleichtern. Andererseits sorgen die Kontrasteffekte aber dafür, dass die Unterschiede zwischen sprachlichen und mathematischen Leistungen überbetont werden. So könnte die in guten Leistungen in sprachlichen Fächern begründete überpointierte Wahrnehmung eigener mathematischer Unzulänglichkeiten dazu führen, dass Schüler und gerade Schülerinnen Studienfächer, die mit Mathematik zu tun haben, meiden. Dieses (etwas verzerrte) Wissen um die eigene Leistungsfähigkeit trägt dazu bei, sich Umwelten und Herausforderungen zu wählen, die zum eigenen Fähigkeitsprofil passen. Auch an geschlechterstereotypen Fachwahlen mögen dimensionale Verglei che beteiligt sein. Die im I/EModell gefundenen Muster finden sich allerdings bei Mädchen wie bei Jungen. Dennoch gibt es typische Unterschiede im Selbstkonzept zwischen Jungen und Mädchen, wie das folgende Kapitel zeigt Geschlecht und Geschlechterstereotype Von großer theoretischer und praktischer Relevanz sind Geschlechterunterschiede in der Selbstkonzeptentwicklung. Differenziert man die Ausprägung von schulbezogenen Selbstkonzepten nach dem Geschlecht, so zeigen sich recht konsistent Unterschiede, die den allgemeinen Geschlechterstereotypen entsprechen (Marsh & Hattie, 1996; Watt & Eccles, 2008). So berichten Jungen im Mittel ein höheres mathematisches Selbstkonzept als sprachliches Selbstkonzept, während bei Mädchen ein umgekehrtes Muster zu finden ist. Diese Geschlechterunterschiede spiegeln nur teilweise tatsächlich vorhandene Leistungsunterschiede wider. Vielmehr lassen sie sich auch auf Geschlechterstereotypien zurückführen, die sich im Denken und Handeln von zentralen Bezugspersonen wie Eltern und Lehrer ausdrücken. So konnten Studien der Arbeitsgruppe um Eccles (z. B. Frome & Eccles, 1998) belegen, dass bei gleichem Leistungsstand Eltern und Lehrkräfte dazu tendieren, Jungen in Mathematik eine höhere Begabung zu attestieren. Diese geschlechterstereotype Einschätzung scheint wiederum einen Effekt auf die Selbsteinschätzungen von Jungen und Mädchen zu haben. Lehrkräfte scheinen bei gleichem Leistungsstand bei Jungen eine höhere Begabung, bei Mädchen dagegen ein stärkeres Ausmaß an Fleiß wahrzunehmen (Trautwein & Baeriswyl, 2007). Dass geschlechterstereotype Vorstellungen auch von Eltern Effekte haben, zeigten Längsschnittstudien von Eccles (z. B. Frome & Eccles, 1998). Eltern erwarten von Jungen in Mathematik bessere Leistungen als von Mädchen, und diese Erwartungen der Eltern scheinen die Selbstkonzepte der Schülerinnen negativ und die der Schüler positiv zu beeinflussen. Die Selbstkonzepte wiederum beeinflussten die spätere Kurswahl entsprechend. Stereotype nehmen nicht nur Einfluss auf die langfristige Entwicklung von Selbstkonzepten, sondern können wenn aktiviert auch kurzfristig in Testsituationen wirksam werden. Darauf hat bereits die Forschung von Markus und Kunda (1986) zum working selfconcept hingewiesen. In jüngerer Vergangenheit hat die Forschung zum sog. stereotype threat einige Aufmerksamkeit gefunden, die im Exkurs Forschung zum Stereotype Threat dargestellt wird.

209 192 Kapitel 8 Selbstkonzept Exkurs Forschung zum Stereotype Threat Für Furore sorgte in den vergangenen Jahren die Forschung zum sog. Stereotype Threat (Steele & Aronson, 1995). Demnach führt die Aktivierung negativer Stereotype über bestimmte Subgruppen dazu, dass die Mitglieder dieser Gruppen schlechtere Leistungen produzieren, als wenn das negative Stereotyp nicht aktiviert ist. So konnten Steele und Aronson (1995) in einer Serie von Experimenten zeigen, dass die Leistung schwarzer Studierender dann vergleichsweise schwach ausfiel, wenn sie sich in einer Situation befanden, in der Stereotype über Leistungsunterschiede je nach Hautfarbe salient wurden. Dabei reichte es aus, die Testaufgaben als Intelligenztest zu bezeichnen, um die Leistung der schwarzen Untersuchungsteilnehmer zu beeinträchtigen. Ähnliche Befunde fanden sich in Hinblick auf die Mathematikleistung von Mädchen Schulischer Kontext und Selbstkonzeptentwicklung Wie sehr werden schulbezogene Selbstkonzepte durch das Schulsystem, die Schule und den Unterricht beeinflusst? Der BigFishLittlePondEffekt, der oben vorgestellt wurde, zeigt, dass der schulische Kontext einen starken Einfluss auf die Ausprägung des Selbstkonzepts ausüben kann. Auch Studien zur Passung von Entwicklungsstufe und Lebensumwelt (dem sog. stageenvironment fit ) deuten darauf hin, dass das Selbstkonzept von Jugendlichen von der Struktur eines Bildungssystems beeinflusst werden kann. So findet sich wie bereits beschrieben in der frühen Adoleszenz ein Rückgang in den mittleren Ausprägungen vieler bereichsspezifischer Selbstkonzepte. Während einige Forschungsgruppen dies als Kennzeichen pubertärer Entwicklungen interpretieren, argumentierten Roeser und Eccles (1998), dass dieser Abfall im Selbstkonzept zumindest teilweise auf den in den meisten Schulen in den USA zu diesem Zeitpunkt stattfindenden Wechsel auf die Highschool zurückgeführt werden kann. Dieser Schulwechsel führe zu instabilen Umgebungen und bringe mit dem stärker an der Leistung orientierten Unterrichtsklima neue Anforderungen an die Jugendlichen mit sich. Haben auch Lehrkräfte einen Einfluss auf die Ausprägung der Selbstkonzepte ihrer Schüler? Tatsächlich finden sich empirisch solche Belege. So haben Studien zum Lern und Sozialklima in Klassen sowie zu förderlichem Lehrerverhalten immer wieder Selbstkonzepteffekte be und Frauen: Ihre Mathematikleistungen litten dann, wenn in der Testsituation Stereotype zu Geschlechtsunterschieden aktiviert wurden. Wiederum reichten einfache Manipulationen (wie beispielsweise die Anwesenheit von Männern) aus, um die negativen Effekte des Stereotype Threat zu erzeugen. Als Faktoren, die den Effekt erklären können, wurden u. a. Leistungsängstlichkeit, Erwartungseffekte, aufgewendete Anstrengung sowie kognitive Interferenzen angeführt. Handelt es sich beim Stereotype Threat um einen Selbstkonzepteffekt? Es ist keine Frage, dass von Mitgliedern einer abgewerteten Gruppe Stereotype als Ausdruck der Meinung eines generalized other in das eigene Selbstbild inkorporiert werden können. Wahrgenommene Stereotype sind potenziell selbstkonzeptrelevant. Allerdings scheinen Stereotype ThreatEffekte auch dann aufzutauchen, wenn die Stereotypien gar nicht in das Selbstbild integriert wurden, sondern nur als Fremdbild wahrgenommen werden. Unklar ist, welche psychologischen Prozesse bei diesen Effekten ablaufen: Was passiert in Situationen, in denen bei Individuen ein (bedrohliches) Stereotyp aktiviert wird? Ändert sich in diesen Momenten das Selbstkonzept bzw. der Referenzrahmen, an dem die eigenen Fähigkeiten gemessen werden? Solche Fragen wird die Pädagogische Psychologie in den kommenden Jahren beantworten müssen. Darüber hinaus ist zu klären, wie stark die Effekte des Stereotype Threat unter normalen Schulbedingungen überhaupt ausfallen. Zwei Beispiele: Unter welchen Bedingungen ist Koedukation für wen schädlich? Zeigen sich bei bestimmten Migrantengruppen in Deutschland Leistungseinbußen in Folge von Stereotype Threat? richtet. Beispielsweise geht eine individuelle Bezugsnormorientierung bei Lehrkräften mit einer günstigen Selbstkonzeptentwicklung bei Schülern einher (Lüdtke, Köller, Marsh & Trautwein, 2005; Rheinberg, 2006). Wenn Lehrer Leistungen ausschließlich im sozialen Vergleich bewerten und sanktionieren und damit sehr stark soziale Bezugsnormen in den Mittelpunkt rücken sowie dabei die intraindividuellen Leistungszuwächse vernachlässigen, leidet das Selbstkonzept insbesondere der schwächeren Schüler. Verwenden Lehrer zusätzlich individuelle Bezugsnormen, nach denen die Schülerleistung quasi im Längsschnitt betrachtet wird, haben auch schwächere Schüler die Möglichkeit, Anerkennung für ihre Leistungszuwächse zu erhalten und günstige Attributionsmuster und höhere Selbstkonzepte zu entwickeln. Allerdings sollte man nicht unbedingt erwarten, dass individuelle Bezugsnormen ausreichen, um für alle Schüler einer Klasse überdurchschnittlich positive Selbstkonzepte hervorzubringen. Die unterschiedlichen Leistungen in jeder Klasse und die damit verbundenen Effekte sozialer Vergleiche sorgen dafür, dass es viele Schüler gibt, die sich mit besseren Schülern aufwärts vergleichen mit den bekannten negativen Effekten auf das Selbstkonzept. Von daher verwundert es nicht, dass es wohl keine Klasse gibt, in der alle Schüler ein überdurchschnittlich positives Selbstkonzept berichten. Will man untersuchen, wie erfolgreich bestimmte Lehrkräfte dabei sind, den Schülern einen festen Glauben in die eigenen Fähigkeiten zu vermitteln, sollte man deshalb neben dem Selbstkonzept noch

210 8.5 Wirkungen des Selbstkonzepts terpretiert werden, dass von zwei Schülern mit identischer Leistung in einem Fach überdurchschnittlich häufig derjenige zukünftig besser abschneidet, der ein höheres Selbstkonzept seiner fachspezifischen Begabung hat. Der positive Effekt eines vergleichsweise hohen Selbstkonzepts auf die nachfolgende Leistungsentwicklung kann mittlerweile als empirisch gesichert gelten. Die Effekte fielen in denjenigen Studien besonders hoch aus, in denen eine einzelne Leistungsdomäne (also beispielsweise der Zusammenhang von mathematischem Selbstkonzept und Schulleistung in Mathematik) untersucht wurde (Valentine et al., 2004). Die Forschung innerhalb des SelfEnhancementAnsatzes zeigt somit in einer ganzen Reihe von Studien die Bedeutung des Selbstkonzepts für nachfolgende Leistungen. Da auch für den SkillDevelopmentAnsatz empirische Belege gefunden wurden, ist davon auszugehen, dass Selbstkonzept und Leistung in einem reziproken (d. h. sich gegenseitig verstärkenden) Zusammenhang stehen. Dies wird im so genannten ReciprocalEffectsModell (Marsh & Craven, 2006) formuliert. Kombiniert man das I/EModell mit dem Reciprocal Effects Model, findet man, dass die Leistungen längsschnittlich die Selbstkonzepte im nicht korrespondierenden Fach negativ beeinflussen. Dagegen zeigt sich kein längsschnittlicher Einfluss der Selbstkonweitere Indikatoren wie die Selbstwirksamkeitsüberzeugungen ( Exkurs Selbstwirksamkeit ) einbeziehen. 8.5 Wirkungen des Selbstkonzepts Die besondere theoretische und praktische Bedeutung bereichsspezifischer Selbstkonzepte ergibt sich unter anderem daraus, dass diese Personenmerkmale leistungsbezogenes Verhalten erklären und vorhersagen können. Es besteht weitgehender Konsens darüber, dass eine hohe Ausprägung des Selbstkonzepts, vermittelt über motivationale Variablen, Lernprozesse in der jeweiligen Domäne fördern kann Selbstkonzept und Leistung In welcher Beziehung stehen Selbstkonzept und Leistung? Schon früh konnten Studien einen positiven Zusammenhang zwischen den beiden Variablen zeigen (Wylie, 1979), doch wie sieht die kausale Einflussrichtung aus? Der SkillDevelopmentAnsatz geht davon aus, dass fachbezogene Selbstkonzepte von schulischen und außerschulischen Rückmeldungen beeinflusst werden, dass also Leistungen ursächlich für Selbstkonzepte sind. Wie bereits oben erläutert wurde, basieren Selbstkonzepte in der Tat teilweise auf konkreten Leistungsrückmeldungen mit anschließenden sozialen Vergleichen und Kausalattributionen. Die objektiven Leistungen übersetzen sich jedoch nicht direkt in ein objektives Selbstkonzept. Auch die sozialen Vergleiche, wie sie im BigFishLittlePondEffekt beschrieben werden, sind ein Beispiel dafür, wie schulische Leistungen im Sinne des SkillDevelopmentAnsatzes auf das Selbstkonzept wirken. Der SelfEnhancementAnsatz dagegen nimmt an, dass Selbstkonzepte Lernleistungen beeinflussen können (z. B. Helmke & van Aken, 1995). In jüngerer Zeit wurden mehrere (Baumeister, Campbell, Krueger & Vohs, 2003; Marsh & Craven, 2006; Valentine, DuBois & Cooper, 2004) prominente Übersichtsarbeiten zum Zusammenhang von Selbstkonzept und Leistung veröffentlicht. Die Ergebnisse dieser Arbeiten bestätigen recht deutlich den positiven Zusammenhang zwischen schulischem Selbstkonzept und der schulischen Leistung bzw. der schulischen Leistungsentwicklung. In einer Metaanalyse sämtlicher Längsschnittstudien zum Einfluss fähigkeitsbezogener Selbsteinschätzungen auf zukünftige Leistungen analysierten Valentine et al. (2004) insgesamt 60 Studien mit über Teilnehmern. In fast allen Studien ergaben sich positive Effekte der Selbsteinschätzungen auf künftige Leistungen. Auch wenn die vorherigen Leistungen kontrolliert wurden, ergab sich ein zwar kleiner, aber doch bedeutsamer Effekt auf die Veränderung der Leistung. Der Zusammenhang kann so in Exkurs Selbstwirksamkeit Die Selbstwirksamkeit oder auch Selbstwirksamkeitserwartung ist die subjektive Wahrscheinlichkeit, neue und/ oder schwierige Situationen aufgrund eigener Kompetenz bewältigen zu können (Bandura, 1997). Ein Schüler hat beispielsweise dann hohe Selbstwirksamkeitserwartungen, wenn er oder sie bezüglich einer anstehenden Klassenarbeit relativ sicher ist, den anstehenden Aufgabentyp gut bewältigen und daher eine gute Note erzielen zu können. Selbstwirksamkeitserwartungen sind damit Urteile über eigene Fähigkeiten in spezifischen zukünftigen Situationen. Schulische Selbstwirksamkeitsüberzeugungen zeigen in aller Regel zumindest in querschnittlichen Untersuchungen einen hohen Zusammenhang mit schulischen Leistungsergebnissen (Bandura, 1997). Basis der Selbstwirksamkeitserwartungen sind Erfahrungen mit dem konkreten Aufgabentyp. Notwendig zur Herausbildung solcher Erwartungen sind internalstabile Attributionen auf die eigene Begabung. Fachspezifische Selbstkonzepte sind meist breiter angelegt (bei ihnen geht es nicht um die Wahrscheinlichkeit, eine bestimmte konkrete Aufgabe lösen zu können, sondern etwa um die eigenen Fähigkeiten in einem Unterrichtsfach). Im Unterschied zu fachspezifischen Selbstkonzepten ist die Höhe der Selbstwirksamkeitserwartungen nur wenig durch soziale Vergleichsinformation bestimmt. Für die Frage, ob ich eine konkrete Aufgabe lösen kann, ist es unerheblich, ob andere dies besser oder schlechter können. Die Selbstwirksamkeit wird häufig erfasst als Schätzung der prozentualen Erfolgswahrscheinlichkeit einer Aufgabenlösung.

211 194 Kapitel 8 Selbstkonzept Exkurs Negative Folgen eines hohen Selbstkonzepts? Die Annahmen und empirischen Befunde, dass ein hohes Selbstkonzept mit günstigen Folgen assoziiert ist, sowie die damit assoziierten Forderungen, ein positives Selbstkonzept zu fördern, sind nicht nur auf Zustimmung gestoßen. In der Tat gibt es durchaus auch Modellvorstellungen mit gegenteiligen Wirkmechanismen. Die erste Gegenposition besagt, dass ein realistisches Selbstkonzept einem hohen Selbstkonzept vorzuziehen sei, da eine Selbstüberschätzung langfristig negative Konsequenzen habe. Auf den ersten Blick scheinen die regressionsanalytischen Untersuchungen, bei denen bei Kontrolle des tatsächlichen Leistungsstands ein vergleichsweise hohes Selbstkonzept mit günstiger Leistungsentwicklung einhergeht, eher dafür zu sprechen, dass Selbstüberschätzung positive Folgen habe. Allerdings wurden die Folgen von Selbstüberschätzung bislang in der pädagogischpsychologischen Selbstkonzeptforschung in der Tat nicht ausreichend geklärt. Man muss sich nämlich vergegenwärtigen, dass übliche Selbstkonzeptinventare gar nicht dazu taugen, das Ausmaß von Selbstüberschätzung zu ermitteln, da zu deren Entwicklung multiple Vergleiche beitragen. Ein Selbstkonzept muss sich damit nicht an einem objektiven Standard messen lassen; hierfür wären wohl Selbsteinschätzungen, bei denen explizit nach objektivierbaren Performanzkriterien gefragt wird, interessanter. Eine zweite Gegenposition verweist darauf, dass Personen mit hohen fachbezogenen Selbsteinschätzungen womöglich dazu tendieren, nicht mehr viel Anstrengung in das Fach zu investieren. Hilfreich sei es deshalb, wenn sich Schüler eher an leistungsstärkeren Mitschülern orientieren und dafür möglicherweise auch Einbußen in Hinblick auf das Selbstkonzept in Kauf nehmen würden (Blanton, Buunk, Gibbons & Kuyper, 1999). In der Tat sind pädagogische Maßnahmen und Rückmeldungen immer eine Gratwanderung: Schüler dürfen ruhig wissen, dass sie noch nicht genug wissen aber sie sollen daran glauben, dass sie das Wissen erwerben können und es sich lohnt, das Wissen zu erwerben. Eine Orientierung an leistungsstarken Mitschülern dürfte deshalb positiv sein, wenn sie mit der Überzeugung verknüpft ist, von dem Mitschüler lernen zu können bzw. ähnlich viel hinzulernen zu können, aber negative Folgen haben, wenn der Vergleich mit diesem Mitschüler das eigene Selbstkonzept stark negativ beeinträchtigt zepte in einem Fach auf die Leistungen im anderen Fach; die Wirkungen der Selbstkonzepte auf die Leistungen zeigen sich nur fachspezifisch (zum so genannten Reciprocal I/EModell s. Möller et al., 2011). Warum fördert ein hohes schulisches Selbstkonzept die schulische Kompetenzentwicklung? Welche Mechanismen liegen dem Befundmuster zugrunde? Vermutlich wirkt ein positiv ausgeprägtes Selbstkonzept sowohl beim Kompetenzerwerb als auch in Performanzsituationen unterstützend ( Exkurs Negative Folgen eines hohen Selbstkonzepts? ). Die leistungsfördernde Wirkung eines positiv ausgeprägten Selbstkonzepts wurde u. a. in einer Arbeit von Helmke (1992) dokumentiert, der mithilfe eines längsschnittlichen Designs das Zusammenspiel von Mathematikleistung und mathematischem Selbstkonzept beobachtete. In dieser Studie sagte ein hohes mathematisches Selbstkonzept ein erhöhtes Engagement der Schüler im Unterricht sowie eine höhere Anstrengungsbereitschaft bei den Hausaufgaben und Probearbeiten vorher; diese Variablen wiederum waren positiv mit einer günstigen Leistungsentwicklung in Mathematik assoziiert. Positive Konsequenzen eines hohen Selbstkonzepts in Performanzsituationen dokumentierten in einer experimentellen Studie Eckert, Schilling und StiensmeierPelster (2006). Konfrontiert mit Intelligenztestaufgaben, für die es keine korrekten Lösungen gab und die somit subjektiv zu einem Versagenserlebnis führten, waren es vor allem Versuchspersonen mit niedrigem Selbstkonzept, deren anschließende Leistung bei anderen Aufgaben unter dem Misserfolgserlebnis litt Selbstkonzept, Interesse und leistungsthematische Wahlentscheidungen Zu den pädagogisch relevanten positiven Effekten des Selbstkonzepts gehört auch die Förderung von fachbezogenen Interessen, die wiederum in engem Zusammenhang mit lernförderlichen Verhaltensweisen und Kurswahlen stehen. Systematisch sind diese Konstrukte, das Selbstkonzept, das Interesse und Wahlentscheidungen im ErwartungsWertModell von Eccles (1983) integriert, das im Folgenden vorgestellt wird. Das ErwartungsWertModell bietet eine Systematisierung derjenigen Faktoren, von denen angenommen werden kann, dass sie die Selbstkonzeptgenese beeinflussen und erlaubt eine Vorhersage von leistungsthematischem Verhalten. Das Modell postuliert, dass sich die Leistung in einem Fach kurz, mittel und langfristig dann positiv entwickelt, wenn ein Schüler davon ausgeht, erfolgreich sein zu können (ErwartungsKomponente) und er das Fach interessant, wichtig oder nützlich findet (Wert Komponente). Die Erwartungskomponente wird durch die Wahrscheinlichkeit repräsentiert, eine Aufgabe lösen oder in einem Schulfach gute Leistungen erbringen zu können. Damit ist die Erwartungskomponente sehr eng mit dem Selbstkonzept verbunden. Aus der Einschätzung der eigenen Leistungsfähigkeit in einer Domäne wird die Erwartung abgeleitet, zukünftig gute Leistungen erbringen zu können. Als Wertkomponente ist definiert, welche Bedeutung die Aufgabe oder Tätigkeit für jemanden hat,

212 8.5 Wirkungen des Selbstkonzepts Abb. 8.6 Das Selbstkonzept als Mediator im ErwartungsWertModell aus: Wer sich in einer Domäne eine geringe Begabung zuschreibt, wird in der Regel wenig motiviert sein, sich mit diesem Fachgebiet auseinanderzusetzen. So beeinflusst das fachbezogene Selbstkonzept die Wertkomponente deutlich. Schüler, die in einer Domäne überdurchschnittliche Leistungen zeigen und daher ein hohes bereichsspezifisches Selbstkonzept entwickeln, erleben die Auseinandersetzung mit Aufgaben aus diesem Bereich emotional positiver und finden diesen Bereich wichtiger als Schüler, die weniger gute Leistungen bringen. Der Wert, den eine Domäne für jemanden hat, hängt, so betrachtet, zumindest teilweise vom Selbstkonzept ab. Auf der anderen Seite motiviert der Wert die Person zur Auseinandersetzung mit dieser Domäne und erhöht die Ausdauer, die Anstrengung und die Lernzeit. Wigfield und Eccles (1992) zeigen, dass eine erhöhte Lernmotivation auch die Art und Weise des Umgangs mit Lernmaterialien prägt: Während gering Motivierte eher oberflächliche Lernstrategien einsetzen, wie Auswendiglernen, zeigen motivierte Personen tiefer gehende Lernstrategien, wie Elaborations und Transformationsstrategien. Insgesamt entsteht also folgendes Bild der Mittlerrolle des fachbezogenen Selbstkonzepts: Wenn ein unterstützendes familiäres und schulisches Klima vorhanden ist und vor allem positive Lernerfahrungen vorliegen, führen positive Leistungsrückmeldungen zu einem hohen Selbstkonzept. Mit einem hohen Selbstkonzept sind die Voraussetzungen günstig, dass ein Schüler in dieser Domäne auch eine hohe Lernmotivation zeigt. Auch die motivationalen Voraussetzungen sprechen dann für ein zukünftig hohes Engagement und entsprechende Lernergebnisse. Generell scheint zu gelten, dass sich fachbezogene Selbstkonzepte und Interessen gegenseitig positiv beeinwelchen Nutzen er ihr zuschreibt und wie interessant er sie findet; zudem mindern wahrgenommene Kosten wie die eigene Anstrengung, die mit der Aktivität verbunden sind, den Wert einer Tätigkeit. Eine Kombination von Erwartungs und Wertkomponente bestimmt die Leistungsmotivation, die Anstrengung und Ausdauer einer Person sowie ihr leistungsbezogenes Wahlverhalten (z. B. Kurswahlen). Das Fähigkeitsselbstkonzept steht im Mittelpunkt des erweiterten ErwartungsWertModells nach Eccles (1983; Wigfield & Eccles, 1992), wie es in einer Variante in. Abb. 8.6 dargestellt wird. Es ist eine Art Mittler oder Mediator zwischen den Leistungserfahrungen einer Person und der Lernmotivation und dem Lernverhalten. In dem Modell wird das Selbstkonzept von zentralen Umgebungsfaktoren beeinflusst. Dazu zählen zunächst einmal das kulturelle Milieu, in dem ein Kind aufwächst, sowie die familiäre und schulische Umwelt ( Kap. 10). Welche Bedeutung eine Familie der schulischen Bildung ihres Kindes zuschreibt und welchen Bildungsstand die Eltern für ihr Kind anstreben, sollte danach wesentlich die schulische Entwicklung mitbestimmen. Auch ganz konkretes Erziehungsverhalten der Eltern ist wichtig: So lässt sich beispielsweise zeigen, dass die Lesekompetenz von Schülern von familiären und individuellen Bedingungen abhängt und dass dabei der familiäre Einfluss zu einem Großteil auf sprachliche Interaktionen von Eltern und Kindern zurückgeht. Der soziale Hintergrund wirkt vor allem über die sprachliche Interaktion von Eltern und Kindern auf das Leseselbstkonzept, die Lesemotivation und schließlich die Lesekompetenz der Schüler (Retelsdorf & Möller, 2008). Ein niedriges fähigkeitsbezogenes Selbstkonzept wirkt sich ungünstig auf das Lernverhalten und das Lernresultat

213 196 Kapitel 8 Selbstkonzept flussen, auch wenn es je nach untersuchter Altersstufe und untersuchter Domäne gewisse Unterschiede in der Stärke der jeweiligen Effekte geben mag. Die wechselseitige positive Beeinflussung sowie der oben gezeigte Zusammenhang mit der Schulleistung führen dazu, dass der Zusammenhang von Selbstkonzept, Interessen und Schulleistung gerade in höheren Klassenstufen sehr eng ausfallen kann. Sowohl Selbstkonzepte als auch Interessen haben sich als besonders gute Prädiktoren von individuellen akademischen Schwerpunktsetzungen herausgestellt. Einflüsse des Selbstkonzepts sowie von Interessen konnten beispielsweise sowohl für Kurswahlen in amerikanischen Highschools (Marsh & Yeung, 1997) als auch in der gymnasialen Oberstufe (Nagy et al., 2008) gezeigt werden. 8.6 Schulische und außerschulische Interventionsmaßnahmen Abschließend sollen Maßnahmen vorgestellt werden, die das mehr oder weniger explizite Ziel haben, schulbezogene Selbstkonzepte zu beeinflussen. Solche Maßnahmen können sowohl durch speziell entworfene Selbstkonzepttrainings als auch durch Lehrer etwa während des normalen Unterrichts initiiert werden. Bei der Beurteilung solcher Maßnahmen muss jedoch, wie bereits oben beschrieben, immer beachtet werden, dass vielfältige Referenzgruppeneffekte die Veränderung von Selbstkonzepten beeinflussen. Automatisch ablaufende soziale und dimensionale Vergleiche, wie sie im BigFishLittlePond Effekt und I/EModell thematisiert sind, schränken notwendigerweise die Kraft und Nachhaltigkeit von gezielten Interventionen ein. Ergänzend ist deshalb die Berücksichtigung von Selbstwirksamkeitsüberzeugungen sowie weiterer Konstrukte zu empfehlen. Zur Steigerung des Selbstkonzepts können Maßnahmen beispielsweise aus dem ErwartungsWertModell (. Abb. 8.6) abgeleitet werden. Positive Lernerfahrungen und Leistungsrückmeldungen sowie unterstützendes Verhalten durch Eltern und Lehrkräfte schaffen die Ausgangsbasis für ein positives Selbstkonzept. Da die Höhe des Selbstkonzepts eng mit den Ursachenzuschreibungen für Leistungen verknüpft ist, kann darüber hinaus von günstigen Auswirkungen internalvariabler Misserfolgsattributionen auf das Selbstkonzept ausgegangen werden. In Attributionstrainingsprogrammen werden direkt bestimmte Attributionsmuster eingeübt (zum Überblick Försterling, 1985). Weiter gefasste Motivationsförderungsprogramme streben ebenfalls Veränderungen der Bewertung der eigenen Fähigkeiten an ( Kap. 17). Wie DeCharms (1968) betonen auch Rheinberg und Krug (2004) die Notwendigkeit realistische Anspruchsniveaus zu entwickeln. Schüler, die zu leichte oder zu schwere Aufgaben als Grundlage der Selbstbewertung wählen, vermeiden detaillierte Rückmeldung zu ihrer eigenen Leistungsfähigkeit. Geeigneter sind Ziele, die sich an der individuellen Leistungsentwicklung des Schülers orientieren und knapp über dem bisher Erreichten liegen. Besonders bei Misserfolg kann bei einer solchen Aufgabenwahl auf die eigene Anstrengung attribuiert werden, die dann bei zukünftigen Anforderungen gesteigert werden kann. Speziell zur Erhöhung des Selbstkonzepts sind sog. OutwardBoundProgramme durchgeführt worden. Dabei werden in erlebnispädagogischer Tradition herausfordernde und oft sportliche Aktivitäten verlangt, wie beispielsweise das Überqueren eines Flusses mittels einer selbst konstruierten Brücke oder das (abgesicherte) Balancieren auf einem Hochseil. Tatsächlich zeigen mehrere empirische Untersuchungen solcher Programme positive Ergebnisse für das Selbstkonzept. Marsh und Richards (1988) reicherten ein solches OutwardBoundProgramm durch akademische Inhalte an und konnten einen positiven Effekt der Maßnahme auch auf das mathematische Selbstkonzept zeigen. O Mara, Marsh, Craven und Debus (2006) führten eine Metaanalyse von insgesamt 145 Studien durch, um die Effekte von Interventionsprogrammen auf die Selbstkonzepte von Kindern und Jugendlichen beschreiben zu können. Insgesamt ergab sich eine mittlere Effektstärke von d = 0,47. Danach hatten die Trainingsgruppen, in denen eine Intervention durchgeführt wurde, ein um knapp die Hälfte der Standardabweichung höheres Selbstkonzept als die Kontrollgruppe, die kein Programm mitgemacht hatte. Interventionen, die auf einen spezifischen Aspekt des Selbstkonzepts ausgerichtet waren, waren besonders effektiv, wenn genau dieser spezifische Aspekt des Selbstkonzepts auch gemessen wurde. Fazit Das schulische Selbstkonzept zählt zu den am gründlichsten untersuchten pädagogischpsychologischen Variablen. Interessant erscheint es vor allem, weil es in Modellen wie dem BigFishLittlePondEffekt oder dem I/EModell zu Abweichungen von rein rationalen Selbsteinschätzungen kommt. Deutlich geworden ist nicht nur die Abhängigkeit des Selbstkonzepts von schulischen Leistungen und umgekehrt seine Bedeutung für die schulische Leistungsentwicklung. Das Selbstkonzept ist auch in komplexe motivationale Prozesse eingebunden wie Entscheidungen für bestimmte Kurse oder Studienfächer. Zusammengefasst kann die Förderung eines adäquaten und positiven Selbstkonzepts als zentrales Ziel pädagogischer Bemühungen gelten.

214 Literatur Verständnisfragen 1. Was versteht man unter einem bereichsspezifischen Selbstkonzept? 2. Welche Rolle spielt das schulische Selbstkonzept im ErwartungsWertModell? 3. Unterscheiden Sie den SkillDevelopmentAnsatz vom SelfEnhancementAnsatz. 4. Beschreiben Sie den BigFishLittlePondEffekt. 5. Was versteht man unter dimensionalen Vergleichen? Vertiefende Literatur Bracken, B. A. (Ed.). (1996). Handbook of selfconcept. New York: Wiley. Helmke, A. (1992). Selbstvertrauen und schulische Leistungen. Göttingen: Hogrefe. Marsh, H. W. & Craven, R. G. (2006). Reciprocal effects of selfconcept and performance from a multidimensional perspective: Beyond seductive pleasure and unidimensional perspectives. Perspectives on Psychological Science, 1, Literatur Asendorpf, J. B., & van Aken, M. A. G. (2003). Personality relationship transaction in adolescence: Core versus surface personality characteristics. Journal of Personality, 71, Bandura, A. (1997). 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215 198 Kapitel 8 Selbstkonzept Marsh, H. W. (1986). Global self esteem: Its relation to specific facets of self concept and their importance. Journal of Personality and Social Psychology, 51, Marsh, H. W. (1987). The big fish little pond effect on academic self concept. Journal of Educational Psychology, 79, Marsh, H. W. (1989). Age and sex effects in multiple dimensions of selfconcept: Preadolescence to early adulthood. Journal of Educational Psychology, 81, Marsh, H. W. (1990a). The structure of academic self concept: The Marsh/ Shavelson model. Journal of Educational Psychology, 82, Marsh, H. W. (1990b). A multidimensional, hierarchical model of selfconcept: Theoretical and empirical justification. Educational Psychology Review, 2, Marsh, H. W. (1991). The failure of high ability high schools to deliver academic benefits: The importance of academic self concept and educational aspirations. American Educational Research Journal, 28, Marsh, H. W., Byrne, B. M., & Shavelson, R. J. 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216 Literatur tion. In J. C. Masters, & W. P. Smith (Hrsg.), Social comparison, social justice, and relative deprivation: Theoretical, empirical, and policy perspectives (S ). Hillsdale, NJ: Erlbaum. Schöne, C., Dickhäuser, O., Spinath, B., & StiensmeierPelster, J. (2002). Skalen zur Erfassung des schulischen Selbstkonzepts. Manual. Göttingen: Hogrefe. Schwanzer, A., Trautwein, U., Lüdtke, O., & Sydow, H. (2005). Entwicklung eines Instruments zur Erfassung des Selbstkonzepts junger Erwachsener. Diagnostica, 51, Schwarzer, R., Lange, B., & Jerusalem, M. (1982). Selbstkonzeptentwicklung nach einem Bezugsgruppenwechsel. Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie, 14, Shavelson, R. J., Hubner, J. J., & Stanton, G. C. (1976). Validation of construct interpretations. Review of Educational Research, 46, Shrauger, J. S., & Schoeneman, T. J. (1979). Symbolic interactionist view of self concept: Through the looking glass darkly. Psychological Bulletin, 86, Sparfeldt, J., Schilling, S. R., Rost, D. H., & Müller, C. (2003). Bezugsnormorientierte Selbstkonzepte? Zur Eignung der SESSKO. Zeitschrift für Differentielle und Diagnostische Psychologie, 24, Steele, C. M., & Aronson, J. (1995). Stereotype threat and the intellectual test performance of African Americans. Journal of Personality and Social Psychology, 69, Trautwein, U., & Baeriswyl, F. (2007). Wenn leistungsstarke Klassenkameraden ein Nachteil sind: Referenzgruppeneffekte bei Übergangsentscheidungen. Zeitschrift für Pädagogische Psychologie, 21, Trautwein, U., Gerlach, E., & Lüdtke, O. (2008). Athletic classmates, physical self concept, and free time physical activity: A longitudinal study of frame of reference effects. Journal of Educational Psychology, 100, Trautwein, U., Lüdtke, O., Köller, O., & Baumert, J. (2006). Self esteem, academic self concept, and achievement: How the learning environment moderates the dynamics of self concept. Journal of Personality and Social Psychology, 90, Trautwein, U., Lüdtke, O., Marsh, H. W., Köller, O., & Baumert, J. (2006). Tracking, grading, and student motivation: Using group composition and status to predict self concept and interest in ninth grade mathematics. Journal of Educational Psychology, 98, Trautwein, U., Lüdtke, O., Marsh, H. W., & Nagy, G. (2009). Within school social comparison: How students perceived standing of their class predicts academic self concept. Journal of Educational Psychology, 101, Valentine, J. C., DuBois, D. L., & Cooper, H. (2004). The relations between self beliefs and academic achievement: A systematic review. Educational Psychologist, 39, Watt, H. M. G., & Eccles, J. S. (Hrsg.). (2008). Gender and Occupational Outcomes: Longitudinal assessments of individual, social, and cultural influences. Washington, D.C.: APA books. Wheeler, L., & Suls, J. (2007). Assimilation in social comparison: Can we agree on what it is? Revue Internationale de Psychologie Sociale, 20, Wigfield, A., Eccles, J. S., Yoon, K. S., Harold, R. D., Arbreton, A., Freedman Doan, K., & Blumenfeld, P. C. (1997). Changes in childrens competence beliefs and subjective task values across the elementary school years: A three year study. Journal of Educational Psychology, 89, Wigfield, A., & Eccles, J. S. (1992). The development of achievement task values: A theoretical analysis. Developmental Review, 12, Wylie, R. C. (1979). The self concept: Theory and research on selected topics Bd. 2. Lincoln: University of Nebraska Press.

217 201 9 Emotionen Anne C. Frenzel, Thomas Götz, Reinhard Pekrun 9.1 Begriffsbestimmung Emotionen Mehrdimensionale Konstrukte Struktur von Emotionen Verwandte Konstrukte Emotionsregulation Erfassung von Emotionen Leistungsemotionen Definition und Taxonomisierung Fachspezifität von Leistungsemotionen Auftretenswahrscheinlichkeit von Leistungsemotionen und ihre Relevanz für Leistung und Wohlbefinden Versuch einer Abgrenzung von Emotionen und Kognitionen im Lern und Leistungskontext Entwicklungsverläufe von Emotionen im Lern und Leistungskontext Ursachen von Emotionen im Lern und Leistungskontext Wirkungen von Emotionen im Lern und Leistungskontext Anregungen zur Gestaltung eines emotionsgünstigen Unterrichts 220 Literatur 223 E. Wild, J. Möller (Hrsg.), Pädagogische Psychologie, SpringerLehrbuch, DOI / _9, SpringerVerlag Berlin Heidelberg 2015

218 202 Kapitel 9 Emotionen Dieses Kapitel beschäftigt sich mit Emotionen im Lern und Leistungskontext. Fragen Sie sich doch einmal selbst wie fühlen Sie sich, während Sie die Inhalte dieses Lehrbuchs durcharbeiten? Macht Ihnen diese Aufgabe Spaß? Langweilt es Sie? Ärgern Sie sich dabei? Und der Gedanke daran, dass Ihre Lernergebnisse überprüft werden: Jagt er Ihnen einen Schauer über den Rücken oder erfüllt es Sie mit Stolz, Ihre Erkenntnisse und Lösungen präsentieren zu dürfen? Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Emotionen findet vor allem in Allgemeiner Psychologie, Sozialpsychologie und Klinischer Psychologie statt, daneben auch in der Neuro, Entwicklungs und Differenziellen sowie Pädagogischen Psychologie. Insgesamt handelt es sich hierbei um einen relativ jungen Forschungsbereich. Abgesehen von der traditionellen Prüfungsangstforschung (überblicksartig in Schnabel, 1998; Zeidner, 1998) wurde der Relevanz von Emotionen im Kontext von Lernen und Leistung erst in den letzten 15 Jahren durch intensive Forschungstätigkeit Rechnung getragen. In diesem Kapitel werden vorwiegend Arbeiten zu Emotionen im Leistungskontext vorgestellt und Aspekte aus den Nachbardisziplinen dann aufgegriffen, wenn sie für den pädagogischen Kontext relevant sind (. Abb. 9.1). 9.1 Begriffsbestimmung Emotionen Mehrdimensionale Konstrukte Emotionen sind innere, psychische Prozesse. Charakteristisch ist vor allem ihr gefühlter Kern: Emotionen spürt man, sie sind keine reinen Gedankeninhalte. Jede Emotion ist durch ein für sie typisches psychisches Erleben gekennzeichnet. Dies wird auch als der affektive Kern einer Emotion bezeichnet. Affektives Erleben ist notwendig und hinreichend für eine Emotion. Die meisten Emotionen lassen sich recht eindeutig entlang der Dimension Valenz in positiv vs. negativ einordnen. Emotionen haben einen stark wertenden Charakter, sie sind Signalgeber dafür, wie angenehm oder unangenehm eine aktuelle Situation empfunden wird.» Emotion would not be emotion without some evaluation at its heart. (Parkinson, 1997, S. 62) Neben diesem affektiven Kern werden in vielen Definitionen vier weitere zentrale Komponenten von Emotionen genannt (. Abb. 9.2 und Exkurs Prüfungsangst Facetten ): Die physiologische Komponente: Je nach emotionalem Zustand ändern sich z. B. Herzrate, Hautleitfähigkeit oder Muskeltonus kurz gesagt, die allgemeine.. Abb. 9.1 Anspannung oder der Erregungszustand. Auch im zentralen Nervensystem finden Emotionen ihre Entsprechung, sowohl kortikale als auch subkortikale Areale (u. a. der präfrontale Kortex und die Amygdala) zeigen beim Erleben von Emotionen spezifische Erregungsmuster. Die kognitive Komponente: Emotionales Erleben geht meist mit emotionstypischen Gedankeninhalten einher; bei Angst sind dies beispielsweise Gedanken an die Konsequenzen eines möglichen Scheiterns ( Was werden wohl meine Eltern sagen, wenn ich wieder mit einer schlechten Note nach Hause komme? ). Die expressive Komponente: Verschiedene Emotionen gehen mit für sie typischem verbalem und nonverbalem Ausdrucksverhalten einher. Dies macht Emotionen für Interaktionspartner erkennbar. Die motivationale Komponente: Emotionen lösen entsprechendes Verhalten aus. Aus evolutionspsychologischer Perspektive wird argumentiert, dass Organismen überhaupt erst deshalb Emotionen entwickelt haben, weil diese dafür sorgen, adaptives (d.h. überlebensförderliches) Verhalten zu zeigen, z. B. aus Angst zu flüchten oder in guter Stimmung die Umwelt zu explorieren. Definition Emotionen sind mehrdimensionale Konstrukte, die aus affektiven, physiologischen, kognitiven, expressiven und motivationalen Komponenten bestehen (. Abb. 9.2) Struktur von Emotionen Es gibt zwei zentrale Ansätze zur Beschreibung der Struktur von Emotionen, nämlich dimensionale und kategoriale

219 9.1 Begriffsbestimmung Abb. 9.2 Mindmap Emotionen Exkurs Prüfungsangst Facetten Das affektive Erleben bei Prüfungsangst ist durch Aufgeregtheit, Nervosität und Unsicherheitsgefühle gekennzeichnet. Körperlich macht sich Prüfungsangst durch erhöhte Erregung mit Symptomen wie Zittern, Schweißausbrüchen oder Übelkeit bemerkbar. Diese affektiven und physiologischen Komponenten werden in der Literatur häufig zusammen als EmotionalityKomponente der Prüfungsangst bezeichnet (Liebert & Morris, 1967; Zeidner, 1998). Prüfungsängstliche Personen plagen zudem permanente Sorgen um eigene Fähigkeitsmängel so kreisen ihre Gedanken schon während des Lernens und auch in der Prüfung um Versagen und um die Konsequenzen eines möglichen Misserfolgs. Dieser kognitive Aspekt der Prüfungsangst wird auch mit dem Begriff WorryKomponente bezeichnet. Schließlich geht Prüfungsangst mit Flucht oder Vermeidungstendenzen bezüglich Lern und Prüfungssituationen einher. Die Schwierigkeit liegt hier darin, dass es in unserer modernen Gesellschaft keineswegs adaptiv (also Erfolg bringend) ist, in solchen Situationen Vermeidungs und Fluchtverhalten an den Tag zu legen. Im Gegenteil, nicht zu lernen vermindert die Erfolgsaussichten und an einer Prüfung nicht teilzunehmen impliziert in der Regel, sie nicht zu bestehen. Modelle. Unter einer dimensionalen Perspektive werden Emotionen anhand einer begrenzten Anzahl quantitativ variierender Eigenschaften gruppiert. Die beiden am häufigsten genannten Dimensionen sind Valenz (positiv bis negativ bzw. angenehm bis unangenehm) und Aktivierung/ Erregung (niedrige bis hohe Aktivierung). Die Frage Wie fühlen Sie sich im Moment? würde in diesem Ansatz beispielsweise mit positiv erregt beantwortet. Manche Autoren beziehen daneben noch weitere Dimensionen mit ein (wie Intensität, Wachheit oder erlebte Dominanz). Beim kategorialen Ansatz wird darauf Wert gelegt, zwischen einer Vielzahl an qualitativ unterschiedlichen ( diskreten ) Emotionen zu differenzieren. Obige Frage würde in diesem Ansatz beispielsweise mit ärgerlich oder ängstlich beantwortet. Aus dieser Perspektive wird argumentiert, dass es auch noch zwischen Emotionszuständen, die im dimensionalen Ansatz identisch klassifiziert werden, phänomenologisch große Unterschiede gibt. So fühlt man sich z. B. sowohl bei Angst als auch bei Ärger negativ und erregt; das subjektive Erleben unterscheidet sich jedoch recht stark bei diesen beiden Emotionen. Aus einer dimensionalen Perspektive wird dem wiederum entgegengehalten, dass trotz der subjektivphänomenologischen Unterschiedlichkeit diese Emotionen typischerweise hoch positiv miteinander korrelieren, dass man also in einer angstbesetzen Situation auch rasch ärgerlich reagiert oder Personen, die allgemein zu Ärger neigen, auch häufig berichten, Angst zu erleben. Im Kontext der Suche nach einer begrenzten Anzahl an diskreten Emotionen, die universell auftreten, ist der Begriff Basisemotionen geprägt worden. Basisemotionen scheinen alle Menschen zu kennen und unterscheiden zu können. Sie gehen über Kulturen hinweg mit den jeweils gleichen, typischen Gesichtsausdrücken einher und sind durch spezifische Auslösebedingungen sowie spezifische resultierende Handlungstendenzen charakterisiert. Von verschiedenen Autoren wurden immer wieder unterschiedliche Vorschläge gemacht, welche Gefühlszustände zu den Basisemotionen zu zählen sind. Besonders häufig werden dabei die folgenden Emotionen genannt (Ortony & Turner, 1990): Freude Überraschung Trauer Ärger Angst Ekel. Eine weitere wichtige strukturelle Eigenschaft von Emotionen liegt darin, dass sie zum einen als momentane

220 204 Kapitel 9 Emotionen Zustände und zum anderen als dispositionelle Reaktionstendenzen betrachtet werden können. In der allgemeinpsychologischen Forschung werden Emotionen meist als situative, momentane Zustände (sog. emotionale States) beschrieben. In der Differenziellen Psychologie, d. h. bei der Betrachtung von Unterschieden zwischen Individuen, betrachtet man Emotionen aber auch aus der Perspektive, dass es dispositionelle Unterschiede in der Neigung zu geben scheint, in verschiedenen Situationen mit bestimmten Emotionen zu reagieren. In diesem Zusammenhang spricht man von Emotionen als Traits (relativ stabile Persönlichkeitseigenschaften; Pekrun & Frenzel, 2009). So unterscheiden sich Personen beispielsweise in ihrer generellen positiven bzw. negativen Affektivität, d. h. der Neigung, positive oder negative Emotionen vermehrt zu erleben. Aber auch bezüglich des Erlebens diskreter Emotionen gibt es dispositionelle Unterschiede. Beispiele sind die TraitAngst (auch Prüfungsängstlichkeit), sowie die Neigung zum Ärger oder auch zur Langeweile. Zahlreiche pädagogischpsychologische Forschungsarbeiten beziehen sich auf Emotionen als Traits. Aktuelle Ergebnisse aus der pädagogischpsychologischen Forschung zeigen, dass es sehr wichtig ist, sich der inhaltlichen Bedeutung von Trait und StateEmotionen bei der Interpretation empirischer Befunde bewusst zu sein. So zeigt eine Studie von Götz und Kollegen (2013), dass die StateAngstAusprägungen von Jungen und Mädchen im Fach Mathematik identisch sind, während Mädchen trotz gleicher Noten im Fach Mathematik höhere Werte für TraitMathematikangst angeben als Jungen. Bei den TraitAngaben scheinen subjektive Überzeugungen (z. B. Mathematik kann ich nicht ) stärker einzufließen als bei den StateAngaben. Geschlechterunterschiede im mathematikbezogenen Selbstkonzept erzeugen dann die geschlechterbezogenen Unterschiede in der TraitMathematikangst die sich bei der StateErhebung nicht finden. In anderen Worten: TraitAngaben spiegeln im Vergleich zu StateAngaben wohl zu einem größeren Ausmaß unser Denken über Dinge wider Verwandte Konstrukte Emotionen werden im Kontext zahlreicher weiterer Phänomene diskutiert, die in diesem Beitrag am Rande zur Sprache kommen. Hierzu zählen die Konstrukte Stimmung, Wohlbefinden, Stress und Flow, die im Folgenden kurz erläutert werden. Die Begriffe Emotion und Stimmung werden in vielen Forschungsarbeiten weitgehend synonym benutzt. Emotionen und Stimmungen sind tatsächlich durch weitgehend kongruente Komponenten charakterisiert (affektives Erleben, spezifisches physiologisches Erregungsmuster, charakteristische Gedankeninhalte sowie Ausdrucksverhalten). Unterschiede bestehen darin, dass Stimmungen typischerweise länger anhaltend, aber dabei weniger intensiv ausgeprägt und in geringerem Maße auf bestimmte Objekte gerichtet sind als Emotionen. Im Unterschied zu diskreten Emotionen werden Stimmungen zudem typischerweise ausschließlich dimensional als positiv, neutral oder negativ klassifiziert. Emotionen werden typischerweise als integrale Bestandteile von subjektivem Wohlbefinden genannt. Wohlbefinden besteht nicht nur in der Abwesenheit negativer Emotionen (z. B. keine Angst zu haben), sondern beinhaltet auch das Empfinden positiver Emotionen (allem voran das Erleben von Freude). Hinzu kommt in vielen Definitionen zum subjektiven Wohlbefinden, dass man subjektive und gesellschaftliche Werte als erfüllt sieht und insgesamt sein Leben als positiv bewertet (Diener, Suh, Lucas & Smith, 1999). Bei Stress handelt es sich um einen Zustand der Alarmbereitschaft eines Organismus, der sich auf erhöhte Leistungsanforderungen einstellt. In der modernen Stressforschung wird zudem betont, dass erlebter Stress dann auftritt, wenn die eigenen Fähigkeiten und Fertigkeiten von den Anforderungen der Umwelt übertroffen bzw. infrage gestellt werden. In solchen Situationen erlebt man häufig auch Angst, weswegen die Emotion Angst als eng verwandt mit subjektiv erlebtem Stress angesehen werden kann. Daher weisen Theorien zu Entstehung, Wirkungen und zum Umgang mit Angst und Stress relativ große Überschneidungen auf (einen guten Überblick hierzu bietet Schwarzer, 2000). Der Begriff Flow wurde durch Csikszentmihalyi (1985) geprägt. Er beschreibt damit das holistische Gefühl bei völligem Aufgehen in einer Tätigkeit (ebd., S. 58/59), das dann auftritt, wenn Handlungsanforderungen und Handlungskompetenzen in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen. In den Zustand von Flow kann man insbesondere dann geraten, wenn man in eine anspruchsvolle Tätigkeit involviert ist und sich den Anforderungen der Tätigkeit voll gewachsen fühlt. Obwohl Flow eher ein kognitiver Zustand als eine Emotion ist und deshalb auch nie im Kontext der Basisemotionen erwähnt wird, handelt es sich dabei um einen Erlebenszustand, der insbesondere im Lern und Leistungskontext wiederholt Beachtung findet nicht zuletzt deshalb, weil man im Flow außerordentlich gute und kreative Leistungen erbringen kann Emotionsregulation Eng verwandt mit der Erforschung von Emotionen an sich ist auch die Beschäftigung mit der Frage, ob und wie wir Emotionen regulieren können. Emotionsregula

221 9.2 Erfassung von Emotionen tion kann als zielgerichtete, bewusste oder unbewusste Aufrechterhaltung, Steigerung oder Senkung der eigenen Emotionen oder der Emotionen anderer Menschen definiert werden (Gross & Thompson, 2006). Ansätzen zur Emotionsregulation liegt ein hedonistischer Gedanke zugrunde wir streben danach, möglichst häufig und intensiv positive und möglichst selten und gering ausgeprägte negative Emotionen zu erleben und regulieren auf dieses Ziel hin. Emotionsregulation impliziert dabei nicht nur, wie man reagiert, sobald eine emotionale Reaktion eingetreten ist, sondern auch, dass man sich über mögliche emotionsinduzierende Umstände bewusst ist und diese gezielt aufsucht oder vermeidet, um das eigene emotionale Erleben zu optimieren. Ein Großteil der Forschungsaufmerksamkeit richtete sich bisher jedoch vor allem auf den Umgang mit negativen Gefühlszuständen; in diesem Zusammenhang spricht man auch von Coping. Im Zentrum der CopingForschung steht die Frage, wie gut es gelingt, mit Stress, Angst, Trauer und allgemein negativem Affekt umzugehen. In diesem Zusammenhang werden häufig drei zentrale CopingStrategien genannt (Zeidner & Endler, 1996). Diese sind emotionsorientiertes Coping (direkte Regulierung der Emotion, z. B. durch Entspannungstechniken oder Medikamenteneinnahme), problemorientiertes Coping (d. h. Identifikation der emotionsauslösenden Umstände und deren aktive Änderung), meidensorientiertes Coping (d. h. behaviorale oder mentale Flucht aus der emotionsauslösenden Situation bzw. Vermeidung einer Konfrontation mit der Situation). Letztere Form des Copings wird für viele Situationen als die am wenigsten günstige beschrieben. Emotionsregulation spielt auch im Lern und Leistungskontext eine bedeutsame Rolle (Götz, Frenzel, Pekrun & Hall, 2006). Inwieweit es gelingt, sich in einer Lernsituation in eine positive Stimmung zu versetzen oder auch in einer Prüfungssituation Angst im Griff zu haben, wirkt sich vermutlich nicht unerheblich auf die resultierenden Leistungen aus ( Abschn ). Die Fähigkeit, Emotionen zu regulieren, ist zudem ein wichtiger Bestandteil des in jüngster Zeit vielbeachteten Konstrukts emotionale Intelligenz ( Exkurs Emotionale Intelligenz Populär und wissenschaftlich ). 9.2 Erfassung von Emotionen Eine der größten Herausforderungen bei der Auseinandersetzung mit Emotionen liegt in deren Erfassung bzw. Diagnostik. Da Emotionen definitionsgemäß durch subjektives Erleben gekennzeichnet sind, liegt es nahe, sie durch Befragung der Betroffenen zu erfassen. Tatsächlich ist eine Vielzahl an Forschungsarbeiten zu Emotionen auf der Basis von Fragebogenskalen entstanden. Einem dimensionalen Ansatz folgend ist hierbei die Positive and Negative Affect Schedule (PANAS) von Watson, Clark und Tellegen (1988; in deutscher Fassung von Krohne, Egloff, Kohlmann & Tausch, 1996) entwickelt und vielfach eingesetzt worden. Die PANAS ist ein Selbstbeschreibungsinstrument, das aus 20 Adjektiven besteht, von denen je 10 positive und negative Empfindungen und Gefühle beschreiben (z. B. aktiv, begeistert, gereizt). Die Probanden schätzen die Intensität auf einer 5stufigen Skala ein (gar nicht bis äußerst). Vielfach anhand von Fragebogen erforscht wurde auch die diskrete Emotion Angst. Hier ist das StateTrait Angstinventar von Spielberger (1983; in deutscher Fassung von Laux, Glanzmann, Schaffner & Spielberger, 1981) das am häufigsten eingesetzte Instrument. Die zwei Skalen mit jeweils 20 Items (z. B.: Ich bin besorgt, dass etwas schiefgehen könnte) dienen zur Erfassung von Angst als Zustand (StateAngst) und Angst als Eigenschaft (Trait). Alternativ zu quantitativen Fragebogenverfahren können Emotionen auch durch strukturierte Interviews erfasst werden. Auch Prüfungsangst wird typischerweise durch Selbstbericht erfasst ( Exkurs Erfassung von Prüfungsangst: AFS und DAI ). Direkte Befragungsmethoden zur Emotionserfassung sind jedoch dafür kritisiert worden, dass sie sprachbasiert sind und Selbsteinschätzungen, d. h. subjektive Rekonstruktionen der eigenen Befindlichkeit, darstellen und somit anfällig für bewusste oder unbewusste Verzerrungen sind ( Exkurs Erfassung von Prüfungsangst: AFS und DAI ). Eine häufig eingesetzte Form der sprachfreien Erfassung, die trotzdem auf dem subjektiven Erlebensbericht von Probanden basiert, ist das SelfAssessment Manikin von Lang (1980). Hier wird die emotionale Befindlichkeit anhand von drei Dimensionen (Valenz, Arousal und Dominanz) erfasst, die jeweils durch drei grafische Figuren veranschaulicht werden. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von einem affektiven Ratingsystem. Schließlich gibt es eine Reihe an Methoden zur Emotionserfassung, die vollständig auf den subjektiven Bericht der Probanden verzichten. Hierzu zählt die Codierung der emotionstypischen Prosodie (d. h. des Tonfalls) oder auch der emotionstypischen Mimik. Von Paul Ekman und Kollegen wurde das sog. Facial Action Coding System (FACS) entwickelt. Im FACS werden kleinste, den Gesichtsausdruck bewirkende Muskelbewegungen erfasst und in ihrer Kombination für die Kodierung diverser diskreter Emotionen herangezogen (Ekman, Friesen & Hager, 2002). Die zentralphysiologischen Prozesse, die beim Erleben von Emotionen ablaufen, lassen sich anhand von bildgebenden Verfahren (z. B. fmrt) und durch Messungen der Gehirnströme (z. B. EEG) erfassen. Schließlich kann man

222 206 Kapitel 9 Emotionen Exkurs Emotionale Intelligenz Populär und wissenschaftlich Daniel Golemans Buch Emotionale Intelligenz (Goleman, 1997) ist öffentlich viel beachtet worden und hat unter Laien wie Wissenschaftlern eine engagierte Debatte ausgelöst. Goleman ist der Frage nachgegangen, was eigentlich den Lebenserfolg eines Menschen ausmacht, d. h. beruflich erfolgreich zu sein, von seinen Mitmenschen akzeptiert und geachtet zu werden, Freunde zu haben und insgesamt mit seinem Leben zufrieden zu sein. Seine zentrale Aussage war, dass hierzu der traditionell definierte IQ weniger ausschlaggebend sei als bisher angenommen wurde. Vielmehr sei dazu eine ausgeprägte emotionale Intelligenz notwendig, d. h. der intelligente Umgang mit den eigenen Emotionen und denen von Mitmenschen. Der besondere Reiz an dieser Form der Intelligenz: Diese Fähigkeit sei erlernbar. Die fachwissenschaftliche Betrachtung des Konstrukts emotionale Intelligenz wurde insbesondere durch die Forschungsarbeiten von Mayer und Salovey geprägt (auch Golemans Ausführungen stützen sich stark auf deren Arbeiten). Sie definieren emotionale Intelligenz als Gesamtheit von vier Fähigkeiten: Wahrnehmen, Verstehen, Integrieren und Regulieren der eigenen Emotionen und der Emotionen anderer (Mayer & Salovey, 1997; zu diesem und weiteren Modellen Emotionaler Intelligenz vgl. Neubauer & Freudenthaler, 2006). Zur Wahrnehmung zählt hierbei die Fähigkeit, Emotionen zu erkennen und diskrete Emotionen auseinanderzuhalten, aber auch ehrliche und unehrliche Gefühlsausdrücke unterscheiden zu können. Das Verstehen von Emotionen beinhaltet, auch komplexe und simultan auftretende Emotionen zu durchschauen, die Bedeutung, die Emotionen über Beziehungen vermitteln, interpretieren zu können und potenzielle Übergänge zwischen Emotionen auszumachen. Integrieren bedeutet, sich Emotionen zunutze zu machen, um das eigene Denken zu verbessern, beispielsweise sich selbst in bestimmte Stimmungen zu versetzen, um seine Aufmerksamkeit zu verbessern und um ein Ziel besser zu erreichen. Regulieren schließlich beinhaltet, sowohl für angenehme als auch unangenehme Gefühle offen zu bleiben, sich auf Emotionen einlassen zu können oder sich von ihnen loszulösen, je nachdem, ob sie als dienlich eingeschätzt werden; und zudem natürlich die Fähigkeit, Emotionen bei sich und anderen aufrechtzuerhalten, zu steigern oder zu senken. Insbesondere Golemans Ansatz ist insofern kritisierbar, als emotionsbezogene Fähigkeiten vermutlich in ähnlichem Ausmaß erlernbar sind wie andere kognitive Fähigkeiten. Auch die fachwissenschaftlichen Ansätze zur emotionalen Intelligenz sind kritisiert worden; es wird beispielweise argumentiert, die beschriebenen Fähigkeiten seien in der Psychologie seit Langem beschriebene Persönlichkeitseigenschaften oder auch letztlich die Anwendung von traditionell definierter Intelligenz in sozialen Situationen. Die Kernannahme, dass Erfolg im Leben nicht allein von kognitiven Kompetenzen abhängt, sondern dass auch emotionsbezogene Faktoren eine wichtige Rolle spielen, ist unumstritten Exkurs Erfassung von Prüfungsangst: AFS und DAI Der Angstfragebogen für Schüler (AFS) von Wiecierkowski et al. (1974) und das Differenzielle Leistungsangstinventar (DAI) von Rost und Schermer (1997) sind zwei einschlägige normorientierte Verfahren, die sich für die Erfassung von Prüfungsangst und weiteren schulbezogenen Ängsten eignen. Der AFS ist ein mehrfaktorieller Fragebogen, der die ängstlichen und unlustvollen Erfahrungen von Schülern unter drei Aspekten erfasst: Prüfungsangst, allgemeine ( manifeste ) Angst und Schulunlust. Ferner enthält er eine Skala zur Erfassung der Tendenz von Schülern, sich angepasst und sozial erwünscht darzustellen. Es liegen Normen für Schüler von 9 17 Jahren ( Schulklasse) vor. Je nach Alter beträgt die Bearbeitungszeit Minuten. Er kann im Einzel und Gruppenverfahren durchgeführt werden. Der AFS eignet sich zur Erfassung des Ausmaßes der Angstathmosphäre in Schulklassen sowie zur individuellen Diagnostik, Therapieindikation und kontrolle. Das DAI ist eine Fragebogenbatterie zur Erfassung multipler Facetten von Leistungsängstlichkeit. Es besteht aus vier Bereichen: Angstauslösung, Angstmanifestation, AngstCopingstrategien sowie Angststabilisierung. Es liegen Normen für Schüler der Schulklasse vor. Das DAI kann im Einzelund Gruppenverfahren durchgeführt werden. Es ist hinsichtlich Ursachen, Diagnoseansätzen und Modifikationsmöglichkeiten von Leistungsängstlichkeit sehr aufschlussreich. auch anhand von peripherphysiologischen Messdaten Hinweise auf das emotionale Erleben von Probanden erlangen. Hierzu zählen die Erfassung des Hautwiderstands, der Herzfrequenz oder des Blutdrucks. Auch bestimmte im Blut bzw. im Speichel nachweisbare Botenstoffe insbesondere Cortisol werden in Studien häufig als Indikatoren erhöhter emotionaler Erregung (Angst bzw. Stress) herangezogen. 9.3 Leistungsemotionen Definition und Taxonomisierung Unter Leistungsemotionen ( achievement emotions ) werden diejenigen Emotionen von Schülern verstanden, die sie in Bezug auf leistungsbezogene Aktivitäten und die Leistungsergebnisse dieser Aktivitäten erleben (Pekrun, 2006). Zwischenmenschliche Gefühle wie Sympathie oder Abneigung sind somit eher nicht dieser Gruppe von Emotionen zuzuordnen. Im pädagogischen Kontext handelt es sich bei entsprechenden Aktivitäten vor allem um Lernaktivitäten; Lernemotionen als spezielle Teilgruppe der Leistungsemotionen spielen hier deshalb eine wesentliche Rolle.

223 9.3 Leistungsemotionen Tab. 9.1 Klassifikation von Leistungsemotionen Positiv (angenehm) Negativ (unangenehm) Fokus: Aktivität aktuell Lernfreude Langeweile, Frustration Fokus: Ergebnis prospektiv Hoffnung Angst, Hoffnungslosigkeit retrospektiv selbstbezogen retrospektiv fremdbezogen Ergebnisfreude, Erleichterung, Stolz Dankbarkeit, Schadenfreude Trauer, Enttäuschung, Scham/Schuld, Ärger Ärger, Neid, Mitleid Definition Lernsituationen seien als Situationen definiert, in denen man sich intentional mit einem inhaltlich definierten Lerngegenstand mit dem Ziel auseinandersetzt, seine Kompetenzen und Wissensbestände in diesem Gegenstandsbereich zu erweitern (nichtintentionales Lernen bzw. implizites Lernen sind hier nicht angesprochen). Von Leistung ist dann die Rede, wenn das eigene Handeln und die eigene Tüchtigkeit im Hinblick auf einen Gütemaßstab bewertet werden (Rheinberg, 2004). Unabhängig davon, dass der Gütemaßstab zur Bewertung von Leistungen in unterschiedlichen Bezugsnormen verankert sein kann (individuell, sozial oder sachlich Kap. 7), impliziert eine Bewertung entlang eines solchen Gütemaßstabes häufig ein eindeutiges Urteil: Erfolg oder Misserfolg. Da es sich bei Lernsituationen immer auch um Leistungssituationen handelt, sind Lernemotionen als eine Teilgruppe der Leistungsemotionen aufzufassen. Um Leistungsemotionen theoretisch zu taxonomisieren, hat Pekrun (2006; auch Pekrun & Jerusalem, 1996) vorgeschlagen, Valenz, Objektfokus und zeitlichen Bezug als wichtige Ordnungskriterien zu berücksichtigen (. Tab. 9.1). Valenz unterscheidet positive (subjektiv angenehme) von negativen (subjektiv unangenehmen) Emotionen. Anhand Der des Objektfokus wird unterschieden, ob die Emotionen primär auf die Aktivität oder auf das Leistungsergebnis dieser Aktivität gerichtet sind (Erfolg vs. Misserfolg). zeitliche Bezug beschreibt, ob der Fokus beim Erleben einer Emotion eher auf die Zukunft (prospektiv), auf die gegenwärtige Tätigkeit (aktuell) oder zurückblickend auf ein Ergebnis (retrospektiv) gerichtet ist. Bei einem auf die Aktivität gerichteten Objektfokus ist der zeitliche Bezug grundsätzlich die Gegenwart, d. h. die momentan durchgeführte Tätigkeit. Lernfreude, Langeweile oder auch Frustration beim Lernen sind Beispiele für solche Emotionen. Liegt der Objektfokus auf Ergebnissen, kann der zeitliche Bezug prospektiv oder retrospektiv sein. Zu prospektiven Emotionen zählen beispielsweise Hoffnung und Angst. Vor allem bei retrospektiven Emotionen erscheint zudem eine weitere Klassifikation hinsichtlich des persönlichen Bezugs sinnvoll, um zu unterscheiden, ob sie selbst oder fremdbezogen sind. Stolz ist eine typische selbstbezogene Emotion, die man erlebt, wenn man auf eine eigene Errungenschaft zurückblickt. Dankbarkeit ist ein Beispiel einer fremdbezogenen Emotion, die auftritt, wenn man einen Erfolg jemand anderem zu verdanken hat. Auch die Emotion Ärger wird meist als fremdbezogen dargestellt (man ärgert sich über eine andere Person). Interviewstudien von Molfenter (1999) ist jedoch zu entnehmen, dass Ärger in Lern und Leistungssituationen durch die Teilnehmer gleichermaßen unter selbst wie unter fremdbezogener Perspektive beschrieben wurde. Ein Interviewbeispiel für selbstbezogenen Ärger während einer Prüfung ist folgende Aussage eines Teilnehmers: Ich habe mich geärgert, weil ich genau gewusst habe, das Thema beherrsche ich eigentlich, aber ich werde es aufgrund meiner Desorientiertheit nicht so verkaufen können, wie ich es eigentlich könnte ; ein Beispiel für fremdbezogenen Ärger folgende Aussage: Ich war dann schon ein bisschen verärgert Weil ich gedacht habe, ach, was reitet der Prüfer denn jetzt auf den Details herum, wenn mein Themengebiet eigentlich etwas ganz anderes mehr anbieten würde Fachspezifität von Leistungsemotionen Kann man vom emotionalen Erleben eines Schülers in einem bestimmten Fach (z. B. Mathematik) auf das emotionale Erleben in einem anderen Fach (z. B. Deutsch) schließen? Neuere Studien zur Fachspezifität von Emotionen zeigen deutlich, dass dies nur sehr begrenzt möglich ist (Götz, Frenzel, Pekrun, Hall & Lüdtke, 2007). Die

224 208 Kapitel 9 Emotionen Exkurs Langeweile Eine allbekannte, jedoch wenig untersuchte Emotion Insbesondere Philosophen waren es, die sich intensive Gedanken zur Langeweile gemacht haben (z. B. Seneca, Arthur Schopenhauer, Søren Kierkegaard, Martin Heidegger) Nietzsche nannte sie beispielsweise die Windstille der Seele. Empirisch ist Langeweile noch wenig erforscht. Im Kontext der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Langeweile zeigt sich ein definitorischer Minimalkonsens zumindest in zwei Aspekten: 1. Bei Langeweile handelt es sich um einen subjektiv als schwach negativ erlebten Gefühlszustand. 2. Langeweile ist durch ein subjektiv langsames Verstreichen der Zeit (Zeitdilatation) im Sinne der Wortbedeutung von lange Weile geprägt. Was den ersten Punkt anbelangt, so deuten jedoch aktuelle Studien darauf hin, dass Langeweile in spezifischen Situationen durchaus auch als positiv erlebt werden kann, in manchen Fällen hingegen auch als sehr negativ. Es gibt erste Ansätze, statt der Langeweile, die in der Regel eher unangenehm erlebt wird, verschiedene Langeweileformen zu unterscheiden (z. B. indifferente Langeweile als eine eher positiv und reaktante Langeweile als eine negativ erlebte Langeweileform; s. Götz & Frenzel, 2006; Götz, Frenzel, Hall, Nett, Pekrun & Lipnevich, 2014). Allerdings gibt es bisher kaum Belege für solche positiven Wirkungen. Vielmehr weisen Studien darauf hin, dass Langeweile vor allem negative Konsequenzen hat, wie beispielsweise deviantes Verhalten, Delinquenz, Abusus psychotroper Substanzen, Spielsucht, Übergewicht und schwache Leistungen (Harris, 2000; Vodanovich & Kass, 1990). Was die Wirkungen von Langeweile anbelangt, so können diese durchaus positiv sein, z. B. im Hinblick auf die Initiierung kreativer Prozesse im Sinne von Inkubationsphasen. Allerdings weisen Studien darauf hin, dass sie vor allem mit einer Vielzahl negativer Aspekte einhergeht, wie beispielsweise deviantem Verhalten, Delinquenz, Abusus psychotroper Substanzen, Spielsucht, Übergewicht und schwachen Leistungen (Harris, 2000; Vodanovich & Kass, 1990). Im pädagogischpsychologischen Kontext stellt Langeweile unter dem Gesichtspunkt der ineffektiven Nutzung von Humanressourcen ein untersuchungsrelevantes Konstrukt dar Studien deuten darauf hin, dass sich Schüler je nach Fach sehr häufig im Unterricht langweilen (z. B. Nett, Götz & Hall, 2011; Larson & Richards, 1991) und dass dies negative Folgen für Aufmerksamkeit, Lernmotivation, die Nutzung von Lernstrategien sowie resultierende Schulund Studienleistungen hat (vgl. Pekrun, Goetz, Daniels, Stupnisky & Perry, 2010). In einer Interviewstudie von Götz, Frenzel und Haag (2006) wurden als Ursachen von Langeweile im Unterricht folgende Aspekte von Schülern der 9. Jahrgangsstufe genannt (beginnend mit dem am häufigsten Genannten): 1. Unterrichtsgestaltung (z. B. Abwechslungsarmut) 2. spezifische Unterrichtsthemen und inhalte (z. B. trockene Themen) 3. Ursachen in der Person des Schülers (z. B. Verständnisprobleme) oder des Lehrers (z. B. ausgepowerte Lehrer) sowie wahrgenommene Eigenschaften des Fachs (z. B. Sinnlosigkeit des Fachs). Eine weitere Studie (Götz, Frenzel & Pekrun, 2007a; 9. Jahrgangsstufe) deutet darauf hin, dass Schüler beim Erleben von Langeweile im Unterricht fast ausschließlich meidensorientierte, d. h. nicht lernund leistungsförderliche Strategien zu ihrer Bewältigung einsetzten (mentale oder behaviorale Flucht). Viele Schüler geben an, die Langeweile einfach zu ertragen. Langeweile kann wohl insgesamt als eine tückische Emotion bezeichnet werden: Obwohl sie mit zahlreichen negativen Konsequenzen einhergeht, scheint sie, wenn überhaupt, meist nicht lern und leistungsförderlich reguliert zu werden (Nett, Götz & Daniels, 2010), da sie von Schülern als relativ schwach negativ erlebt wird und in subjektiv als unwichtig eingestuften Situationen auftritt Zusammenhänge zwischen dem emotionalen Erleben in unterschiedlichen Fächern sind insgesamt gering und am deutlichsten für inhaltlich verwandte Fächer wie Mathematik und Physik oder Deutsch und Englisch. Für ältere Schüler sind die Zusammenhänge insgesamt noch schwächer als für jüngere, d. h. das Ausmaß an Fachspezifität emotionalen Erlebens scheint im Laufe der Schulzeit größer zu werden (Götz et al., 2007). Die empirischen Ergebnisse zeigen somit deutlich: Es gibt weniger den allgemein prüfungsängstlichen, lernfreudigen oder gelangweilten Schüler; Schüler erleben vielmehr unterschiedlich stark ausgeprägte Emotionen in den diversen Fächern. Ähnliche Befunde gibt es auch in der Forschung zu Motivation, Selbstkonzept sowie Selbstregulation ( Kap. 3, Kap. 7, Kap. 8). Daraus ist zu schließen, dass es für Lehrkräfte wichtig ist, das emotionale Erleben einzelner Schüler fachspezifisch zu beurteilen und entsprechend spezifisch zu intervenieren und zu fördern Auftretenswahrscheinlichkeit von Leistungsemotionen und ihre Relevanz für Leistung und Wohlbefinden Im Zentrum des Forschungsinteresses und der Theoriebildung zu Emotionen im Lern und Leistungskontext stand traditionell die Prüfungsangst. Zu Ursachen, Wirkungen und möglichen Interventionsstrategien bezüglich Prüfungsangst liegen umfangreiche Erkenntnisse vor. Andere Emotionen wie Stolz und Scham, Ärger oder Langeweile haben dagegen bisher vergleichsweise wenig Forschungsaufmerksamkeit gefunden ( Exkurs Langeweile Eine allbekannte, jedoch wenig untersuchte Emotion ). Angst ist jedoch nicht die einzige Emotion, die im Lern und Leistungskontext auftritt und von Bedeutung ist. Pekrun (1998) hat in einer Interviewstudie mit Schülern der Oberstufe (56 Gymnasiasten der Klassen 11, 12 und 13)

225 9.3 Leistungsemotionen das emotionale Erleben im Lern und Leistungskontext exploriert. In diesen Interviews wurde nach dem Emotionserleben in Bezug auf vier verschiedene Situationstypen gefragt (Schulunterricht, häusliches Lernen bzw. Hausaufgaben, mündliche und schriftliche Prüfungen sowie Situationen der Leistungsrückmeldung bzw. Rückgaben von Prüfungsergebnissen). Entgegen der intuitiven Annahme, dass Lern und Leistungssituationen vorwiegend durch negatives emotionales Erleben geprägt sind, zeigte sich als Ergebnis, dass positive und negative Emotionen in etwa gleich häufig genannt wurden. Insbesondere Freude und Erleichterung wurden etwa ebenso häufig genannt wie Angst. Aufgrund der kleinen und spezifischen Stichprobe ist die Generalisierbarkeit dieser Befunde eingeschränkt. Interviews mit Studierenden ergaben jedoch vergleichbare Ergebnisse (Pekrun, 1998). In den letzten 15 Jahren wurden dementsprechend auch Emotionen jenseits der Angst in den Blick der pädagogischpsychologischen Forschung genommen. Man ist sich heute einig, dass Emotionen eine zentrale Rolle für die Erklärung von Schülerreaktionen auf schulische Herausforderungen spielen. Zudem werden Emotionen als relevant für die Auslösung, Aufrechterhaltung oder Reduzierung von Anstrengung in Lern und Leistungssituationen und damit als zentrale Prädiktoren von Lernleistungen angesehen (Schutz & Pekrun, 2007). Emotionen sind jedoch nicht nur im Kontext der unmittelbaren Vorhersage schulischen oder universitären Lern und Leistungsverhaltens von Bedeutung. Angesichts der rasanten Veränderungen unserer modernen Welt ist lebenslanges Lernen unumgänglich geworden. Immer wieder wird man mit neuen, unbekannten Aufgaben konfrontiert und einmal erworbene Kompetenzen sind weniger als früher ein Garant für Lebenserfolg. Die Gefühle, die man mit Lernen und Leistung verbindet, und die mit ihnen verknüpfte Bereitschaft, sich wiederholt in Lernsituationen zu begeben, dürften daher über die gesamte Lebensspanne von Bedeutung sein. Neben der Vermittlung von Wissen und Kompetenz sollte es deshalb ein ebenso wichtiges Ziel von Unterricht sein, eine positive emotionale Einstellung gegenüber Lernen und Leistung zu erzeugen. Schließlich sind Emotionen, wie oben bereits erwähnt, auch wichtige Bestandteile des allgemeinen Wohlbefindens und der psychischen Gesundheit. Unabhängig von ihren Wirkungen auf Leistung verdienen sie damit Aufmerksamkeit in pädagogischpsychologischen Kontexten (Hascher, 2004). Ist das emotionale Erleben eines Schülers von Angst, Ärger und Langeweile geprägt, ist davon auszugehen, dass sein allgemeines Wohlbefinden gering ist. Gelingt es hingegen Eltern und Schulen, bei Schülern die Freude am Lernen in den Mittelpunkt zu rücken, ist somit ihr gesamtes Wohlbefinden positiver ausgeprägt. Ohne dabei in Spaß oder Kuschelpädagogik zu verfallen, gebietet eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Emotionen im Lern und Leistungskontext, dass ein Augenmerk auf solche Aspekte des Wohlbefindens von Schülern gelegt wird Versuch einer Abgrenzung von Emotionen und Kognitionen im Lern und Leistungskontext Was ist das Spezifikum von Emotionen, gerade auch in Abgrenzung zu Konstrukten wie Fähigkeitsselbstkonzepten oder Erwartungen? Bei diesen kognitiven Konstrukten handelt es sich um psychische Repräsentationen, die selbst oder aufgabenbezogene Überzeugungen beinhalten. Diese implizieren zunächst keine Bewertung (z. B. In Diktaten mache ich in der Regel wenige Fehler im Sinne eines Selbstkonzepts, Diese MatheAufgabe kann ich wahrscheinlich lösen im Sinne einer Erfolgserwartung). Sind Emotionen im Spiel, findet eine affektive Wertung statt d. h., die Tatsache, ob man viele oder wenige Fehler im Diktat macht, bekommt dann eine emotionale Färbung, wenn die Zahl der Fehler von Bedeutung ist. Da in unserer leistungsorientierten Gesellschaft Kompetenzen eine zentrale Rolle spielen, sind Fähigkeitseinschätzungen vermutlich grundsätzlich emotional gefärbt ( Exkurs Selbstwerttheorie Weitreichende gefühlte Folgen von Misserfolg ). Es ist uns nicht gleichgültig, wie viele Rechtschreibfehler wir machen, wenn uns jemand etwas diktiert, oder wie gut wir eine Mathematikaufgabe beherrschen. Beantwortet man beispielsweise das Item Diese MatheAufgabe kann ich wahrscheinlich lösen mit Stimmt eher nicht, so impliziert dies häufig schon eine negative emotionale Selbstbewertung (auch Kap. 8). Kognitionen und Emotionen sind im Leistungskontext also eng assoziiert und auch theoretisch gibt es zwischen beiden Überlappungen. Allerdings gilt es zu beachten, dass Verhaltensvorhersagen rein aufgrund kühler kognitiver Variablen manchmal misslingen, und es hilfreich sein kann, Emotionen zu berücksichtigen, um Leistungshandeln zu verstehen. Ein Beispiel hierfür ist eine Studie von Boekaerts und Kollegen (Boekaerts, 2007). In dieser Studie wurden 357 Schüler der Mittelstufe gebeten, anhand von Tagebüchern ihre Kompetenz, Anstrengung und ihre Gefühle beim Erledigen der MathematikHausaufgaben zu beschreiben. Unter der Annahme einer rein kühlen Berechnung würde man erwarten, dass es aufgrund von Rückkopplungsschleifen zu einer Anpassung der Anstrengung aufgrund der Kompetenzeinschätzung kommt: Hält sich ein Schüler für kompetent und schätzt die Hausaufgabe als leicht ein, kann er oder sie die Anstrengung reduzieren. Umgekehrt sollte eine niedrige eigene Kompe

226 210 Kapitel 9 Emotionen Exkurs Selbstwerttheorie Weitreichende gefühlte Folgen von Misserfolg Martin Covington (1992) hat mit seiner Selbstwerttheorie das Zusammenspiel zwischen Emotionen, Anstrengung und Leistung aufschlussreich beleuchtet. Die Kernaussage seiner Theorie besagt, dass der Selbstwert von Personen (also die Überzeugung, wertvolle und liebenswerte Menschen zu sein und sich selbst akzeptieren zu können; auch Kap. 8) eng an ihre Erfolge und Kompetenzüberzeugungen geknüpft ist. Covington argumentiert, dass es in unserer modernen Gesellschaft die Tendenz gibt, die Wertigkeit von Personen durch ihre Leistungen zu definieren, und dass viele Schüler daher Kompetenz (insbesondere Kompetenz im schulischen Bereich) mit Wertigkeit gleichsetzen. Dementsprechend wird Misserfolg ein Indikator für die Wertlosigkeit einer Person, was erklärt, warum Schüler im Misserfolgsfall häufig sehr emotional reagieren (mit Verzweiflung, Minderwertigkeits und Schuldgefühlen). Dies gilt besonders dann, wenn der Misserfolg von den Schülern auf ihre mangelnde Fähigkeit zurückgeführt wird ( Abschn ). Eine solche fähigkeitsbasierte Misserfolgsattribution liegt insbesondere dann nahe, wenn man sich besonders angestrengt hatte (trotz all der Anstrengung hat man versagt, dann muss man wohl inkompetent sein). Gemäß dieser Annahmen ist die Investition von Anstrengung als zweischneidiges Schwert zu sehen (Covington & Omelich, 1979): Obwohl sich Lernende durchaus bewusst sind, dass Anstrengung und Lernaufwand für gute Leistungsergebnisse unerlässlich sind, sind sie manchmal doch zögerlich, volle Anstrengung zu investieren, da in diesem Fall ein möglicher Misserfolg mit maximalen emotionalen Kosten einhergehen würde. Daher legen viele Lernende sog. SelfHandicapping an den Tag. SelfHandicapping bedeutet, bewusst (oder unbewusst) Hindernisse für den eigenen Erfolg zu schaffen, d. h., sich Ausreden für einen möglichen Misserfolg zurechtzulegen. Diese Ausreden dienen dazu, dass ein Misserfolg im Nachhinein relativierend auf die gegebenen Umstände zurückgeführt werden kann mit reduzierten Kosten für den eigenen Selbstwert ( Dafür, dass ich in der Nacht vor der Prüfung noch so lang gefeiert habe, war ich doch noch recht gut ). Zu typischen SelfHandicappingStrategien zählt Prokrastination (d. h. exzessives Aufschieben des Lernens bis zur letzten Minute), aber auch der Konsum von Alkohol und Drogen oder bewusste Selbstbeeinträchtigung durch wenig Schlaf vor einer Prüfung oder schlicht geringe Anstrengung beim Lernen. Sogar Prüfungsangst kann in diesem Sinne als selbstwertdienliche Ausrede wirken. Smith, Ingram und Brehm (1983) konnten dies in einem Experiment zeigen. An diesem Experiment nahmen jeweils zur Hälfte Probanden mit stark bzw. gering ausgeprägter Prüfungsangst teil. Sie mussten eine (prüfungsrelevante) Aufgabe absolvieren. Allen wurde nach der ersten Hälfte rückgemeldet, sie hätten schwach abgeschnitten. Jeweils einem Drittel der Studenten in jeder Gruppe wurde zudem mitgeteilt, dass Leistungen bei diesem Aufgabentyp recht stark durch Symptome von Prüfungsangst beeinträchtigt würden. Einem weiteren Drittel wurde mitgeteilt, dass Prüfungsangst für den Aufgabentyp keine Auswirkung haben sollte, den restlichen Studenten wurde dazu nichts gesagt. Bevor sie die gleiche Aufgabe erneut absolvieren sollten, wurden die Probanden gebeten, jegliche Symptome von Prüfungsangst zu beschreiben, die sie erlebten. Es zeigte sich, dass die Teilnehmer mit stark ausgeprägter Prüfungsangst unter der Bedingung Prüfungsangst relevant für Leistung viel stärkere Symptome berichteten, als unter der Bedingung irrelevant oder neutral. Die Teilnehmer mit gering ausgeprägter Prüfungsangst berichteten unter allen drei Bedingungen ähnlich wenige Symptome. Bei Personen mit stark ausgeprägter Prüfungsangst können also Symptome allein deswegen verstärkt auftreten oder wahrgenommen werden, weil sie als Ausrede für schlechtes Abschneiden dienen können. Für Lehrkräfte bedeuten diese Befunde, dass sie mangelnde Anstrengung von Schülern unter Umständen nicht auf deren Unwillen oder mangelnde Motivation zurückführen sollten, sondern auch unter dem Aspekt des Selbstwertschutzes betrachten sollten. Insbesondere auch für Eltern ist zudem eine wichtige Schlussfolgerung, dass darauf geachtet werden sollte, die Wertschätzung der eigenen Kinder nicht an deren Leistungsfähigkeit zu koppeln tenzeinschätzung dazu führen, dass erhöhte Anstrengung investiert wird. In der Studie stellte sich jedoch heraus, dass das Gegenteil der Fall ist: Je höher die selbsteingeschätzte Kompetenz, desto mehr Anstrengung investierten die Schüler; je geringer sie ihre Kompetenz für die gestellten Hausaufgaben einschätzten, desto weniger strengten sie sich an. Boekaerts und Kollegen konnten zeigen, dass die Gefühle der Schüler hier eine vermittelnde Rolle spielen. Bei hoch eingeschätzter Kompetenz berichteten die Teilnehmer positive Emotionen (Freude, Zufriedenheit), die offensichtlich als kraftspendende Ressourcen dienten, die Aufgaben als Herausforderung zu sehen und bereit zu sein, Anstrengung zu investieren. Niedrige Kompetenzeinschätzungen dagegen gingen mit negativen Emotionen einher (Angespanntheit, Unzufriedenheit, Ärger), die Vermeidungsverhalten hervorriefen, mit der Folge, dass eine ver längerte Auseinandersetzung mit den Aufgaben umgangen und Anstrengung reduziert wurde Entwicklungsverläufe von Emotionen im Lernund Leistungskontext Es gibt eine Reihe von Forschungsarbeiten zu frühkindlichen und vorschulischen Formen von Leistungsemotionen, insbesondere zu Stolz und Scham (Lagattuta & Thompson, 2007; Lewis, 2000). Als Ergebnis dieser Arbeiten sind sich Entwicklungspsychologen einig, dass Kinder ca. im Alter von 3 Jahren in der Lage sind, zumindest die basalen kognitiven Prozesse zu durchlaufen, die das Erleben von Stolz und Scham ermöglichen: Sie haben dann ein

227 9.3 Leistungsemotionen Bewusstsein ihres Selbst, erkennen und beachten äußere Standards zur Beurteilung von Leistungen und sie internalisieren diese Standards für ihre Selbstbewertung. Im Alter zwischen 3 und 5 Jahren verbessern sie diese Fähigkeiten durch ihre rapide Sprachentwicklung; sie sind nun auch in der Lage, Standards selbst zu benennen, Stolz und Scham bei sich selbst und anderen zu erkennen und verbal zu bezeichnen. Allerdings haben Kinder in diesem Alter noch Schwierigkeiten, Stolz von Freude zu differenzieren, und zeigen positive emotionale Reaktionen als Ergebnis jeder Art von Erfolg, egal ob dieser aufgrund ihrer eigenen Anstrengung oder aufgrund von günstigen äußeren Bedingungen (z. B. einfache Aufgabe) eingetreten ist. Diese Unterscheidung treffen sie erst ab dem Alter von ca. 8 Jahren. Zudem gibt es vereinzelte Längsschnittstudien zur Entwicklung von Leistungsemotionen ab dem Schuleintritt. Diese zeichnen ein wenig erfreuliches Bild: Das durchschnittliche Ausmaß an negativen Emotionen scheint im Laufe der Schulzeit eher anzusteigen, jenes positiver Emotionen hingegen abzusinken. Für die Prüfungsangst ist gezeigt worden, dass sie insbesondere im Laufe der Grundschule relativ stark ansteigt und dann im Durchschnitt der Schüler etwa konstant bleibt. Die Lernfreude dagegen scheint mit dem Beginn der Einschulung und sogar noch in der Sekundarstufe im Schülerdurchschnitt kontinuierlich abzusinken und sich erst ab der 8. Klasse zu stabilisieren (Helmke, 1993; Pekrun et al., 2007). So konnten Pekrun und Kollegen (2007) in einer Längsschnittstudie zu Entwicklungsverläufen von Emotionen speziell im Fach Mathematik zwischen der 5. und der 8. Jahrgangsstufe einen bedeutsamen Abfall in der Freude feststellen (um mehr als zwei Drittel einer Standardabweichung). Dabei sind die Verluste in der Freude in den Jahrgangsstufen 5 und 6 besonders stark und schwächen sich zur 8. Klasse hin ab. Bei der Emotion Stolz sind ähnliche Entwicklungsverläufe zu verzeichnen (Diskrepanzen zwischen der 5. und 8. Klassenstufe von ca. einer halben Standardabweichung). Die Emotionen Angst und Scham bleiben in diesem Entwicklungszeitraum mehr oder weniger konstant, Ärger und Langeweile dagegen steigen in bedeutsamer Weise an (um ca. eine halbe Standardabweichung; Pekrun et al., 2007). Ähnliche, zunächst eher steil und dann flacher absinkende, asymptotische Entwicklungsverläufe zeigen sich auch beim Interesse (z. B. Watt, 2004). Verschiedene Erklärungen sind für diese ungünstigen emotionalen Entwicklungsverläufe denkbar (auch Kap. 7). Zum einen gelangen viele Schüler während der Grundschulzeit über einen (schmerzlichen) Entwicklungsprozess von unbändiger Neugier, universellen Interessen und fast grenzenloser Überzeugung hinsichtlich der eigenen Fähigkeiten über wiederholte Misserfolgserlebnisse zur Einsicht in eigene Unzulänglichkeiten (Helmke, 1983; Jerusalem & Schwarzer, 1991). Darüber hinaus erleben die Schüler die schulischen Anforderungen insbesondere im Verlauf der Sekundarstufe noch einmal als stark ansteigend. Somit ist eine zunehmende Anstrengung erforderlich, um den eigenen und den Erwartungen anderer (Eltern, Lehrkräfte) weiter gerecht zu werden. Diese erhöhte Investition an Anstrengung bringt offensichtlich emotionale Kosten mit sich. Zudem wird argumentiert, dass insbesondere im Laufe der Adoleszenz außerschulische und soziale Themen mit den schulischen Themen zu konkurrieren beginnen. Akademische Inhalte werden deshalb als langweiliger erlebt und der Ärger, sich mit diesen und nicht mit anderen subjektiv als wichtiger eingestuften Inhalten beschäftigen zu müssen, steigt an. Schließlich können vermutlich auch sich verändernde Instruktionsstrukturen und Klassenklimata für die negativen emotionalen Entwicklungsverläufe mitverantwortlich gemacht werden: Mit ansteigenden Klassenstufen erhöht sich der Wettbewerb unter den Schülern, es scheinen vermehrt traditionelle, lehrerzentrierte Unterrichtsstrategien eingesetzt zu werden und der persönliche Kontakt zwischen Lehrkräften und Schülern scheint abzunehmen. Inwieweit diese veränderten instruktionalen Bedingungen tatsächlich mit vermehrt negativen und weniger positiven Leistungsemotionen verknüpft sind, ist jedoch bisher kaum empirisch erforscht worden. Eine entscheidende Rolle für Entwicklungsverläufe von Leistungsemotionen spielen auch sog. Bezugsgruppeneffekte, besonders bei Entwicklungsübergängen innerhalb der Schullaufbahn. In Deutschland betrifft das beispielsweise den Übergang von der Grundschule in Schulen des gegliederten Sekundarschulwesens (Hauptschule, Realschule, Gymnasium). Dieser Wechsel ist mit einem Wechsel der Bezugsgruppe verbunden. Während die Schulklassen der Grundschule Schüler aller Leistungsniveaus umfassen, ist man am Gymnasium nach dem Übergang mit einer relativ homogenen Bezugsgruppe leistungsstarker Mitschüler konfrontiert, an der Hauptschule hingegen mit einer Bezugsgruppe leistungsschwächerer Schüler (auch Kap. 8). Bei den Gymnasiasten verringern sich damit unter Verwendung sozialvergleichender, am Klassenmaßstab orientierter Normen die Chancen zu guten Leistungsbewertungen, während sie für Hauptschüler steigen (übersichtsartig Köller, 2004). Aber nicht nur Selbstkonzepte sind betroffen, sondern in der Folge auch Leistungsemotionen von Schülern. So ist die Prüfungsangst bei hochbegabten Schülern in Hochbegabtenklassen stärker ausgeprägt als jene von hochbegabten Schülern in regulären Klassen (Preckel, Zeidner, Götz & Schleyer, 2008). Götz et al. (2004) fanden zudem in einer Studie, dass sich das Leistungsniveau einer Klasse unter Kontrolle der individuellen Leistung auch unabhängig von einem Schulartbzw. Klassenwechsel negativ auf die Entwicklung von Lernfreude und Angst in Mathematik von Schülern auswirkt.

228 212 Kapitel 9 Emotionen Dem Nutzen optimierter Lernbedingungen in homogen leistungsstarken Lerngruppen stehen demzufolge nicht unerhebliche emotionale Kosten gegenüber. Umgekehrt kann sich ein Übergang in leistungsschwächere Bezugsgruppen unter Umständen durchaus psychosozial positiv auswirken, wenn die betroffenen Schüler dann nicht mehr zu den Leistungsschwachen zählen und im sozialen Vergleich mit ihren Mitschülern besser abschneiden Ursachen von Emotionen im Lernund Leistungskontext AppraisalTheorie Es gibt nur wenige Situationen oder Ereignisse, in denen alle Menschen mit den gleichen Emotionen reagieren. Zum Beispiel scheint den meisten von uns eine gewisse Angst vor Höhen, aber auch Angst vor negativer Bewertung durch andere Personen gemein zu sein. Zum Teil sind uns emotionale Reaktionen somit gewissermaßen durch die Evolution in die Wiege gelegt. Die Mehrheit an Situationen ist jedoch nicht allgemein emotionsinduzierend. Es ist auffällig, dass wir auch in ähnlichen Situationen mal mit mehr und mal mit weniger Angst, Überraschung oder Freude reagieren. Oft reagieren auch zwei verschiedene Personen auf ein und dasselbe Ereignis mit unterschiedlichen Emotionen. Als eine Erklärung hierfür ist in der Emotionsforschung der sog. AppraisalAnsatz entwickelt worden. Dieser besagt, dass es nicht die Situationen selbst sind, die Emotionen in uns hervorrufen, sondern vielmehr die Interpretationen der Situationen dazu führt, dass wir bestimmte Emotionen erleben. Diese Idee ist nicht neu; bereits der Stoiker Epiktet schrieb: Nicht die Dinge selbst beunruhigen die Menschen, sondern die Vorstellungen von den Dingen (Schmidt, 1978, S. 24). Definition Appraisals sind kognitive Einschätzungen von Situationen, Tätigkeiten oder der eigenen Person. Unterschiedliche Konstellationen von Appraisals rufen unterschiedliche Emotionen hervor. Die Vielzahl an Interpretationsmöglichkeiten von Situationen ist von AppraisalTheoretikern geordnet und verschiedenen Dimensionen zugeordnet worden. Weite Verbreitung hat Lazarus Modell (Lazarus, 1991) gefunden, in dem er primäre von sekundären Appraisals unterscheidet. In einer Ausdifferenzierung der Theorie der primären und sekundären Appraisals für diskrete Emotionen beschrieben Smith und Lazarus (1993), dass das primäre Appraisal zum einen eine Beurteilung der persönlichen Bedeutsamkeit einer Situation beinhaltet (wichtig vs. unwichtig), zum anderen eine Beurteilung der Valenz (positiv vs. negativ bzw. konsistent vs. inkonsistent mit den eigenen Bedürfnissen). Beim sekundären Appraisal wird beurteilt, wie die Situation zustande gekommen ist (fremd oder selbstverursacht), ob man über geeignete Ressourcen verfügt, um mit der Situation umzugehen (CopingPotenzial) und ob zu erwarten ist, dass sich die Situation ändert. Andere AppraisalTheoretiker unterscheiden nicht zwischen primären und sekundären AppraisalDimensionen, betonen aber die Wichtigkeit weiterer Aspekte, z. B., für wie wahrscheinlich man das Eintreten einer Situation hält. Insgesamt kommen die AppraisalTheoretiker alle zum gleichen Schluss: Je nachdem, wie man eine Situation einschätzt, wird man emotional reagieren, wobei spezifische Konstellationen von Appraisals definieren, welche Emotion man erlebt (z. B. Scherer, Schorr & Johnstone, 2001). So tritt z. B. die Emotion Dankbarkeit in Situationen auf, die wir als persönlich relevant, positiv und durch andere Personen verursacht erleben; Ärger entsteht, wenn wir den Eindruck haben, dass etwas persönlich Bedeutsames, Negatives eingetreten ist, das vermeidbar gewesen wäre; Angst erleben wir, wenn etwas Negatives, persönlich Relevantes mit gewisser Wahrscheinlichkeit auftreten kann, wir aber nur über wenige Ressourcen verfügen, um es abzuwenden. Pekruns KontrollWertAnsatz zu Leistungsemotionen Theoretische Annahmen Pekrun (2000; 2006) hat eine Theorie entwickelt, die auf Appraisaltheoretischen Ansätzen fußt, aber speziell auf Leistungsemotionen fokussiert. Er postuliert in dieser Theorie, dass aus den diversen kognitiven Appraisals, die allgemein für die Entstehung von Emotionen vorgeschlagen wurden, insbesondere zwei AppraisalDimensionen für Leistungsemotionen bedeutsam sind. Diese sind die subjektive Kontrolle über lern und leistungsbezogene Aktivitäten und Leistungsergebnisse und der Wert dieser Aktivitäten und Ergebnisse. Subjektive Kontrolle. Subjektive Kontrolle bezieht sich auf wahrgenommene kausale Einflüsse auf Handlungen und ihre Ergebnisse. Dazu zählen zukunftsgerichtete Kausalerwartungen (z. B. Wenn ich mich anstrenge, dann schaffe ich die Prüfung! oder auch Ich bin in diesem Bereich begabt, ich werde die Prüfung schon schaffen! ), aktuelle Kontrollwahrnehmungen (z. B. Die Aufgabenstellung verstehe ich nicht ich kann die Aufgabe nicht bearbeiten! ) ebenso wie rückblickende Kausalattributionen von Erfolgen und Misserfolgen (z. B. Ich bin durchgefallen, weil ich mich nicht genug angestrengt habe! oder Ich habe schlecht abgeschnitten, weil der Lehrer nicht den Stoff abgefragt hat, der vereinbart war! ).

229 9.3 Leistungsemotionen Wert. Ähnlich wie bei Smith und Lazarus primärem Appraisal beinhaltet die Kategorie Wert bei Pekrun zum einen eine kategoriale Bedeutung (ist die Lernaktivität bzw. das Leistungsergebnis subjektiv positiv oder negativ), zum anderen eine dimensionale Bedeutung (wie wichtig bzw. persönlich bedeutsam ist die Aktivität bzw. das Leistungsergebnis). Nun stellt sich die Frage, was zur Bewertung konkreter Situationen und Tätigkeiten beiträgt, d. h. was die Appraisals bestimmt. Warum bewertet man eine Prüfung als machbar oder als unüberwindbare Hürde, als wichtig oder unwichtig, ein Leistungsergebnis als Erfolg oder Misserfolg? Es ist anzunehmen, dass Appraisals zum einen durch die Situation selbst, aber auch durch die sie wahrnehmende Person beeinflusst werden. So können situative Bedingungen die Kontrollerwartungen bestimmen (wie z. B. Schwierigkeit der Aufgaben und Durchfallquoten bei Prüfungen) oder die Einschätzung der Bedeutsamkeit der Situation beeinflussen (z. B. die Gewichtung einer Prüfung für die Gesamtnote im Abschlusszeugnis). Diese mehr oder weniger objektiven Gegebenheiten der Situation müssen wiederum von Personen individuell beurteilt werden. Sind die situativen Gegebenheiten unbekannt oder unauffällig, spielen generalisierte subjektive Kontroll und Wertüberzeugungen eine bedeutendere Rolle für die Entstehung von Emotionen. Ein positives mathematisches Fähigkeitsselbstkonzept wird beispielsweise dazu beitragen, Prüfungssituationen in diesem Fach eher als kontrollierbar und bewältigbar zu beurteilen. Ebenso beeinflussen generalisierte Überzeugungen, beispielsweise hinsichtlich der Relevanz eines Fachs für die eigene Karriere, das BedeutsamkeitsAppraisal in einer Situation. Auch Leistungsziele (d. h. Annäherungs bzw. Vermeidungsziele anhand kriterialer, individueller bzw. sozial vergleichender Gütemaßstäbe; Kap. 7) spielen eine Rolle dafür, welche Kontrollierbarkeit und welche Bedeutsamkeit man Lernaktivitäten und Leistungsergebnissen beimisst. Wie wirken Appraisals auf das Erleben von Emotionen in Lern und Leistungssituationen? Wie die derzeitige Tätigkeit bewertet wird (angenehm oder unangenehm) bzw. ob Erfolg oder Misserfolg eingetreten ist oder möglicherweise eintreten wird, bestimmt zunächst die Valenz von Emotionen (d. h. positive oder negative Emotionen werden erlebt). Die KontrollAppraisals bestimmen zudem die Qualität von Emotionen, d. h. sie bestimmen, welche diskrete Emotion erlebt wird (bei hohem Kontrollerleben wird man beispielsweise Vorfreude auf eine Prüfung erleben, bei geringerem hingegen Angst). Wie intensiv diese Emotionen erlebt werden, hängt sowohl vom Ausmaß des Kontrollerlebens als auch der Bedeutsamkeit ab. Dabei verstärkt die Einschätzung der persönlichen Wichtigkeit sowohl positive als auch negative Emotionen (eine Ausnahme stellt hierbei die Langeweile dar; Exkurs Langeweile.. Abb. 9.3 Schema zu prospektiven Emotionen eine allbekannte, jedoch wenig untersuchte Emotion ). Das Ausmaß, in welchem man Kontrolle in der jeweiligen Situation erlebt, verstärkt positive Emotionen in der Regel und schwächt negative ab.. Abb. 9.3 zeigt beispielhaft, wie Emotionen aufgrund von Kontroll und WertAppraisals entstehen können, wenn eine Leistungssituation bevorsteht (prospektiver zeitlicher Bezug): Die situativen Gegebenheiten sowie die persönlichen generalisierten Überzeugungen bedingen zunächst, ob man Misserfolg erwartet. Wie persönlich relevant man diesen Misserfolg einschätzt und wie man die persönlichen Ressourcen einschätzt, die Situation bewältigen zu können, trägt schließlich dazu bei, ob man sich hoffnungslos, ängstlich oder erleichtert fühlen wird. Empirische Befunde Für die Prüfungsangst ist die Bedeutung von mangelnder wahrgenommener Kontrolle empirisch gut belegt (z. B. Hembree, 1988; Zeidner, 1998): Ein Schüler erlebt intensivere Angst, wenn Misserfolge drohen, er aber z. B. aufgrund von niedrigem Selbstkonzept bezweifelt, diese vermeiden zu können. Dass für die Intensität der erlebten Angst zusätzlich auch die Bedeutsamkeit

230 214 Kapitel 9 Emotionen Exkurs Die Methode der VignettenAufgaben zur Untersuchung des Zusammenhangs zwischen Attributionen und Emotionen Für eine empirische Untersuchung der postulierten Zusammenhänge zwischen Attributionen und Emotionen verwandte Weiner in vielen seiner Studien sog. Vignetten Aufgaben. Bei diesem Paradigma werden den Probanden kurze schriftliche Szenarien (Vignetten) vorgelegt, in denen Personen beschrieben werden, die Misserfolge bzw. Erfolge erleben, verbunden mit Hinweisen darauf, auf welche Ursachen der Erfolg oder Misserfolg zurückzuführen ist. Aufgabe der Probanden ist es dann zu beurteilen, wie sich die in den Vignetten beschriebenen Personen unter den gegebenen Umständen fühlen. Ein Beispiel für eine solche Vignette, wie sie von Weiner und Kollegen verwendet wurde, ist: Es war schrecklich wichtig für Peter, in einer bevorstehenden Prüfung gut abzuschneiden. Peter ist sehr begabt. Peter bekam eine gute Note und glaubte, dass er das aufgrund seiner Begabung geschafft hat. Wie, glauben Sie, hat sich Peter gefühlt, als er die Note erfahren hat? (Weiner, 1986, S. 122) In dieser Vignette wurde also eine Erfolgsattribution auf Begabung und damit aus Sicht des Handelnden einer internalen, stabilen Ursache nahegelegt. Weiners Ergebnisse zeigten, dass viele Probanden in diesem Fall die Emotion Stolz nannten. Wie auch in Pekruns KontrollWertAnsatz wird hierbei der Dimension Kontrollierbarkeit Bedeutung dafür beigemessen, welche diskrete Emotion erlebt wird. Zudem wird hier noch die Dimension Lokation (internal vs. external) berücksichtigt. Die Emotionen Stolz und Scham sind demzufolge durch Attributionen auf internale Ursachen von Erfolg und Misserfolg charakterisiert. Im Falle von Attributionen auf externale Verursachung von Erfolg bzw. Misserfolg sollte man Weiner zufolge Dankbarkeit bzw. Ärger erleben. Die dritte in der Kausalattributionsforschung typischerweise berücksichtige Attributionsdimension Stabilität beeinflusst laut Weiner vorwiegend die Erwartung bezüglich zukünftiger Leistungsergebnisse und das Erleben von Hoffnung und Hoffnungslosigkeit. Interessant ist, dass wir nicht nur unseren eigenen Erfolgen und Misserfolgen Ursachen zuschreiben, sondern auch denen anderer Personen und entsprechend emotional reagieren können ( Exkurs Appraisal rückwärts Wie wir von den Emotionen anderer auf deren Überzeugungen und unsere Fähigkeiten schließen ). Die Mehrzahl der Überlegungen und Befunde zu den Zusammenhängen zwischen Kausalattributionen und Emotionen geht in die 1970er und 1980er Jahre zurück. Diese gelten damit schon fast als historische Klassiker, auch weil sie theoretisch plausibel und empirisch gut belegt zu sein scheinen. Trotzdem gibt es bis heute noch einige Uneinigkeit, beispielsweise hinsichtlich der Frage, inwieweit Kontrollierbarkeit für die Entstehung von Stolz eine Rolle spielt das heißt, ob eher Anstrengungs oder Begabungsattributionen zu Stolz führen (Hareli & Weiner, 2002). Zudem ist die Methode der Vignetten insofern teilweise kritisch zu betrachten, als durch sie ggf. keine realen, persönlich erlebten Emotionen und Attributionsvon Misserfolg eine Rolle spielt, konnte Pekrun (1991) empirisch bestätigen. Auch in einer neueren Studie von Frenzel, Pekrun und Götz (2007) berichteten Schüler im Fach Mathematik dann stärkere Angst, wenn ihre Kompetenzüberzeugungen in diesem Fach gering ausgeprägt waren. Unabhängig von den Kompetenzüberzeugungen spielten aber zusätzlich auch die Überzeugungen der Schüler zur Bedeutsamkeit von Leistung in Mathematik eine Rolle dafür, wie viel Angst sie vor dem Fach berichteten. In dieser Studie konnte auch gezeigt werden, dass subjektive Kontrollüberzeugungen und Überzeugungen der Bedeutsamkeit von Leistung für das Erleben anderer Emotionen jenseits der Angst eine wichtige Rolle spielen. So zeigte sich beispielsweise, dass Schüler dann vermehrt Stolz in Mathematik berichteten, wenn sie hohe Kompetenzüberzeugungen hatten und zugleich gute Leistungen in diesem Fach für wichtig hielten. Freude am Fach Mathematik zeigte sich in dieser Studie dann als besonders ausgeprägt, wenn Schüler hohe Kompetenzüberzeugungen und zugleich gute Leistungen in diesem Fach hatten und wenn sie das Fach an sich positiv bewerteten. Für retrospektive, ergebnisbezogene Emotionen gibt es zudem aus der Kausalattributionsforschung zahlreiche empirische Befunde. Kausalattributionen sind Ursachenzuschreibungen für zurückliegende Ereignisse, also Antworten auf die Frage Warum ist das passiert? (auch Kap. 7). Kausalattributionen können Einfluss darauf nehmen, wie man emotional auf Ereignisse reagiert. Bernard Weiner hat den Zusammenhang zwischen Attributionen und Emotionen umfassend analysiert, insbesondere für Erfolge und Misserfolge (Weiner, 1985, 1986; Exkurs Die Methode der VignettenAufgaben zur Untersuchung des Zusammenhangs zwischen Attributionen und Emotionen ). Weiner und Kollegen untersuchten zahlreiche verschiedene Erfolgs und Misserfolgsattributionen und die nachfolgenden Emotionen. Sie kamen dabei zu zwei zentralen Schlüssen: 1. Erfolg und Misserfolg an sich rufen Emotionen hervor. Unabhängig davon, worauf man ein Leistungsergebnis zurückführt, erlebt man Freude bei Erfolg und Frustration bei Misserfolg. Diese beiden Emotionen nennt Weiner daher auch ergebnisabhängige ( outcomedependent ) Emotionen. 2. Beginnt eine Person, nach den Ursachen für das Leistungsergebnis zu suchen, stellen sich weitere, differenzierte Emotionen ein: Diese nennt Weiner attributionsabhängige ( attributiondependent ) Emotionen.

231 9.3 Leistungsemotionen Exkurs Appraisal rückwärts Wie wir von den Emotionen anderer auf deren Überzeugungen und unsere Fähigkeiten schließen Ursachenzuschreibungen beeinflussen die emotionalen Reaktionen auf Leistungsergebnisse. Das gilt nicht nur für unsere eigenen Erfolge und Misserfolge, sondern auch für die anderer Personen (Weiner, 1986), insbesondere für die Beurteilung von Erfolgen oder Misserfolgen von Schülern durch ihre Lehrkräfte. Schülererfolge, die auf kontrollierbare Ursachen zurückzuführen sind, lösen Zufriedenheit bei beobachtenden Lehrkräften aus. Unerwartete (d. h. unkontrollierbare) Schülererfolge rufen dagegen Überraschung beim Beobachter hervor. Schülermisserfolge, denen Lehrkräfte kontrollierbare Ursachen (insbesondere mangelnde Anstrengung) zuschreiben, führen bei Lehrkräften zu Ärger oder auch Enttäuschung; Schülermisserfolge aufgrund von unkontrollierbaren Faktoren (insbesondere mangelnde Begabung) wecken Mitleid oder empathische Hoffnungslosigkeit. Bereits Kinder im Alter von 6 Jahren können auf der Basis vorgegebener Ursachenkonstellationen (insbesondere Anstrengung vs. Begabung) vorhersagen, ob Lehrkräfte ärgerlich oder mitleidig auf Schülermisserfolge reagieren werden (Graham & Weiner, 1986). Bemerkenswert ist, dass dieser Prozess auch rückwärts möglich ist dass man also von den Emotionen bei anderen Personen auf deren Attributionen rückschließen kann. Rustemeyer (1984) hat dies in einer Laborstudie eindrucksvoll zeigen können. In ihrer Studie wies sie Probanden die Rolle von Schülern zu und setzte diese systematisch verschiedenen Emotionen durch die Testleiter (die Lehrkräfte ) aus. In einem Vortest wurde die (scheinbare) Fähigkeit der Probanden in einer optischen Wahrnehmungsaufgabe durch die Testleiter ermittelt. Das Ergebnis (Erfolg vs. Misserfolg) in einer folgenden, ähnlichen Aufgabe teilte der Testleiter den Probanden unter Angabe seiner eigenen Emotion mit (je nach Bedingung Zufriedenheit, Überraschung, Ärger oder Mitleid). Daraufhin wurden die Probanden aufgefordert zu beurteilen, wie hoch sie ihre eigene Fähigkeit einschätzten und welche Erfolgserwartung sie bei künftigen, ähnlichen Aufgaben hätten. Die Ergebnisse zeigten, dass die Probanden bei Überraschung nach Erfolg und Mitleid nach Misserfolg ihre Fähigkeiten geringer einschätzten und weniger zuversichtlich waren, zukünftige Aufgaben lösen zu können, als wenn der Testleiter mit Zufriedenheit auf Erfolg oder Ärger auf Misserfolg reagiert hatte. Ähnliche Ergebnisse erzielte Butler (1994) in einer Feldstudie mit Sechstklässlern. Den Schülern wurde hier eine Vignette vorgelegt, in der beschrieben wurde, wie ein Schüler einen Misserfolg erlebt und die Lehrkraft verbal emotional darauf reagiert (ärgerlich vs. mitleidig). Die Schüler führten im Falle von Ärger der Lehrkraft den Misserfolg des beschriebenen Schülers eher auf seine mangelnde Anstrengung zurück. Bei Lehrermitleid dagegen attribuierten sie den beschriebenen Misserfolg eher auf mangelnde Fähigkeit. Als Fazit ist zu ziehen, dass gerade die beiden Emotionen Ärger und Mitleid Wirkungen haben können, die den intuitiven Erwartungen aufgrund der Valenz dieser Emotionen widersprechen. Ärger ist eine negative Emotion, die zu zeigen üblicherweise sozial nicht erwünscht ist, gerade auch bei Lehrkräften. Unter den beschriebenen Umständen kann Ärger dem anderen jedoch mitteilen, dass man seine Fähigkeiten hoch einschätzt. Mitleid bei Misserfolgen der anderen auszudrücken wird dagegen i. Allg. als positive Reaktion angesehen, die Empathiefähigkeit impliziert. In diesem Fall kann Mitleid jedoch signalisieren, dass man die Kompetenzen des anderen für gering hält mit negativen Auswirkungen für den Betroffenen. EmotionsVerbindungen erfasst werden, sondern möglicherweise eher Überzeugungen zu Emotionen (im Sinne von Metakognitionen). Einflüsse der Sozialumwelt auf Leistungsemotionen Emotionen und ihnen zugrunde liegende Appraisals entstehen zum einen aufgrund von generalisierten Überzeugungen. Zum anderen hängen sie von der jeweiligen Situation ab. In der Folge stellt sich die Frage, welche situativen Gegebenheiten Appraisals in welcher Weise beeinflussen und wie generalisierte Überzeugungen bei Schülern entstehen. Dies ist insbesondere im Hinblick auf die Frage bedeutsam, wie Leistungsemotionen bei Schülern positiv beeinflusst werden können (auch Exkurs Prüfungsangst Möglichkeiten zur Intervention ). Unter einer sozialkognitiven Perspektive ist anzunehmen, dass Überzeugungen von Personen immer in Auseinandersetzung mit ihrer Sozialumwelt entstehen. Pekrun (2000; 2006) nennt folgende fünf Facetten der Sozialumwelt, die insbesondere die Kontrollüberzeugungen und die Überzeugungen zur Bedeutsamkeit von Lernaktivitäten und Leistungsergebnissen beeinflussen können (. Abb. 9.4): Instruktion Wertinduktion Autonomiegewährung Erwartungen und Zielstrukturen Leistungsrückmeldungen und konsequenzen. Instruktion. Gelungene Instruktion in Form einer klar strukturierten und verständlichen Stoff und Aufgabenpräsentation bedingt ni